30. Alica: Persönlichkeit
Obwohl die Villa so groß war, wurde es ziemlich eng bei den ganzen Leuten, die sich gerade alle im Wohnzimmer befanden.
Charlie und Boris hatten sich auf einem Sessel gestapelt, Silas und Raphael auf dem zweiten.
Ich saß bei Amy auf dem Schoß, welche sich auf dem Sofa befand. Neben uns waren Mara und Claire, sowie Dale, Chad und auch Austin, der heruntergekommen war, nachdem wir solch einen Krach gemacht hatten.
Ich hatte ja vorhin schon geglaubt, Raphael sähe nicht gut aus bzw. so als würde es ihm nicht gut gehen, aber jetzt, wenn ich mir Austin so ansah, dann nahm das ganz andere Maßstäbe an.
Wir hatten uns alle begrüßt und vorgestellt, Smalltalk geführt und gerade ging es um die Zimmeraufteilung.
„Ach wisst ihr was, wir schlafen einfach bei Oma, solange ihr hier seid. Sie beschwert sich wenigstens nicht, wenn wir zu laut sind", beschloss Boris irgendwann genervt und ließ Charlie dabei kein Mitspracherecht.
„Ich würde eigentlich auch ganz gern bei Oma schlafen...", meinte ich und sah Amy fragend an.
Sie nickte. „Klar gerne, deine Oma liebt mich"
„Nicht so sehr, wie sie Charlie liebt, glaub mir. Sie würde ihn heiraten, wenn sie mich dafür nicht hintergehen müsste", gab Boris an und kuschelte sich an seinen Freund.
Dieser hatte die Kuscheleinheiten wohl bitter nötig, denn er schien nicht wirklich erfreut, weil gerade so viel los war.
Irgendwie konnte ich das verstehen, aber anderseits fand ich es auch cool, dass wir mal wieder alle auf einem Haufen waren.
„Gut, dann können Dale und Chad ja in Charlies Zimmer umziehen, Claire kann in ihres und Mara in Amys?", Silas sah fragend in die Runde, ob das für alle in Ordnung war.
Alle stimmten zu, aber Charlie setzte die Bedingung hinzu, dass keiner in seinem Bett Sex haben durfte, oder allgemein in seinem Zimmer, dass es immer aufgeräumt war und er danach nicht auch nur die Note des Duftes von jemand anderem als Boris und sich in seinem Zimmer haben wollte.
Chad und Dale gaben sich damit zufrieden, also konnten wir das Thema abhaken.
„So dann können wir ja endlich zum Punkt kommen", meinte ich deshalb „Warum sind wir hier?"
Ich sah Boris fragend an, weil ja er derjenige war, der mich hierher bestellt hatte.
Er nickte zu Dale. „Er lag zwei Jahre im Koma, war seit drei Jahren Hirntod und als wir seine Maschinen abgeschalten haben und die Leiche mitnehmen wollten, ist der plötzlich wieder aufgewacht, hat aber keine Erinnerungen mehr, obwohl er kein Vampir ist"
Ich verstand ziemlich schnell, was das sollte und nickte. „Und ich soll die Erinnerungen jetzt wieder rauskitzeln", stellte ich unbeeindruckt fest.
Boris nickte.
Ich sah mir den betroffenen Jungen kritisch an, musterte ihn, legte dabei den Kopf schief.
Er fühlte sich total unwohl unter meinem Blick, das sah man daran, wie nervös er mit den Händen über seine Oberschenkel rieb und meinem Blick auswich.
Das alles erklärte zumindest, weshalb er etwas seltsam war. Sein Hirn war wohl noch nicht komplett hochgefahren. Oder naja, was wahrscheinlicher war, wenn er keine Ahnung hatte, wer er war, dann hatte er auch so ziemlich keine Persönlichkeit.
Ich meine, unsere Erinnerungen und Erfahrungen machten uns zu den Menschen, die wir waren, sie lehrten uns, prägten uns, formten uns. Es war wichtig, seine Vergangenheit zu kennen, um zu wissen, wohin seine Zukunft führen sollte. Daher konnte man es Dale nicht übel nehmen, dass er so zurückgezogen und schüchtern war.
„Ich kann es versuchen", meinte ich nach einiger Zeit und sah, wie Chad, der neben seinem Bruder saß, deutliche Brocken von den Schultern fielen.
Ich stand auf, setzte mich vor Dale auf den Tisch und sah dann Austin und Chad an, die neben ihm waren. „Ihr solltet ihn nicht berühren, sonst sehe ich auch in euch..."
Die beiden rutschten von ihm ab.
Dale sah total hilflos und ausgeliefert aus.
Ich legte beruhigend meine Hand auf seine. „Keine Sorge, es tut nicht weh. Allerdings ist es hilfreich, wenn du dich darauf einlässt. Ich kann es auch, wenn du dich wehrst, aber dann wird es dir wehtun und das wird für uns beide unschön"
Dale schluckte und nickte.
Ich legte meine andere Hand auf seine Wange, da ich ihn am Kopf berühren musste, weil so der Zugang einfacher war.
„Und jetzt schau mich einfach an", sagte ich leise, intensivierte den Blick in seine grau-grünen Augen.
Es war überraschend einfach, in seinen Verstand vorzudringen.
Der Grund dafür erklärte sich schnell, als ich drin war und nach den Erinnerungen suchte. Sie waren schlichtweg nicht da. Es war leer. So, als hätte man ein Haus komplett ausgeräumt, bis auf den kleinsten Zentimeter von jedem Staubkorb befreit und war abgehauen, ohne etwas zurückzulassen.
Aber auf natürlichem Wege konnte das nicht passiert sein. Es konnte sein, dass man durch Hirnschäden Erinnerungen verlor, aber sie waren dennoch gespeichert und somit hatte ich trotzdem Zugriff darauf. Eigentlich.
Warum auch immer er also keine Erinnerungen hatte, es hatte nichts mit sämtlichen Verletzungen zu tun, die ihm psychisch oder physisch zugefügt werden konnten.
Doch mir fiel keiner ein, wer oder was mächtig genug war, um so etwas zu tun. Das waren nicht nur Erinnerungen, die ihm hier genommen worden war. Das war seine Persönlichkeit und diese war so fest verankert, das man auch Einfluss auf seine Seele genommen haben musste.
Also entweder gab es einen neuen, verdammt mächtigen Jäger, der das abgezogen hatte, was ich aber stark bezweifelte, ein komplett neues Wesen, oder es war schlichtweg eine Erscheinung, die es bis dato noch nicht gegeben hatte. Immerhin war er als Mensch gestorben und als solcher wieder zurückgekommen.
Und solange er nicht Jesus höchstpersönlich war, konnte sich das keiner erklären.
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