22. Austin: Dale (2)
„Dale", hauchte Chad geschockt.
Der Junge kniff verwirrt die Augen zusammen, sah zu Chad und legte musternd den Kopf schief.
Ich wusste, ich sollte meine Hand vielleicht von seiner befreien, aber zu sehr genoss ich dieses belebende Kribbeln, das von dieser Stelle ausging.
„Wer bist du?", fragte Dale seinen Bruder.
Seine Stimme klang rau und kratzig, was aber wohl kein Wunder war, wenn man bedachte, dass sie seit 5 Jahren nicht mehr benutzt worden war.
„Ich..." Chad war komplett aus dem Häuschen.
Er sah zu mir.
Dale drehte den Kopf, um Chads Blick mit seinem zu folgen, sah mich an.
Dales Blick schien mich beinahe zu berühren, während seine Augen zuerst mein Gesicht genau unter die Lupe nahmen, dann meinen Körper und schließlich an der Stellte angelangte, wo er mich berührte.
Er legte den Kopf schief und löste seine Hand von mir.
Dann schaute er wieder nach oben, wohl um meine Reaktion zu beobachten.
Ich war nicht wirkliche in der Lage zu reagieren.
Dieser Blick, mit dem er mich ansah... Der machte mich wahnsinnig. Er kam mir so vertraut vor und dieses Gefühl... Ich wusste nicht, ob ich so schnell wie möglich weg rennen oder ab jetzt für immer bei ihm bleiben sollte...
„Ich kenne dich" Dale kniff die Augen leicht zusammen, als er das sagte und mich dabei anschaute.
Ich erwiderte seinen Blick, doch schüttelte den Kopf, da ich ihn bisher noch nie getroffen hatte.
Er war verwirrt, aber, wenn man bedachte, dass er bis eben noch tot gewesen war, war ihm das wohl nicht übel zu nehmen.
Nun hörte ich einen fünften Herzschlag in diesem Raum und roch, wie Dale langsam aber sicher einen Duft bekam.
Er war Chad sehr ähnlich, aber nicht deshalb kam er mir irgendwie vertraut vor. Es fühlte sich so an, als stünde ich einem alten Freund gegenüber und ich wusste, wie verrückt es war, aber ein Teil von mir genoss es, mich unter seinem Blick irgendwie lebendig zu fühlen.
Für einen Moment verschwanden alle Gedanken an Jay komplett aus meinem Hirn und es war dieser Moment, für den ich begann, mich zu hassen.
„Dale, woran erinnerst du dich?" Chad fasste zu seiner Schulter, während er ihn aus großen Augen ansah.
Dale blickte mir noch einen Moment in die Augen, ehe er zu seinem Bruder sah. „Nichts"
Diese Antwort war natürlich ein Schock. Aber es konnte eine Erklärung dafür geben.
„Ist er ein Vampir?", fragte Chad mich, der sich gerade dasselbe dachte.
Ich konnte das noch nicht so wirklich sagen, da sein Geruch sich gerade noch entwickelte. Deshalb beugte ich mich zu ihm runter und roch an seinem Hals, um jede seiner Duftnoten aufsaugen zu können.
Als ich das tat, zog ich das Beste in die Lungen, was ich jemals gerochen hatte. Es war der Wahnsinn. Dales Anwesenheit fühlte sich an wie das Ziel einer langen Reise, von der ich nicht mal gewusst hatte, dass ich mich auf ihr befunden hatte.
Ich roch an ihm nicht diese Würze, die Vampire in ihrem Blut hatten, daher konnte ich gewissenhaft verneinen, als ich mich wieder aufstellte.
Chad sah seinen Bruder ungläubig an. „Aber..."
Ich unterbrach ihn. „Ich weiß, Chad. Wir finden raus, was hier los ist. Jetzt lass ihn uns erstmal hier wegbringen. Ich will nicht wissen, wie deine Eltern reagieren, wenn sie ihn so zu Gesicht bekommen"
Chad nickte, wusste, dass es wichtig war, uns erstmal in Sicherheit zu bringen.
„Wie genau wollen wir das jetzt machen?", fragte Chad.
Dale saß einfach nur ruhig da und beobachtete mich, während ich mit Chad sprach und überlegte.
Ich schaute mich um und sah meine Antwort auf dem Boden liegen. „Hilf mir, ihn auszuziehen" Ich zeigte auf einen der am Boden liegenden Typen.
Chad war nicht sehr erfreut, doch er tat es.
Wir nahmen dem Typen seine Hose und den Pulli ab, ehe wir uns an Dale wandten.
Chad zog ihm langsam die Decke von den Beinen.
Er sah echt dünn aus, der arme Junge. Er hatte so viel durchgemacht.
Vielleicht war es gut, dass er sich nicht erinnerte...
„Okay hör zu, Dale. Ich weiß, du weißt gerade gar nicht, was hier abgeht, aber ich bin Chad, dein großer Bruder. Ich bin mit meinem Kumpel Austin hier, um dir zu helfen."
Chad deutete auf mich, Dale sah von ihm zu mir und murmelte ein leises „Austin", als wolle er den Klang überprüfen.
Mein Name aus seinem Mund hörte sich so...besonders... an.
„Du musst das anziehen. Dann können wir so tun, als wärst du nur ein Besucher und dich hier raus schaffen"
Ich hielt ihm die Klamotten hin, die wir dem anderen Typen abgenommen hatten, nachdem Chad ihm das erklärt hatte.
Dale sah zu der Kleidung und dann wieder hoch in mein Gesicht. „Wo sind wir überhaupt?"
„Im Krankenhaus.", antwortete Chad für mich. „Wir erklären dir den Rest später, okay? Vertrau mir"
Dale kniff die Augen leicht zusammen. „Woher soll ich wissen, ob ich das kann?"
Er wirkte die ganze Zeit ziemlich verwirrt und neben der Spur, aber in dem Moment des Misstrauens ziemlich sicher in dem, was er da tat und von sich gab.
Das mache es nicht gerade einfacher.
Ich seufzte und suchte nach Dales Aufmerksamkeit, da Chad gerade einfach zu geschockt und verletzt war, um etwas Sinnvolles zurückzugeben, indem ich meine Hand auf seine Schulter legte.
Sofort schoss sein Blick zu mir.
Ich sah ihn eindringlich an. „Ich weiß, dass das gerade sehr schwer für dich ist. Mir ging es mal so ähnlich wie dir jetzt, aber denk doch mal nach. Entweder du bleibst hier und Chad und ich gehen wieder, oder du vertraust uns, kommst mit uns mit und lässt uns dir helfen. Ich verspreche dir, dass wir nur das Beste für dich wollen"
Wieder kniff er die Augen leicht zusammen, ehe er zaghaft nickte. „Okay", stimmte er leise zu.
Ich lächelte dankend und machte wieder auf die Klamotten in meiner anderen Hand aufmerksam.
Dale verstand, sah sich um. Er rutschte an die Bettkante, und befreite sich von diesem hässlichen Krankenhaushemd.
Das alles passierte ziemlich langsam, da seine Bewegungsfähigkeit und vor allem die Geschwindigkeit sehr eingeschränkt waren. Er bekam es aber hin, sich zu entkleiden und ich musste feststellen, dass er logischerweise unter seinem Krankenhaushemd keine Unterwäsche getragen hatte, was wohl mit dem Katheter zu tun gehabt hatte.
Ich fühlte mich wie der größte Spanner, wandte den Blick ab, weil es mir irgendwie auch noch gefiel, Chads kleinen Bruder anzusehen, egal, ob er ziemlich mager und ungesund daherkam.
Es war auch nicht wirklich sein Körper, der mich anzog, sondern eher ein Gefühl. Eines, das ich ganz und gar nicht gebrauchen konnte oder haben wollte.
Chad war es gewohnt, andere Leute nackt zu sehen und ihnen zu helfen, außerdem war Dale sein Bruder, was eine Hilfe angemessen machte und unterstützte Dale deshalb ohne jegliche Hemmungen beim Anziehen, weil dieser es nachvollziehbarer Weise nicht alleine hinbekam.
Ich war gerade keine sehr große Hilfe und versuchte mich darauf zu konzentrieren, warum wir hier waren. Dale rausschaffen. Das war jetzt wichtig. Der ganze Rest hatte später noch genug Zeit für Drama.
Ein Klopfen an der Tür fühlte sich irgendwie befreiend für mich an.
Silas kam in den Raum, sah sich um und erstarrte, als er Dale ansah, der mittlerweile bekleidet war.
„Ist das...?" Er sah geschockt auf den Jungen.
Chad nickte. „Silas, Dale. Dale, Silas, auch ein Freund von mir. Er hilft uns"
Dale nickte nur verstehend, zog sich den viel zu großen Pulli zurecht und sah dann mich fragend an.
Trotz meines inneren Unwohlseins versuchte ich Dale durch meinen Blick Mut zu machen, weil ich wusste, wie wichtig Unterstützung in seiner Lage war.
Er konnte ja nichts dafür, dass er so ein Gefühlschaos in mir auslöste. Und das war sicherlich auch nicht das, was für irgendjemanden gerade Priorität hatte.
„Silas kümmert sich um diese zwei Typen da und wir bringen dich in der Zeit hier raus", erklärte ich ihm. Er nickte einfach nur, fragte nicht mal nach, wer diese Typen, die da am Boden lagen, waren und wie sie dorthin gelangt waren.
Silas kniete sich runter, um seine Arbeit zu erledigen und Chad versuchte, Dale zu stützen, um ihn auf die Beine zu bekommen.
Dale warf mir einen letzten Blick zu, ehe er versuchte, aufzustehen, aber obwohl er sich an Chad festhielt, klappte sein gesamter Körper einfach zusammen. Er hatte einfach nur Glück, dass Chad ihn festhielt.
Ich eilte dazu und half Chad, Dale wieder auf das Bett zu setzen.
Mir fiel nur eine Möglichkeit ein, um Dale hier unauffällig rauszuschaffen. Ich wusste nicht, ob es für ihn ungefährlich war, da wir keine Ahnung hatten, was mit ihm los war, aber es war besser als nichts.
„Wir bekommen das schon hin" Ich krempelte meinen Ärmel nach oben, spürte Dales eindringlichen Blick auf mir und sah ihn deshalb an.
Konnte er mal bitte aufhören, mich mit diesem Blick anzuschauen? Ich musste mich hier konzentrieren!
Fokus, Austin, Fokus!
Ich räusperte mich, riss meinen Blick von ihm los und sah zu meinem freigelegten Handgelenk. „Mein Blut hat Heilkräfte. Wenn du es trinkst, wird es deinem Körper ziemlich schnell wieder besser gehen und wir können dich unbemerkt hier rausschaffen, okay?"
Während des letzten Wortes sah ich wieder zu Dale, um seine Reaktion zu überprüfen.
Er sah nicht begeistert aus, aber nickte.
Vermutlich verstand er nicht mal, was hier gerade passierte. War wahrscheinlich auch besser so. Keiner, der ganz bei Sinnen war, trank einfach so das Blut eines Fremden, egal in welcher Situation.
Ich ritzte mir eine kleine Wunde ins Handgelenk und hielt es Dale an den Mund.
Er öffnete ihn zaghaft und legte seine Lippen an.
Mit der anderen Hand formte ich eine Faust, als das passierte und ich spürte, wie ein Stromschlag durch meinen Körper jagte. Verdammt.
Nach ein paar Mal saugen bemerkte Dale, dass es gar nicht so schlimm war und trank immer weiter.
Als ich bemerkte, dass ich schwächer wurde, legte ich meine Hand auf seine Schulter. Er verstand mich auch ohne Worte, stoppte, sah meiner Wunde dabei zu, wie sie sich langsam wieder von selbst verschloss.
Dale sah ausschließlich mich an, so als erwarte er, dass ich ihm sagte, was wir jetzt taten.
Ich wusste, dass es nicht hilfreich für meinen Gefühlstornado war, aber ich hielt ihm meine Hand hin. „Versuch aufzustehen"
Er sah auf meine Finger und dann wieder hoch in meine Augen.
Ich blickte ihm nur in das grünliche Grau seiner Iris, spürte, wie seine zarte Hand in meine glitt und fühlte etwas, dessen ich mir seit Jays Tod nicht mehr bewusst gewesen war; Ich war lebendig.
Ich hatte ein Herz, das so schnell schlug, dass ich Angst hatte, es würde mir davonrennen. Das war es wahrscheinlich, was ich tun sollte. Aber ich blieb genau hier stehen und hielt Dales Hand, während er seine ersten Schritte machte und mich danach abwartend ansah.
Er redete nicht viel, aber das war auch nicht nötig. Wir verstanden uns auch so.
Ich drehte mich so zu Silas, dass ich Dale dabei nicht loslassen musste, um ihn zu informieren, wie unser weiteres Verfahren aussah. Chad traute ich mich nicht mal anzusehen. Er war bestimmt total sauer, weil Dale sich gerade von mir helfen ließ statt von ihm.
„Silas, wir schaffen jetzt Dale hier raus. Wenn du dich in zehn Minuten nicht bei Chad oder mir gemeldet hast, kommt einer von uns zurück und sieht nach dir, okay?"
Der Angesprochene nickte abgelenkt, machte weiter.
Ich sah zurück zu Dale. „Wir gehen jetzt zum Hinterausgang. Da wartet ein weiterer Freund von uns, Charlie, mit einem Auto, mit dem er uns nach hause fährt. Er wird überrascht sein, aber wir werden den Anderen und dir alles erklären, wenn wir alle in Sicherheit sind, okay?"
Dale nickte wortlos und ich machte die Bewegung nach, atmete tief durch. „Okay.", sagte ich für mich selbst.
Dann gab es nur noch eines zu klären. „Denkst du, du kannst allein laufen?"
Er schüttelte umgehend den Kopf.
Bis dato lag seine Hand einfach in meiner, aber nun verschränkte er unsere Finger.
Es war das erste Mal, dass er eine erkennbare Emotion in seiner Mimik trug. Unsicherheit.
Ich musste leicht lächeln und nickte, um ihm zu signalisieren, dass es okay war.
Er erwiderte das Lächeln genauso leicht, fast so, als habe er es verlernt und versuchte nun vorsichtig, es sich wieder anzutrainieren.
In diesem kurzen Moment war mir gerade nichts anderes mehr wichtig als ihn anzusehen. Ich wusste, das versprach noch viel Drama und Herzschmerz.
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