Kapitel 7

• C H R I S •

„Entschuldige, für gerade eben. Piper ist manchmal..." Matthew scheint nach dem passenden Wort zu suchen. „Überfürsorglich."

Er folgt mir ohne Widerspruch auf einen Pfad hinter dem Haus, welcher in den angrenzenden Wald führt. „Damit scheint sie ein wenig zu übertreiben, findest du nicht auch?" Er lächelt mich entschuldigend an.

Da es schon dunkler geworden ist, führe ich ihn vorsichtig über einzelne Wurzeln, die ich auf dem Boden noch erkennen kann. Evan würde es mir nicht verzeihen, wenn sich Matt etwas brechen würde. Vor allem in meiner Gegenwart.

Ich mustere den schmächtigen Jungen neben mir. Die Schwellungen in seinem Gesicht sind bereits verschwunden und auch von den Blutergüssen ist nichts mehr zu sehen. „Wie geht es dir eigentlich?", frage ich ihn, als er mich verwirrt ansieht, zeige ich auf seinen Kopf. „Scheint wohl durch Zauberhand schnell verheilt zu sein.", deute ich seine Verletzungen an, die er vorgestern erst bekommen hatte.

Er wendet den Blick ab und zuckt mit den Achseln. „Überschminkt. Aber es sieht nicht mehr ansatzweise so schlimm aus wie Mittwochabend."

„Hast du noch Schmerzen?"

„Meine Hüfte tut teilweise noch weh. Und die Schulter. Aber sonst wirkt es, als wäre ich nochmal davon gekommen."

Es ist beachtlich, dass er mit mir so umgeht, als wäre ich nicht daran schuld. Gerade jetzt wüsste ich zu gerne, was in seinem Kopf abgeht. Ob er mir etwas vorspielt.

Gleichzeitig frage ich mich selbst, weshalb ich mich auf einmal für ihn interessiere. Vorher ist er mir nie auf dieser Art aufgefallen. Was hat sich geändert? Er ist noch derselbe Matthew. Der Loser. Der Freak.

Aber er ist auch Matt. Und ich sehe ihn auf einmal mit anderen Augen. Obwohl ich kaum mit ihm geredet habe, beschleicht mich das Gefühl, ihn nun besser zu kennen.

„Hier entlang", sage ich und deute auf einen Weg, der zum Brennholz führt. Er läuft mir ohne Widerspruch hinterher. Ich könnte ihn in den Abgrund führen und er würde mir folgen.

„Seid ihr öfter hier oder warum kennst du den Weg selbst im Dunkeln so gut?"

„Evan und ich sind schon mit unseren Familien hergefahren, als wir noch Kinder waren", erwidere ich lächelnd, obwohl er es wahrscheinlich nicht sehen kann.

Vor uns erstreckt sich eine kleine Lichtung, inmitten steht ein Baumstamm mit Einkerbungen. Darauf wird das Holz mit einer Axt zerkleinert. Zu unserem Glück liegen einige Holzstücke auf dem Boden verteilt, die wir aufsammeln.

„Gefällt es dir bisher?"

Ich höre ihn hinter mir kichern. „Vorhin haben die Mädchen wegen einer Spinne einen Aufstand gemacht, das war wirklich witzig."

Ein Grinsen umspielt meine Lippen, als ich an das Drama der beiden zurückdenke. „Sie scheinen nicht gerade hierfür gemacht zu sein."

„Offensichtlich nicht. Aber ich finde es schön hier. So abseits von allen anderen, kann man hier seine Ruhe finden."

„Man ist definitiv ungestört. Das gefällt mir auch besonders." Mit genügend Feuerholz auf dem Arm drehe ich mich um und stelle fest, dass Matthew direkt vor mir steht. Schluckend schaue ich in seine Augen, die trotz langsamer Dunkelheit aufleuchten.

Doch anstatt zurückzuschrecken, bleibt er an Ort und Stelle und erwidert meinen Blick. Wenn ich mich nicht täusche, spüre ich sogar seinen heißen Atem auf meiner Haut.

Mit einem Mal habe ich das Gefühl, das Holz wäre tonnenschwer. Mein Griff darum wird stärker. „Also...die anderen warten wahrscheinlich schon auf uns. Sollen wir zurückgehen?"

Wieso fühle ich mich auf einmal so, als würde mein Herz jeden Moment aus meiner Brust springen? Wann habe ich zuletzt solch ein Herzrasen bekommen? Und das ausgerechnet jetzt bei ihm?

Was hat dieser Junge an sich, das mich so fasziniert?

Anstatt meinen eigenen Worten zu folgen, macht meine Füße einen Schritt nach vorne. Und dann noch einen. Wir stehen uns nun so nahe, einer von uns müsste sich nur ein wenig nach vorne beugen, bis sich unsere Lippen berühren würden.

Adrenalin durchströmt meine Adern, als meine Augen über sein Gesicht zu seinem wohlgeformten Mund wandern. Er öffnet sich ein wenig, als Matt hörbar Luft ausstößt.

Fühlt Matthew in diesem Moment dasselbe wie ich? Verwirrt ihn diese Anziehung genauso?

Keiner von uns macht aber Anstalten, sich von dem anderen abzuwenden. Bis ein Geräusch in meine Ohren dringt und ich von ihm weiche. An die Umgebung gewöhnt, erkenne ich Verwunderung in seinem Gesicht, wenn nicht sogar einen Anflug von Enttäuschung.

Mein Kopf schnellt zur Seite, als ich ein Knacken höre, so als würde jemand auf einen Ast treten. Jemand ist hier. Hat er etwas gesehen?

„Die anderen fragen sich sicherlich schon, wo wir bleiben", sage ich ausweichend und gehe voran. Mir bleibt es nicht unbemerkt, dass er gezögert hat, bevor Matthew mir schließlich folgt.



• M A T T H E W •

Nach dem Mittagessen haben die anderen beschlossen, das großartige Wetter auszunutzen und ins Wasser zu gehen. Mittlerweile ist es nachmittags und scheinbar hat jeder seinen Spaß. Sogar Piper, die sich zu meiner Überraschung von Aaron bequatschen lässt.

Etwas abseits von ihnen sitze ich auf einer Decke und lasse meinen Blick über das Geschehen wandern. Meine Brust zieht sich zusammen, als ich sehe, wie Mila an Chris' Arm hängt und die beiden anscheinend im Wasser herumalbern.

Der Typ, der mich gestern Abend beinahe im Wald geküsst hätte, lässt sich heute von einem Mädchen befummeln. In was für einer Welt lebe ich eigentlich?

Bevor ich mir weiter darüber den Kopf zerbrechen kann, schenke ich meinem klingelnden Handy Aufmerksamkeit. Wes ruft an.

Schmunzelnd nehme ich den Anruf entgegen und werde sogleich von meinem gutgelaunten Kollegen begrüßt. „Matt! Wie läuft's in der Wildnis?"

Meine Schultern zucken nach oben, bevor ich realisiere, dass er es ja gar nicht sieht. Die Stille nimmt er zum Anlass zu lachen. „Komm schon, Kumpel. Telefonieren funktioniert nur, wenn man miteinander redet."

„Wir sind gerade am Wasser"

„Und du bist wahrscheinlich der Einzige, der nicht im Wasser ist."

Im Hintergrund wird laute Musik gespielt, wenn ich mich nicht täusche, sind auch andere Personen um ihn herum. „Wo bist du gerade?"

„Auf einer Geburtstagsparty. Mein Kumpel hat mich mit hergeschleppt, aber der ist mit irgendeinem Mädel verschwunden."

Verwundert werfe ich einen kurzen Blick auf die Uhr. „Also ich bin zwar kein Experte darin, aber beginnen Partys nicht eigentlich erst am Abend?"

„Ich bin schon ziemlich lange hier", meint er lachend. Er klingt ein wenig angetrunken. „Seit gestern Abend."

„Und jetzt rufst du an, weil dir langweilig ist?"

Wieder lacht er. „Du bist so süß, Mattyboy, weißt du das eigentlich?"

Ich spüre, wie das Blut in meine Wangen schießt. Hat er mich gerade Mattyboy genannt?

„Du bist ein Idiot", murmle ich peinlich berührt, was ihn aber nicht zu stören scheint.

„Ich sage lediglich die Wahrheit. Lassen dich diese Vollidioten in Ruhe?"

Nathan albert mit den Mädchen im Wasser herum, die kichernd versuchen, ihm zu entkommen. Und während meine beste Freundin weiterhin im Gespräch mit Aaron vertieft ist, steht Evan neben dem Pärchen des Jahres. Chris unterhält sich mit ihm, während Mila an ihm wie eine Klette klebt.

„Matty?" Wes' Stimme dringt zu mir durch, benommen schüttle ich den Kopf und wende mich ihm wieder zu.

„Eigentlich ist es sogar relativ friedlich zwischen uns allen."

„Bleib trotzdem vorsichtig. Ich traue diesen Typen nicht", rät er mir grunzend.

Wieder sehe ich zu der kleinen Gruppe. In diesem Moment schauen die Jungs zu mir, Evan winkt mir grinsend zu, was ich sogleich erwidere. Chris starrt mich nur an, während Mila weiterhin in seinen Armen liegt.

Hätten wir uns geküsst, wie würde es dann jetzt sein? Würde er sie von sich stoßen?

Oder noch schlimmer. Wäre ich dann wieder die Zielscheibe von ihm und seinen Freunden? Der Freak, der sich Hoffnungen bei dem beliebtesten Jungen der Schule gemacht hat?

„Weißt du, irgendwie vermisse ich dich", gestehe ich meinem Kollegen, der mir bereits ein wenig ans Herz gewachsen ist. Obwohl wir bisher nur ein paar Stunden gemeinsam gearbeitet haben, als ich die Probeschicht am Donnerstag hatte. Aber mit seiner Art hat er sich irgendwie in mein Herz geschlichen.

Sein Kichern zu hören, lässt mich schmunzeln. „Werde hier jetzt nicht sentimental. Aber ich vermisse dich auch, Matty. Nur noch zwei Nächte schlafen, dann sehen wir uns wieder", sagt er lachend. Im selben Moment kommen Evan und das ach so tolle Pärchen auf mich zu.

„Hey Matt, mit wem telefonierst du?" Der Lockenkopf setzt sich zu mir, während Chris und seine Freundin vor uns stehen bleibt.

„Mit Wes." Sobald ich seinen Namen ausspreche, verfinstert sich Chris' Miene.

„Grüße ihn von mir", bittet mich mein bester Freund, während er mir eine Strähne aus der Stirn streicht, die mich stört.

Als ich das Wes mitteile, höre ich ihn lachen. „Du kannst ihm sagen, dass ich ihn vermisse."

„Er liebt dich", gebe ich an ihn weiter, woraufhin Evan grinsend den Kopf schüttelt.

„Wes liebt jeden. Also mache ich mir keine zu großen Hoffnungen."

Auf einmal muss Wes das Telefonat beenden, als jemand nach ihm ruft.

„Okay, bis Montag", verabschiede ich mich von ihm und höre noch ein „Hab dich lieb, Mattyboy", bevor ich mein Smartphone weglege.

„Also ich bin mir wirklich nicht so sicher, wie ich ihn einschätzen soll. Er flirtet wirklich mit jedem", scherzt Evan amüsiert, wobei ich über seine Äußerung etwas verwundert bin. Wie kommt er auf so etwas?

„Naja, wer weiß. Vielleicht wird ja doch was zwischen euch. Ihr wärt auf jeden Fall ein echt süßes Paar." Ungläubig beobachte ich ihn, wie er aufsteht und sich die Badehose abklopft. Verlegen beiße ich mir auf die Lippe, als er nur mit den Achseln zuckt.

„Au, Chris! Du zerquetschst meine Hand!", ruft Mila auf einmal und befreit ihre Hand aus der von Chris. Dieser interessiert sich aber weniger für sie. Sein Blick liegt auf mir.

„Habt ihr Durst? Ich wollte sowieso mal kurz ins Haus", bietet uns Evan an und findet gleich darauf eine Begleitung. Mila hakt sich unter seinem Arm ein und zwinkert uns zu, bevor sie mit ihm verschwindet.

Dieses Mädchen ist wirklich nicht billig. Ihre „Dienstleistungen" gibt es gratis...

Bewusst blende ich den Jungen vor mir aus, der immer noch auf mich herunterschaut, als mein Handy nochmals piept. Ein Lächeln umspielt meine Lippen, als ich die Wes' Grimasse auf dem Bildschirm sehe. So ein Spinner.

„Hat dir dein ach so toller Freund eine süße Nachricht geschickt?", höre ich Christoph knurrend sagen. Warum auch immer er jetzt schlecht gelaunt ist, an mir muss er das nicht auslassen.

Deshalb wende ich mich gleich von ihm ab, nachdem ich aufstehe. „Und wenn, geht es dich sowieso nichts an."

„Tut es nicht?", fragt er bissig.

„Was ich in meinem Leben mit wem tue, hat dich nichtzu interessieren, Chris", finde ich den Mut, es ihm an den Kopf zu werfen,bevor ich meine Flip Flops aufhebe und ebenfalls das Haus ansteuere.

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