Kapitel 3

• C H R I S •

Ich nehme einen letzten Zug von der Zigarette, bevor ich diese auf den Boden werfe. Neben mir schüttelt Evan den Kopf. „Du solltest wirklich aufhören damit."

„Rauchen ist nun mal eine schreckliche Angewohnheit von mir", erwidere ich nur schulterzuckend.

Da heute das Wetter bombastisch ist, habe ich Evan zu einem kalten Bier bei mir eingeladen, was er gerne angenommen hat. Die anderen wollten eigentlich mitkommen – wie auch Mila – aber darauf hatte ich keinen Bock. Am liebsten mache ich etwas mit meinem besten Freund allein.

„Was ich dich noch fragen wollte, hast du Lust, am Wochenende mit uns an den See zu fahren?", erkundige ich mich, während ich die Haustür aufschließe.

„Grundsätzlich spricht nichts dagegen, aber..."

„Aber?"

„Ich werde wahrscheinlich nicht mitkommen können", eröffnet er mir.

Wir stellen unsere Rucksäcke im Flur ab und gehen in die Küche. Verwundert sehe ich ihn über die Schulter an, während ich den Kühlschrank öffne und einen Sixpack Bier heraushole.

„Was spricht denn dagegen? Komm schon, Evan. Ohne dich wäre es doch nur halb so cool."

„Naja, ich habe da schon etwas vor."

„Mit wem?" Normalerweise weiß ich spätestens durch meine Mutter, ob die Familie Malone etwas geplant hat. Nicht nur der Lockenkopf und ich sind seit unserer Kindheit befreundet, ich unsere Eltern kennen sich seit Ewigkeiten. Sie sind gemeinsam auf eine Schule gegangen.

Evan nimmt sich die geöffnete Flasche, die ich ihm hinhalte, und nippt daran. Ich mache es ihm gleich. „Ich wollte mit Piper und Matty ins Kino."

Matty also.

Normalerweise bin ich recht gut darin, andere Personen einzuschätzen. Er ist mir aber ein Rätsel. Ich weiß nicht so ganz, was ich von ihm halten soll. Klar, er ist der Freak der Schule, das sollte schon so einiges über ihn aussagen, aber diesen Spitznamen hat er durch uns. Besser gesagt hat Nathan ihn einmal so genannt und ab diesem Tag war er es.

„Dann bring' die beiden doch mit", kommt es mir über die Lippen, bevor ich darüber nachdenken kann. Um seinem ungläubigen Blick auszuweichen, verschwinde ich durch die Terrassentür in den Garten. Evan folgt mir und setzt sich schließlich neben mich auf unsere Hollywoodschaukel.

„Chris, ihr könnt Matty nicht leiden. Nein, ihr hasst ihn."

„Ich hasse ihn nicht. Dafür müsste ich ihn doch erstmal kennen."

Der Dunkelhaarige lacht auf, es klingt aber alles andere als erfreut. „Es reicht ja immerhin dafür aus, um sich über ihn tagtäglich lustig und ihn zum Gespött der Schule zu machen. Und was ist damit, dass ihr ihn auch schon ein paar Male verprügelt habt?"

„Ich habe ihn niemals geschlagen!", entgegne ich empört und trinke nochmal einen großen Schluck des gekühlten Biers.

„Hast du nicht..."

„Siehst du!"

„Weil ich dich darum gebeten habe. Aber ein Heiliger bist du deshalb trotzdem nicht", wirft mir mein bester Freund an den Kopf, womit er Recht hat.

„Okay, okay, okay. Ich schwöre, ich werde mich benehmen! Dann kannst du deine kleinen Freunde mitnehmen."

Seinen skeptischen Blick erwidere ich mit einem breiten Grinsen, doch er schüttelt den Kopf. „Selbst wenn, Aaron und Nathan sind trotzdem die totalen Arschlöcher. Und sie werden keine Gelegenheit verpassen, diesen Ausflug für Matt zur Hölle zu machen."

„Komm schon, die beiden? Die fressen mir doch aus der Hand. Du musst dir keine Sorgen um deine Freunde machen, Evan. Denkst du nicht auch, dass den beiden ein entspanntes Wochenende am Wasser guttun würde? Und besonders Matthew sieht aus, als bräuchte er ein wenig Spaß im Leben."

Er scheint ernsthaft über mein Angebot nachzudenken, als ihn offenbar etwas einfällt. „Sag mal, warum bist du überhaupt so scharf drauf, dass die beiden mitkommen? Oder eher, dass Matt mitkommt?"

„Was meinst du?"

Auf einmal stöhnt Evan auf. „Gott, nein!"

„Was denn?"

„Nein, großer Gott, bitte nicht!"

Ich kann mir ein Grinsen nicht verkneifen. „Was ist denn, Evan?"

„Chris, lass ja deine Finger von ihm, kapiert?!"

Meine Kinnlade fällt runter. „Wie kommst du denn jetzt darauf? Komm schon, ich will doch nichts von diesem Freak." Sobald diese Worte über aus meinem Munde kommen, bereue ich sie, als ich den Gesichtsausdruck meines Gegenübers sehe. „N-nein, das habe ich nicht so gemei..."

Evan richtet sich auf und stellt sein Bier auf den Tisch vor uns ab. „Vergiss es, Chris. Ich bin eigentlich gar nicht so scharf darauf, mit euch das Wochenende zu verbringen."

„Evan, warte. Es tut mir leid, okay? Das ist mir jetzt nur so rausgerutscht, weil ihn jeder so nennt."

Ich kann die Enttäuschung in seinen Augen aufblitzen sehen, als er den Kopf schüttelt. „Ich nicht." Dann geht er auf das Gartentor zu, welches unsere beiden Gärten voneinander abtrennt. „Aber ich meine es ernst, Christoph. Lass Matty in Ruhe", ruft er mir noch zu, bevor er auf seine Seite verschwindet und sein Haus ansteuert.

Ich sehe ihm hinterher, bis er aus meinem Sichtfeld verschwunden ist, bevor ich mir durch meine dunklen Haare fahre. „Fuck, ich bin so ein Idiot!"

Aber wie kommt Evan auf seine Vermutung, dass ich etwas von ihm wollen würde? Wenn man alles andere einmal außen vorlässt, entspricht Matthew gar nicht meinem Typ. Ich stehe auf einen gewissen Grad von Selbstbewusstsein, wenn jemand genau weiß, was er will. Der stille Junge aber hat das Selbstbewusstsein einer zerquetschten Tomate.

Ich gebe zu, dass sein Lächeln irgendwie niedlich ist. Und auch beobachte ich ihn gerne, keine Ahnung, weshalb. Aber schließt es gleich darauf, dass ich an ihm interessiert bin? Ich glaube kaum. Seufzend nehme ich mein Bier und mache es mir auf eine der Sonnenliegen bequem. „Matthew und ich... Unsinn."



M A T T H E W •

Als es klingelt, stürmen meine Mitschüler aus dem Zimmer raus. Ich packe in Ruhe meine Schulsachen ein und folge ihnen schließlich nach draußen. Endlich Schulschluss. Darauf warten wir jeden Tag sehnlichst.

Auf dem Weg zu meinem Spind entdecke ich Piper, die sich wie eine Gejagte an allen anderen vorbeidrängelt und sich schließlich an meinen Arm hängt. „Du wirst nicht glauben, was dieser Idiot angerichtet hat!"

Verwirrt lasse ich mich von ihr mitziehen. „Wovon sprichst du?"

„Evan! Er hat doch tatsächlich dafür gesorgt, dass wir am Wochenende mit Chris und den anderen Deppen wegfahren! An irgendeinen See oder so", meckert sie. Ihre Worte bereiten mir eine Gänsehaut. Ich glaube, mein Herz ist in diesem Moment stehen geblieben. Panisch schüttle ich den Kopf. Das würde Evan niemals hinter unserem Rücken arrangieren. Niemals!

„Du kannst mir ruhig glauben. Ich habe auf dem Weg zu dir Aaron getroffen, er hat mir davon erzählt. Du hättest ihn mal sehen sollen, als er meinte, wie sehr er sich auf unser gemeinsames Wochenende freuen würde." Sie verzieht angeekelt ihr Gesicht. „Und dann noch seine bescheuerten Luftküsse. Die kann er sich sonst wohin stecken."

Das würde ich doch niemals überleben! Wer weiß, was Chris' Clique sich für mich ausdenken werden. Vielleicht würden sie mich im Wasser ertränken wollen.

Piper bleibt auf einmal stehen und deutet nach vorne. „Da sind diese Idioten schon wieder."

Ich folge ihrem Blick und entdecke unter all den Schülern Chris. Er lehnt cool an der Wand. In seiner schwarzen Lederjacke und dunkelblauen Jeans, die ihm etwas von den Hüften rutscht, sodass man seine Boxershorts ein wenig sehen kann.

„Ich werde ihnen am besten sofort ins Gesicht sagen, dass wir nicht mitkommen werden!", reißt mich meine wütende Freundin aus den Gedanken und stürmt auf die Jungs zu. Diese wirken im ersten Moment überrascht, Piper vor ihnen stehen zu sehen, dann kehrt aber die übliche Arroganz zurück.

„Wen haben wir denn da? Was können wir für dich tun, Hübs..."

„Unterstehe dich, Aaron!" Sie funkelt den Blondhaarigen an, bevor sie sich Chris zuwendet, der sie weniger interessiert ansieht. „Richte Evan aus, dass Matty und ich darauf verzichten, mit euch das Wochenende zu verbringen. Wir haben Besseres vor. Richtig?" Die letzten Worte richtet sie an mich. Total überfordert nicke ich bloß.

„Hör mal, Puppe. Ich bin auch nicht gerade scharf darauf, mit dir meine Freizeit zu verbringen", erwidert der Badboy daraufhin gelangweilt. „Ich habe es Evan lediglich angeboten. Ob er das Angebot annimmt oder nicht, ist seine Sache."

„Ihr würdet doch nur die Chance nutzen, uns das Wochenende kaputt zu machen. Das könnt ihr aber vergessen! Und auf Wiedersehen, Arschloch." Piper signalisiert mir mit einem Kopfnicken zu gehen. Doch ich bleibe stehen, als Chris' Augen auf mir liegen. Ich weiß nicht, wieso. Doch ich bereue es sofort.

„Willst du noch irgendwas, Freak?!", pöbelt Aaron mich an und kommt bedrohlich näher. Als ich den Kopf schüttle, werde ich von ihm zurückgedrängt. Von irgendwo höre ich meine Freundin nach mir rufen.

Noch bevor Aaron zum ersten Mal ausholt, schließe ich die Augen. Kneife sie ganz fest zusammen. Als würde der Schmerz so betäubt werden oder gar nicht existieren. Jemand tritt hinter mich, hält meine Arme fest, sodass ich sie nicht zum Schutz vor mein Gesicht positionieren kann.

Gleichzeitig werde ich so gezwungen, auf den Beinen zu bleiben, obwohl meine Knie nach kurzer Zeit nachgeben. Ich muss den Schmerz ertragen. Und keiner macht Anstalten, mir zu helfen.

Weder ein anderer Schüler, vor allem nicht Chris. Er hat kurz vorher seinen Blick abgewendet.

Blut. Ich schmecke Blut.

Wieder geben meine Knie nach und dieses Mal gleite ich nach unten auf den Boden. Aber sie haben noch immer nicht genug. Wann haben sie das schon?

Ein schmerzvoller Laut entweicht meinen Lippen, als eine Faust meinen Kiefer trifft. Obwohl ich versuche, meinen Körper auf taub zu stellen, erfasst mich binnen Sekunden weitere schmerzhafte Schläge, die mich zusammenzucken lassen.

Ich krümme mich, halte stöhnend meinen Bauch, während sie weiter auf mich eintreten, als wäre ich ein Stück Scheiße. Weil ich genau das bin. Ich habe es nicht anders verdient. Sonst hätten sie mich irgendwann in Ruhe gelassen. Aber das tun sie nicht.

„Aaron!", ertönt eine Stimme. Chris. „Es reicht! Er hat genug. Verschwinden wir, bevor ihr erwischt werdet."

„Hast du genug, du Freak?" Aaron kniet sich zu mir nach unten und zieht an meinen Haaren, sodass ich ihn ansehen muss. „Komm uns noch einmal zu nahe und du wirst dafür büßen."

Mir kommt die Galle hoch und ich spucke Blut neben mir aus.

Die kleine Gruppe, die sich um uns gebildet hat, löst sich langsam auf, als die Jungs verschwinden und mich liegenlassen. Ich höre meine Freunde nach mir rufen. Einen Moment später knien Pip und Evan neben mir. „Oh mein Gott, Matty!"

Als ich versuche, mich aufzurichten, halten sie mich davon ab. „Bleib liegen. Du musst ins Krankenhaus." Mein bester Freund ist dabei, sein Handy aus seiner Hosentasche zu kramen, doch ich schüttle den Kopf.

„Ich muss einen Krankenwagen rufen, Matt. Du musst dringend zum Arzt. Und du solltest auch zum Schulleiter. Oder sollen sie dich etwa weiter so behandeln?", wirft er ein, während Piper mir immer wieder über den Kopf streicht. Mit meiner letzten Kraft entreiße ich ihm sein Smartphone. „Bitte bringt mich einfach nach Hause", sage ich leise und überwinde mich dazu, langsam aufzustehen. Die beiden kommen mir sofort zur Hilfe.

Die Blondine nimmt mir meinen Rucksack ab, von Evan werde ich gestützt. Mit langsamen Schritten gehen wir Richtung Notausgang, der sofort zum Parkplatz führt und eigentlich verboten ist zu betreten.

„Also ehrlich, so viel dazu, dass deine Kumpels ja gar nicht so schlimm sind!", zischt Piper Evan wütend an, der auf einmal sehr erschöpft wirkt.

„Erstmal bin ich lediglich mit Chris befreundet! Die anderen beiden sind mir vollkommen egal! Und hierfür konnte ich doch nichts, also gib mir jetzt nicht die Schuld!"

„Das tue ich aber! Und jetzt ist das mit deinem ach so tollen Vorschlag des gemeinsamen Wochenendes wohl hoffentlich erledigt!"

„Ich habe dir gerade eben schon gesagt, dass ich dazu niemals zugesagt habe. Chris hat es lediglich angeboten. Matty", wir halten inne, während Piper uns die Glastür öffnet, „ich wollte nicht, dass das hier passiert. Und das mit dem Wochenende ist ein großes Missverständnis!"

Als ich ihn zur Versöhnung anlächle, zuckt ein schmerzender Stich durch meinen Körper, weswegen ich das Gesicht verziehe. Mein Kopf brummt höllisch.

Chris.

Er stand einfach nur so da und hat mitangesehen, wie mich seine Freunde verprügelt haben. Hätte ich aber etwas erwarten sollen? Dass er mir hilft und einen Freund zurückpfeift, damit sie mich in Ruhe lassen?

Er ist nicht besser als sie. Wie auch die Gruppe an Schülern, die einfach nur zugesehen haben, anstatt mir zur Hilfe zu kommen.

Sie alle sind abscheulich.

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