Kapitel 24

• M A T T H E W •

„Wie meinst du das, du hast dich mit deinem Ex getroffen?", frage ich perplex. Als Chris den Mund aufmacht, hebe ich die Hand, um ihn zu stoppen. „Was zum Teufel wolltest du bitte bei deinem Exfreund und warum kommst du danach freudestrahlend hierher? Sag mal, dich muss man wirklich nicht verstehen, oder?"

„Matty, beruhige dich erstmal. Bitte, ich kann das erklären", versucht er mich zu besänftigen.

„Fang jetzt ja nicht an, mir zu sagen, dass ich mich beruhigen soll, du Mistkerl. Bist du die letzten Tage bei ihm gewesen? Habt ihr euren Spaß zusammen gehabt?"

In Rage geredet, habe ich gar nicht realisiert, dass er auf mich zugekommen ist und mir jetzt seine Hand auf den Mund legt.

„Ich habe mich mit ihm getroffen, weil er von zuhause abgehauen ist."

„Und was geht dich das an, was dein Exfreund tut?", fahre ich ihn an.

„Er war vor ein paar Wochen noch in einer Psychiatrie."

Meine Augen weiten sich. Psychiatrie? Verdammte Scheiße, mit wem ist Chris denn bitte in der Vergangenheit zusammen gewesen?

Da er gerade so vor mir steht, sehe ich erst jetzt, wie mitgenommen er eigentlich aussieht. So als hätte er nicht viel geschlafen.

„A-aber warum denn Psychiatrie? Und wieso abgehauen? Ich verstehe gerade gar nichts", murmle ich, nachdem er seine Hand weggenommen hat.

„Vince... er ist vor ein paar Tagen einfach weg gewesen. Mitten in der Nacht muss er verschwunden sein. Seine Mutter hat mich am Tag darauf abends angerufen und mich darüber informiert. Sie hat mich gefragt, ob er sich bei mir gemeldet hätte. Aber das hat er nicht getan. Ich habe ihr gesagt, dass ich von nichts wüsste und ihr versprochen, mich bei ihr zu melden, wenn ich etwas von ihm hören würde... Naja, dieses Versprechen habe ich wohl irgendwie nicht eingehalten. Zumindest hat Vincent mir noch am gleichen Abend geschrieben, sowas wie, dass wir uns bald wiedersehen würden. Ja, heute war es dann soweit."

Von vorn bis hinten verwirrt lasse ich mich vor meinem Sofa sinken und reibe mir über die Augen. „Okay, aber warum warst du dann die Tage davor nicht in der Schule und auch nicht zu erreichen?"

Er zuckt mit den Achseln. „Ich habe die ganze Zeit über versucht, aus Vince herauszubekommen, wo er ist. Er hat sich ein Haus gemietet und dort... wollte er eigentlich mit mir wohnen."

„Willst du das denn? Mit ihm in diesem Haus leben?"

Kopfschüttelnd kommt er auf mich zu und kniet sich vor mich hin. „Nein! Ich habe ihm heute mehr als deutlich gesagt, dass ich dich liebe und mit dir zusammen sein möchte."

„Und wie hat er darauf reagiert?"

Er stößt einen Seufzer aus und umfasst meine Hand. „Anfangs überhaupt nicht gut. Er hat es wahrscheinlich nicht richtig begriffen und geweint und mir immer wieder gesagt, dass er mich liebt und wir zusammengehören."

Es klingt, als bräuchte dieser Vince wirklich Hilfe. Aber dass er ernsthaft auf seiner Einrichtung geflüchtet ist, ist echt schon unheimlich. Ich bekomme eine Gänsehaut am ganzen Körper.

Was ist damals zwischen ihm und Chris passiert, dass es so ein Ende nahm? Es muss krass gewesen sein, wenn Vincent in eine Einrichtung eingewiesen wurde.

Warum hat er mir nicht schon vorher davon erzählt? Das erklärt doch, weshalb Chris sich anfangs nicht auf eine Beziehung einlassen wollte.

„Und was hast du dann gemacht?"

„Ich habe versucht, ihn zu trösten." Ich zucke bei seinen Worten zusammen, woraufhin er auch noch meine andere Hand nimmt und unsere Finger miteinander verschränkt. „Nicht so, wie du jetzt denkst. Wir haben uns nur unterhalten. Ich bin ehrlich, wir haben auch irgendwie miteinander gekuschelt, aber es ist wirklich nichts passiert", versichert er mir.

„Über was habt ihr denn sonst noch geredet?", frage ich vorsichtig, obwohl ich nicht das Gefühl habe, dass es mich etwas angeht.

„Vince wollte mehr über dich erfahren - wer du bist, wie wir uns kennengelernt haben und wie wir zusammengekommen sind."

„Und?" Ich kann sehen, wie er innerlich mit sich kämpft.

Verschweigt er mir doch etwas? Ist vielleicht doch mehr zwischen den beiden gelaufen, als er mir erzählen will?

„Ich habe ihm gesagt, dass du mir wahnsinnig wichtig bist und ich meine Zukunft mit dir verbringen möchte."

Schockiert sehe ich ihn an. „Das hast du deinem Exfreund gesagt? Demjenigen, der nur noch immer noch an eure Liebe glaubt? Wow, wie bescheuert. Da hast du eindeutig nicht mitgedacht, Chris. Gott, wie muss sich dieser Vince bitte in diesem Moment gefühlt haben?"

Ungläubig lehnt er sich zurück. „Wahrscheinlich genauso verarscht wie ich mich gerade. Ich mache dir hier eine halbe Liebeserklärung und du machst dir nur um mein Ex Sorgen?"

„Ich bin ein mitfühlender Mensch. Und wenn du so ein rücksichtsloser Arsch bist, kann ich ja wohl nichts dafür", entgegne ich, woraufhin er brummend aufsteht.

„Na vielen Dank auch. Gut, dann kannst du ja auch das vergessen, was ich dir gerade gesagt habe."

Ein Schmunzeln schleicht sich auf meine Lippen, als ich aufspringe und ihn aufhalte. „Jetzt bleib doch mal stehen, du Spinner."

„Was ist denn jetzt an dieser Situation so witzig?" Er sieht mich mit grimmiger Miene an.

„Weißt du eigentlich, wie süß du bist, wenn du schmollst?" Ich nehme sein Gesicht zwischen meine Hände. „Ich liebe dich." Darauf erwidert Chris nichts, er steht einfach nur da und sieht mich an. Würde ich nicht so nahe an ihm stehen, wäre ich mir nicht mal sicher, ob er atmet. „Chris? Alles okay, hast du verstanden, was ich gesagt habe?"

Etwas besorgt mustere ich ihn. Er bleibt weiterhin still. Nicht einmal blinzeln tut er. Wie unheimlich.

Und dann ohne Vorwarnung hebt er mich plötzlich hoch und tänzelt durch den Raum.

„Gott, bis du wahnsinnig?! Lass mich runter! Chris!", rufe ich lachend aus und lasse zu, dass er mich schließlich sanft auf mein Bett wirft und sich auf mich setzt.

„Sag es nochmal!"

„Du bist echt verrückt."

„Los!"

Lachend schüttle ich den Kopf. „Ich liebe dich, Chris Jackson. Ich habe mich mit allen Sinnen in dich verlie..." Weiter komme ich nicht, da er seinen Mund stürmisch auf meinen presst.

Keuchend erwidere ich den Kuss, dabei nutzt er die Gelegenheit und schiebt seine Zunge in meinen Mund. Sie beginnt mit meiner einen leidenschaftlichen Tanz um Dominanz, den keiner von uns beiden zu gewinnen scheint. Seine Hände wandern zu dem Gürtel meines Morgenmantels und öffnen ihn. Ich richte mich auf, damit es ihm leichter fällt, ihn von meinem Körper zu streifen.

Gerade war ich noch wütend auf ihn und wollte ihn am liebsten schlagen, jetzt liege ich unter ihm und lasse mich von ihm verführen. Unsere Beziehung ist schon echt extrem schräg.

Seine Lippen lösen sich von meinen und wandern weiter zu meinem Hals. Sie verteilen winzige Küsse, saugen an Stellen, die wie Chris weiß, mich wahnsinnig machen.

Doch als es plötzlich an meiner Tür klopft, entferne ich mich schnell und nehme meine Hände von Chris' Hose. Dieser packt meine Hände aber und sieht mir tief in die Augen.

„Wenn Sie sich jetzt im Ernst trauen, dieses Zimmer zu betreten, obwohl ich gerade über Ihren Sohn herfalle, haben wir beide ein ernsthaftes Problem miteinander, Mr. Johnson!", ruft Chris mit todernster Stimme. Meine Kinnlade fällt nach unten. Ist er denn jetzt komplett durchgeknallt?

„Bist du bescheuert?", zische ich ihm leise zu. Er legt einen Finger auf seinen Mund, um mir zu sagen, dass ich still sein soll. Ich presse die Lippen aufeinander und lausche.

Es sind die schweren Schritte meines Vaters, die sich entfernen, und kurze Zeit später hören wir, wie er nach unten geht.

Chris beugt sich grinsend zu mir runter. „Problem gelöst, Babe", murmelt er und legt dann seine Lippen wieder auf meine.

Ich lächle in den Kuss hinein, vergesse alles um mich herum - dass mein Vater unten sitzt und ganz genau weiß, was wir hier machen. Ich blende die Sache mit Vincent aus.

Jetzt gibt es nur Chris und mich.



• M A T T H E W •

Wir stehen vor der Schule auf dem Parkplatz und warten darauf, dass Evan kommt. Er wird, wie vorhin an Chris geschrieben, von Wes in die Schule gefahren. Auf die Frage, ob er bei ihm übernachtet hat, wollte er nicht antworten. Aber das kriegen wir schon noch raus.

„Weißt du, es ist ja ziemlich entspannt bei dir Zuhause. Dein Vater geht uns aus dem Weg und lässt uns in Ruhe, und wir können tun, was wir wollen." Chris grinst anzüglich und es sieht aus, als wollte er einen Arm um mich legen. Er stoppt aber in der Bewegung und lässt den Arm wieder sinken.

Lächelnd nehme ich seine Hand und verschränke unsere Finger miteinander. Überrascht schaut er von unseren Händen zu mir auf. „Bist du dir sicher? Uns kann doch jeder sehen."

„Na und. Von mir aus soll jeder sehen, wie glücklich ich mit dir bin."

„Also, wenn das so ist." Er beugt sich zu mir herüber und legt seine Lippen auf meine. Wie ich das Gefühl liebe, das in mir aufkommt, wenn wir uns küssen. Das Gefühl der Ewigkeit, der Sorglosigkeit.

Ein Hupen aus der Ferne lässt uns aber auseinanderfahren. „Sucht euch gefälligst ein Zimmer!", ruft Wesley lachend aus dem Fenster, als er an uns in eine freie Parklücke vorbeifährt. Wir gehen auf das Auto zu, als sie aussteigen und begrüßen beide mit einer Umarmung.

„Wie kommt's denn, dass du ihn zur Schule fährst? Mir hast du das nie angeboten." Gespielt verletzt schiebe ich meine Unterlippe nach vorne, muss dann aber grinsen.

„Das habe ich auch nur gemacht, weil Evan sonst zu spät gekommen wäre. Und außerdem hätte mich dein lieber Freund geköpft, wärst du nur in meine Nähe gekommen", erwidert Wes augenzwinkernd, woraufhin Chris ihm lachend einen Klaps gibt.

„Stimmt doch gar nicht! Du hättest mir auch einfach sagen können, dass du scharf auf Evan bi..."

„Ach sei doch still!", unterbricht dieser seinen besten Freund und errötet. „Gut also, wir müssten wohl langsam auch rein, sonst bist du umsonst aufgestanden, um mich herzufahren", wendet er sich dann an Wes und kratzt sich verlegen am Hinterkopf.

„Es war auf keinen Fall umsonst." Wesley wendet sich mir zu, „Wir sehen uns später auf der Arbeit?" Ich nicke. „Alles klar, dann bis später. Und lernt schön."

Er winkt uns zu, bevor er in den Wagen steigt und wegfährt. Wir sehen ihm hinterher, bis man sein Auto nicht mehr sieht, und gehen dann über den Schulhof ins Schulgebäude.

Es ist nicht zu übersehen, dass alle Augen auf uns beziehungsweise auf Chris und mich gerichtet sind. Wir sind die Hauptattraktion. Jeder starrt auf unsere immer noch verschränkten Hände und flüstert dann seinem Nachbarn etwas zu, als wir durch den Schulflur laufen.

Was habe ich auch anderes erwartet? Dass wir für die anderen unsichtbar sind? Chris gehört zu den beliebtesten Schülern und er hält gerade Händchen mit dem Freak der Schule. Natürlich ernten wir neugierige Blicke von allen Seiten.

„Musst du noch zum Spind?", fragt er mich. Während ich unsicher hin und her schaue, läuft er ganz gelassen, als wäre er nicht im Moment ein Teil des Ereignisses, was sich hier gerade abspielt.

Wie betäubt nicke ich nur, unfähig etwas zu sagen, und so beeilen wir uns, zu meinem Spind zu gehen, um noch rechtzeitig zum Unterricht zu kommen. Uns bleiben nur noch knapp fünf Minuten.

„Weißt du, wenn wir schon wegen dir beinahe zu spät kommen, kannst du uns wenigstens ein paar Details liefern", sagt Chris zu Evan, als wir an meinem Schrank angekommen. Ich konzentriere mich einfach auf den Zahlencode, anstatt auf die gefühlt hundert Augenpaare, die auf uns liegen.

„Da gibt es nichts zu erzählen. Ich habe verschlafen und ihn dann halt gefragt, ob er mich vielleicht fahren könnte." Auch wenn ich nicht hinschaue, weiß ich, dass der Lockenkopf gerade mit den Schultern gezuckt hat. Nur um das runterzuspielen.

„Und wie kommt's, dass du so einfach verschläfst? Hattest du etwa eine lange Nacht?", fragt mein fester Freund weiter, während er sich gegen die Spinde lehnt.

„Alter, das geht dich doch gar nichts an. Will ich etwa wissen, was bei euch läuft?"

„Wir haben hammergeilen Sex, aber das kann man sich ja schon denken."

„Chris!", rufe ich empört aus und schlage ihn mit meinen Büchern. Er lacht nur und wendet sich dann wieder an Evan.

„Man, jetzt erzähl doch endlich! Matty wird es spätestens heute in der Pizzeria sowieso erfahren."

„Du nervst", brummt Evan und geht dann an ihm vorbei, als ich die Spindtür zuwerfe.

Zu dritt gehen wir zum Unterricht, auf dem Weg dahin nimmt Chris mir meine Bücher ab, so als wäre es selbstverständlich. Seine freie Hand greift wieder nach meiner und ich lasse es zu. Die Blicke der anderen können mir doch egal sein.

Gerade als wir das Zimmer betreten, ertönt es von vorne: „Wen haben wir denn da? Die drei wärmsten Brüder der Schule."

Es sind Piper, Aaron und Nathan, die uns spöttisch angrinsen. Ich spüre sofort einen Stich im Herzen, als ich meine ehemalige beste Freundin an der Seite dieser Idioten sehe.

„Lieber warme Brüder, als eine boshafte, kalte Schlange", höre ich ausgerechnet Evan neben mir sagen. Im Zimmer ist es ruhig geworden. Unsere Mitschüler verfolgen schaulustig unsere Unterhaltung.

„Was hast du gerade gesagt, du Mistgeburt?", zischt Aaron und kommt mit verärgertem Blick auf uns zu. Chris drückt kurz meine Hand, bevor er sie loslässt und sich vor uns stellt.

„Lass ihn in Ruhe, Aaron."

„Du hast mir gar nichts zu sagen. Du bist genauso eine miese Schwuchtel wie der Idiot und der Freak. Du bist eine Schande für uns. Und ich bin es leid, mich von dir herumschubsen zu lassen."

Es passiert so schnell, dass ich es gar nicht richtig realisieren kann. Innerhalb weniger Sekunden liegt Aaron auf dem Boden und Chris über ihm, während er auf ihn einprügelt.

„Chris, hör auf!", rufe ich ihm zu, doch er ist wie in Trance und schlägt weiter auf seinen ehemaligen Freund ein.

Als Nathan auf Chris loszugehen scheint, greift Evan ein, schubst diesen weg und versucht, Chris wegzureißen. „Kumpel, hör auf! Er ist es nicht wert."

„Mr. Jackson, gehen Sie sofort von Ihrem Mitschüler weg!" Alle Augenpaare liegen auf unserem Geschichtslehrer, Mr. Davis. Endlich lässt sich Chris von Evan wegziehen und ich stelle mich zu ihm. Er legt seinen Arm um mich, während wir zusehen, wie Nathan und Piper Aaron helfen, aufzustehen.

„Du bist doch krank!", zischt Pip und sieht hasserfüllt in unsere Richtung.

„Miss Edison, Sie und Mr. Malek bringen Mr. Morgan ins Krankenzimmer. Dort soll er erstmal behandelt werden. Dann gehen Sie alle drei zum Direktor."

„Warum denn das?", ruft sie empört aus.

„Ich dulde keine Homophobie in meinem Unterricht!"

Nathan schnaubt. „Haben Sie schon mal etwas von Meinungsfreiheit gehört?"

„Natürlich, aber Beleidigungen und Drohungen gehören gewiss nicht dazu, Mr. Malek. Verschwinden Sie jetzt! Ich will Sie heute nicht in meinem Unterricht sehen."

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