Kapitel 23
• C H R I S •
Ich stehe vor Tür eines kleinen Hauses. Es wirkt von außen gemütlich. Mit klopfendem Herzen drücke ich auf die Klingel.
Vincent hat mir diese Adresse geschickt, nachdem ich ihm aufgefordert habe, mir sofort zu sagen, wo er ist. Nur hat er das bis vorhin herausgezögert. Wie lange bitte dauert es denn, jemand eine bescheuerte Adresse zu schicken? Er will spielen. Aber ich werde nicht als sein Spielzeug herhalten. Ich werde ihm klar und deutlich sagen, dass er zurück in die Klinik muss.
Die Tür öffnet sich und er steht vor mir. Mit dem Lächeln, das ich so sehr geliebt habe. „Chris, schön dich zu sehen." Seine Stimme bereitet mir eine Gänsehaut.
„Vince, ich..."
Er packt mich an meiner Jacke und zieht mich ins Haus. Stürmisch und doch ganz sanft legt er seine Arme um mich. Sein Kopf auf meine Schulter. Ich kann sein nach Mango duftendes Shampoo riechen.
Erinnerungen an früher kommen sofort wieder hoch. Dinge, die ich verdrängen wollte. Einfach nur vergessen. Aber das hier fühlt sich so vertraut und wirklich gut an.
Ich spüre seine Hände, die sich in meine Haare verirren. „Wie sehr ich dich vermisst habe", murmelt er. Sein Atem trifft auf meinen Hals. Seine Lippen fahren sanft über meine Haut. Sie küssen die Stelle, an der ich schon immer empfindlich war. Seufzend schließe ich die Augen.
„Vince." Er bleibt an Ort und Stelle, als ich ihn von mir wegdrücken versuche. „Vincent, verdammt, hör auf!"
Verwirrt sieht er mich an, als ich mich von ihm löse. „Ich habe einen Freund. Und ich bin mit ihm glücklich, weißt du."
„A-aber...d-du bist doch...w-warum bist du denn dann hier?"
„Um dich davon zu überzeugen, zurück in die Klinik zu gehen."
„Nein!", ruft er sofort aus.
Frustriert kratze ich mich am Hinterkopf. Das wird wirklich nicht einfach. Kein bisschen.
„Können wir uns irgendwo hinsetzen?", frage ich mit sanfter Stimme und lasse mich von ihm ins Wohnzimmer führen. Während er sich auf die Couch setzt, ziehe ich mir den kleinen Hocker her. Ich muss Platz zwischen uns schaffen, also sollte ich mich nicht neben ihn setzen.
„Hör mal, Vincent, du darfst nicht hier sein."
„Aber warum denn nicht? I-ich...Wir lieben uns doch. D-das weiß ich."
Kurz überlege ich, ob es das Richtige wäre, nehme dann aber doch seine Hand. „Ich habe versucht mit all dem abzuschließen. Und ich bin auf den richtigen Weg, Vince. Ich habe einen neuen Freund und liebe ihn. Matt bedeutet mir einfach alles."
„Matt...Matt...Ich verstehe es nicht. Wir beide gehören doch zusammen. D-du wolltest auf mich warten, Chrissie."
Als sich in seinen Augen Tränen sammeln, stoße ich ernüchtert Luft aus. „Verdammt, Vincent! Wie stellst du dir das denn vor? Dass du hier auftauchen kannst und wir da weitermachen könnten, wo wir aufgehört hatten?"
Schniefend zuckt er mit den Achseln. „I-ich dachte..."
„So funktioniert das nicht. Das musst du verstehen."
„Aber ich liebe dich doch!", ruft er schluchzend aus.
„Guck mich an." Er schüttelt den Kopf. „Vincent, sieh...mich...an."
Grün trifft auf Grün. Seine Augen sind, obwohl sie total verquollen sind, wunderschön. Ich habe sie schon immer geliebt.
„Vince, du wirst immer einen Platz in meinem Herzen haben. Aber ich bin in einer glücklichen Beziehung. Mein Freund ist meine Gegenwart und hoffentlich auch meine Zukunft."
Vincents Anblick bricht mir das Herz. Ich hasse es, wenn er weint. Dann will ich ihn einfach in den Arm nehmen und trösten. Und seine Tränen wegküssen. Aber das wäre definitiv falsch.
Doch ich stoße ihn nicht weg, als er sich um meinen Hals wirft und seine Finger in mein T-Shirt krallt. „Ich liebe dich so sehr, Chris. So unglaublich."
Ich erschaudere, als ich seinen heißen Atem auf meiner Haut spüre. Seine Finger streichen an meinem Ausschnitt entlang.
„Ich weiß. Und ich liebe dich auch. Das darfst du nie vergessen. Aber..."
Wie soll ich ihm jetzt am besten klar machen, dass er zurück in die Psychiatrie gehen soll? Oder wenigstens seinen Eltern Bescheid geben muss, dass er hier ist? Kann man das überhaupt sanft ausdrücken?
„Vincent, bitte, du brauchst Hilfe." Wie zu erwarten, schüttelt er den Kopf. „Ich meine, du bist einfach von zuhause verschwunden. Glaubst du denn nicht, dass es besser wäre, wieder zurückzugehen?"
„Ich habe das für uns getan. Weil ich dich liebe und wir zusammengehören."
„Vince, deine Eltern machen sich Sorgen um dich. Und dein Therapeut, sie haben ihn schon benachrichtigt. Ich sorge mich auch um dich."
Mein Exfreund schaut zu mir auf. Seine Augen sind groß, in ihnen kann ich die Unsicherheit erkennen. „Wirklich?"
„Natürlich, was denkst du denn? Dass ich dich einfach vergesse? Du wirst immer ein Teil meines Lebens bleiben, auch in dreißig Jahren."
Zufrieden schmiegt er seinen Kopf wieder in meine Halsbeuge. Ich lege meinen Kopf auf seinen und schließe die Augen. „Ich habe dich so vermisst, Chris."
„Ich dich auch."
Wir bleiben eine Weile in dieser Position. Irgendwann lehnt er sich zurück und setzt sich wieder auf die Couch hinter sich. Ich mustere ihn, seine Tränen sind zum Glück getrocknet.
„Wie ist er so?"
„Wer?", frage ich verwirrt.
„Matt."
Ich glaube, wenn ich Matthew beschreiben sollte, würde kein Wort genau zu ihm passen. Ich könnte es nicht. So vieles geht mir durch den Kopf. Und doch trifft nichts nur annähernd seinen Charakter. Seine Persönlichkeit. Er ist einfach unbeschreiblich.
„Chris?"
„Matt ist ein besonderer Mensch. Vielleicht würdest du ihn auch mögen. Er ist... Naja, ich finde keine Worte, die ihn so wirklich trefflich beschreiben."
„Du liebst ihn wirklich wahnsinnig, oder?", fragt er mich, woraufhin ich leicht schmunzle. Obwohl mir etwas auf der Zunge liegt, erwidere ich nichts. In der Verfassung, in der sich Vince befindet, sollte ich ihm sowas nicht auf die Nase binden.
• C H R I S •
Wir saßen noch eine Zeit lang da und haben geredet. Ich konnte Vince wenigstens noch davon überzeugen, seinen Eltern zu sagen, wo er ist. Sie sollten ihn also schnell dort vorfinden. Wie er sich eigentlich dieses Haus leisten kann, habe ich nicht gefragt. Es geht mich ja auch nichts an.
Ich parke mein Auto vor Matthews Haus. Mom habe ich geschrieben, dass ich bei ihm übernachten würde. Wenn seine Eltern nach Hause kommen, würde ich mich eben irgendwo verstecken, bis die Luft rein ist. Aber ich muss bei ihm sein. Ich habe ihn so sehr vermisst.
Dass ich mal so abhängig von einem Menschen wäre, hätte ich nie für möglich gehalten. Aber Matt hat ja sowieso meine ganze Welt auf den Kopf gestellt.
Die meisten Lichter im Haus sind aus, nur im Wohnzimmer und oben in seinem Zimmer ist es hell. Ich gehe um mein Auto herum über den Steinweg zur Haustür und klingle. Es dauert nicht lange, da steht überraschend Mr. Johnson vor mir und mustert mich kritisch.
„Dich kenne ich doch. Ein Schulkamerad von Matthew, stimmt's?", fragt er und ich nicke. „Er ist oben. Bleibe du hier", fordert er mich auf und lässt mich allein im Flur stehen. Augenverdrehend sehe ich ihm hinterher.
Wie ich ihn einschätze, könnte er einer dieser Spießer sein, der sich über die Jugend von heute aufregt. Dass sie nie auf die ältere Generation hört. Und dann ist er so aufgewühlt, dass er vielleicht Probleme mit seinem Herzen bekommen könnte.
Als ich ihn oben mit seinem Sohn reden höre, setze ich mich in Bewegung und steige die Treppe hoch. Wer will mir denn bitte verbieten, meinen Freund zu sehen? Dieser Typ garantiert nicht. Und die Vater-Karte kann er stecken lassen. Um ein Vater zu sein, sollte man erstmal ein Mensch sein. Und das ist er geschweige denn seine Frau nicht.
„Was machst du denn hier?" Matt steht nur mit einem Handtuch bedeckt vor mir und seinem Vater. Er sieht überrascht aus. Aber ich kann auch noch etwas anderes in seinem Blick erkennen. Und zwar Wut.
„Matthew, das hier bleibt unter uns. Deine Mutter wird uns sonst den Hals umdrehen", sagt sein Dad und verblüfft uns beide damit total. Doch bevor Matt etwas dazu erwidern kann, lässt er uns allein.
Zurück bleiben wir. Als ich auf ihn zugehe, wendet er sich ab und verschwindet in sein Zimmer. „Matty, bleib stehen. Bitte."
„Was willst du von mir?", zischt er in meine Richtung, bevor er in seinen begehbaren Kleiderschrank geht.
„Du musst dich nicht vor mir verstecken. Ich habe dich doch schon nackt gesehen."
„Bilde dir nichts ein, Idiot. Mir ist kalt, deshalb hole ich meinen Morgenmantel."
Ich setze mich auf sein Bett und warte, bis er zurückkommt. Als er nach einigen Minuten vor mir steht, verschränkt er mit verärgertem Gesichtsausdruck seine Arme vor der Brust.
„Wo warst du die letzten Tage? Du hast wieder mal in der Schule gefehlt."
„I-ich hatte... Ich musste etwas erledigen. Es tut mir leid", murmle ich und fahre mir durch die Haare.
„Es tut dir leid? Ach, und da kann man sich nicht mal melden der so?", schreit er mich an, sodass ich wegen seinem plötzlichen Wutausbruch zusammenzucke.
„Verdammt, ich habe mir Sorgen um dich gemacht, Chris", brummt er, dieses Mal ruhiger, aber er tobt immer noch. Das erkenne ich an seiner Haltung. Er sieht aus, als wolle er mich jeden Moment anspringen. Und das nicht in sexueller Weise. Kein bisschen, nein.
„Es tut mir wirklich leid. Das musst du mir glauben."
„Was war so wichtig, dass du dafür tagelang die Schule geschwänzt hast?"
Beschämt schaue ich auf den Boden und schüttle seufzend den Kopf. „D-das kann ich nicht sag-"
„Wenn ich dir glauben soll, dass es dir leidtut, dann sag mir gefälligst die Wahrheit! Sonst ist das hier vorbei. Ab dem Moment, in dem du aus dieser Tür rausgehen wirst, wäre alles vorbei", droht er.
Mein Herz beginnt vor Panik schneller zu klopfen. „Bitte, tu das nicht, Matt."
„Dann leg endlich die Karten auf den Tisch, Christoph."
Er hat mich Christoph genannt. Ist das schon mal vorgekommen, seit wir etwas miteinander zu tun haben? Ich kann mich nicht daran erinnern. Aber eins weiß ich auf jeden Fall. Er meint es vollkommen ernst.
Ich hole tief Luft, bevor ich sage: „Ich habe mich mit meinem Ex getroffen."
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