Kapitel 14
• C H R I S •
Am Montagmorgen spüre ich, wie sich viele zu mir umdrehen, als ich über den Schulhof laufe. Evan hat definitiv Recht gehabt damit, dass sich einige die Mäuler über mich zerreißen werden. Dass sie es aber auch noch so auffällig machen, ist schon ein wenig traurig.
Ich führe die Zigarette an meinen Mund, als mein Blick zu Aaron und Nathan wandert. Der Dunkelhaarige winkt mich zu sich, während der andere eher unbeteiligt danebensteht und auf sein Handy fixiert ist.
Da Evan aber noch nicht da ist und ich nicht unbedingt allein in einer Ecke stehen will, gehe ich auf die beiden zu. Etwa gleichzeitig wie ich scheinen auch Mila und Sara auf sie zuzusteuern. Sie sehen mich abschätzend an, bevor sie sich an die Jungs schmiegen.
Als würde es mir etwas ausmachen, dass sie sich gleich dem Nächsten an den Hals werfen.
„Hey Chris, du hast ein krasses Wochenende verpasst! Wo warst du, Alter?", fragt mich Nathan zur Begrüßung und hält mir seine Hand zum Einschlagen hin.
„Ich habe etwas mit Evan gemacht. Was gab es denn?"
„Wir sind Samstagnacht ins Schwimmbad eingebrochen und haben dort Party gemacht!", erzählt er stolz und zieht Sara in seine Arme, die kichernd ihren Kopf auf seine Schulter legt.
Schmunzelnd schüttle ich den Kopf. „Ihr seid manchmal so bescheuert, ernsthaft."
„Es war so cool! Das nächste Mal solltest du definitiv dabei sein, Kumpel!"
„Wobei?" Ich drehe mich zu meinem besten Freund um, der ausgerechnet mit Matthew auf uns zukommt. Dieser beißt auf seiner Lippe herum, während er sich regelrecht hinter Evan versteckt.
„Eine kleine Privatparty im Schwimmbad."
„Ihr seid ernsthaft eingebrochen?" Evan legt augenverdrehend seinen Arm um meine Schulter. „Ein Wunder, dass ihr nicht erwischt wurdet."
„Das war teilweise echt knapp! Vor allem, weil die Ladies irgendwann beschlossen haben, ihre Klamotten überall verteilen zu müssen."
Mila schnaubt auf. „Nun tu mal nicht so. Immerhin war es eure Idee, nackt baden zu gehen."
„Ich würde mich niemals beschweren, Schätzchen", erwidert Nathan breit grinsend und zwinkert dann seiner Sara zu, die ihn weiterhin anhimmelt.
Aaron, der bisher noch recht schweigsam war, findet seine Stimme wieder: „Hör mal, Chris. Sollen wir das von Freitag vergessen? Wir sind doch Kumpels."
Mit hochgezogener Augenbraue sehe ich von ihm zu meinem besten Freund, der nicht weniger überrascht aussieht. Er mustert ihn sogar skeptisch, als wolle er ihm ansehen, dass etwas hinter seinen Worten steckt.
„Und wie kommst du auf einmal zu dieser Einsicht?", fragt er den blondhaarigen Teenager deshalb misstrauisch, wovon sich dieser allerdings nicht beeindrucken lässt.
„Ich wüsste nicht, was es dich das anzugehen hat." Aaron tritt auf ihn zu, davon lässt sich mein bester Freund allerdings nicht beeindrucken und macht Anstalten, sich ihm gegenüber zu stellen. Allerdings greift Matthew nach seinem Arm und hält ihn davon ab.
„Ausgerechnet der Freak spielt deinen Bodyguard? Wie tief muss man dafür sinken?"
Die anderen kichern daraufhin, verstummen aber schnell, als ich mich vor Aaron stelle und ihn von mir stoße. „Ich habe dir schon einmal gesagt, du sollst Evan in Ruhe lassen, verdammt. Und das gilt ab sofort auch für Matthew. Haltet euch einfach fern von ihm."
Sie schnappen alle nach Luft, als könnten sie meine Worte nicht begreifen.
„Was ist bloß los mit dir, Chris?", fragt mich Mila. „Du hast dich echt verändert!"
„Mir wurden nur die Augen geöffnet", erwidere ich und lächle die Jungs hinter mir an. Evan scheint stolz auf mich sein, während sein Freund offenbar auch nicht glauben kann, was hier gerade geschieht.
„Wir sehen uns", meine ich in die Richtung der Gruppe, bevor ich den beiden mit einem Kopfnicken zu verstehen gebe, dass ich in das Schulgebäude gehen möchte. Mein bester Freund legt breitgrinsend seinen Arm um mich und zieht Matthew neben sich her. Die Rufe der anderen hinter uns ignorieren wir.
„Diese dämlichen Gesichter! Das hätte ich am liebsten mit meinem Handy festgehalten", lacht Evan, als wir durch den Eingang gehen. „Aber echt cool, dass du diesen Schritt gemacht hast, Chris!"
Als er mir durch die Haare wuschelt, weiche ich seiner Hand schmunzelnd aus. „Idiot, lass das!"
„Jetzt habe ich endlich meinen Christoph wieder, den ich so sehr liebhabe", zwitschert er weiter, was mich zum Feixen bringt.
Er hat aber wieder einmal Recht. Ich hätte mich schon vor einiger Zeit von diesen Leuten abkapseln sollen. Sie haben mich erst in meinen Abgrund gezogen und ich wurde zu einer Person, für die ich mich schämen musste.
Ich hätte niemanden das Leben schwer gemacht, nur weil ich mit jemanden nicht auskomme. Früher wäre ich solchen Leuten aus dem Weg gegangen, anstatt wie heute ihnen ihre Schulzeit zur Hölle zu machen. Zwar sind es vor allem Aaron und Nathan, die besonders daran ihren Spaß haben. Aber irgendwann habe ich meinen Verstand ausgeschaltet und sie machen lassen.
So bin ich in der Vergangenheit nicht gewesen, als ich noch mit Vincent glücklich war. Erst unsere schmerzhafte Trennung hat dazu geführt, dass ich ein gefühlskalter Typ wurde, der sich um seine Mitmenschen nicht kümmerte.
Ich schaue Matt an, der im selben Moment seinen Kopf zu mir dreht und mich mit unergründlichem Ausdruck mustert.
Wie gerne würde ich gerade wissen, was in ihm vorgeht. Könnte ich doch nur seine Gedanken lesen.
Als wir an den Spinden ankommen, lässt Evan von mir ab, um seine Bücher zu holen. Ich stelle mich neben den erröteten Matthew, der auf den Lippen kauend seinen Blick abwendet und nach unten starrt.
Ein Schmunzeln umspielt meinen Mund, als ich mich langsam zu ihm herüberbeuge und in sein Ohr flüstere: „Wir sollten miteinander reden, Matt. Du weißt, worüber."
• M A T T H E W •
Als sein heißer Atem meine Haut streift, erschaudere ich, doch versuche, mir nichts anmerken zu lassen.
„Wir sollten miteinander reden, Matt. Du weißt, worüber." Er verweilt noch kurz dort, bevor er sich zurücklehnt und Evan auf den Rücken klopft.
„Sehen wir uns nachher in der Pause?" Dieser nickt und schlägt bei ihm ein, bevor er sich an mich wendet. „Wollen wir dann, Matty?"
Ich sehe Chris hinterher, der mich noch kurz anlächelt und dann in der Schülermenge verschwindet. Als mein Freund meinen Blick bemerkt, mustert er mich mit verschränkten Armen. Ertappt wende ich mich ab und spüre, wie wieder einmal meine Wangen an Farbe gewinnen.
„Ihr macht es euch wirklich unnötig kompliziert. Ist euch das eigentlich bewusst?" Seufzend legt er seinen Arm auf meine Schulter, wie er es zuvor bei Chris getan hat, und führt mich durch den Flur. Obwohl ich den Spanischunterricht bei Mrs. Gonzalez liebe, bin ich heute wahnsinnig unmotiviert.
Meine Gedanken sind ganz bei dem Jungen, der sich allen Ernstes vor seine Freunde gestellt hat, um sich für mich einzusetzen. Warum hat er das getan? Könnte es womöglich sein, dass das zwischen uns doch mehr war, als ich dachte?
Dass er in mir nicht nur eines seiner vielen Abenteuer sah?
Doch wie soll ich damit umgehen? Ich könnte ihn doch niemals vor anderen als meinen Freund vorstellen. Wie würde meine Familie reagieren? Sie würden mich hochkant rauswerfen und ich würde auf der Straße landen!
Und wohin soll ich dann gehen? Etwa zu Chris? Das geht doch nicht. Wir wären nie so weit, diesen Schritt zu machen. Ich bin es nicht!
Wir betreten den Klassenraum, in dem bisher wenige sind. Sie achten nicht auf uns, sondern sind in ihre Unterhaltungen vertieft. Unsere Plätze befinden sich in der zweiten Reihe am Fenster. Am liebsten sitze ich dort, obwohl ich oft schon beim Träumen erwischt wurde. Aber es ist einfach schön, weil man das Geschehen draußen beobachten kann.
Ich fühle mich dann nie wirklich für die nächsten Stunden eingesperrt, wie es andere tun.
„Es war cool, was Chris getan hat, nicht wahr?", fragt Evan, als wir uns hinsetzen und unsere Unterlagen auspacken. Dabei behält er mich aber im Auge, um meine Reaktion abzuwarten.
Diese reduziere ich auf ein Achselzucken. „Es kam unerwartet."
„Ich habe doch immer schon gesagt, er ist nicht der fiese Kerl, für den viele ihn halten. Ich kenne meinen besten Freund besser als jemanden sonst", sagt er lächelnd.
„Denkst du denn, Aaron und Nathan werden sich daranhalten? Also, dass sie mich zukünftig in Ruhe lassen?"
Evan runzelt die Stirn, als würde er überlegen. „Nun also, ich denke schon. Sie hätten wahrscheinlich Angst davor, was Chris tun könnte."
„Warum aber hält er auf einmal zu mir? Ich verstehe es nicht. Ihn verstehe ich nicht", murmle ich und lege meinen Kopf auf die kühle Tischplatte.
Seine Hand legt sich auf meinen Rücken und streicht beruhigend auf und ab. „Matty, du solltest dich womöglich so langsam damit abfinden, dass es Leute gibt, die dich wirklich gernhaben."
„Macht mal die Fenster auf, es riecht hier nach Loser!"
Ich hebe den Blick und begegne dem von Nathan und Sara, die sich in die letzte Reihe setzen und uns zu Tode anstarren.
„Ignoriere die beiden einfach", spricht Evan mir zu und wendet sich augenverdrehend von den beiden ab.
Nur kann ich nicht sagen, ob ich das kann...
*
Nervös, jeden Moment Chris in meiner Nähe zu haben, spiele ich mit einem losen Faden an meinem Pullover. Der Unterricht am Vormittag ist leider viel zu schnell verflogen, sodass es mittlerweile zur Mittagspause geklingelt hat.
Während ich draußen an einem Tisch sitze, holt uns Evan aus der Cafeteria etwas zu essen.
Die Sonne strahlt heute wieder sehr heiß. Obwohl ich uns einen Tisch im Schatten gesucht habe, ist mir wahnsinnig warm. Ich trage heute auch nur einen dünnen Pullover, schließlich darf niemand meine Unterarme sehen. Besonders Chris nicht.
Er würde es nicht verstehen, wenn er die Narben sehen sollte.
„Matthew, da bist du ja." Ich zucke zusammen, als ich ihn hinter mir höre. Um ihm Platz zu machen, rutsche ich ein wenig. „Wo ist Evan?"
„Noch in der Cafeteria."
„Hör mal, Matt. Ich würde gerne mit dir kurz reden, solange wir allein sind."
Wenn ich nur wüsste, wann Evan wiederkommt. Bis dahin könnte ich es noch hinauszögern...
„Matthew, ich werde ehrlich sein, dass ich anfangs Probleme mit dem Gedanken von uns hatte. Aber es lag nicht daran, dass du es bist, sondern weil ich, nun ja, eine Vergangenheit habe, die mir im Weg steht", fängt er an, was mein Herz zusammenziehen lässt.
Das ist doch falsch, dass er sich nun mir offenbaren möchte, in der Hoffnung, dass es zwischen uns irgendwas ändern könnte. Aber ich... Ich kann ihn niemals so glücklich machen.
„Aber ich würde es gerne überwinden und..."
„Chris, bitte. Seien wir doch mal ehrlich. Wir leben in zwei verschiedenen Welten, die nicht aufeinandertreffen sollten", unterbreche ich ihn noch am Anfang, um das Schlimmste zu verhindern. „Du kannst dir nicht vorstellen, wie es ist, so wie ich erzogen zu sein. Ich lebe ein komplett anderes Leben als du. Wir sind einfach zu verschieden, als dass es funktionieren könnte."
Verwirrt sieht er mich an. „Aber zu Beginn schien doch zwischen uns ein Gleichgewicht zu sein. Was soll sich geändert haben, dass du keinen Sinn hieran siehst?"
„Vielleicht war es die Aufregung, das Spannende daran, etwas Neues zu erleben", murmle ich, bevor ich darüber nachdenken kann.
Brummend lehnt er sich zurück. „Du willst mir also weismachen, dass ich mir das eingebildet habe, was zwischen uns war? Das ist doch verrückt."
„Ich bin nicht du, Chris. Es fällt mir nicht einfach, über so etwas zu reden. Oder gar Gefühle zuzulassen. Ich stehe ständig unter Beobachtung, jeder meiner Schritte wird kontrolliert."
„Wenn du noch Angst vor den Reaktionen der anderen hast, versichere ich dir, dass du Menschen an deiner Seite haben wirst, die hinter dir stehen", versucht er mir Mut zuzusprechen.
Doch ich schüttle den Kopf und weiche seinen warmen Augen aus. „Es tut mir leid, Christoph. Aber ich kann das nicht."
„Das kann doch echt nicht wahr sein", erwidert er seufzend und streicht sich über das Gesicht.
Mit zusammengepressten Lippen sehe ich aus dem Augenwinkel, wie er aufsteht und in Richtung Schulparkplatz läuft. Irgendwann entweicht die Luft, die ich wohl angehalten habe, aus meinem Mund.
Keiner wird verstehen, warum ich ihn abgewiesen habe. In meinem Inneren ist nun auch ein großes Chaos, weil es selbst mich verwirrt.
„Matty?" Ich drehe mich zu Evan um, der mit unserem Mittagessen zu mir kommt. „Wo ist Chris? Wollte er nicht mit uns sitzen?" Er reicht mir ein Putenbrustsandwich und stellt einen Apfelsaft vor meine Nase ab. „Hat er dich noch gar nicht gefunden?"
„Er ist weg, Evan", sage ich leise.
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