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[part fünfzehn - S]

Onkel Tony schrie schon seit einer halben Stunde. June saß mit gesenktem Blick und angezogenen Beinen auf einem der weichen Sessel, welche im sonst eher rustikal gehaltenen Büro ihres Onkels. Während dieser seine Standpauke hielt, wagte sie es nicht, ihm in die Augen zu sehen.

Nachdem Steven sie aus der Seitengasse geholt hatte, hatte er sich erst versichert dass es June gut ging, bevor er sie schweigend mit ihr zu Tony fuhr. Erst als June mit ängstlichen Blick aus dem Auto stieg, wünschte Steven ihr Glück. Was sie auch dringend brauchte.

June traute sich einmal kurz hoch zuschauen und ihre Augen trafen direkt das vor Wut verzerrte Gesicht ihres Onkels. Doch noch viel Schlimmer als die Wut, war der schnelle Ausdruck von Enttäuschung in seinen Augen, bevor er weiter brüllte.

„Weißt du was, June? Es gibt eine Sache die ich beschützen muss, und das bist du! Aber warum, warum zum Teufel baust du immer so viel Scheiße? Sei verdammt noch mal froh, dass ich deine Eltern noch nicht angerufen habe und die dich zu sich mitnehmen! Das willst du schließlich nicht, oder?" Tony ließ sich erschöpft auf seinen Schreibtischstuhl fallen. „Du machst mir echt viel Ärger, June, so kenn ich dich gar nicht. Ich dachte eigentlich, dass irgendwas geholfen hat. Vielleicht der Hausarrest oder die neuen Besuche bei Mrs Lafaille-"

June rümpfte ihre Nase und gab ein verächtliches Zischen von sich.

„Ja, June. Mrs Lafaille ist die Person, die dir helfen soll und zu der du gerne gehen solltest. Aber nein, du hasst es weiterhin und es bringt nichts. Rein gar nichts. June, sag mir was: Was genau mache ich falsch?"

June kaute auf ihrer Unterlippe und strich sich über die Nase. Sie wollte ihrem Onkel gerne all ihre Wut gegen den Kopf werfen, dass es einen Grund gab, weshalb sie Besuche bei ihrer Therapeutin hasste, doch kein Wort verließ ihre Lippen. Sie fühlten sich spröde an, sie waren wie zugeklebt.

„Ich weiß echt nicht, was ich noch mit dir machen soll...", murmelte Onkel Tony trüb und raufte sich die Haare.

June biss sich auf die Zunge und schluckte ihr Missbehagen runter. Sie wollte jetzt keinen Streit mit ihrem Onkel anfangen, auch wenn sich das Bedürfnis danach immer weiter aufstaute.

„Mrs Lafaille kommt heute vorbei", ließ Onkel Tony dann die Bombe platzen und Junes Augen weiteten sich erschrocken.

„Heute noch?", rief sie entsetzt aus und formte ihre Lippen zu einem stummen Flehen. „Ich bin... Also... Warum... ich..." Sie brach ab und kaute auf ihren Fingernagel.

Onkel Tony stand wieder auf und lief im Raum auf und ab. „Ja, heute noch. Ich muss endlich Maßnahmen gegen dein schlechtes Verhalten einläuten." Er blieb kurz stehen, um ihr einen strengen Blick zu zuwerfen. „Und wenn das nicht hilft muss ich bald deine Eltern als auch das Cunningham-Internat anrufen-"

Weiter kam er nicht, denn in diesem Moment sprang June auf und ihr Mund klappte weit auf. „Cunningham? Bin... Ist das dein Ernst?", brüllte sie verzweifelt und schmiss dabei ihren Stuhl um. „So langsam glaube ich, du solltest mal in eine Therapie kommen!"

„June", seufzte Onkel Tony, doch wurde unterbrochen.

„Nein. Ich gehe." June drehte sich um und stampfte aus dem Raum. Die Tür fiel knallend zurück in ihr Schloss.

Das Cunningham-Internat hatte einen beschissenen Ruf, es hieß, dass nur komplett geistig gestörte Menschen dort hingeschickt wurden. Onkel Tony widerlegte das jedoch immer und meinte, dass es eine einfach Therapie war, in der Menschen mit verwirrten Wahrnehmungen geholfen werden soll, doch die Gerüchte hatten sich bereits zu stark in Junes Gehirn gebrannt, als dass sie sich dadurch beruhigen lassen konnte. Angeblich gehörten Schlägereien und Brandstiftung zu dem alltäglichen Leben dort dazu. Warum Onkel Tony sie ausgerechnet auf so ein „Internat" schicken wollte, war ihr schleierhaft.

Mit wütenden Blick lief sie den Flur entlang und beachtete nicht mal Steven, welcher vor dem Wohnzimmer auf sie wartete.

„Hey June! June!", rief er ihr hinterher und hielt sie am Arm fest. „Was ist passiert?" Seine Stimme klang besorgt und er runzelte die Stirn.

June öffnete ihren Mund, schloss ihn dann wieder und schüttelte ihren Kopf. Ihr Gehirn war wie leer gefegt und alles, woran sie denken konnte, was dass sie jetzt zu Lia musste. Tony konnte vergessen, dass sie in diesem Drecksloch auf Mrs Lafaille wartete. Sie lief den Flur immer schneller entlang und sprang die letzten Stufen der Glastreppe herunter, im auf den Eingang zu zustürmen.

Ihre Haare flogen ihr hinterher und sie musste kurz unwillkürlich grinsen, bei der Vorstellung einen dramatischen Abgang zu machen.

Die Tür nach draußen schwang automatisch auf und ein Windstoß durchstreifte Junes Klamotten. Wärme breitete sich in ihrem Körper aus, die Sonne strahlte heiß auf den grauen Asphalt der Straße. Staub wirbelte auf, als in schwarzer Ford den Weg entlang brauste. June stand einfach nur da und atmete tief durch, um sich zu beruhigen. Sie legte ihren Kopf in den Nacken und seufzte leise. Zu Lia fahren konnte sie nicht, ihr Auto stand noch immer am Marktplatz, keiner hatte es bis jetzt wider geholt. Ihre Hände ballten sich zu Fäusten und ohne einen Blick zurück zuwerfen, lief June los, dem Horizont entgegen.

Erschöpft klingelte June an der Haustür von Lia und lehnte sich gegen die stabile Betonmauer, welche den Garten vom Haus abtrennte. Einige rosa Blumen blühten neben der Mauer und vertrockneter Ahorn hing von der Wand.

Dann wurde die Tür mit einem Knallen geöffnet und eine zerzaust aussehende Lia tauchte im Türrahmen auf. Sie hatten Krücken in der Hand und einen dicken, weißen Gips um ihr linkes Bein.

„Was hast du denn gemacht?", entfuhr es June erschrocken und sie runzelte die Stirn.

„Bin über meinen Hund gestolpert", murmelte Lia und deutete hinter sich, wo ihr kleiner Mischlingshund saß.

„Hallo Darla", begrüßte June die Hündin und streckte ihre Hand nach ihr aus, sodass Darla daran schnüffeln konnte. Dann wandte sie sich wieder zu Lia. „Ich muss abtauchen. Du hast nicht zufällig ein Bett frei?"

Lia grinste leicht. „Mein Freund ist nicht da, also mach es dir bequem", meinte sie und machte eine Einladende Handbewegung.

June seufzte erleichtert auf und trat dann an ihr vorbei in den Flur, welcher einer der ästhetischten Orte war, den sie jemals gesehen hatte.

Überall hingen Bilder von Freunden und Familie, die sie selber nachbearbeitet hatte. Eine ihrer vielen Kameras standen auf der linken Seite des Flur, daneben auf einem alten Holzstuhl drei Kakteen. Die Wände waren in einem hellrot gestrichen, Lias Freund hasste diese Farbe und der Boden bestand aus dunklem Eichenholz. Überall roch es nach Hund, asiatischem Essen und nach Kindheitserinnerungen. June folgte Lia in die Küche ind sofort schwang das Bild um in Chaos.

„Also erzähl mal. Was ist passiert?“, wollte Lia wissen und setzte sich an den Tisch, um die Andere eingehend zu mustern.

„Onkel Tony ist passiert“, grummelte June und verdrehte ihre Augen.

„Hast du wieder Mist gebaut?“ Lia grinste schief. „Du weißt doch wie Tony darauf reagiert. Der bringt dich deshalb eines Tages noch um.“

„Wenn ich mich nicht davor aus Versehen selber umbringe“, erwiderte June und nahm eines der herumstehenden Gläser in die Hand.

„Was hast du bitte gemacht?“, rief Lia aus und konnte sich nicht entscheiden, ob sie lachen oder eine ernste Miene aufsetzten sollte.

„Ich war dumm“, murmelte June und schüttelte ihren Kopf. „Nein, wirklich. Ich hab... Gott, klingt das behindert. Ich hab mit dem Winter Soldier gesprochen. Gesprochen. Ohne nach Hilfe zu rufen, Polizei oder Avengers zu kontaktieren, ohne irgendwas zu machen. Lia, ich bin so dumm. Warum habe ich das gemacht?“

Lia legte ihre Krücken beiseite und umarmte das Mädchen. „Hey, hey. Vielleicht lag es an dem Schock. Dann kannst du nichts machen, das passiert jedem Mal.“

June hob ihren Kopf ein Stück. „Das Problem liegt nur darin, dass ich am Ende nicht mehr geschockt war. Es war... wie ein Gespräch mit einem alten Bekannten.“

„Oh June“, stöhnte Lia entgeistert, „Warum tust du auch sowas? Ich gehe mal davon aus, dass Tony alles andere als erfreut war.“

„Hm... Und jetzt will er mir Mrs Lafaille an den Hals hetzen. Er hat sie heute zu uns geholt, damit ich nicht raus kann“, beschwerte June sich und kaute auf ihrem Fingernagel.

„Deswegen bist du zu mir gekommen... Naja, du kannst so bleiben wie du willst. Ich lass Tony hier auch nicht rein, sollte er beschließen dich zu holen“, versprach Lia und knackte ihren Nacken. „Du musst nur Kochen, dein tolles Essen was du immer machst.“

June streckte ihr die Zunge raus und nickte dann ergeben. „Ich mach dir das geilste Essen, dass du jemals bekommen hast.“

Lia grinste. „Du weißt nicht, wie sehr ich dich für dein Essen liebe“, schwärmte sie, doch wurde durch ein Handyklingeln unterbrochen.

Erstaunt hob June eine Augenbraue. Sie fischte ihr Handy aus der Hosentasche und erstarrte.

„Tony?“, wollte Lia wissen und June schüttelte ihren Kopf.

„Viel schlimmer“, krächzte sie, „Shamus.“ Sie ging ran und biss sich auf die Zunge, als die Stimme des Mannes in ihr Ohr drang.

„Hey June. Shamus hier. Ich stehe gerade vor Lias Haus und würde dich bitten nach draußen zu kommen. Ich möchte mit dir reden“, sagte er und June rutschte ihr Handy aus der Hand.

Das hatte ihr gerade noch gefehlt.

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Hallo Menschen. Danke für 6k und so. Ganz viel Liebe an der Stelle. ❤

Ich hoffe, ihr verzeiht mir diese lange Pause und habt Spaß bei dem neuen Kapitel. Hab sogar schon mit dem nächsten angefangen. Weiß aber nicht, wann ich damit fertig sein werde.

Bye, bye.
-C.S.

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