55. Austin: Lügen

Jay und ich liefen händchenhaltend zu ihm nachhause.

Ich hatte einige Fragen an seinen Vater und es war mir egal, ob der dann antworten wollte oder nicht. Ich konnte ihn mit dem kleinen Finger dazu zwingen.

Es wurde Zeit, dass ich nicht nur dem, den ich liebte, mein wahres Ich zeigte, sondern auch jenen, die sich wirklich vor mir fürchten sollten. Ein bisschen Respekt von Jeremy wäre jedenfalls nicht schlecht. Nachdem er Jay nach seinem letzten Besuch so fertig gemacht hatte, war ich alles andere als gut auf ihn zu sprechen, egal, obwohl er mir selbst nichts getan hatte. Wer mein Baby angriff, griff automatisch auch mich an, so war das. Und ich hatte es satt, immer nur einstecken zu müssen.

Darvin hätte erzählt, dass Jeremy der Letzte war, der mich lebend gesehen hatte, doch Jeremy hatte mir zuvor berichtet, dass der mich zuletzt gesehen hätte, als ich am Abend des Abschlussballs zum Direktor gegangen war. Danach sei ich nicht mehr aufgetaucht.

Natürlich wurde in den polizeilichen Ermittlungen festgestellt, dass wir uns mindestens noch einmal danach gesehen hatten, da Kevins Truppe ( wohl mal meine Freunde gewesen waren) uns zusammen hatten in die Schwimmhalle gehen sehen, aus der ich nicht mehr lebendig raus gekommen war.

Hinterher hatte Jeremy behauptet, sich wegen des Alkohols an nichts mehr erinnern zu können, aber so richtig hatte ihm das nie einer geglaubt, immerhin hatte der Barkeeper laut mehreren Zeugen keinen Alkohol an Jeremy und Elijah ausschenken dürfen.

Allerdings hatte auch niemand Jeremy jemals etwas beweisen können, außer, dass er in diesem Punkt gelogen hatte. Und wieso sollte er mich auch umbringen?

Darvin hatte erzählt, dass es damals an die 10 Personen gegeben hatte, die wegen meines Mordes verdächtigt worden waren, aber selbst heute wusste noch keiner die Wahrheit. Das hatte ich alles in der Polizeiakte nachgelesen, die Charlies Kontakt mir besorgt hatte, es stimmte also.

„Was wenn er dich umgebracht hat?", fragte Jay mich leicht verzweifelt, sah mich ängstlich an.

Ich schüttelte den Kopf. „Ich denke nicht, dass er es war. Aber vielleicht deckt er den wahren Täter."

Jay seufzte und nickte verstehend. „Wieso ist dir das eigentlich plötzlich wieder so wichtig? Zu wissen, wie du gestorben bist? Das hat dich doch vorher auch noch nicht so richtig interessiert. Du wolltest nur wissen, wer du warst, aber nie wirklich, wie du gestorben bist"

„Weil es so unrealistisch war", meinte ich. „Ich wusste ja nicht mal, wie ich früher hieß, wer ich war, wie ich war. Es war so weit entfernt. Aber durch dich hab ich viel über mein altes Ich kennengelernt und jetzt, wo ich so viel über mich weiß, will ich auch wissen, wer dafür verantwortlich ist, was ich heute bin."

„Und was machst du dann mit der Person?", wollte Jay kritisch wissen.

Ich seufzte. „Ich weiß noch nicht, ob ich mich rächen oder mich bedanken soll. Ich meine, die Person könnte versuchen, mich nochmal zu töten, wenn sie erfährt, dass ich noch am Leben bin, was sich ja so langsam herum spricht, aber andererseits wäre ich dir ohne meinen Tod niemals auf diese Weise nahe gekommen. Ich wäre jetzt total alt, vermutlich mit deinem Dad liiert, du wärst sowas wie mein Sohn. Das wäre irgendwie seltsam. So falsch, verstehst du?"

Er nickte schnell und schlang einen Arm um meine Hüfte, um mir näher zu sein.

„Es gibt nur eine Sache, die ich nicht verstehe", meinte Jay nachdenklich. „Als du die Schwimmhalle betreten hast, warst du 18, aber gestorben bist du erst mit 20. Was ist also in der Zwischenzeit passiert?"

„Wir haben doch mit Chad diesen Bericht gefunden, in dem stand, dass ich im Koma lag. Vielleicht war das der Zeitraum und dann bin ich halt nicht wieder aufgewacht, sondern abgekratzt"

Jay brummte zustimmend, wirkte bei dem Thema aber nicht wirklich komfortabel.

Ich sah ein wenig besorgt zu ihm, weil wir gleich bei seinem Haus ankommen würden und musste ihn fragen: „Bist du sicher, dass du bei diesem Gespräch dabei sein möchtest? Ich meine, wir werden nicht wirklich Smalltalk führen. Ich will nicht, dass es dir zu viel wird, über Tod und sowas zu sprechen. Das sind keine schönen Themen..."

Ich hörte auf zu reden, als Jay unterstehend die Augen zusammenkniff. „Du hast sie doch nicht mehr alle. Dein Tod hat dich zu dem Mann gemacht, der du heute bist und den ich über alles liebe. Klar ist das Thema unschön, aber es ist wohl das wichtigste Ereignis in deinem Leben. Wir machen das zusammen." Er sah mich entschlossen an und ich musste lächeln.

„Du bist der Wahnsinn"

Er lächelte, obwohl ich genau sah, dass er etwas bedrückt war. Aber ich verstand das. Wir befanden uns gerade vor dem Eingang zu seinem alten Haus und Jay wollte seinen Dad eigentlich nicht wieder sehen.

Und wir beide vergaßen total, eine Sache zu bedenken...

Jay und ich gaben uns einen kurzen aber emotionalen Kuss, bevor wir wieder unsere Hände verschränkten und den restlichen Weg zur Haustür liefen. Er drückte nervös auf die Klingel, während ich meinen Daumen über seinen fahren ließ, ihm ihn zu beruhigen. Er sah mich dankbar an.

Es dauerte nicht lange, da wurde die Tür geöffnet. Alinas Lächeln, verschwand schon, als sie mich sah, doch wandelte sich in einen kompletten Schock um, als sie ihren Sohn ansah.

„Hei Mum", lächelte er.

Sie wusste sichtlich nicht, wie sie reagieren sollte, da ihr bis dato gelähmt geglaubter Sohn plötzlich auf eigenen Beinen vor ihr stand. Sie rief nach ihrem Mann und blieb wie angewurzelt dort stehen. Nach einem kurzen Moment, indem wir uns nur in unbehaglichem Stillschweigen angestarrt hatten, kam auch Jeremy an der Tür.

Als er mich mit dem Blick erfasste, schien er sich etwas zu freuen, doch das verging ihm ganz schnell, als er Jay sah und dass dieser neben mir stand.

„Was hast du getan?" hauchte Jeremy ungläubig. Es war klar, dass er mich damit ansprach, immerhin wusste er von meinen Heilkräften und ich Idiot hatte ihm schon mal versprochen, diese bei Jay nicht anzuwenden. Ups.

Er würde mir nie im Leben glauben, dass ich das nicht getan hatte und, dass wir erzählten, dass Raphael das getan hatte (ich wusste nach wie vor nicht genau, wie) stand außer Frage. Dafür vertraute ich Jeremy einfach nicht genug.

Ich meine, ich spürte ja, dass da was zwischen uns war, ausgehend von unserer Vergangenheit und ich wusste, mir würde er niemals schaden, aber er war einfach nicht Jay. Und das würde er auch niemals sein.

„Austin hat damit nichts zu tun. Es war ein Wunder", antwortete Jay für mich, schaffte es so elegant, einen Verrat zu vermeiden, obwohl es etwas lächerlich klang.

Das fand auch sein Dad. „Ja klar, sowie Elijahs Auferstehung oder?" Er schüttelte missbilligend den Kopf, öffnete uns aber weiter die Tür und meinte seufzend: „Kommt erstmal rein"

Ehrlich gesagt wunderte es mich, dass ich auch mit rein durfte, aber hingegen der Annahme, die Stimmung würde dadurch erträglich sein, war sie das nicht. Es war total unangenehm, wie wir uns alle gegenseitig stumm anstarrten.

Zum Glück war Alina da, die nichts auf ihren männlichen Stolz gab und als erstes das Wort ergriff. „Was ist passiert, mein Schatz?" Er legte ihre Hand auf Jays, die auf den Tisch lang. Seine Faust formte öffnete sich, der drehte die Hand und nahm die Hand seiner Mum, um mit dem Daumen über ihre zarten Fingerchen zu streichen.

„Ein paar meiner neuen Freunde haben mir geholfen. Ich darf nicht darüber reden, aber mach dir bitte keine Sorgen. Es ist alles gut. Mir geht es großartig..." Er warf mir ein lächeln zu und legte seine andere Hand auf meine. „...mehr als das"

Das zauberte seiner Mum ein Lächeln auf die Lippen, erleichtert, aber auch belustigt. Sie hatte auch einen leichten Freudenschimmer in den Augen.
„Na dann hatte jetzt wenigstens jeder aus der Familie was mit ihm, mh?", scherzte sie.

Was Jeremy zum Schnauben brachte, ließ Jaylin lachen. „Aber ich werde der Letzte sein, vertraut mir. Austin ist ganz verrückt nach mir" da war auch schon ein Seitenhieb gegen seinen Vater. Er konnte es einfach nicht lassen, ihn zu provozieren, obwohl er doch schon lange gewonnen und mich als Preis bekommen hatte.

„Da kann ich nicht widersprechen", meinte ich wahrheitsgemäß. Jeremys verletzter Blick traf meinen. Ich erinnerte mich daran, dass wir (zumindest ich) nicht hier waren, um ihm weh zutun, sondern weil wir seine Hilfe brauchten. Da war es eher semi-hilfreich, ihm davor das Herz zu brechen.

„Wir sind eigentlich nicht hier, um euch über den Stand unserer Beziehung aufzuklären", meinte ich, sah Alina dabei entschuldigend an, da sie irgendwie ziemlich außen vor blieb, in meinem Dreieckschaos mit Jay und seinem Dad.

Ihr Lächeln signalisierte mir, dass zwischen uns alles gut war.

„Ihr wisst ja, dass ich letztens überfallen worden bin", erzählte ich weiter. „Wir wissen jetzt, dass es Darvin war, zusammen mit Colben. Ich habe mit Darvin geredet und er hat mir erzählt, dass du..." Ich blicke Jeremy in die blauen Augen, die im Gegensatz zu denen seines Sohnes an Glanz verloren hatten. „...mich vor meinem Tod zuletzt gesehen hast. Das wundert mich, weißt du? Weil das bedeutet, dass du mir eiskalt ins Gesicht gelogen hast. An sich hätte ich dir ja echt mehr Glauben geschenkt, als so einem Kriminellen, aber im Polizeibericht steht nun mal, dass du dich immer wieder in Widersprüche verwickelt hast. Es ist mein Recht, die Wahrheit zu erfahren. Also:..." Ich atmete tief durch, sah nur noch Jeremy an, der unter seinem Schock komplett seine Emotionalität verloren hatte.

„Wer hat mich umgebracht?"

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