50. Jaylin: Wunsch

Es war mitten in der Nacht, als jemand mich leicht an der Schulter rüttelte.

Verschlafen öffnete ich die Augen und sah Boris verwirrt an.

Was zum Teufel wollte er hier in Austins Zimmer?! Um diese Uhrzeit!

Er deutete mir, still zu sein, hievte mich hoch und schaffte mich die Treppen runter. Wenn ich ehrlich war, war ich überrascht, dass er mich so gut tragen konnte. Ich hätte ihn nicht für so stark gehalten... Aber es gab genügend andere Dinge, über die ich mir gerade Gedanken machen konnte. Wie zum Beispiel was zum Fuck das hier sollte.

„Was ist hier los?", fragte ich Boris flüsternd, als er mir half, die Jacke anzuziehen und mir Schuhe anzog. Er legte eine Decke, die er vorbereitet hatte, über die Beine. Zum Glück hatte ich eine Hose an, denn er wollte allem Anschein nach rausgehen.

„Heute Nacht werden unsere Träume wahr, Jay"
Er lächelte mich an und ich war mit einem Schlag hellwach.

„Du hast die Quelle gefunden?", hauchte ich ungläubig.

„Nicht direkt" Er wiegte den Kopf hin und her. „Aber die Lösung"

Klar konnte ich ihn bitten, mich wieder hoch zubringen, weil mir das echt zu wage war und ich mich auch nicht gut dabei fühlte, das jetzt hinter Austins Rücken zu machen, aber ich vertraute Boris irgendwie. Wieso sollte ich es auch nicht tun? Er half mir immerhin ohne eine Gegenleistung zu verlangen. Und er war Austins bester Freund. Er war vertrauenswürdig.

Erst, als wir das Haus verließen, begann er mit der weiterführenden Erklärung. „Charlie hat mir die Infos gegeben, die ich brauchte, aber leider waren die mehr enttäuschend als hilfreich. Aber ich habe im Traum in die Zukunft gesehen und da kannst du laufen und Charlie und ich feiern meinen 200sten Geburtstag. Das heißt, egal, welche Risiken es mit sich bringt, es lohnt sich, unsere Wünsche zu äußern."

Ich fragte ihn mehr als verwirrt, wie er denn in die Zukunft sehen konnte und er erklärte mir, dass es eine Art Superkraft war. Klar beeindruckte mich das sehr und es brachte mich auch dazu, noch aufgeregter zu werden.

„Und was müssen wir jetzt tun?", wollte ich von Boris wissen, da ich mir nicht vorstellen konnte, dass es so einfach war.

Boris brachte mich in einen Wald und, als der Boden ziemlich uneben wurde, ließ ich ihn mich sogar schieben. Wie gesagt, ich vertraute ihm. Und wenn alles so lief wie geplant, dann würde ich nicht mehr lange in diesen verkackten Rollstuhl sitzen müssen.

Als wir einen Platz erreicht hatten, der im Gegensatz zu vielen anderen sehr gut vom Mondlicht beleuchtet wurde, hielt Boris an und packte verschiedene Dinge aus seinem Rucksack, während er mit mir redete. „Also Raphael kommt gleich. Ohne ihn funktionier das nicht. Er ist sowas wie eine Wunschmaschine. Man äußert den Wunsch und er kann ihn erfüllten, aber wir müssen ihn genau aussprechen, ohne Schlupflöcher und Möglichkeiten zur falschen Interpretation, sonst geht etwas gewaltig schief. Und wir müssen etwas Opfern"

Okay, nein, es war doch nicht so einfach. Es wurde kompliziert. Und verdammt gruselig. Aber ganz ehrlich, ich war mitten in der Nacht im finsterten Wald, es gab nichts, das grusliger war. Naja, außer Boris' Oma, wenn sie einen im Visier hatte...

„Was soll das sein?", fragte ich die Opferung betreffend, zog mir die Decke über meinen Beinen zurecht, weile es ziemlich kalt war.

„Lebenssaft", meinte Boris konzentriert.

Ich zog in meinem Unverständnis die Augenbrauen zusammen.

„Blut", erklärte Boris deshalb.

„Oh okay" Ergab ja irgendwie Sinn, auf eine verdrehte Horror-Film-Weise.

Diese Atmosphäre wurde noch mehr verstärkt, als ich ein Rascheln hörte. Wenn jetzt ein kranker Killer zwischen den Bäumen hervorkommen würde, wäre ich nicht mal überrascht... Zum Glück hatte ich Boris dabei, der konnte ihn dann solange zu labern, bis er entweder einschlief oder abhaute, weil er Angst hatte, den Verstand komplett zu verlieren.

Es war aber nur Raphael, der durch die leisen Geräusche zu uns stieß.
„Erklärst du mir nochmal, wieso das mitten in der Nacht sein muss? Oder willst du es einfach nur möglichst dramatisch?", meinte Raphael leicht verwirrt zu Boris, als er zu uns schlenderte wie bei einem lockeren Sommerspaziergang.

Ich wollte auch wieder so locker durch die Gegend laufen können wie er.

Boris deutete zum Himmel. „Der Vollmond soll helfen, dass die Wünsche rein bleiben. Stand so in den Aufzeichnungen"

Ich zog nur die Augenbrauen hoch, so verwirrend das auch klang und ließ Boris machen. Er schien ja ziemlich sicher zu sein, in dem, was er da tat, auch wenn er ein bisschen wirkte wie ein verrückter Wissenschaftler.

„Dir ist aber klar, dass es ziemlich auffällig sein wird, wenn Jaylin plötzlich laufen kann, oder?" Raphael klang kritisch, als er sich weiter mit Boris unterhielt, sah mich aber entschuldigend an.

Er hatte ja Recht, deshalb zuckte ich nur mit den Schultern.

„Dann kann er es ja schon, der Rest ist egal."

„Charlie wird rasen vor Wut", machte Raphael weiter.
Er wirkte gerade ein bisschen wie eine Gebrauchsanweisung, die auf die Risiken hinweisen wollte. Und Boris war der Typ, der die Gebrauchsanweisung einfach in den Müll warf, ohne ihr Beachtung zu schenken...

„Soll er halt. Wenn alles nach Plan läuft, bin ich dann schon unsterblich, dann sagen wir einfach, ich hab euch dazu gezwungen mitzumachen, dann liegt die Schuld bei mir, aber mir kann keiner mehr was anhaben..."

„Ja gut, aber..."

„Schhh", unterbrach Boris Raphael bei seinem weiteren Versuch, Warnungen auszusprechen. „...deine negative Energie macht mich ganz kirre"

Ja klar, nur die Energie... nicht die Tatsache, dass er vielleicht recht hatte.

Um mir nicht weiter darüber Gedanken zu machen, wandte ich mich auch mal an Boris. „Und wie soll das jetzt funktionieren?"

„Also zu aller erst muss Blut vergossen werden, von der Person, die der Wunsch betrifft. So war das damals bei Raphael auch..."

Ich sah den Genannten an. „Was für einen Wunsch hast du denn schon erfüllt?"

Er sah auf den Boden, als sei ihm das unangenehm. „Das ist... kompliziert"

Und nicht hilfreich!

„Hör zu, Raphael...", meinte ich seufzend. „... Das hier ist echt eine große Sache für mich. Also muss ich auch wissen, ob das funktioniert..."

Raphael hob den Blick, sah mich an. Er musterte mich kurz, ehe er nickte, die Hände in die Hosentaschen schob und die Schultern leicht hochzog, als wolle er sich zurückziehen. „Vor ein bisschen mehr als 5 Jahren da... Da hat Silas mich umgebracht. Ich war tot. Aber nach ein paar Stunden war ich wieder am Leben. Wir konnten uns nie erklären, wieso, bis Silas und Boris in den Jägerschriften gelesen haben. Silas hat mir die betreffenden Notizen mitgebracht, weil er fand, das passte zu unserer Situation. Wir hatten zwar nicht die gleichen Aufzeichnungen wie Boris, aber ähnliche. Und nachdem Charlie dann letztens erzählt hat, was er weiß, wussten wir, dass ich nur wegen einem Wunsch, mich wieder am Leben zu haben, auferstanden bin. Weil mein Körper und meine Seele zwar schon tot waren, aber die Macht in mir zu stark war, um sich einfach aufzulösen, deshalb hat sie noch funktioniert. Wir wussten nicht, welcher Wunsch es war, der mich zurück gebracht hat, aber, als ich mich daran erinnert habe, was alles so passiert ist, nachdem ich auferstanden bin, wusste ich, dass es Charlies Wunsch war. Er war komplett verzweifelt, er hat geweint und immer wieder wiederholt, dass er nichts lieber will als mich wieder am Leben zu haben" Raphael lächelte leicht, zuckte mit den Schultern. „Tja und dann war ich wieder da"

Ich sah ihn geschockt an, wartete auf die Kameras und das haha verarscht, aber es kam nicht.

Es sollte mich nicht schocken, da ich ja wusste, dass es sowas wie Wiedergeburten gab, doch die Tatsache, dass er nicht auferstanden war, weil er zu einem Vampir geworden war, sondern aus dem reinen Willen einer Person heraus, schockierte mich. Erst jetzt realisierte ich, wie unglaublich stark ein Wille sein konnte, wie mächtig ein einziger Wunsch. Doch es war nicht nur der Wunsch, es war die Mischung, die zur Äußerung des Wunsches geführt hat.

„Also", meinte Boris. „Wir brauchen ehrliche Tränen, vergossenes Blut von dem, den der Wunsch betrifft, und eine genaue Formulierung des Wunsches."

Ich nickte verstehend. „Seid ihr euch sicher, dass das klappen wird?"

Ich sah sie forschend an, vor allem Raphael, der nicht wirklich überzeugt aussah und dann Boris, der energisch nickte. „Natürlich wird das klappen. Das ist wie mit Einhörnern, man muss nur daran glauben"

Ich rieb mir mit der Hand über das Gesicht. Es war mitten in der Nacht, ich war im tiefsten Wald und das nur, weil ich einem Verrückten vertraute. Na super.

„Wer fängt an?", fragte ich.

Boris zuckte mit den Schultern. „Der, der als erstes zu heulen anfängt."

Er setzte sich auf die Decke, die er ausgebreitet hatte und sah angestrengt aus, als wolle er Tränen hervor drücken. Raphael setzte sich seufzend neben ihn und wartete.
Genau wie ich.

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