45. Jaylin: Erinnerungen
„Ich weiß nicht, ob ich das wirklich will", meinte Austin kritisch.
Er sah auf das Mädchen vor sich und rutschte wohl unterbewusst etwas weiter an mich heran.
Nachdem ich allen Bescheid gegeben hatte, dass es Austin wieder gut ging und seine Freunde sich dessen versichert hatten, wollten wir nun herausfinden, was denn überhaupt genau passiert war. Das stellte sich aber als problematisch heraus, da Austin sich nicht mehr daran erinnern konnte.
Boris hatte dann seine Schwester Alica, die angeblich in die Erinnerungen einer Person und ihre Vergangenheit sehen konnte, aufgrund ihrer Jägerkräfte. Sie und ihre Freundin Amy waren nun hier. Nachdem alle sich erfreut und emotional begrüßt hatten und ich vorgestellt worden war, konnten wir uns dem Grund für den wichtigen Besuch widmen. Austin und seinen Erinnerungen. Alica konnte wohl nun, nachdem sie sich mit Amy verbunden hatte, in dem Verstand einer Person gezielt nach den Ereignissen suchen, die sie finden wollte, aber genau das war es, was Austin missfiel.
„Keine Sorge, ich habe geübt. Ich kann mich nur auf die Erinnerungen konzentrieren, die ich suche, wenn du mir sagt, wann genau es passiert ist"
„Aber vielleicht will ich es gar nicht mehr wissen", meinte Austin ablehnend. „Mir geht's wieder gut, das ist doch das Einzige, was zählt."
Alle waren anwesend, sogar Boris' gruselige alte Oma, die einen echt intensiv ansehen konnte, sodass man das Gefühl hatte, sie schaute einem direkt in die Seele.
Boris' schweres Seufzen erinnerte mich daran, dass ich die Alte nicht so anstarren sollte, wenn ich das nicht von ihr zurückbekommen wollte, also wandte ich meine Aufmerksamkeit wieder dem Hauptproblem zu; Austins Unsicherheit.
„Sweetie, es kann doch jederzeit wieder passieren, wenn wir nicht wissen, wer es war. Das ist nur zu deinem besten. Oder willst du das nächste Mal echt verbluten?" Er sah Austin leicht herausfordernd an, aber auch einfühlsam.
Fragt meine tote Oma Tatjana, wie er das hinbekam, das konnte nur ein himmlisches Wesen wissen...
Doch trotzdem schien es keine Wirkung zu zeigen, denn Austin schüttelte in unveränderter Gefühlslage den Kopf. „Mir ist einfach nicht wohl dabei, dass jemand in meinem Kopf herum stochert"
„Bei deinem Arsch hast du doch auch nichts dagegen", argumentierte Boris.
Ich klatschte mir mit der Hand auf die Stirn. „Das ist nicht hilfreich, man"
Danach wandte ich mich an Austin, indem ich seine Hand nahm und sie zu mir zog. „Da draußen ist irgendwer, der dich tot sehen will, Austin. Wir werden nicht mehr unsere Ruhe haben, bis wir wissen, wer es ist und wir die Person aus dem Weg geräumt haben. Wir wollen doch glücklich werden oder?"
Er nickte schnell.
„Das können wir aber nicht, wenn wir nicht die Gewissheit haben, dass du sicher bist und es keiner mehr auf dich abgesehen hat."
Austin seufzte. „Du bist viel zu vernünftig für dein Alter"
Somit kapitulierte er, küsste mir die Wange und ich ließ seine Hand los, damit Alica ihr Werk vollbringen konnte.
Sie lächelte mich genauso aufmunternd an wie Austin, denn auch ich hatte Angst, nur wollte ich es nicht zugeben, um Austin eine Stütze sein zu können.
Aber was, wenn der Täter jemand war, den wir kannten? Jemand, den Austin von früher kannte? Vielleicht war es die Person, die ihn schon mal ermordet hatte? Vielleicht war es auch nur ein Straßenpenner gewesen, der ihn hatte ausrauben wollen?
Im Grunde war mir gar nicht so wichtig, wer das getan hatte. Für mich zählte, dass die Person mein Baby verletzt hatte und es war mir scheißegal, ob ich ein behinderter Krüppel war, ich wollte beschützen, was mir am Herzen lag.
Alica legte ihre Hände auf Austins Wangen und sah ihm tief in die Augen. Ihre Geister schienen wie zu verschmelzen, während der Blickkontakt immer intensiver wurde.
Es dauerte eine kurze Zeit, bis Alica zu sprechen begann. Es waren keine ganzen Sätze, nur Bruchteile davon, aber ich verstand, dass es sich um Fetzen eines Gespräches handelte.
„Elijah...
Ich bin Austin...
Aber du warst Elijah. Und schon den habe ich gehasst....
Wer bist du?...
Einer deiner vielen Ex Liebhaber, schätze ich...
Toll und was willst du jetzt von mir?...
Die Rache, die ich damals nicht bekommen habe...
Rache wofür?...
Dafür, dass du mich nur als billigen Fick ausgenutzt hast, als wäre ich nur da, damit es dir gut geht. Aber ich hatte auch Gefühle okay?... Ich habe dich geliebt aber du hattet ja immer nur Augen für deinen Jeremy. Ganz ehrlich, ich bereue es, dich nicht damals schon getötet zu haben. Dafür kann ich es jetzt tun..."
Alica verstummte, ihre Mimik zuckte wild, so als würden die Bilder vor ihrem Auge schnell wechseln, ehe sie weiter sprach.
„Du kannst mir nichts tun, du bist nur ein Mensch. Gib einfach auf und geh nachhause. Mein Tag war schon scheiße genug, um mich von so einer Zicke wie dir anpöpeln zu lassen...
Ich bin aber nicht allein...
Ahh!"
Alica schrie, als würde sie einen unglaublichen Schmerz spüren und sackte zusammen.
Im selben Moment kippte auch Austin zurück.
Beide blieben einen Moment regungslos liegen, ehe sie verschlafen blinzelten und sich langsam aufrichteten.
Ich musterte Austin besorgt und griff nach ihm, um ihm ein bisschen Halt zu geben, was ganz gut klappte, da ich neben ihm auf dem Sofa saß und er sich somit leicht an mich lehnen konnte, um seine Verwirrung loszuwerden.
„Es waren 2 Männer", sagte Alica ruhig, aber merklich geschafft. „Du kennst sie aus deinem früheren Leben. Der eine hat dich bewusst abgelenkt und angegriffen, bis der Andere auf dich eingestochen hat. Du bist eine Brücke runtergefallen und weil eine Straße darunter war, sind die Männer abgehauen. Sie waren Ende 30, einer könnte auch Mitte 40 gewesen sein. Sie haben beide sehr wütend ausgesehen, aber irgendwie auch verletzt. Ich denke, ich könnte sie wiedererkennen..."
Austin schien noch etwas neben der Spur zu sein, weshalb ich seine Hand nahm und sie bestärkend drückte.
„Und wie finden wir die jetzt?", fragte Raphael in die ahnungslose Runde.
„Ich weiß es", meinte ich nachdenklich.
Alle sahen mich überrascht an und, weil ich diese Aufmerksamkeit nicht gebrauchen konnte, sprach ich schnell. „Wenn sie ihn von früher kennen und meinen Dad auch, waren sie vielleicht mit ihm auf der Schule. Die Fotos gibt's im Internet."
Zuerst sahen mich alle an wie ein paar Autos, ehe sie den Schulnamen und Abschlussjahrgang wissen wollten und an ihren Handys wild drauf lostippten
Während das passierte, kümmerte ich mich um Austin.
„Hei, alles ist gut" Ich drehte seinen Kopf zu mir.
Den Blick, den er da grade hatte, kannte ich gar nicht.
Ich konnte mir vorstellen, dass es sehr schwer für ihn war, sich plötzlich wieder daran zu erinnern, was ihm angetan wurde. Ich wollte ihm helfen.
„Es... Es waren keine Vampire, Jay. Keine Jäger... Es waren einfach nur... nur Menschen" Er wirkte ungläubig über diesen Umstand, verwirrt.
„Sie waren zu zweit und sie haben dich überrascht", argumentierte ich.
Er schüttelte den Kopf. „Ich hätte mich nicht überraschen lassen sollen. Ich war nicht bei der Sache. Ich war unkonzentriert, das war mein Fehler. Ich hätte die beiden schon lange riechen oder ihre Herzschläge hören sollen. Aber es war mir egal" Er sah mich leicht verzweifelt an, und hielt sich an meinem Arm fest. „Es war mir egal, weil ich dachte, dass ich dir egal bin."
„Das bist du nicht", versicherte ich ihm schnell, fast schon panisch und auch irgendwie gerührt von seinen Worten.
„Das weiß ich", hauchte er nickend. „Jetzt weiß ich es"
Sein Blick änderte sich zu unsicherer Freude.
In diesem Moment war es mir einfach egal, dass all seine Freunde und Familie hier waren, ich wollte ihn einfach nur küssen und das tat ich, indem ich seinen Kopf zu mir zog und seine Lippen mit meinen empfing.
Könnte ich, würde ich einfach aufstehen, ihn packen, mit hoch in ein Zimmer zerren und ihm meine Liebe auch anders beweisen. Aber ich musste hier sitzen bleiben und konnte nichts tun, als ihn mit all meiner Leidenschaft zu küssen.
Weil er voll mitmachte, wusste ich, dass meine Aktion ihm zu gefallen schien und konnte es umso besser genießen.
Solange, bis wir ein Räuspern hörten, voneinander wichen und uns ertappt umsahen.
Alle Blicke lagen auf uns.
Ich merkte schlagartig, wie ich rot wurde und sah dasselbe Erscheinen auf Austins Wangen.
Er grinste mich leicht an und rieb sich verlegen den Nacken, als er dann zu seinen Freunden sah. „Ehm ja also falls ihr es noch nicht mitbekommen habt; Jay und ich sind jetzt zusammen"
Als er mich kurz unsicher ansah, nickte ich bestätigend und glücklich.
Zumindest hatte ich jetzt die Gewissheit.
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