33. Boris: Wahrheit
„Und?" Erwartungsvoll sah Charlie mich an.
Ich seufzte, ging zu ihm rüber.
Er saß auf dem Sessel in unserem Zimmer und legte sein Buch weg, als ich mich auf seinen Schoss setzte.
„Ich denke, das wird schon wieder. Die beiden mögen sich. Wenn sie das begreifen, kann es nur besser werden"
Charlie nickte verstehend und zog mich ganz nah an sich heran.
Er hatte durch sein Gehör vorhin mitbekommen, was ich mit Austin besprochen hatte und wusste daher auch, dass er mit Jay geschlafen hatte.
„Ich sollte ihm dafür so richtig wehtun, damit er lernt, dass er auf mich hören soll", meinte Charlie.
Ich seufzte. „Er wollte nur dem Jungen helfen, den er liebt, Charlie. Wenn dir jemand verbieten würde, mir zu helfen, würdest du da auch einen Scheiß drauf geben"
„Das ist was anders", sagte Charlie, als er über meinen Oberschenkel streichelte. „Ich hab die Erfahrung, um das Recht zu haben, darauf zu bestehen, dass ihr mir einfach vertrauen sollt. Ich meine, ich wusste ja, dass das nicht gut gehen wird, wenn Austin versucht, Jaylin zu heilen. Er hätte sich den ganzen Herzschmerz, den er jetzt hat, erspart, wenn er auf mich gehört hätte"
„Hätte hätte Fahrradkette, mein Schatz"
Ich küsste ihn, damit er sich nicht in Rage redete und schmiegte mich an ihn.
Seufzend schloss er seine Arme enger um mich und drückte mir die Lippen auf die Stirn.
Es war alles perfekt zwischen uns, so friedlich, aber ich musste das jetzt leider ausnutzen, wenn ich schon mal so eine Gelegenheit hatte.
„Sag mal, Charlie" Meine Stimme klang nachdenklich und er fragte mit einem „Mhm?", was ich wollte.
Ich atmete tief durch und malte Kreise auf seine Brust. „Du lebst ja schon so lange... Du hast bestimmt Mal von etwas gehört, das einen heilen kann oder? Ich meine, ich weiß, wenn Austins Blut es nicht kann, dann kann es vermutlich gar nichts, aber vielleicht gibt es ja irgendetwas, das es doch schaffen könnte, wenn man es sich wünscht zum Beispiel..."
„Nein ich weiß von nichts", meinte Charlie ahnungslos.
Ich wusste genau, dass er etwas über die Quelle wusste. Ich hatte Informationen darüber in alten Jägerbüchern gefunden, in denen auch geschrieben stand, dass beide, sowohl Jäger als auch Vampire seit Jahrhunderten nach der Quelle suchten, um die Möglichkeit, sich etwas zu wünschen auszunutzen, um die andere Rasse zu vernichten. Mir war klar, dass die Erfüllung des Willens kein Einfaches war, aber solange es nicht in die falschen Hände geriet... Bei Charlie waren die Informationen gut aufgehoben - Dass er nicht mal mir etwas anvertraute, bewies das.
„Du hast also keine Ahnung?", fragte ich nochmal nach.
„Nein"
Obwohl das bewies, wie vertrauenswürdig er war, verletzte es mich sehr. Er log mich hier an. Und wüsste ich nicht die Wahrheit, würde ich ihm glauben. Aber diese Sache lag mir echt am Herzen und ich ließ mich nicht mit seinen Lügen vertrösten.
„Das ist seltsam", meinte ich, während ich mich leicht aufrichtete, um ihn ansehen zu können.
In seinem Blick erkannte ich sein Unwohlsein über dieses Thema, dass er gar keinen Spaß dabei hatte, mich zu belügen und es sehr ungern tat.
Aber ich konnte darauf keine Rücksicht nehmen.
„Weißt du, ich hab in den alten Aufzeichnungen der Jäger eine Legende über eine Energiequelle gefunden, die einem die Wünsche erfüllt"
Charlie schüttelte den Kopf. „Das kann ich mir nicht vorstellen"
Meine Hand verkrampfte. „Charles, ich weiß, dass du davon weißt, lüg mich bitte nicht an"
Er schüttelte vehement den Kopf. „Es gibt keine Energiequelle, die Wünsche erfüllt."
Er sagte das mit so einer Überzeugung, dass ich ihm wirklich gerne glauben wollte. Aber es ging hier um etwas sehr Wichtiges.
Ich stand auf, weshalb er sich ebenfalls erhob. Toll, jetzt war ich auf noch kleiner als er.
Ich wollte wieder etwas sagen, aber er unterbrach mich. „Boris, du hast da was falsch verstanden. Das, wovon du redest, existiert nicht"
„Willst du mich jetzt ernsthaft für dumm verkaufen?", fragte ich gereizt.
„Nein, natürlich nicht" Schnell griff er nach meinen Händen, zog mich zu sich, sorgte dafür, dass meine Hände auf seinen Schultern lagen und legte seine auf meinen unten Rücken. Und ich? Ich liebte ihn einfach zu sehr, um ihn wegzuschieben.
„Ich weiß, worauf du anspielst. Aber es ist keine Energiequelle, die Wünsche erfüllt. Es ist viel mehr als das und es fordert einen Preis, den du nicht bezahlen kannst"
„Ich bin reich.", erinnerte ich ihn.
Ja, verdammt, ich war so reich, dass ich ernsthaft darüber nachgedacht hatte, Charlie und mir eine scheiß Insel zu kaufen!
Charlie seufzte. „Es ist kein Materieller Preis. Und die Ergebnisse sind niemals die, die man erwartet. Ich weiß, wieso du Hoffnung in diese Quelle setzt, aber vertrau mir, wenn ich dir sage, das ist nicht die Lösung"
Meine Finger krallten sich in seine Schultern, ich sah ihn verzweifelt an. „Was soll es dann sein? Charlie, das ist meine letzte Hoffnung. Bitte hilf mir"
Er sah mich leidend an, ließ die Stirn an meine sinken. „Ich kann nicht, mein Kleiner. Es geht einfach nicht"
„Bitte", hauchte ich, flehte ich, den Tränen nahe.
Er schüttelte den Kopf.
In diesem Moment begriff ich, dass er es nicht sagen würde. Egal, was ich tat, egal ob ich gerade kurz vor einem Tränenausbruch war. Und das war ich.
Wenn ich ehrlich war, war diese Quelle zu finden, das einzige Ziel, das ich noch hatte, seit ich davon wusste.
Warum? Aus demselben Grund, weshalb ich diese alten, staubigen Bücher überhaupt durchgelesen hatte.
Ich suchte nach etwas, das mir helfen konnte, mit dem Altern aufzuhören. Aber ich fand es nicht. Und Charlie verwehrte mir die einzige Möglichkeit, die ich hatte.
Ich drückte ihn von mir weg.
Er hielt dagegen, wollte mich nicht loslassen, aber er tat es, weil er mich auch zu nichts zwingen wollte. Eigentlich wollte ich etwas zu ihm sagen, aber ich konnte gerade einfach nicht. Meine Tränen schnürten mir die Kehle zu.
Der einzige Grund dafür war Charlie.
Mir rannte die Zeit davon, während seine für immer stehen blieb und ich konnte den Gedanken nicht ertragen, eines Tages als alter Mann zu sterben, während er mit dem Aussehen jemandes, der mein Enkel sein könnte, an meinem Sterbebett saß.
Mit jeder Sekunde, die verging, wurde ich älter und älter, ich würde Falten bekommen, grau werden und hässlich.
Charlie liebte mich nicht für mein Aussehen, das wusste ich, aber es fühlte sich einfach falsch an, dass er für immer er bleiben würde und ich immer älter wurde.
Ich hasste die Vorstellung, dass er mir mit 70 immer noch sagte, wie schön er mich fand, weil es gelogen wäre. Vielleicht würde er mich ja noch schön finden, aber ich mich nicht mehr.
Ich konnte nicht mit ihm zusammen sein, wenn ich mich selbst nicht leiden konnte.
Und wenn er mir nicht helfen wollte, musste ich alleine einen Weg finden, klar zukommen.
Wir sahen uns einfach stumm an, bis ich den Blick aus seinem losriss, zum Schrank ging und meine Sachen in eine Tasche packte.
„Was soll das denn jetzt werden?", fragte Charlie mich verwirrt, als er mit folgte.
Ich antwortete nicht, sondern packte weiter. Nur das Nötigste.
„Hei" Er fing meine Hand ab, als ich gerade nach meinen Stapel Shirts griff, und hielt mich am Handgelenk fest. Sehr fest.
Ich versuchte mich loszureißen, aber Charlie war einfach stärker als ich.
„Du tust mir weh!", presste ich hervor.
Er hörte nicht auf, sondern presste mich an seinen Brustkorb.
„Was soll das werden?!" Er klang sehr wütend und er sah auch so aus, obwohl er eigentlich nur Angst im Blick hatte. Und Reue.
Ich versuchte mich aus einem Griff zu befreien, erfolglos.
„Antworte!", knurrte er in einer viel zu tiefen Stimme.
Ich hielt abrupt still.
In dieser Stimme sprach er nur, wenn er kurz davor war, komplett seiner animalischen Seite zu verfallen.
Wie zu einem Eisbrocken erstarrt, sah ich zu ihm hoch.
Er riss sich merklich zusammen, aber viel half das nicht.
Eine Weile starrte er mich mit diesem komplett durchgeknallten Blick an, so als würde er gleich in mein Gesicht beißen und es zerfetzen, ehe er sich wieder abreagierte, tief seufzte und etwas lockerer ließ. „Antworte bitte"
Ich nutzte die Lockerung seiner Arme, um mich raus zuschieben.
Wenn er mich berührte, konnte ich ihm das nicht sagen.
„Ich ziehe aus", verkündete ich.
Er lachte unsicher. „Nein, tust du nicht"
Er nahm sich meine Tasche und räumte die Sachen mehr als unordentlich wieder in den Schrank ein, was ziemlich paradox war, wenn man mal bedachte, dass er mich sonst immer dazu zwang, vor allem im Schrank und in seinem Zimmer Ordnung zu halten.
„Charlie!" Ich sprang an seinem Rücken auf und ab und wollte um ihn herum zu meinen Sachen gelangen, aber er war so breit, dass ich nicht durchkam.
Als er fertig war, verstaute er die Tasche sorgfältig und schloss dann den Schrank hinter sich, ehe er sich davor stellte und zwar so, dass ich ihn nicht öffnen konnte.
„Das ist doch jetzt echt kindisch", beschwerte ich mich, versuchte, ihn wegzuschieben.
Naja, das konnte ich lange versuchen, es würde nicht klappen.
Charlie war unnachgiebig.
„Du bist kindisch. Du gehörst zu mir, das weißt du. Nur, weil du deinen Willen nicht bekommst, kannst du nicht einfach abhauen."
Ich schüttelte den Kopf und drückte meinen Finger in seine Brust. „Nur, weil ich zu dir gehöre, will ich gehen."
Nah ging ich an ihn heran, starrte ihm in die Augen. „Du hast mir versprochen, dass du mich liebst, dass wir für immer zusammen sein werden und dass du alles für mich tun wirst. Aber es waren alles lügen."
Er schüttelte den Kopf, wollte widersprechen, aber ich ließ ihn nicht. „Du weißt genau, was ich will. Und du hast die Macht, es mir zu geben. Aber du liebst mich nicht genug, um meinen Wunsch zu respektieren und deshalb werde ich gehen. Wenn du nicht für immer mit mir zusammen sein willst, will ich es gar nicht. Ich habe, wenn es gut läuft, noch 60 Jahre. Die will ich nicht für was Bedeutungsloses und leere Worte wegwerfen" Ich kniff die Augen zusammen, während ich ihn ansah und den Schock in seinem Blick erkannte.
„Du kannst mich nicht verlassen", hauchte er.
„Das wirst du schon sehen" Mit diesen Worten drehte ich mich um und ging aus dem Raum.
Sobald ich den Flur betrat, folgte Charlie mir und hielt mich fest. „Bitte geh nicht. Ich will doch dein Leben mit dir verbringen"
Ich drückte ihn weg und ging weiter. „Ich will mein Leben auch mit dir verbringen, aber nicht, wenn es irgendwann endet. Ich will jemanden, der mich wirklich liebt und niemanden, der das nur behauptet, um an mein Blut zu kommen"
Ich trampelte schnell die Treppen runter, er mir hinterher.
„Boris, ich liebe dich doch!", rief er.
„Aber nicht genug!", brüllte ich zurück.
Dass Raphael und Silas im Wohnzimmer saßen und zu uns spähten, ignorierte ich. Es war mir egal, sowie alles andere auch.
„Wieso reicht dir ein menschliches Leben mit mir nicht aus?", fragte Charlie mich verletzt, als ich meine Schuhe anzog.
Ich schnaubte, stellte mich auf, um ihn anzusehen. „Weil wir so viel mehr haben könnten, wenn du einfach ehrlich zu mir wärst. Wir könnten die Ewigkeit zusammen haben. Aber du verwehrst sie mir. Du hast keine Ahnung, wie das alles für mich ist. Charlie, ich bin biologisch 3 Jahre älter als du. Das fühlt sich schon nicht gut an. Was ist in 10 Jahren? Man wird sehen, dass ich älter bin, man wird sich denken, was du nur von mir willst, dass du so viel besseres verdient hast und das hast du. Ich will nicht, dass ich alt und schwach werde und du dich dann um mich kümmern musst..."
„Es dauert doch noch bis es soweit ist"
„Nein, Charlie, das ist genau jetzt. Weil du in diesem Moment die Wahl hast, ob es jemals so weit kommen wird. Also entschiede dich. Entweder du verbringst die Ewigkeit mit mir oder keine einzige weitere Sekunde"
Er schüttelte den Kopf. „Das kannst du mir nicht antun. Boris, das ist alles Schwachsinn, ich werde dich immer lieben..."
„Dann beweis es doch endlich!"
Ich schrie ihn an, ja okay, aber das war nun mal ein sehr emotionaler Moment für mich.
„Ich werde nicht dafür sorgen, dass du unsterblich wirst. Du willst das doch gar nicht wirklich..."
„Nein!" schrie ich. „Die Unsterblichkeit ist mir egal, das einzige, was ich will, ist mit dir glücklich zu sein!"
„Dann bleib bei mir!"
Ich schüttelte den Kopf und wehrte seine Hand ab, als er sie mir auf die Wange legen wollte.
„Ich liebe dich, Charlie", sagte ich mit einer wahnsinnigen Traurigkeit in der Stimme. „Und deswegen werde ich gehen."
Ich sah, wie er seine Tränen zurückdrängte.
Er wollte etwas sagen, doch ich unterbrach ihn.
„Du kannst entscheiden, ob wir für immer zusammen sein werden oder gar nicht. Aber lass dir nicht zu lange Zeit, denn ich habe sie nicht"
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