15. Austin: Tattoos
Eine Weile sah Jaylin Boris stumm an und ich stand daneben und fühlte mich mal wieder überflüssig.
Ich hätte Jay diese Worte sagen sollen, aber nein, Boris hatte wohl gerade seine Erwachsenen 5 Minuten.
Als Jay den Blick von Boris los riss, befürchtete ich, er würde mir jetzt sagen, dass er doch nachhause wollte und bereitete mich schon auf die Enttäuschung vor.
Umso größer, war die Freude, als sein Blick sich vom Boden hoch in meine Augen richtete und er ergeben seufzte. „Austin, würdest du mich bitte..."Es fiel ihm schwer, das sah man ihm an. „Würdest du mich bitte die Treppen hochtragen?"
Ich freute mich irgendwie, dass er es letztendlich doch hin bekam und ging wieder zu ihm.
Als ich mich diesmal zu ihm runterbeugte, um unter seine Kniekehlen und an seinen Rücken zu fassen und ihn somit im Brautstyle zu tragen, wehrte er sich nicht.
Er hatte wohl Angst, ich würde ihn fallen lassen, denn er schlang die Arme fest um meinen Nacken.
„Danke, Boris. Du bist ganz okay", meinte Jay zu ihm.
Er grinste. „Einmal im Leben muss ich auch mal was für andere machen. Da ich das hiermit getan habe, habe ich meine Lebensaufgabe erfüllt und kann mich jetzt voll meinem geilen Ficker widmen"
Unisono machten Jay und ich einen angewiderten Laut.
Boris lachte nur und schlenderte fröhlich mit seinem gewohnt eleganten Hüftschwung den Flur entlang wieder zurück ins Wohnzimmer.
„Dann wollen wir mal" Ich grinste, konnte aber nicht sagen, ob es die Belustigung wegen Boris war oder die Tatsache, dass mir diese gesamte Situation gerade ziemlich gut gefiel.
Jay hielt sich an mir fest, sah dabei ein bisschen ängstlich aus.
Ich lächelte ihn beruhigend an. „Keine Sorge, ich lass dich nicht fallen"
„Mag sein", sagte er misstrauisch. „Aber, wenn du ausrutschst und auf die Fresse fliegst, dann..." Er legte nachdenklich den Kopf schief. „...Naja, so viel kann mir jetzt auch nicht mehr passieren. Wenn dann, dass ich ganz gelähmt wäre."
Ich lief die Treppen vorsichtig hoch und sprach mit ihm, um ihn abzulenken.
Außerdem hörte ich seine Stimme einfach gerne.
„Was hast du eigentlich genau?" Ich sah uns schon auf dem Level, ihn das zu fragen, immerhin ließ er mich ihn gerade tragen und ich war mir sicher, das war eigentlich genauso ein Tabu, wie die Griffe seines Rollstuhls anzufassen.
Er seufzte, die Hand, die er auf meiner Schulter hatte, krallte sich leicht hinein. „Ich hatte einen Motorradunfall und dabei wurden meine Nerven irreparabel geschädigt."
„Scheiße", meinte ich bedauernd.
Er machte einen zustimmenden Laut. „Aber eigentlich bin ich selbst Schuld"
Wow, es überraschte mich, dass er freiwillig darüber redete, deshalb hörte ich ihm sehr interessiert zu.
„...Mir gings an dem Tag eh schon nicht so gut, aber ich Idiot musste ja unbedingt an diesem scheiß Straßenrennen bei Wind und Wetter teilnehmen, weil ich den Schwanz nicht einziehen wollte. Weißt du, meine Eltern haben mir nie wirklich viel erlaubt und als ich volljährig geworden bin, hab ich es als Möglichkeit zur Rebellion gesehen. Irgendwie ironisch, dass sie dadurch jetzt noch mehr Möglichkeit haben, mein Leben zu kontrollieren."
„Sind sie echt so schlimm?", fragte ich.
Wir waren mittlerweile von der Treppe runter und ich trug ihn in mein Zimmer.
Er seufzte, schien sich immer wohler in meinen Armen zu fühlen. Ich hatte das Gefühl, diese körperliche Nähe zwischen uns ließ seine Mauern etwas schwinden. Ob es an diesem Kribbeln lag, das meinen Körper durchflutete, seit ich ihn berührt hatte und ob er dasselbe spürte, wusste ich nicht. Vielleicht war das ja auch gar nicht so wichtig...
„Naja. Ich weiß, dass sie mich lieben und nur das Beste für mich wollen, aber das ändert nichts an ihren Methoden. Irgendwie verstehe ich sie auch. Sie sind ziemlich jung Eltern geworden, aber andererseits kann ich ja nichts dafür, dass Dad sich damals für das falsche Loch entschieden hat, weißt du, was ich meine?"
Ich musste lachen. „Ja, ich weiß, was du meinst. Aber ich bin froh darüber, sonst könnte ich dich jetzt nicht wie meinen Prinzen durch das Haus tragen"
„Toll, dass du das genießt", brummte er beleidigt.
„Hei, zieh nicht so eine Schnute. Dein Lachen ist viel zu schön, um es so zu verstecken wie du das immer machst."
Mit Freude stellte ich fest, dass er leicht rot wurde und ersparte mir den Kommentar darüber, wie unglaublich süß das aussah.
Ich kickte meine Zimmertür mit dem Fuß auf und schlenderte dann hinein, um Jay in meinem Bett abzulegen.
„Danke" Seine Arme lösten sich von meinem Nacken und er lächelte leicht.
„Kein Ding, Mann. Ich helfe dir gerne. Weißt du, Boris hat es damals richtig fertig gemacht, was mit seiner Hand war. Er ist schon beinahe daran zerbrochen, aber ich finde, dass du das gut meistert mit deinen Beinen. Du bist viel stärker als du glaubst"
Wir lächelten uns an, ehe ich die Tiefe dieses Blickkontaktes bemerkte und meinen Blick aus seinem los riss.
„Soll ich dir den Rollstuhl hoch holen? Ich meine, ins Bad und so kann ich dich ja tragen und ansonsten pennen wir ja eh nur"
Er nickte. „Lass ihn unten stehen... Dann muss ich ihn nicht ansehen" Letzteres setzte er leiser hinzu.
Verstehend nickte ich.
Dann ging ich zu meinem Schrank und suchte ihm Schlafsachen raus. „Wie schläfst du?", fragte ich ihn über die Schulter.
Als er „Nackt" sagte, verschluckte ich mich an meiner eigenen Spucke und sah ihn hustend an.
Er lachte. „Nein. Ist bei mir immer unterschiedlich. Manchmal friere ich wie ein Eskimo ohne Iglu und manchmal schwitze ich alles voll. Hat was mit meinem Kreislauf zu tun, meint Chad, weil mein Körper es gewohnt war, viel Sport zu machen und jetzt nur noch rum hockt"
Ich nickte verstehend.
Dann kam mir ein Gedanke, den ich mit ihm teilen wollte, aber ich traute mich nicht. Es würde nur die Stimmung trüben.
„Was liegt dir auf der Zunge?", Fragend legte er den Kopf schief, sah mich auffordernd an.
Toll, er hatte es bemerkt. Ich war echt ein offenes Buch, schrecklich sowas.
Ich seufzte. „Naja, ich finde es einfach nur schade, was dir passiert ist. Ich meine, du bist noch so jung und du wirkst, als hättest du viele Pläne gehabt, die du in deiner jetzigen Situation nicht wirklich in die Tat umsetzen kannst. Du bist so..." Ich suchte nach den richtigen Worten und wurde dabei unter Jays misstrauischem Blick ziemlich nervös.
„... Du hast so viel Potenzial. Du bist unvollendet. Aber trotzdem einfach perfekt. Ich..."
Scheiße, Austin, ist das dein verdammter Ernst?! Reiß dich zusammen!
„Ich meine nur, dass ich ähm... Es tut mir leid, was dir passiert ist"
Nachdem es alles raus war, atmete ich erleichtertet aus. Ich konnte mich selbst dafür verschlagen, was ich da gerade gestammelt hatte und sein kritischer Blick machte es nicht besser.
Ich wollte nur noch im Erdboden versinken und nie wieder hoch kommen. Gott, ich war so ein Idiot. Toll, Austin, du hast dich mal wieder zum Affen gemacht. Ist ja schon lange zur Gewohnheit geworden, mh? Du dumme Evolutionsbremse!
Meine Tiraden gegen mich selbst wurden durch einen einzigen kleinen äußeren Einfluss angehalten. Plötzlich gab es nur noch das Zucken von Jays Mundwinkel für mich, das zu seinem breiten Lächeln wurde.
„Weißt du, sowas ernst gemeintes und zugleich schönes hat mir eigentlich noch nie jemand gesagt."
Ich lächelte ihn unsicher an. „Wenn du willst, überlege ich mir jeden Tag Sachen, um dir zu zeigen, wie toll du bist"
„Klar", stimmte er zu. „Nur, dass du dann morgen schon aus Ideenarmut aufgeben müsstest"
Ich schüttelte den Kopf und ging zu ihm. „Ich wette, ich werde dir bis an dein Lebensende täglich einen Satz sagen können, mit etwas anderem, das an dir bewundernswert ist. Und ab heute fange ich an"
Er zog die Augenbrauen hoch. „Sei vorsichtig, was du wettest. Wenn du verlierst, dann habe ich einen Wunsch frei und du musst alles machen, was ich will"
„Okay", grinsend stimmte ich zu und wir schüttelten uns die Hände, um die Abmachung zu besiegeln.
Kurz fühlte es sich so an, als würde eine Stichflamme in meinen Körper schießen, doch sofort, als er meine Hand losließ, verschwand dieses Gefühl wieder.
Er schien es auch gespürt zu haben, denn er räusperte sich verlegen und riss den Blick aus meinem los.
Ich starrte ihn noch mehr als auffällig an, bis mir auffiel, wie Psycho das auf ihn rüberkommen musste, und mich zwang, zurück zum Kleiderschrank zu gehen, um das Gespräch von vorhin wieder aufzunehmen.
„Also ist dir heute nach schwitzen oder frieren zu Mute?"
„Definitiv schwitzen", kam wie aus der Kanone geschossen.
Ein bisschen musste ich schon grinsen, als ich mir nur ein neues Shirt rausholte und den Schrank wieder schloss.
Beim auf das Bett Zugehen, lief ich aus meiner Hose und kickte sie gekonnt auf meinen Schreibtischstuhl, der bisher noch zu keiner anderen Verwendung gekommen war, wie als Kleiderständer herzuhalten.
Dieser Move musste Jay doch beeindrucken. Er lachte aber nur darüber. „Das sieht ziemlich routiniert aus"
Ich zuckte mit den Schultern, zog mir das Shirt hoch, um es zu meiner Jeans auf den Schreibtisch zu werfen.
Spontan entschloss ich mich dann dazu, mir doch kein Shirt zum Schlafen anzuziehen, weil mir Jays Blick so gefiel, der gerade auf mir lag.
Er starrte mich an, das war mir klar, aber ich tat so, als merkte ich es nicht, während ich zu ihm ging.
Er lag im Bett, stützte sich auf den Ellbogen ab, um etwas mehr sehen zu können und sah zu mir hoch. Doch dabei starrte er nur auf meine Hüfte. Oh das Tattoo! Ich hatte geglaubt, er starrte meine Konstitution so fasziniert an. Schade irgendwie...
„Was bedeutet es?" Er hob die Hand, als wollte er es nachfahren, doch, bevor er meine Haut berührte, ließ er sie wieder sinken, was einen Funken Enttäuschung in mir zündete.
„Sieh es dir an", meinte ich und fuhr die Triskele neben meiner linken V-Linie selbst nach, um ihm zu zeigen, was ich meinte. „Es ist doch immer irgendwie Bewegung drin oder? Es läuft alles irgendwie zusammen, aber geht auch seinen eigenen Weg. Es hat nicht wirklich einen Anfang und auch kein Ende. Es ist wie das Leben"
Jaylins Blick huschte hoch in meine Augen. „Das ist wunderschön, Austin. Ich hatte keine Ahnung, dass sowas in dir steckt"
Ich lächelte. „Es gibt noch so vieles an mir, das du kennen lernen kannst. Und damit meine ich nicht nur das Tattoo, das noch vom Stoff verdeckt wird"
Er hob die Augenbrauen hoch, da ich nur Boxer trug und ich grinste verschmitzt.
Einen Moment lang sahen wir uns einfach an, ehe er meinte: „Ich habe auch ein Tattoo"
„Echt?" Überrascht hoben sich meine Augenbrauen.
Er nickte und ließ sich im Bett zurücksinken. „Wo?"
Er grinste und richtete sich weiter auf, um sich das Shirt auszuziehen.
Wow.
Wenn ich bisher geglaubt hatte, jemals Schönheit begegnet zu sein, wurde ich nun eines besseren belehrt.
Jaylin legte einen Arm unter den Kopf und drehte sich leicht, damit ich sein Tattoo besser sehen konnte. Es zog sich über die komplette rechte Seite seines Oberkörpers und war ein überdimensionaler Notenschlüssel, der mit rot und schwarz total cool eingefärbt war. Es sah aus wie ein Tag an einer Mauer und ich beherrschte mich, nicht darüber zu streichen. Dafür musste ich fragen.
„Darf ich... mal anfassen?" Unsicher sah ich ihn an.
Er grinste und nickte. „Tu dir keinen Zwang an"
Ich setzte mich neben ihn auf die Bettkante und bewegte vorsichtig meine Hand zu seinem Oberkörper. Als er mein Zögern bemerkte, kurz bevor ich angekommen war und gerade dabei war, meine Hand wieder zurückzuziehen, griff er nach meinem Handgelenk und legte meine Hand auf seine Seite. Da war sie wieder, diese Wärme, wenn ich ihn berührte.
Er sah mich lächelnd an und ich erwiderte es, ehe ich wieder zu seinem Tattoo sah und fasziniert darüber strich.
„Wow, das ist echt wahnsinnig cool"
„Fanden meine Eltern nicht so. Ich hab es mir mit 17 stechen lassen und sie waren kurz davor, den Tätowierer zu verklagen, als sie es mal zufällig gesehen haben. Aber, dass ich wusste, dass sie sich darüber aufregen werden, war eigentlich der ausschlaggebende Punkt für mich, es mir überhaupt stechen zu lassen." Er lachte. „Das war dumm und kindisch, ich weiß. Aber ich finde es trotzdem cool"
„Ich auch", bestätigte ich schnell nickend.
Er war wohl schon immer einer gewesen, der Andere mal gerne provozierte. Seinen Vater zum Beispiel. Anfang hatte ich nur mit den Fingerspitzen über seine Hat gestrichen, doch nun lag meine gesamte Hand an seiner Seite und mein Daumen fuhr die Konturen des Tattoos nach, weshalb ich seine Muskeln deutlich sehen und spüren konnte.
„Du hast einen schönen Körper", entfloh es mir leicht verträumt.
Erst, als ich sein Lachen hörte, erkannte ich wie bescheuert das klang.
Ach fuck. Ich schämte mich für mich selbst.
Aber Jaylin lachte nicht über mich, sondern weil er sich freute. Weil er sich wohlfühlte. Bei mir. Wenn ich ihn anfasste und ihm unbeabsichtigte Komplimente machte. Unabhängig davon, was dies zu bedeuten hatte, es freute mich irgendwie.
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