15) KiNdIsCh ~ #Papaplatte
„Laura? Lass uns was Dummes machen!“
So begann eigentlich jeder Anruf, den ich von Kevin entgegennahm. Inzwischen war es unser eigenes „Hallo, hast du Zeit?“ geworden. Und auch jetzt schmiss Kevin Teller mir, Laura Tasse, stumpf um 21:48 nachts, genau diese Aussage entgegen.
Ich runzelte die Stirn, legte den Bleistift weg und blickte von meiner Skizze auf: „Streamst du nicht noch?“
„Ja, keine Ahnung, es ist ultra langweilig grad.“, ich hörte förmlich, wie er eine Schnute zog. „Och Kevin! Frag doch Basti, ob er was mit dir machen kann!“, ich lachte leise, erhob mich aber bereits aus meinem Schreibtischstuhl und bummelte ins Wohnzimmer. Dort stellte ich mich ans Balkonfenster und blickte in die nächtliche Schwärze hinaus. Nur die Lichter blinkten von der Innenstadt, gute 800 Meter entfernt, herüber. „Ne, der zockt Speedrun mit Valle, da stör ich Pepega nur.“
„Und Cindy?!“ - „Arbeitet.“
Ich seufzte ergeben und verschränkte meine Arme: „Na gut. Vielleicht kann die Zeichnung doch noch bis morgen warten.“
„Super, bist eine wahre Brudine. Dann stream ich noch bis du da bist und sofort können wir losziehen! See ya later alligator!“, lachte er beschwingt. Dann tutete es aus dem Lautsprecher. Nochmals seufzte ich, dann musste ich doch lachen. Kevin war schon echt ein loster Frechdachs.
Schnell schlüpfte ich in meine Jacke, packte Handy sowie Schlüssel ein, und machte die Lichter in der Wohnung aus. Nach 20 Minuten durch die halbe, menschenleere Stadt laufen kam ich bei ihm an, schloss mit dem zweiten Schlüssel, den ich besaß, die Wohnungstür auf.
Ich summte den Refrain von „Say something“ leicht vor mich hin, während ich gelassen meine Jacke aufhing. Kein Grund zur Eile, schließlich war es nur Kevin, der wartete. Außerdem hatte ich nicht so den Drang, neben ihm zu sitzen und auf irgendwelche Monitore zu starren. Also warum war ich eigentlich hergekommen!?
Gemächlich setzte ich Wasser für einen Tee auf, stellte eine Tasse und Teebeutel mit dem Geschmack „Orientalische Orange“ parat. Mit dem gekochten Tee schlurfte ich dann durch das Wohnzimmer zu seinem Aufnahmeraum. Vorsichtig klopfte ich, um mich anzukündigen, dann drückte ich die Klinke herunter. Das Zimmer war leer. Verwirrt runzelte ich die Stirn und schaute nochmal über die Schulter in die Wohnung. Vielleicht war er auf dem Klo. Mir egal, was die Zuschauer dachten, wenn plötzlich ein Mädchen in Kevin Teller's Aufnahmezimmer stand und sich bewegte, als wäre sie hier schon ansässig. Vor allem, weil Kevin Teller eine Freundin hatte. Ich lief vollendens ins Zimmer rein und drehte mich um, um die Tür wieder zu schließen, dann ertönte ein unglaublich lauter, schriller Schrei. Vor mir stand einfach Momo. Ein hässliche Fratze, blutverschmiert, schwang einen Baseballschläger in Richtung meines Kopfes.
„Alter Kevin, lass den Scheiß!“, eiskalt schüttete ich den Tee über sein T-Shirt. „Aua!! Heiiiiiß!! Ahhhhh, Laura du Kek!!“, rief Kevin laut, zog sich hektisch die Maske vom Kopf, ließ das Holzstück auf den Boden plumpsen und rannte fluchend ins Bad. Ich schüttelte mich vor lachen und stellte die jetzt leere Tasse auf den Schreibtisch, wo die drei Monitore wie fast immer liefen. Bevor ich mich in den Sehbereich der FaceCam begab drehte ich sie fix Richtung Tisch-Platte. Die brauchten mein Gesicht nicht zu sehen, das wusste Kevin normalerweise auch. „Hi Leute aus dem Stream!“, meinte ich dann stumpf und pflanzte mich auf den Stuhl.
Der Chat machte sich weiterhin über Kevin lustig was mir ganz recht war. Bis dann die ersten checkten, dass ich nicht Cindy war.
> Ist das irgendso 'ne billige Hoe?
> Kevin betrügt Cindy gerade, oder??!
> ''Laura'' lauf bitte weg!! Obwohl, in zwei Minuten gehst du so oder so freiwillig! 😂
Doch etwas überfordert blickte ich auf den Chat, dann kam endlich der Auslöser allen Übels wieder rein. „Sorry Leute, war kurz T-Shirt wechseln, weil jemand mir seinen heißen, frisch gekochten, Tee übergekippt hat!“ Als ob die Leute das selbst nicht gesehen hätten. „Okay, woooooooow, chillt mal kurz!“, meinte er dann, als er die aufkommenden Beleidigungen gegen mich im Chat las. Er richtete die FaceCam so aus, dass sie nur ihn zeigte. „Also, das ist Laura und Laura ist weder mit mir zusammen, noch haben wir 'ne Affäre! Sie ist diejenige, mit der ich vorhin kurz telefoniert hab' undja...“, er deutete in meine Richtung und ich winkte in die FaceCam.
> Oh...
> PepegaClap an die Community 🙌
> Du tust mir Leid Laura. Da wird man gezwungen zu Kevin zu kommen und wird auch noch fullfront beleidigt😂
„Wolltest du nicht aufhören zu streamen, wenn ich komme?“, meinte ich. Kevin grinste und beendete eiskalt ohne Abmoreration den Stream an Ort und Stelle. „Ja guut, so kann man's auch machen...“, kicherte ich. „Okay, lass uns draußen rumlaufen!“, meinte Kevin stumpf, woraufhin ich zustimmend mit den Schultern zuckte.
~
Letztendlich liefen wir im dunklen durch Potsdam's Stadtpark. „Lauraaaaaa, lass uns auf'n Spielplatz gehen!“, Kevin zupfte wie ein kleines Kind an meinem Jackenärmel. „Bist du jetzt komplett verblödet?!“, lachte ich schallend. Er verschränkte beleidigt die Arme: „Dann geh ich halt alleine!“ Ich grinste provokant: „Das will ich sehen!“
Daraufhin wandte mir der Braunhaarige den Rücken zu und stapfte auf dem Weg zum Spielplatz davon. „Och Gott, manchmal hasse ich ihn und seine kindische Art!“, sagte ich zu mir selbst. „EY, das hab ich gehört!!“, kam es gespielt angepisst aus der Dunkelheit zurück. „Geschieht dir ganz Recht!“, lachte ich und trottete ihm hinterher.
Gelangweilt ließ ich mich auf die Schaukel sinken: „Und was willst du jetzt machen!?“
Kevin strubbelte sich durch die Haare. „Hm. Keine Ahnung!“ Ich wollte gerade mit den Augen rollen, als mir eine Idee kam. Ich zeigte auf das fette Klettergerüst. „Wer zuerst auf dem Turm ist!“ Ohne die Antwort abzuwarten rannte ich los. Beim Sprinten war, im Gegensatz zu mir, sogar Kevin schneller, also überraschte es mich nicht, dass ich ihn schon nach zwanzig Metern wieder im Augenwinkel sah. Als wir allerdings bei dem Gerüst ankamen wählte ich zielsicher einen der fast 7 Aufstiegstmöglichkeiten, während Kevin sich erstmal zurecht finden musste, wo er überhaupt hoch kam. Ich wählte die „Todesplatons“. So hatte ich sie als Kind immer genannt, weil die kleinen Kreise in drei Metern Höhe nur mit einer vom Balken bis zum Boden durchgehenden Kette befestigt waren und sich zusätzlich noch drehten, wenn man zu viel Schwung hatte. Als Emil einmal von dem obersten runtergefallen war hatte sich keiner der anderen mehr auf sie getraut. Außer ich.
Und seitdem hatte ich jedes Mal, wenn wir dieses Wettrennen gemacht hatten den Weg nehmen können, ohne Konkurrenz zu haben. Ich hatte sogar trainiert. Wie viel Schwung war zu viel? Wie groß mussten sie Schritte für die scheinbar riesigen Abstände sein? In welcher Reihenfolge platzierte ich meine Füße, da auf einen Kreis nur ein einhalb gepasst hatten? Ohne die davorigen Balken mit Hilfeseilen, über die man langsam höher balancieren sollte, zu beachten zog ich mich auf den hohen Stumpf, von dem man auf den ersten Kreis stieg. Ich hörte, wie Kevin über den Kies in die andere Richtung lief. Wahrscheinlich würde er den langen, aber leichten „Easy Credit“ Aufstieg nehmen. Mir fiel erst jetzt auf, wie bescheuert diese Namen waren, aber wie viel sie mir bedeutet hatten. Vorsichtig aber zuversichtlich setzte ich den ersten Fuß. Ach du Heilige waren die Dinger wackelig!!
Ich überlegte einen Moment lang zu kneifen und mich bei einem anderen Weg zu nehmen. Vielleicht sogar „den Tunnel“, wo man sich nur an einem verknoteten Seil hochziehen konnte, mit der Angst, dass Ich irgendwann vor Kraftverlust abrutschen und stürzen würde. Aber ehe ich mich versah, stieß sich mein anderer Fuß ab und die einzige Plattform fing an sich zu drehen. Es war nicht hoch...bis jetzt. Trotzdem lagen meine Nerven blank. Wenn ich das Wettrennen verlor würde ich Kevin mindestens einmal feiern ausgeben müssen, so stand es in unseren ungeschriebenen Regeln. Und so viel, wie er dabei immer soff, mit meinen Portionen obendrauf, würde mein Portmonee zum ächzen bringen. Also atmete ich tief durch und streckte meine Zehenspitze nach der nächsten Plattform aus. Alles wackelte und schien sich unkontrollierbar hin und her zu bewegen. Doch jetzt waren meine Bein länger als früher, also waren die ersten drei Kreise kein Problem, die jedes Mal 40 Zentimeter auseinander und 10 Zentimeter höher lagen. Danach wurde es schon ein bisschen schwieriger, denn ich musste für längere Zeit mit nur einem Bein auf der Plattform sein, mit dem anderen nach der nächsten hangeln, aufpassen, dass mir vom drehen nicht schlecht wurde, bis dann mein Blick nach unten fiel. F*ck war das hoch!
Meine Hände rutschten wie Butter an den kalten Eisenketten ab. Das Blut rauschte in meinen Ohren. Mein Herz hämmerte gegen meinen Brustbein, doch dann besann ich mich des besseren. Konnte ja nicht sei, dass ich Angst vor einem Spielplatzgerät hatte!
Schon viel konzentrierter überstand ich auch die letzten zwei Kreise und stand endlich wieder auf festem Boden. Erleichtert schaute ich mich um, suchte nach Kevin. Ich stand direkt vor der 4 Meter langen Hängebrücke. Auf der anderen Seite musste ich nur noch eine Leiter hoch und war eigentlich am höchsten Punkt des Dings. Ich hörte ein Rascheln und in der nächsten Sekunde rannte eins Kevin an mir vorbei und auf die Brücke. „Haha!“, lachte er mich aus, da hing ich ihm schon wieder auf den Fersen. „Bleib stehen!“, rief ich und streckte meinen Arm halbherzig nach seiner Jacke aus. Umso überraschter war ich, als ich tatsächlich den Zipfel ergriff. Hastig rannten wir über die sehr arg wackelnd und knarzende Brücke, dann warf ich mich mit meinem vollen Gewicht in Kevins Seite uns zog ihn am Ärmel so, dass er nach rechts katapultiert wurde und gegen die Wand lief.
Jetzt war ich es, die lachte. Mit wabbelnden Spaghetti-Beinen kletterte ich prustend die Leiter hoch. Oben angekommen schleppte ich mich die zwei Schritte noch, dann ließ ich mich auf den Rücken fallen. Kurz darauf fiel ein ebenfalls keuchender Körper neben mich. Gemeinsam starrten wir in den Nachthimmel und versuchten wieder zu atem zu kommen. „Ich hab gewonnen!“, murmelte ich. „ICH HAB GEWONNEN!“, grinsend sprang ich auf und führte einen kleinen Freudentanz auf. „Ehre - genommen!“, lachte ich auf Kevin herunter, der einfach nur den Kopf schüttelte: „Jaja...Warte...noch einen...Moment!“
Kichernd setzte ich mich wieder und grinste wie ein Honigkuchenpferd. Kevin setzte sich nach einer weiteren Minute auch auf und als er mich so fett grinsen sah, lächelte er gequält: „Eine Runde Feiern auf's Haus für dich.“ - „Das wollte ich hören!“, lachte ich und fiel ihm um den Hals.
Kevin drückte mich nach einiger Zeit wieder von sich. „Wie kommen wir eigentlich wieder runter von diesem Drecksteil?“, zweifelnd und bittend sah er mich an. Mein fettes Grinsen wurde noch eine Stufe breiter und ich deutete auf das Loch in der Wand zwei Meter weiter: „Rutsche.“ „Och neee, du verarscht mich!“, seufzte Kevin, während seine Schultern wieder eine Stufe tiefer sackten. „Ich kann es dir auch gerne vor machen, wenn du dich nicht traust!“, schulterzuckend stand ich auf. Kevin versuchte mein Bein festzuhalten, doch geschickt wich ich ihm aus. „Wir sehen uns auf der anderen Seite!“, gespielt weinerlich griff ich mir ans Herz, dann schwang ich mich in den Tunnel.
Mit wehenden Haaren schoss ich durch das Dunkle. Ich muss schon zugeben, dass es immer noch Spaß machte zu rutschen! Das Ende kam schon wieder näher und Ich flog unten fast von der Rutsche runter. Ich stemmte meine Schuhe in den Kies und blieb auf dem letzten Zentimeter stehen. Gerade als ich erleichtert schnaufen wollte hörte ich ein lauten Ausruf. „WOHOOOO!“
Die Rutsche zitterte unter mir, dann sauste mir jemand voll in den Rücken. Mit meinem Fliegengewicht wurde ich einfach von der ausrutsch-fläche weggewischt und zu allem Übel hatte Kevin als Fettsack so einen Schwung, dass er noch auf mir drauf landete. „Aua!“, jammerte ich, nachdem ich mich vom Schock erholt hatte. „Geh von mir runter du Walross!“ Kevin saß auf meinem Beinen und grinste fies: „So erst recht nicht!“ Er hob einen Finger und piekste ihn mir in die Seite. „KEVIN DU PISSER!!“, kichernd, prustend und lachend versuchte ich mich hin und her zu wenden, irgendwie zu entkommen, weil ich kitzelig des Todes war. „Na, na, na! Bisschen Anstand muss sein!“, war seine Antwort. „Könntest du dies bitte unterlassen und sich von meinen Beinen runterrollen, du Walross-Pisser?“, presste ich heraus und obwohl das nicht ansatzweise besser war stand Kevin tatsächlich auf und reichte mir die Hand. „Danke!“, seufzte ich erleichtert, wischte mir meine Lachtränen weg und ergriff sie.
„Wie viel Uhr haben wir?“, fragte ich und gähnte prompt. Inzwischen waren Kevin und ich noch an den ganzen besoffenen Studenten und Möchte-gern-Teenagern vorbeigelaufen Richtung Stadtsee, also etwas außerhalb unserer Stadt. Der Mond schien auf uns hinab, als wir uns nach zwei Kilometern Spaziergang am kleinen Sandstrand niederließen. „Halb 12...“, murmelte Kevin.
„Weißt du, heute war es ein schöner Spaziergang.“, lächelte ich ohne ihn anzusehen. „Tat gut, mal wieder kindisch zu sein, nicht?“, kicherte Kevin und ich nickte einfach nur. Dann starrte ich lächelnd weiter auf den Sternenhimmel im See...
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