[ Newt ]
Für: scarsspeak
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Die Sonne geht langsam hinter den Bergen unter und taucht die Wüste in ein orangerotes, warmes Abendlicht. Weit entfernt kann man das leise Gackern von Cranks hören, etwas näher die Atemzüge der anderen Lichter, die sich am Boden liegend dicht aneinander drängen.
Ich weiß nicht mehr genau, wer nun neben mir schläft und wessen Knie oder Ellbogen mir wann in die Seite gerammt worden war, aber das spielt gerade keine Rolle. Wichtig ist nur, dass alle leben und atmen und keine tiefen Wunden haben, die sich infizieren können. Das ist das einzige, das zählt.
Erschöpft wälze ich mich herum und stoße dabei jemanden mit der Schulter an. Derjenige grummelt leise, dreht sich dann aber weg und döst weiter vor sich hin. Ich schüttel seufzend den Kopf und rücke wieder ein Stück herum, abermals ergießen sich Flüche und leise Verwünschungen über mich. Ein paar Mal setze ich noch an mich zu bewegen, doch letztendlich gebe ich auf und rappel mich vorsichtig hoch. Mit unsicheren Schritten trete ich zwischen die vielen Leiber, dort, wo ich gelegen habe, befinden sich längt schon andere Lichter. Wie die Pinguine drängeln sie sich zusammen, obwohl es nicht mal annähernd kühl ist; hier geht es allein um die Lebenswärme, welche uns von der kalten, toten Wüste langsam aber sicher entzogen wird. Auch ich sehne mich nach Körpernähe, doch ich will niemanden auf seine Kosten ausnutzen, jeder soll seinen Schlaf bekommen. Gerade in Zeiten wie diesen, wo doch keiner weiß, ob er die nächste Nacht erleben wird.
Ich hocke mich einige Meter entfernt flach auf den Boden und sehe zum Himmel hinauf. Die Sterne glitzern wie Tautropfen am Himmel und beruhigen meine fliegenden Gedanken ein wenig. Ständig muss ich an die Worte des Rattenmanns denken, wie er uns über Phase Zwei berichtet hat... mir läuft die Gänsehaut. Aber noch mit Abstand am Schlimmsten war für mich die Entdeckung der Tattoos am Rücken.
Eigentum von ANGST
Gruppe B, Proband B-9
Die Spinne
Die Spinne?!
Was soll das heißen?
Alle meinten, dass werde sich schon noch herrausstellen, doch bis jetzt bin ich dem Geheimnis kein Schritt näher gekommen. Im Gegenteil, es scheint sich immer mehr von mir zu entfernen, immer undeutlicher und verschwommener zu werden, wie ein beschriebenes Blatt Papier, wo die Tinte verrinnt. Noch dazu bringt kaum wer Spinnen in positiven Zusammenhang, bin ich also böse? Aber ich will doch niemanden was Schlechtes...!
Es knirscht, als sich jemand neben mich legt. Verwundert drehe ich den Kopf und sehe in dunkle, freundliche Augen. Lina lächelt mich zögernd an, ihre weißen Zähne leuchten in der Dunkelheit.
"Na, was ist? Schlecht geträumt?", fragt sie leise und greift nach meiner Hand. Ich erwidere ihre Geste und drücke sie. Sie war immer sowas wie eine große Schwester für mich gewesen im Labyrinth, hat mich beschützt. Auch Kathi hat das getan, doch sie hat es nicht geschafft, als es zwischen den Mädchen und den Griewern hart auf hart kam...
Ich unterdrücke die aufsteigende Trauer und blicke wieder empor ins Himmelszelt. Lina neben mir seufzt und folgt meinem Blick.
"Ich glaube, der da drüben mag dich", flüstert sie plötzlich und deutet unauffällig zur Gruppe A hinüber. Wir sind gestern zusammengestoßen und mehr oder weniger gemeinsam weitergelaufen, allerdings spürt man immer noch eine gewisse Anspannung zwischen den beiden Teams.
Annäherungsversuche fallen ziemlich zurückhaltend aus, auch das Misstrauen zu dem jeweils anderen ist noch nicht ganz abgelegt. Mit ein paar Jungs habe ich schon gesprochen: Mit einem gut gebauten Asiaten, der nach meiner Einschätzung wahrscheinlich einmal Läufer gewesen war, mit einem Dunkelhaarigen, der sich als Bratpfanne vorgestellt hat - was der wohl gearbeitet hat, hmmmm... - und auch mit einem blonden, großen Kerl, der ein wenig hinkt. Newt hieß er, wenn ich mich richtig erinnern kann. Ja, genau; Newt, wie Newton, hat er erzählt. Er hat einen sympatischen Eindruck bei mir hinterlassen, und irgendwie kam er mir auch... bekannt vor...
Schnell verscheuche ich den Gedanken und sehe wieder zu Lina, die ihren Blick immer noch Richtung Gruppe A gerichtet hält. Nach einer kurzen Weile stupse ich sie an.
"Wer?", frage ich tonlos und sie zeigt mit einem Finger grobe auf einen Typen. Sofort erkenne ich den blonden Schopf wieder; wenn man vom Teufel spricht...
"Warum sollte er mich mögen?", murmel ich etwas verwirrt und sehe zum Mond auf. Halbmond, um genau zu sein.
"Ich weiß nicht. Nachdem du mit ihm geplaudert hast, hat er immer wieder zu dir rübergelinst und gelächelt, wenn du gelacht hast. Süß ist er schon."
Ich sehe Lina ungläubig an und sie wackelt grinsend mit den Augenbrauen. Ich seufze gespielt genervt und schlage ihr sanft gegen den Oberarm.
"Stock!", kichere ich und rolle mich auf den Bauch. Sie tut es mir gleich und zwinkert mir zu.
"Ach komm schon. Du magst ihn doch auch, oder?", haucht sie und zwinkert wieder. Ich gebe mir einen Facepalm.
"Ich kenne ihn doch gar nicht!", verteidige ich mich empört und rappel mich halb hoch, aber Lina packt mich am Ärmel und zieht mich zurück auf den Boden.
"Maren, jetzt lass dich doch aufziehen", lacht sie mich aus und ich verdrehe die Augen. Böse sein kann ich ihr aber nicht, sie ist halt einfach... Lina.
"Außerdem kann es ja sein, dass ihr euch vor dem Labyrinth gekannt habt."
Das stimmt. Aber selbst wenn, so ist es doch über 3 Jahre her, und in dieser Zeit kann sich einiges ändern. Menschen können sich ändern. Selbst wenn ich Newt gekannt haben soll, so weiß ich doch nicht, ob er noch genauso ist wie damals. Vielleicht habe ich ihn damals gehasst, und jetzt wurde er leidlicher? Vielleicht war er damals total nett, und heute... äh... auch...?
Kopfschüttelnd rolle ich mich auf die Seite und verschränke einen Arm hinter dem Kopf. Ich sollte schlafen; morgen werden wir den sicheren Hafen erreichen. Dann ist alles vorbei, alles gut. Dann haben wir es hinter uns...
· · ·
Ich stehe in einem grauen, kleinen Raum, nur eine kleine Glühbirne spendet mir etwas Licht. Unruhig renne ich auf und ab, meine Schritte hallen viel zu laut und viel zu lange durch die Luft. Mein Kopf tut weh, meine Beine schmerzen, mein Rücken fühlt sich an wie ein steifes Brett, verspannt und verkrampft.
Plötzlich geht die Tür auf, ein bewaffneter Mann steht im Rahmen. Er schupst eine zweite Gestalt ins Zimmer, sie taumelt und knallt gegen die Wand. Mein Traum-Ich japst erschrocken auf, bewegt sich aber nicht vom Fleck.
"Fünf Minuten", faucht der Mann, dann knallt er die Türe zu.
Ich löse mich sofort aus meiner Starre und renne wie von selbst auf die zusammengesunkene Person zu. Schmutziges, blondes Haar steht ihr verstrubbelt in alle Richtungen ab, ihr Gewand wirkt alt und zerknittert. Ich schiebe sie Hände langsam unter den Filzteppich und umgreife ein Gesicht, drücke es hoch.
Dunkle, warme Augen blinzeln mir entgegen und lassen mich stocken. Newt. Ganz sicher, er ist es, nur etwas jünger.
Vielleicht 13, 14 Jahre alt.
"Maren...", flüstert er, richtet sich plötzlich auf und zieht mich in seine Arme. Ich lasse ihn widerstandlos gewähren; anscheinend hatte ich eine engere Verbindung zu ihm vor dem Labyrinth. Dass das hier eine Erinnerung ist, ist mir nur allzu bewusst, ich habe nicht zum ersten Mal Träume. Auch sind immer wieder Jungs vorgekommen, die ich nun ungefähr identifizieren kann, doch nie zuvor war ich mir so sicher wie bei Newt gerade.
Ich höre seinen Herzschlag an meinem Ohr, der ungewöhnlich schnell dahinstolpert.
"Maren, sie wollen mich hochschicken. Mit Nick, Alby und Minho zusammen. Ich will das nicht. Nein..."
Er schluchzt. Mein Traum-Ich lehnt sich zurück, dann küsse ich ihn auf die angefeuchtete Wange.
"Keine Sorge, ich bin da", sage ich mit belegter Stimme und lege ihm eine Hand aufs Herz. Er lächelt mich traurig an und vergräbt die Nase in meinem Haar.
"Ich weiß doch...", murmelt er, seine Schultern zittern.
"Ich weiß doch, Spinnchen. Ich weiß doch..."
· · ·
Spinnchen. Spinnchen.
...Spinnchen?!?
Mit einem Ruck öffne ich die Augen. Lina ist weg, sie steht nun bei unserer Gruppe und hat schon alle auf die Beine getrieben. Hastig stehe ich auf und laufe zu ihr, noch während ich mir den Sand aus den Haaren klopfe.
"Warum weckst du mich nicht?", meckere ich sie sofort an und umarme sie, einfach so. Sie grinst mich schief an.
"Du hast 'n bisschen Schlaf verdient", entgegnet sie nur und ehe ich ich etwas antworten kann, setzt sich die Masse in Bewegung. Kopfschüttelnd laufe ich hinterher.
"Deren Ernst?!", schreit jemand plötzlich aus der ersten Reihe und ich drängel mich nach vorne. Ein braunhaariger Junge, der Asiate und Newt stehen vor einem kleinen Holzschild, auf dem dick und fett Der sichere Hafen geschrieben steht. Ich greife mir an die Stirn. Das soll der Versammlungsort sein? Mitten im Nirgendwo?
Dabei haben mir kaum mehr 5 Minuten, bis die Zeit abrennt!
Wie aufs Stichwort quitscht es hinter uns plötzlich ohrenbetäubend laut. Wie aus dem Nichts klappt der Boden auf, und heraus kommen... Griewer.
Nein, keine echten: Eher so eine Hybridmischung zwischen Mensch, Griewer und einer Kröte. Die Haut ist glatt und trocken wie meine eigene, aber seltsam grünlich gefärbt. Metallspinnenbeine ragen aus dem Rumpf des Wesens, die Augen und tellergroß und gelb wie die von Fröschen.
Am schlimmsten ist der Stachel, der wie ein Skorpionarm aus dem Hinterteil ragt, die Nadel ist so lange wie mein Bein. Allein bei dem Gedanken daran, von so was durchbohrt zu werden, bereitet mir Magenschmerzen.
Die Griewer-Mischlinge - ein dutzend ungefähr - kommen auf uns zugekrabbelt, fauchen und spuken. Alle - außer mir, war ja klar - haben längst schon ihre Waffen gezückt und gehe in Angriffsstellung. Hastig ziehe ich meinen Dolch hervor und sehe schluckend den Monstern entegen, die in geschlossener Formation immer näher kommen. Mit einem wütenden Brüllen wirft sich das erste in die Menge, kurz darauf folgt das zweite. Sowohl Mädchen- als auf Bubenschreie ertönen, gleichermaßen schmerzerfüllt, ängstlich und aggressiv. Eines der Viecher kommt auf mich zu und mir rutscht das Herz in die Hose. Oje. Ojeojeoje...
Auf einmal rammt mich etwas gegen die Seite, und ich falle - so tollpatschig wie ich bin - gleich einmal der Läge nach auf die Nase. Wäre das nicht schon genug, lastet auch noch ein enormes Gewicht auf mir, presst mich gegen den Boden und nimmt mir die Luft zum Atmen.
Dann wird es plötzlich leichter, ein schnaufender Newt rollt von mir herunter und landet neben mir am Rücken. Sprachlos starre ich ihn an. Hat er mich gerade... ja, hat er.
"Danke", krächze ich unsicher, versuche mich ebenfalls hochzustemmen. Das ist gar nicht so leicht, meine Arme zittern und meine Muskeln fühlen sich an wie Wackelpudding.
"Keine Ursache", meint er nur und zieht sich das Hemd zurecht. Dann hebt er plötzlich den Kopf und sieht mir genau in die Augen.
"Spinnchen."
Die Welt stoppt eine Sekunde. Hat er etwa auch geträumt...??
Ein lauter Schrei ertönt, klingt aber anders als die anderen. Alarmierend, warnend. Mein Blick wandert herum und ich sehe einen Berk, der sich langsam auf den Boden absenkt.
Der sichere Hafen, schießt es mir durch den Kopf und ich stoße einen Jubelschrei aus. Dieser wird jedoch vom Kampflärm übertönt, der mit jeder Sekunde mehr anzuschwellen scheint.
Einige waren bereits in den Berk geklettert und ziehen die anderen hoch. Zu meinem Entsetzen hebt das Ding bereits wieder ab, steigt höher. Panisch renne ich los, jedoch nicht ohne noch einen Blick zu Newt zu werfen. Der jedoch hat sich bereits abgewandt und läuft hinkend auf seine Freunde zu, die immer noch mit einem der Monster zu kämpfen haben. Ich schnappe mir mein Messer und laufe zu dem Berk, helfe kleineren Mädchen und Jungs mit einer Räuberleiter hoch. Zwischen Boden und Luke befinden sich erst 1 einhalb Meter, doch mit jeder Sekunde vergrößert sich der Abstand und es sind gerade einmal die Hälfte drinnen.
Mehr und mehr Leute verschwinden im Inneren der Luke, mehr und immer mehr Zeit vergeht. Nur noch 10. Nur noch 7. Nur noch 5...
Der Asiate, der Braunhaarige, Newt, ich... und Lina.
Lina, die verletzt am Boden liegt.
Entsetzt schnappe ich nach Luft, laufe auf den reglosen Körper zu und greife ihr unter die Schultern. Sie hustet, spuckt Blut. Ihr Körper bebt, und als sie mich ansieht, ist ihr Blick trübe und traurig. Panisch schnellen meine Augen zu dem Berk, gerade zieht sich Newt hoch. Er dreht den Kopf und als er mich erkennt reißt er erschrocken die Augen auf. Ich sehe wieder zu Lina. Sie lächelt mich freudlos an.
"Alles gut...", murmelt sie, dann bricht sie zusammen. Tot.
Tot.
Sie ist tot.
Ich stoße einen schrillen Schrei aus, doch er verhallt im Lärm der Propeller. Jemand ruft meinen Namen. Ich sehe auf, Tränen trüben meine Sicht. Das Berk. Ich muss zum Berk! Aber Lina...
Du kannst nichts mehr tun. Du musst jetzt überleben, für sie.
Kurz entschlossen stehe ich auf, wische mir über die Augen und laufe auf die Luke zu. Ohne groß nachzudenken springe ich, meine Hände werden gepackt und für einen Moment baumel ich hilflos in der Luft, während ich immer höher steige. Doch dann werde ich nach oben gezogen, über den Rand der Luke gehievt und bleibe schwer atemend am Boden liegen. Jemand greift mir unter die Arme und zieht mich hoch.
Ich reiße mich los, stoße denjenigen in meiner blinden Verzweiflung von mir; da blicke in Newts besorgte Augen und meine Energie verraucht augenblicklich. Meine Beine geben unter mir nach, knicken weg und ich falle ihm direkt in die Arme, aber das ist okay.
Es ist okay, denn ich kenne ihn; und er kennt mich. Wir kennen uns, besser als gedacht. Ich weiß es, von meinem Traum, von meinem Instinkt her.
Seine Hand streicht beruhigend über meinen Rücken, er murmelt immer wieder die gleichen Worte:
"Ich bin da, Spinnchen. Ich bin da."
Spinnchen. Sein Spitzname für mich, weil ich seiner Meinung nach alle eingewebt habe mit meiner Art, meinem Humor, meinem Lachen. Daran erinnere ich mich noch. Ich erinnere mich wieder.
"Lina...", schluchze ich und er hält in seiner Bewegung inne.
"Sie hat gesagt... du magst mich", nuschel ich in sein Hemd und schließe die Augen. Eine Weile bleibt es still, keiner bewegt sich. Dann beginnt er wieder, meinen Rücken hinunter zu streicheln und vergräbt das Gesicht in meinem Haar, so wie in meiner Traum-Erinnerung. Seine Stimme klingt rau, als er spricht.
"Sie hat recht", murmelt er leise, aber ich verstehe es trotzdem. Ich verstehe es klar und deutlich, und für einen Moment schaffe ich es sogar, den Schmerz über Linas Verlust zu verdrängen und für einen Sekundenbruchteil - nur einen ganz kleinen Moment - zu lächeln.
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