[ Minho ]
Für: @lilylou96
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Die Sonne geht gerade erst auf, trotzdem ist mein dünnes Hemd schon leicht angeschwitzt und klebt unangenehm am Körper. Lange Schatten fallen von den kaputten Hochhäusern aus auf die wie leer gefegte Straße vor uns und erinnert mich wage an ein gestreiftes Tigerfell. Mit einem alten Stofftuch um den Kopf laufen wir zusammen von Haus zu Haus, spähen bei jeder Abzweigung vorsichtig in die Seitenstraßen und weichen jeder noch noch kleinen Ecke aus, hinter der sich ein Crank versteckt halten könnte.
Keuchend laufe ich hinter den Jungs her, den Blick starr gegen den blonden Hinterkopf meines Vordermanns gerichtet. Allerdings suche ich mir bald eine andere Technik, meine schweifenden Gedanken zu beruhigen, denn natürlich muss gerade Newt vor mir gehen, und bei seinem humpelndem Gang wird mir ganz schwindelig.
Es wird mir jeder Sekunde heißer, in der die Sonne länger auf das heruntergekommene Kaff, dass mal eine Großstadt gewesen sein muss, scheint, einige Unsportlichere der Gruppe schnaufen bereits wie Walrösser. Bei diesem Kopfkino muss ich leicht grinsen, verkneife es mir aber sofort wieder. Die Lage ist nicht gerade auf einem Stand, als dass man vor sich hin hätte lächeln können, ohne blöd angestarrt zu werden.
Dann ertönt ein Schrei.
Ich sehe nur aus dem Augenwinkel, wie eine Gestalt aus dem Schatten springt und sich auf einen der Jungs stürzt, wie ein wildes Tier, das seine Beute angreift.
Sogleich sind etliche andere Gruppenmitglieder zu Stelle und zerren den Crank brutal von ihrem Freund hinunter, der sich unter dem festen Griff windet und immer wieder einen spitzen Laut von sich gibt wie eine sterbende Katze. Endlich schaltet sich jemand ein und verpasst dem Ex-Mensch einen Kopfschuss, Blut spritzt am anderen Ende der Einschussstelle hinaus und der Mann klappt in sich zusammen wie eine Holzpuppe, der man die Fäden durchgeschnitten hat.
Der verletzte Bub - vielleicht 12 oder 13 Jahre alt, der arme Kerl - wird von zwei anderen hochgestemmt und weitergeschleift. Nun ist das Tempo um einiges erhöht, man merkt die Angst und die Anspannung durch die Menge pulsieren wie ein gemeinsamer Herzschlag. Newt vor mir faucht bei jesem Schritt schmerzerfüllt auf und verzieht das Gesicht, doch ich wüsste nicht, wie ich ihm in diesem Moment helfen könnte.
Da ertönt wieder ein Schrei, diesmal direkt neben mir. Ein dunkler Schatten legt sich über mich und im nächsten Moment reißt mich eine massige Gestalt zu Boden. Überlange Fingernägel bohren sich in meine Schultern und stinkiger Atem prallt gegen mein Gesicht. Keuchend versuche ich den Crank über mir wegzudrücken, doch der einst wahrscheinlich schwerst übergewichtige Mann drückt mich krampfhaft zu Boden, seine wulstigen Finger legen sich um meinen Hals und drücken mir die Kehle zu. Erstickt schreie ich auf, japse nach Luft, aber so sehr die Lichter auch ziehen und zerren und auf ihn einschlagen und stechen, er will mich einfach nicht loslassen. Ein Schuss ertönt, der Crank fällt seitlich nach vorne um und reißt mich mit sich. Mit enormer Kraft stößt er mich in die Luft und ich fliege gut 5 Meter über den Boden hinweg, ehe ich im Staub herumrolle und schwer atmend liegen bleibe. Arme packen mich, zerren mich erbarmungslos hoch und schreien mir ins Ohr, sie müssten schnell weiter. Aber ich höre sie nur durch wie schwaches Echo, ehe ich die Augen verdrehe und kraftlos umkippe.
Ich liege auf einer harten Strohmatte und starre in den offenen Himmel. Der Schock sitzt mir immer noch tief in den Knochen, aber ich versuche es vor den Anderen so gut es geht zu verstecken. Sie würden sich nur unnötig Sorgen machen.
Geistesabwesend lasse ich meinen Blick durch die Gruppe schweifen. Einige sitzen zusammen und reden gedämpft, andere haben sich zurückgezogen und versuchen zu schlafen. Einer fällt mir besonders ins Auge: Minho.
Der Asiate hat sich auffällig weit von der Gruppe entfernt und macht einen überaus müden, hoffnungslosen Eindruck. Seit wir hier in der Stadt angekommen sind haben wir kaum mehr miteinander geredet, so sehr war er mit seiner Anführer-Rolle beschäftigt, was ich eigentlich Schade finde. Wir hatten ein gutes Verhältnis, eine Zeit lang dachte ich sogar ich sei in ihn verliebt. Aber dann kamen immer diese Zweifel, ob er das selbe empfand und ich begann diese Gefühle zu unterdrücken. Bis heute kämpfe ich damit, aber sie lassen sich nur sehr schwer kleinkriegen.
Leise stehe ich auf und laufe mit zielsicheren Schritten auf den Ex-Läufer zu, der daraufhin stirnrunzelnd aufsieht. Als er mich erkennt hellt sich seine Miene etwas auf und er klopft auf den Platz neben sich. Wortlos lasse ich mich neben ihn sinken und sehe ihn erwartungsvoll an.
"Kommst du auch mal wieder", grinst er mich an und lässt gähnend sie Knöchel knacken. Prüfend beobachte ich seine Bewegungen. Da stimmt doch was nicht...
"Minho? Was ist los?"
Ich lehne mich zurück, um ihn besser betrachten zu können. Erst bei zweiten Mal hinsehen fällt mir auf, dass sein Shirt auf einer Seite eingerissen ist und etwas daran klebt. Ohne groß zu fragen ziehe ich das Hemd hoch und stocke. Eine gerötete Wunde, die nicht sehr tief, dafür aber relativ großflächig zu sein scheint, ziert seine Flanke von der Hüfte aufwärts bis hin zu seinen Rippen.
Zischend stößt er meine Hände weg und funkelt mich böse an.
"Lass das", knurrt er, aber ich lasse mich davon nicht einschüchtern. Herausfordernd verschränke ich die Arme vor der Brust und sehe ihn stur an.
"Das muss verbunden werden, du Neppdepp!", sage ich leise und stehe schon auf, um etwas zu holen, aber Minho packt mich am Arm und zieht mich zurück.
"Muss es nicht", murrt er zurück und ich verdrehe die Augen. Strunk!
"Doch das muss es. Jetzt sofort."
"Nein!"
"Doch."
"Nein?!"
"Doch."
"NEIN!"
Minho wird immer aggressiver, während ich dagegen stets in der gleichen monotonen Tonlage antworte, was ihn nur noch mehr aufzuregen scheint. Wütend mahlt er seine Kiefer aufeinander.
"Meinetwegen", gibt er sich schließlichlich geschlagen und schmollt wie ein kleines Kind. Ich seufze wieder, erhebe mich und laufe schnell zu meinen Sachen. Dort hole ich einiges Verbandszeug, dann bersorge ich mir von den anderen noch das nötige Desinfektionsmittel und eile schließlich wieder zurück zu meinem Patienten, der sich keinen Millimeter gerührt hat. Ich räuspere mich und er dreht den Kopf zu mir.
"Hemd hoch, Minho", sage ich knapp und deute auf die Wunde stelle. Er knurrt etwas, packt dann aber doch den Saum seines Shirts und zieht es sich über den Kopf. Ich versuche krampfhaft den Fakt auszublenden, dass Minho gerade oben ohne vor mir sitzt und mache mich ans Werk. Zuerst quäle ich mich mit dem Desinfektionsspray ab, wobei er öfters schmerzhaft aufzischt und zusammenzuckt, dann schmiere ich noch eine Heilsalbe auf die nässende Wunde. Vorsichtig, ganz vorsichtig streiche ich über seine Haut und höre, wie er mehrere Male tief ein und aus atmet. Nach dieser Prozetur wickel ich ihm den Lacken um und bedeute ihm, sein Shirt wieder anzuziehen. Doch er tut es nicht.
Stattdessen grinst er mich nur an.
"Also ob du das wollen würdest, dass ich mich wieder anziehe", spottet er, aber seine Augen sprechen eine andere Sprache. Verwirrt sehe ich ihn an.
Was?
Langsam beugt er sich zu mir vor und mein Herz macht einen Satz. Was passiert hier gerade??
"Sag, dass du willst, dass ich mich wieder anziehe. Sag es."
Das ist fies! Natürlich will ich nicht. Natürlich will ich ihn weiter ansehen. Aber bevor ich ihm diese Genugtuung gönne...
"Ich will, dass du dich jetzt anziehst. Jetzt sofort", sage ich so fest es geht.
Minho wirkt einen Moment fast etwas enttäuscht, doch dann greift er nach dem Shirt und streift es sich in einer fließenden Bewegung über. Dann sieht er plötzlich auf und mich direkt an.
Seine dunklen Augen fixieren mich und scheinen sich förmlich in meinen Kopf bohren zu wollen. Ein belustigtes Grinsen liegt auf seinen Lippen.
"Ich weiß dass du mich magst, Michelle", sagt er leise und ich kaue auf meiner Wange herum, um nicht in Panik zu verfallen.
"Was soll das heißen, ich...",
versuche ich mich herauszureden, aber er hebt die Hand um mich zu unterbrechen.
"Ich hab's gehört. Am Lagerfeuer."
Was?!
Verdammt!
Nur ein einziges Mal habe ich meine Gefühle gestanden, und das vor Jeff! Er war mein bester Freund, und ich habe ihm eben dieses Geheimnis anvertraut. Aber wie hat er es mitbekommen...? Er muss sich irgendwie von hinten angeschlichen haben, der Idiot!
Als Minho meine Reaktion sieht, lacht er unterdrückt auf.
"Nicht blass werden, Süße", stichelt er, dann packt er plötzlich mein Handgelenk und zieht mich auf seinen Schoß. Ich bin so perplex, dass ich es erst realisiere, als mein Gesicht keine zwei Centimeter vom seinem entfernt ist. Sein Atem bläst mir entgegen und eine handvoll Schmetterlinge wallen in meinem Bauch auf.
"Soll ich dir was verraten? Ich mag dich auch", haucht er mir entgegen und dann spühe ich seine Lippen auf meine .
Mein Hirn schaltet sich beinahe aus, mein Verstand droht sich zu verabschieden, doch dann reiße ich mich doch los von meiner Trance und lehne mich ruckartig nach hinten. Minho blinzelt mich erstaunt an.
"Glaubst du ich lasse mich benutzen?", fauche ich ihn empört an und will aufstehen, aber er packt mich an der Hüfte und hält mich fest.
"Nein... nein", murmelt er, plötzlich total unsicher.
"Nein, das glaube ich nicht. Ich wollte dich vorher schon drauf ansprechen, aber es hat sich einfach nie... ergeben."
Nun wirkt er ehrlich beschämt und wendet stumm den Kopf ab.
Diesmal bin ich es, die sein Gesicht zu mir dreht und unsere Lippen zusammenpresst.
Er erwidert den Kuss sofort, drückt mich näher an ihn heran, sodass bald kein Blatt mehr zwischen uns passt. Seine Brust hebt und senkt sich bei jedem Atemzug, und als ich meine Hände in seinen wirrem Haar vergrabe, schnurrt er auf wie eine Katze.
"Leute, ich glaube ich habe... WOOAAAH!"
Ruckartig löse ich mich von Minho und reiße den Kopf herum, nur um in Newts starres Gesicht zu blicken. Wie ein ertappter Dieb hebt er langsam die Hände über den Kopf und entfernt sich im Rückwärtsgang von uns.
"Ich war nie hier. Klar?"
Damit ist er auch schon wieder weg.
Mit hochrotem Kopf starre ich ihm hinterher. Shit... das war... peinlich. Aber ehe ich mich in Grund und Boden schämen kann, wird mein Gesicht wieder zurückgedreht und mir ein kurzer Kuss auf die Lippen gedrückt.
"Er war nicht da. Hast du nicht gehört?", grinst mich Minho an und küsst mich wieder. Ich will mich schon wehren, ihm sagen dass das nicht okay sei, aber dann spüre ich seine Wärme, seine Lippen, seinen Herzschlag und... ach... scheiß drauf.
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