Grau • Zeo
"Guten Morgen." Etwas skeptisch blickte ich auf meinen Sohn, welcher mit seinen perfektionistisch gestylten Haaren und neuen Schuhen herunter polterte. "Morgen." "Gut geschlafen?" Doch schon war er in der Küche verschwunden und joggte nur Sekunden später mit einem Apfel in der Hand zur Haustüre. "Bin weg!" "Wann kommst du denn wieder?" Und die Türe war zu. Entwas entnervt seufzte ich und stellte meine Kaffeetasse in die Spüle, ging nach oben, um meinen kleinen Sonnenschein zu wecken.
"Papa! Ich zieh' mich um!" Okay, Sonnenschein konnte man die pubertierende Dreizehnjährige nicht mehr nennen. "Ich schau dir schon nichts weg!" Entgegen meiner väterlichen Rolle rollte ich wie ein Zehnjähriger mit meinen Augen und war für einen Sekundenbruchteil versucht, der geschlossenen Tür die Zunge raus zu strecken. Seit gut einem Jahr drehten meine Kinder am Rad - sowohl Markus als auch Nathalie. Julia, meine Frau, welche auf einer Geschäftsreise war, schien das nicht wirklich zu bemerken.
Sie hatte sich um unsere zwei gekümmert, als sie noch jung und unschuldig waren und das konnte man vor allem von Markus nicht mehr behaupten. Vor kurzem Fünfzehn geworden hatte ich ihn schon oft mit einer Zigarette erwischt oder mit einem Bier in der Hand.
Meine Bemühungen, den Grund für all das rauszufinden, waren umsonst gewesen und ich konnte tatenlos zusehen, wie er langsam aber sicher seinen Platz bei den Absturzkindern gefunden hatte. Auch wenn ich immernoch hoffte, dass es nur eine Frage der Zeit war, bis er realisierte, dass diese bescheuerten Suchtmittel ihm nichts brachten außer Ärger.
Nathalie war da hingegen noch ein Unschuldslamm. Ständig kichernd, immer in ihrer kleinen Clique und zugegebenermaßen war ich wirklich, wirklich stolz, dass sie ihren Platz in ihrer Klasse gefunden hatte. Noch vor ungefähr anderthalb Jahren hatte ich sie beinahe täglich im Arm und getröstet, jetzt sah ich sie vielleicht morgens und abends.
Ja, meine Kinder pubertierten. Jedes Kind tat das und meine Eltern mussten bei mir und meinen Geschwistern auch durch.
Und trotzdem tat es weh, als ich einen Abend mal wieder alleine auf der Couch lag - meine Tochter über Nacht bei irgendeiner ihrer Freundinnen und mein Sohn irgendwo, wahrscheinlich wieder mit Alkohol, meine Frau in Hamburg und erst in vier Tagen zurück.
Ich wünschte mir die Zeit zurück, als ich noch lachend vor der Kamera stand. Man sagt, die ersten zwanzig Jahren waren die längsten, die besten. Und ich war naiv genug gewesen und hatte geglaubt, dass es immer so bleiben würde.
Nie hätte ich mir vorstellen können, abends um 8 wie jeder Durchschnittsdeutsche (normalerweise auch mit der Frau im Arm) pünktlich zur Tagesschau auf der Couch zu sitzen - mit gelockerte Krawatte und einem Glas Wein.
Aber so war es halt - man wurde auch nicht jünger.
Aber ich liebte meine Familie - mit all ihren Macken und Problemen.
•••
"Thomas Marsch?" "Ja?" Konzentriert klemmte ich das Telefon zwischen Schulter und Kopf, rührte währenddessen in der Tomatensauce für mein Essen. Markus saß hinter mir auf einem Küchenstuhl, war mit Nathalie an seinem Handy. "Sie sind der Ehemann von Julia Marsch, nicht?" "Ja.. was ist mit ihr? Sie war auf Geschäftsreise." Unwillkürlich verstärkte sich mein Griff um den Holzlöffel, Sorge ließ mein Herz einen Schlag zusätzlich einsetzen. Es war ihr Vorgesetzter, welcher uns auf dem Haustelefon nur im Notfall kontaktieren durfte. Julia hatte zwei Stunden Verspätung und deshalb musste der Anruf an mich gehen, obwohl ich keine Ahnung hatte, mit wem ich dort wirklich sprach. "Es tut mir leid. Es gab auf der Autobahn einen Unfall, ihre Frau wurde verwickelt. Sie..." Ich ließ den Kochlöffel los, die Soße spritzte auf die weiße Wand. Nein. Bitte nicht. "Sie liegt im Stuttgarter Krankenhaus. Herr Marsch, es tut mir leid, aber ihre Frau hat den Unfa nicht überlebt." Ich schluckte hart, meine Mimik fror ein. Wie in Trance schob ich den Kochtopf zur Seite, die halb gekochte Soße blubberte noch, während ich den Herd ausschaltete und den Hörer in die Hand nahm. "Es tut mir wirklich leid, ich..." "Schon gut. Sie wussten ja nichts." Ich atmete tief durch. Meine Frau war tot. "Vielen Dank, dass sie uns benachrichtigt hatten." "Ich.." "Schönen Abend noch." Normalerweise hätte es mir leid getan, so wie ich die Person am Ende der Leitung abwürgte. Aber als ich den roten Hörer drückte, rutschte mir fast sofort das Telefon aus der Hand und zerbrach am Boden.
"Papa!" Lachte Nathalie, aber es kam mir wie durch Watte vor. "Du meckerst doch immer, dass wir auf das Telefon aufpa-" "Nathalie, halt den Mund." "Papa, Markus-" "Nathalie!" Ich wankte zu. Tisch, ließ mich auf einen Stuhl fallen und vergrub mein Gesicht in meinen Händen. Nicht weinen Thomas. Nicht vor den Kindern. "Papa?" Zum ersten Mal seit Ewigkeiten schenkten mir meine Kinder ihre volle Aufmerksamkeit. Ich wünschte, sie hätten es nicht getan, denn ein erster Schluchzer, trocken, ungewohnt brach aus meinen Lippen hervor, ein zweiter folgte. Nochmal nachdenken! Sagte mein Herz. Ich denke! Sagte mein Gehirn. Sie ist tot, sie lebt nicht mehr. Das kann nicht sein! Behauptete mein Herz und mein Magen drehte sich im Kreis.
"Ist etwas mit Mama?" Ein kluger Junge, den Julia mir geschenkt hatte. Und eine wundervolle Tochter. Ein weiterer Schluchzer. "Hatte sie einen Unfall?" Es war eine tolle Ehe, eine tolle Liebe. "Papa?" Endlich raffte ich mich auf, etwas zu sagen, aber meine Stimme klang seltsam fremd in meinen Ohren. "Sie ist tot. Unfall." Unglaublich kalt, während in mir ein Sturm des Schmerzes wütete.
Einundzwanzig, zweiundzwanzig, dreiundzwanzig..
Bis neunundzwanzig kam ich, dann schluchzte Nathalie auf. Es tat weh, wirklich weh. Bis einundreißig und Markus schluchzte.
Und ich hatte schon längst aufgehört zu zählen, als sie mir in die Arme fielen.
Es war sicher nicht leicht, in so jungen Jahren die Mutter zu verlieren.
Und es war unfair, so verdammt unfair, dass mein bescheuertes Herz weiterhin Blut durch meinen Körper pumpte, während ihres für immer still gestanden war.
Ich wünschte, ich könnte an ihre Stelle, sie hatte es nicht verdient.
Und ich weinte, ich weinte lange. Ich weinte, bis meine Augen rot und verquollen waren, jeder meiner Atemzüge rasselte und das Licht des Morgens wieder in die Küche schien und meine Kinder in meinen Armen eingeschlafen waren.
Es war ein wunderschöner Morgen, ein Frühlingsmorgen. Die Sonne schien durch das kleine Fenster und das Grün der Bäume stach mir fast schon ins Auge.
Ich hatte gehofft, dass ich niemals von einer Person abhängig werden würde.
Und dennoch hatte ich das Gefühl, dass die Welt nie grauer gewesen war.
{1064 Wörter}
Heyhey. Ja ich existiere xD.
Fragt mich nicht, wie ich darauf gekommen bin, dass Zro plötzlich erwachsen ist. Ja, der OS hat keinen Zusammenhang, aber es war schön, einfach mal wieder draufloszuschreiben, ohne Plan und ohne Ende.
Wie geht's euch so?
~Rosenlicht
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