Wacrie - Teufel und Amor

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Wacrie schreibt für... TcnyMontanaShit  :)

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➶➶➶➶➶ Teufel und Amor ➷➷➷➷➷

Gelangweilt nestelte ich eine Zigarre aus meinem Etui und zündete sie mir an. Mir war sterbenslangweilig.

Seit Jahrtausenden war es immer dasselbe und es war dröge. Es gab nur selten Abwechslung in meinem Dasein.

Es gab Gründe, wieso ich mein derzeitiges Domizil in Seoul, Korea bezogen hatte. Hier konnte ich Chaos stiften, die einzige Beschäftigung, die mich aus dem Alltagstrott herausreißen konnte. Hier fiel nicht auf, wenn sich noch eine unglückliche Seele das Leben nahm und somit seine Familie gleich mit ins Unglück stürzte. In anderen Ländern gab es eine deutlich geringere Selbstmordrate.

„Herr Kim, kann ich Ihnen noch etwas bringen?"

Die Bedienung vor mir klimperte mit ihren langen Wimpern, beugte sich extra tief zu mir hinunter, als sie mich fragte und bot mir so einen großzügigen Blick in ihr Dekolleté.

Ich nahm einen letzten Zug meiner Zigarre und kippte daraufhin den Rest meines Whiskeys hinunter. Das war kaum zum Aushalten.

Ja, ich sah teuflisch gut aus und gab reichlich Trinkgeld, aber mussten sich die Menschen allesamt deswegen so über alle Maßen bei mir anbiedern? Ich bevorzugte Natürlichkeit und nicht solch aufgetakelte Schnepfen.

„Whiskey", orderte ich grob und die Dame stöckelte eifrig davon, um meinen Wunsch zu erfüllen.

Menschen. Sie gingen mir dermaßen auf die Nerven. Es war jeden Tag das Gleiche. Ich konnte sie nicht alle in dem Maße quälen und bestrafen, wie ich mir das wünschte – dafür reichte meine Macht nicht – aber ich tat mein Bestes, damit sie ebenso litten wie ich. Es wäre ungerecht, wenn nur eine Seele auf diesem Planeten im Unglück versank.

Eine Gruppe, die unweit entfernt saß, fesselte meine Aufmerksamkeit. Sie waren laut, alberten herum und unterhielten so die halbe Bar. Dennoch konnte ich es nicht leugnen: eine Dame war ausgesprochen schön und womöglich wäre sie für diese Nacht zu haben...

In der Menge vor mir tauchte ein blonder Haarschopf auf und steuerte auf eben jene Gruppe zu, die ich bereits im Blick hatte. Mit einem zweiten Blick vergewisserte ich mich, dass ich mit meiner Vermutung korrekt lag, dass der junge Mann der Amor Seouls war.

Endlich. Das könnte lustig werden.

Langsam erhob ich mich und schlenderte unauffällig in seine Richtung, behielt ihn die ganze Zeit über im Blick.

Jimin war ein Amor von vielen. Seit ich mich in Seoul niedergelassen hatte, sah ich ihn hin und wieder. Wir sprachen nie viel miteinander, aber immer, wenn wir uns begegneten, war es eine Freude, seine Pläne zu vereiteln. Er ärgerte sich stets so schön, wenn ich erfolgreich war. Faselte dann etwas von einem göttlichen Gleichgewicht, das ich stören würde, aber das war mir einerlei. Gott interessierte sich nicht für mich. Nicht ein Mal hatte er sich mir gezeigt, also kam ich zu dem Schluss, dass es ihn gar nicht gab.

Ohnehin machte Jimin auch ohne mein Zutun einen hundsmiserablen Job. So unglücklich verliebt, wie in dieser Stadt viele waren, konnte ich mir nicht erklären, was er den ganzen Tag über trieb.

Ich wollte seine Erfolgsquote aber noch weiter schmälern und schlenderte langsam näher zu ihm.

„Pass auf!", gab ich absichtlich laut von mir, als der Amor sich der auserwählten Frau näherte und so sehr zusammenzuckte, dass er versehentlich die Bedienung erwischte, die gerade vorbeistöckelte. Ich konnte mir ein Grinsen nicht verkneifen, als ich Jimins erschrockene Miene sah. Die Bedienung blieb stehen und blinzelte irritiert. Als sie den für sie erwählten Mann sah, geschah so viel in ihrem Gesicht, dass ich losprusten musste. Sie hatte nur noch Augen für den Kerl, hatte sie weit aufgerissen und sogar ihr Mund stand einen Spalt offen. Der typische Gesichtsausdruck eben, wenn sich ein Mensch auf den ersten Blick verliebte. Ein paar Mal war ich bereits Zeuge dieses Schauspiels geworden und es ödete mich an.

„Ach, sieh nur, was du angestellt hast!", motzte mich der Amor an. Obendrauf gab es einen abfälligen Zungenschnalzer von ihm zu hören.

Er drehte sich zu mir um und ich sah, wie er seine kleinen Hände zu Fäusten ballte und seine Nasenflügel bebten. „Du-!", quetschte er durch zusammengebissene Zähne hervor und stieß mir mit dem Zeigefinger gegen die Brust, „Kim Seokjin, du lästiges Ungeziefer!"

Ich taumelte einen Schritt zurück, weil ich nicht von ihm angetatscht werden wollte, doch er folgte mir. Sein Aufstand sorgte jetzt schon für Chaos in diesem Laden - was mir gefiel - und so war das Grinsen von meinem Gesicht nicht wegzuwischen, was den Amor nur noch mehr anstachelte.

„Du nutzloses Wesen! Such' dir endlich eine Aufgabe!"

„Aber ich habe mir doch schon eine gesucht", rechtfertigte ich mich und die Augen des Mannes vor mir verengten sich zu schmalen Schlitzen, sodass ich mich unweigerlich fragte, wie er mich durch den dünnen Spalt überhaupt sehen konnte. „Dich zu ärgern bereitet mir mehr Freude, als es jede andere Aufgabe könnte!"

„Du-!", stieß er erneut hervor und sein Verdruss ließ mein Grinsen umso breiter werden.

„Jimin, gibt es hier ein Problem?" Die Geschäftsführung hatte sich uns genähert, da unser kleiner Disput Aufmerksamkeit auf sich gezogen hatte. Sie sah den Amor fragend an und machte Anstalten, ihn am Arm zu berühren, doch er trat einen Schritt zur Seite. Es war keine gute Idee, ein übernatürliches Wesen zu berühren, aber das wusste sie natürlich nicht. Auch wenn die beiden sich offenkundig kannten und sogar per Du waren.

Die Menschen erkannten keine Götter, Teufel oder Geister mehr, selbst wenn einer direkt vor ihnen stand. Das war Fluch und Segen zugleich. Ich konnte mich unter sie mischen, wenn ich es wollte und unbemerkt Chaos stiften. Allerdings brachten sie mir nicht mehr den gebührenden Respekt entgegen, so wie früher. Was ihnen jedoch wichtig war, war es, den Dingen einen Namen zu geben.

Als Jimin der Dame keine Antwort gab, sah sie mich fragend an.

„Alles in bester Ordnung", gab ich breit grinsend zurück, fischte einen Geldschein aus meiner Geldbörse und reichte ihn ihr, nickte dabei auf meinen Tisch, der sich unweit von mir befand, vergrub meine Hände in den Hosentaschen und schlenderte langsam aus dem Laden.

„Hey!", hörte ich es hinter mir rufen, als ich an die frische Luft trat.

Der Amor war mir gefolgt und funkelte mich böse an.

„Was gibts, Kurzer?" Das schiefe Grinsen, das sich dabei auf mein Gesicht stahl, konnte ich nicht unterdrücken.

„Du bist unerträglich!", echauffierte sich Jimin und mein Grinsen wurde nur breiter. „Nutzlos und lästig! Hast du jemals etwas Sinnvolles in deiner Existenz getan? Pass auf – ich werde jetzt meiner Aufgabe weiter nachgehen und du wirst mich gefälligst dabei in Ruhe lassen!"

„Und wieso sollte ich das tun?"

Den Amor zu ärgern, machte einfach zu viel Spaß, als dass ich es mir entgehen lassen würde.

Ich hatte keine Ahnung, wieso Jimin der Amor von Seoul war – womöglich war er hierher strafversetzt worden, wieso sonst sollte er sich diese Metropole freiwillig als Wirkungsplatz ausgesucht haben? Es war kein bequemes Pflaster. Die Leute, die hier lebten, waren stets unglücklich und es war sicher keine leichte Aufgabe für ihn, hier Frieden und Glückseligkeit zu verbreiten.

Ich für meinen Teil liebte es hier in Seoul.

Es hatte keinen bestimmten Grund für mich gegeben, in diese Stadt zu ziehen. Ich war in meinem Leben schon viel herumgekommen. Korea hatte wenigstens den Vorteil, dass der Alkohol anständig war. Auch wenn ich ein Teufel war, Alkohol wirkte auch bei mir und er half mir, dieses stete Summen, das von den Menschen ausging, auf ein erträgliches Maß zu drücken.

„Hör' endlich auf, mich zu belästigen – ich habe eine Aufgabe zu erfüllen und wenn ich es nicht schaffe, dann wird das Welt-"

„Weltgefüge ins Ungleichgewicht stürzen, jaja, ich weiß."

Jimin schnaubte, als ich die Augen verdrehte und gleichzeitig seinen Satz beendete.

Wie oft hatte ich diese Diskussion bereits mit anderen übernatürlichen Wesen geführt, die mein Handeln missbilligten?

Es machte Spaß, sie alle zu foppen, besonders diesen Amor. Er hatte eine Aufgabe, in der er vollends aufging. Es bereitete ihm Freude, den Menschen dabei zuzusehen, wie sie sich fanden und sich sprichwörtlich auf den ersten Blick ineinander verliebten.

Ich hatte dagegen keine Aufgabe, wanderte seit Jahrtausenden ziellos umher, hatte keinen Anführer. Lediglich hier und da etwas Chaos zu stiften, brachte Abwechselung in mein Dasein. Ich war neidisch auf den Amor, dass er eine Bestimmung hatte und ich nicht. Er verachtete mich dafür, dass ich keinen Nutzen auf dieser Erde hatte und das kränkte mich.

Er trat näher an mich heran und stieß mir seinen Zeigefinger gegen die Brust.

„Lass mich meine Aufgabe in Ruhe erledigen und mische dich nicht mehr ein. Suche dir von mir aus jemand anderen, den du belästigen kannst, aber lass mich in Ruhe! Hast du das verstanden?"

Ich legte den Kopf schief und gab ein Brummen von mir. Ich war ja nicht doof, natürlich hatte ich verstanden, dass es ihn nervte, dass ich ihm immer wieder dazwischenfunkte - ob ich seinem Wunsch entsprechen und ihn tatsächlich in Ruhe lassen würde, war eine ganz andere Sache.

Er sah mich nachdrücklich an, ehe er erneut schnaubte, sich schließlich von mir abwandte und einen prüfenden Blick über die wenigen Menschen auf der Straße warf. Er sah auf seine Uhr – ein altmodisches Modell einer Taschenuhr – und seufzte frustriert.

Damit weckte er meine Neugier.

„Was ist los?"

Er verengte seine Augen, presste seine Lippen zu einem schmalen Strich aufeinander, ehe sich seine Miene schlagartig aufhellte.

„Ah, da ist er ja", murmelte er und eilte zu einem jungen Mann, der auf dem Bürgersteig zu uns schlenderte.

Jimin blieb auf halbem Weg stehen, drehte sich im Kreis, offensichtlich suchend und runzelte die Stirn, als er nicht fand, was er suchte.

Wie sollte ich noch mehr Chaos stiften, wenn ich nicht wusste, was nicht stimmte?

Schnell war ich an seiner Seite.

„Was ist los?", wiederholte ich meine Frage und Jimin war so genervt, dass er mir glatt antwortete.

„Er ist nicht hier!", teilte er mir gepresst mit, vergrub seine Hand in der Jackentasche und zog ein Stück altes Pergamentpapier hervor, auf dem eine kurze Nachricht stand, die ich nicht entziffern konnte, da sie in Göttersprache verfasst war. Kein Wesen, das dem Chaos diente, war fähig, sie zu entziffern. Sterbliche selbstredend ebenso nicht.

„Hier steht es: Choi San und Jung Wooyoung, 18:34 Uhr, vor dem Restaurant Lotus."

„Ja und?", stellte ich die naheliegende Frage, weil ich keinen Schimmer hatte, wie seine göttliche Aufgabe funktionierte.

Er sah von seinem Pergament auf und mich verstimmt an. „Wooyoung ist dort, aber wo ist San? Ich kann ihn nirgends in der Nähe spüren!"

Himmel, dieser Amor machte aber aus jeder Mücke einen Elefanten. War es so tragisch, wenn mal einer zu spät kam und er ein Pärchen nicht verkuppeln konnte?

„Vielleicht ist er krank geworden und liegt Zuhause im Bett?"

„Bist du so dumm oder machst du das mit Absicht?"

Wie bitte?

Noch bevor ich mich wegen dieser unerhörten Unhöflichkeit beschweren konnte, sprach er weiter. „Das ist unmöglich! Es ist ihnen vom Schicksal vorbestimmt, jetzt hier zu sein. Das ist noch nie passiert!"

Jimin war eindeutig eine Dramaqueen und nur mühsam unterdrückte ich ein erneutes Augenrollen.

„Und was ist daran so schlimm? Mach halt mit den nächsten weiter", schlug ich eine durchaus passable Alternative vor, wie ich fand.

„Das geht nicht – ich bekomme keinen neuen Auftrag, bis dieser erfüllt ist."

Nie hatte ich mir die Mühe gemacht, mich damit zu beschäftigen, wie seine Aufgabe konkret erfüllt wurde - wieso auch?

"Und ihn einfach mit jemand anderen verkuppeln? Die da zum Beispiel? Die sieht doch ganz gut aus", schlug ich vor und deutete auf eine Frau, die gerade an uns vorbei schlenderte und mir einen nicht abgeneigten Blick zuwarf, doch Jimin schüttelte sofort vehement seinen Kopf.

"Nein, das geht nicht. Ich kann doch nicht absichtlich einen Fehler machen!"

Götter und ihre Moralprinzipien. Das war doch lächerlich.

Jimin sah zu dem Mann hin, dessen Partner noch nicht aufgetaucht war und ich folgte seinem Blick.

„Wie meintest du, heißen sie noch einmal? Wooyoung? Jung Wooyoung?", versuchte ich mir ungläubig ins Gedächtnis zu rufen und beinahe fiel mir die Kinnlade hinunter.

„Ja, und?"

„Und der andere heißt Choi San?"

„Ja, aber... Ach, wieso erzähle ich dir das überhaupt? Verschwinde endlich, ich regle das alleine." Jimin wandte sich ab und schritt ein paar Meter von mir weg, weiterhin auf der Suche nach Choi San, der nicht kommen würde.

Wusste er denn nicht, wen er da gerade verkuppeln wollte?

Wooyoung war ein berühmter Schauspieler, der aufstrebende Künstler des Landes. Sogar Amerika streckte seine gierigen Finger nach ihm aus und es war nur eine Frage der Zeit, bis er dem Rufen nachgeben würde.

Und Choi San war Tänzer, stand auf den großen Bühnen der Welt und gestern Nacht hatte ich einen beeindruckenden Einblick in seine Fähigkeiten bekommen können. Er würde heute nicht auftauchen, da ich ihn gestern in die Zwischenwelt und somit ins Jenseits geschickt hatte.

Ich lachte auf, ließ Jimin ziehen und ein zufriedenes Grinsen zierte mein Gesicht. Choi San würde keine Möglichkeit haben, seinen vorbestimmten Seelenpartner zu treffen, der Amor würde vergebens auf ihn warten und keinen neuen Auftrag erhalten.

Das perfekte Chaos.

Ich war sehr zufrieden mit mir.

Kurz drifteten meine Gedanken an den gestrigen Abend zurück, wie ich den Tänzer in einem Club getroffen hatte. Es war ungewöhnlich, dass meine Aufmerksamkeit einem Sterblichen galt, aber San hatte viele körperliche Vorzüge und geizte nicht damit, sie zu zeigen.

Er schob sich durch die Massen bis zur Bar, an der ich saß, zog dabei bewundernde Blicke auf sich und ließ sich neben mich auf einen Hocker fallen.

„Hey", begrüßte er mich, bestellte etwas an der Bar und weil ich ihn ebenso faszinierend fand, wie er mich, bekundete ich ihm mit einem Nicken mein Interesse.

San beugte sich zu mir herüber, sein Mund war dicht an meinem Ohr.

„Ich würde sterben, um eine Nacht mit dir verbringen zu können."

Sein Wunsch war mir Befehl gewesen. Im wahrsten Sinne des Wortes. 

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Am nächsten Tag traf ich Jimin wieder.

Ich wusste nicht, wieso mich meine Füße erneut zum Restaurant von gestern trugen. Vielleicht wollte ich sehen, wie der Amor mit der unmöglich zu erfüllenden Aufgabe umging. Womöglich wollte ich ihn ein wenig ärgern.

Doch als ich ihn dort stehen sah, regte sich etwas in mir. Es dauerte geschlagene fünf Minuten, bis ich benennen konnte, was ich fühlte, weil ich es seit Jahrhunderten nicht mehr empfunden hatte.

Mitleid.

Jimins Haare standen zu allen Seiten ab. Er sah gestresst aus, sein Blick huschte von links nach rechts, immer die Straße entlang. Ich war so sehr an seinen stets akkuraten Anblick gewöhnt, dass mich diese Erscheinung unerwartet traf.

Ich schluckte, versuchte, diese ungewohnte Emotion zu verdrängen und sah mich um.

Von Wooyoung war keine Spur zu sehen.

Langsam schlenderte ich zu Jimin, der die entgegengesetzte Straßenseite betrachtete und mich nicht bemerkte.

„Ist er noch immer nicht aufgetaucht?", stellte ich die vollkommen überflüssige Frage, deren Antwort ich bereits kannte. Wie sollte jemand hier aufkreuzen, der sich in der Zwischenebene befand?

Jimin schrak zusammen und drehte sich zu mir um. Als er mich erkannte, verhärtete sich seine Mundpartie und seine Augen verengten sich zu schmalen Schlitzen.

„Ich wüsste nicht, was es dich angeht", brummte er durch zusammengebissene Zähne und sah demonstrativ wieder in die andere Richtung.

„Ich kann helfen", bot ich an und wusste selbst nicht so recht, woher dieser Impuls kam, doch die Worte waren draußen.

Ich war der Einzige, der wusste, wo Choi San abgeblieben war. Wenn ich nicht half, dann würde Jimin ewig auf den jungen Mann warten, der dann bereits in den Tiefen der Hölle schmorte. Was sonst sollte ihn erwarten, wenn er sich mit einem Teufel einließ?

Jimin sah überrascht zu mir, sein Mund stand einen Spalt breit offen, ehe er die Stirn runzelte und seine Arme vor der Brust verschränkte.

„Wieso solltest du das tun?"

Das war eine gute Frage. Wieso hatte ich ihm meine Hilfe angeboten?

Mir würden diese Frotzeleien zwischen uns fehlen. Der Amor würde seiner Aufgabe nicht mehr nachkommen können und keine neuen Aufträge erhalten. Es würde mir fehlen, nicht mehr zu sehen, wie es ihn ärgerte, wenn ich ihm in die Quere kam.

Ich hatte keinerlei Einblick in ihre Arbeitsweise, aber ein längeres Versagen würde zu einer Zwangsversetzung führen und Wesen, die über weitaus größere Kräfte verfügten, als sie der Amor hatte, würden sich einmischen.

„Nun ja", versuchte ich Zeit zu schinden, mir eine Ausrede zu überlegen, aber Jimins Blick bohrte sich förmlich in mich hinein und so platzte ich mit der Wahrheit heraus, „Weil ich schuld bin, dass er nicht aufgetaucht ist."

„Wie meinst du das?"

Ich kickte einen kleinen Stein auf die Straße und sah ihm hinter, wie er über den Asphalt kullerte.

„Wie meinst du das?", wiederholte er.

„Ich hab ihn vorletzte Nacht zu mir nach Hause eingeladen", versuchte ich das pikante Detail zu umschreiben, dass wir zusammen im Bett gelandet waren. Jimin brauchte einen Augenblick, aber dann sah ich an seiner Miene, dass er verstand.

Er riss seine Augen auf, sein Mund klappte auf, ehe er tief Luft holte und seine Fäuste in die Seiten stemmte. Selten hatte ich ihn so ungehalten gesehen, wahrscheinlich machte ich ihn mit meinen Aktionen langsam mürbe.

Er war verhältnismäßig ruhig geblieben, als ich einen Autofahrer vor ein paar Wochen so sehr abgelenkt hatte, dass er mitten in die Menschenmenge fuhr, in der er gerade stand und sein Werk vollbrachte. Jimin hatte sich nicht aufgeregt, als ich dabei war, ein frisch verliebtes Pärchen zu einem Dreier zu überreden und auch, als ich eine Dame dafür bezahlte, ihn für ein Date mit ihr zu gewinnen, ist er ruhig geblieben und nie aus der Haut gefahren.

Doch jetzt hatte ich den Bogen offenkundig überspannt.

„Du hast dich in die göttliche Fügung eingemischt und sie durcheinander gebracht?", brauste er auf und ich zuckte zusammen, als er einen lauten Tonfall anschlug, „Noch dazu hast du dich deinen fleischlichen Gelüsten hingegeben?"

Wenn er es so sagte, wirkte es, als sei es ein Verbrechen. Sicher, es war nicht optimal, dass Sterbliche übernatürliche Berührungen nicht überlebten, wenn sie zu lange anhielten, aber dafür konnte ich doch nichts? Ich war der Teufel, war es nicht das, was man von mir erwartete? Mich der Wollust hinzugeben?

„Ich hol' ihn dir zurück", bot ich uneigennützig an. Wobei – nicht ganz selbstlos, wollte ich doch weiterhin diese Frotzeleien mit Jimin genießen, die mich aus dem schnöden Alltag rissen.

„Wieso solltest du das tun?" Jimins Augen waren zu so schmalen Schlitzen verengt, dass ich mich erneut wunderte, wie er etwas durch seine Wimpern erkennen konnte.

„Du meintest doch, ich solle mich nützlich machen?", erinnerte ich ihn an seine Worte und seine Miene hellte sich ein wenig auf. Nicht übermäßig, aber doch ein bisschen.

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Es gab für mich nicht viele Momente, in denen ich die Zwischenwelt aufgesucht hatte. Nur weil es grundsätzlich in meiner Macht lag, es zu tun, hieß das nicht, dass ich es gerne machte. Die meisten Seelen, die man hier fand, waren frisch verstorben und bereiteten sich darauf vor, weiterzuziehen. Ein paar gruselige Gestalten fanden hier auch gar nicht mehr hinaus und irrten Jahrtausende lang umher. Natürlich könnte ich sie erlösen und weiterführen, aber es war leichter, ihnen ganz aus dem Weg zu gehen und einfach gar nicht hierher zu kommen.

Ich brauchte nicht lange, um die gesuchte Seele in der Zwischenebene zu finden. Für gewöhnlich entfernten sie sich nicht weit von der Stelle, an der sie die Nachwelt betreten hatten und auch hier hatte ich Glück. Ich hatte ein ausgeprägtes Gespür dafür, eine Seele zu finden, wenn ich sie suchte.

Choi San saß auf dem Boden, die Beine angezogen und hielt den Kopf gesenkt.

Ich hatte Glück, ihn hier zu finden und dass er noch nicht weitergezogen war. Bei manchen Seelen ging es schnell. Sie fanden sofort den Weg in die nächste Ebene, andere brauchten länger. Er gehörte zur zweiten Kategorie.

„Los, beweg deinen Hintern. Es geht zurück."

Er sah zu mir auf und wirkte im ersten Moment verwirrt.

„Jin?", blinzelte er mich an, machte aber keine Anstalten aufzustehen.

„Ja und jetzt sag nicht, du bist verwundert, mich hier zu sehen. Ich habe dir mitgeteilt, dass du dich mit dem Teufel höchstpersönlich einlässt." Ich war stets ehrlich mit den Menschen, die sich mit mir einließen, doch nur selten glaubten sie mir.

„Aber... ich habe gedacht..."

Ich verdrehte die Augen. Es war immer das Gleiche mit ihnen.

„Hör zu", begann ich, hockte mich vor ihn hin und fasste ihm unter das Kinn, sodass er mich direkt ansehen musste, „Ich werde es nicht noch einmal sagen. Entweder du kommst mit oder du bleibst hier und ... nimmst dein Schicksal an."

„Wieso sollte ich dir vertrauen?", hauchte er.

Das war eine gute Frage.

„Ich habe dich nie angelogen. Und seien wir mal ehrlich – was hast du schon zu verlieren?"

Er dachte einen Augenblick über meine Worte nach.

„Meine Seele?" Seine Stimme war so dünn, dass ich Mühe hatte sie zu hören und kurz dachte ich, ich hatte mir seine Erwiderung nur eingebildet. Doch er sah mich so erschrocken an, dass es unmöglich Einbildung hatte sein können.

Ich lachte auf, drückte die Beine durch, dass ich wieder aufrecht stand und schnaubte.

„Was will ich bitte mit deiner Seele?"

San runzelte die Stirn. „Ich dachte, du bist der Teufel?"

„Jaahaa", antwortete ich gedehnt und fragte mich, wieso er so begriffsstutzig war. Womöglich war er mit seinen Gedanken schon längst im Jenseits und nur der Körper war in der Zwischenebene verblieben, zusammen mit einem kläglichen Rest? War er vorgestern auch schon so einfältig gewesen? Viel gesprochen hatten wir nicht...

„Ich bin ein Teufel. Aber was soll ich mit deiner Seele? Seh' ich aus wie ein Dämon, der Verträge abschließt?" Es war eine rhetorische Frage, aber San machte tatsächlich Anstalten, mir zu antworten. Ich verhinderte es, hielt ihm meine Hand hin.

„Komm mit."

San klappte seinen Mund zu und starrte meine Hand an. Ich konnte ihm förmlich beim Denken zusehen, doch ich versuchte, geduldig zu sein. Ich würde ihn nur mit zurücknehmen können, wenn er es freiwillig wollte und zustimmte – sonst wäre ein Teil von ihm für immer hier gefangen und nur ein unvollständiger Schatten seiner Selbst käme mit mir zurück.

Fragt lieber nicht nach, woher ich das wusste.

Zögerlich hob San seinen Arm und seine Finger berührten zunächst meine, ehe sich die ganze Handfläche in meine Hand schob.

„Okay", hauchte er, gab damit seine Zustimmung, damit ich ihn mitnehmen konnte.

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„Du kannst sie tatsächlich aus dem Jenseits zurückholen?", fragte mich Jimin ungläubig, als ich wieder zu ihm stieß. Ich trug San in meinen Armen, penibel darauf bedacht, nicht seine Haut zu berühren. Er war bewusstlos.

„Nein. Wer einmal weitergezogen ist, der ist weg", klärte ich ihn auf, bemerkte aber seine Miene, die blanke Unwissenheit und wunderte mich einen Augenblick darüber.

So wenig, wie ich über Jimins Aufgabe und Berufung wusste, so wenig kannte er sich mit meinen Fähigkeiten aus. Er konnte gar nicht wissen, wie es nach dem Tod weiterging.

„Sie hängen manchmal für ein paar Tage in einer Zwischenebene. Dort kann ich sie rausfischen", klärte ich die unausgesprochene Frage auf und Jimin schnaubte daraufhin.

„Als ob mich das interessiert."

Ich ging in die Hocke, legte San vorsichtig auf den Boden und Jimin stürmte sofort zu ihm.

„Was hat er?"

„Er wird gleich wach." Hoffte ich. „Das Wechseln der Ebenen ist anstrengend."

„Für dich nicht?"

„Ich bin nicht sterblich. Nein." In die Zwischenebene zu wechseln war für mich genauso kräftezehrend, wie die Straße zu überqueren.

Mich wunderte, dass Jimin sich dafür interessierte, was ich konnte und was nicht. Und er überraschte mich ein weiteres Mal.

„Danke." Jimin sah von San auf und mich an. „Dafür, dass du ihn zurückgebracht hast."

Ich zog meine Schultern hoch und nickte knapp. Jimin wirkte nachdenklich, schürzte seine Lippen und kniff die Augen ein wenig zusammen, sagte aber nichts mehr.

„Wo ist der andere?" Ich deutete mit dem Kinn auf San.

„Jung Wooyoung wird gleich hier sein. Er ist bereits ganz in der Nähe."

Suchend sah ich mich um, doch konnte ich noch keine Spur des Mannes sehen. Es war spät in der Nacht und die Menschen, die sich auf der Straße befanden, huschten schnell an uns vorbei. Niemand schien Notiz davon zu nehmen, dass Jimin und ich neben einem Mann standen, der bewusstlos am Boden lag.

„Da kommt er", machte mich Jimin auf einen Schatten aufmerksam, der in unsere Richtung eilte.

Er bückte sich, ging neben San in die Hocke und berührte ihn an der Schulter. Jimins Augen leuchteten für eine Sekunde dezent auf und es machte mich stutzig. Noch nie hatte ich dieses Detail bemerkt, allerdings kam ich ihm auch selten so nah, wie gerade, während er seine Kräfte einsetzte.

Er stand auf, lief lässig in Wooyoungs Richtung, rempelte ihn leicht an, als er an ihm vorbeiging und berührte ihn dabei an der Schulter.

Und da hatten wir den magischen Moment, dessen ich bereits oft Zeuge geworden war: Wooyoung sah in die Richtung, in der San lag. Seine Augen wurden groß, als er ihn am Boden liegen sah und sofort schoss er zu ihm. Wooyoung kniete sich neben San und genau in diesem Moment kam dieser zu Bewusstsein.

„Hast du Lust, noch etwas trinken zu gehen?", hörte ich Jimins Stimme hinter mir. Ich zuckte zusammen, weil er mich überrascht hatte und ich in den Anblick von San und Wooyoung vertieft gewesen war.

„Seit wann trinkst du Alkohol?", brachte ich skeptisch raus und konnte meinen Blick von den beiden losreißen und Jimin ansehen. Sein Mund war zu einem zufriedenen Grinsen verzogen.

„Ab und an", erwiderte er achselzuckend. „Komm."

Ich folgte ihm, meine Gedanken waren aber noch bei den beiden Menschen hinter mir. Wooyoung war berühmt und dem Tänzer San nun mit Haut und Haar verfallen. Das würde einen wunderbaren Skandal auslösen, wenn die Beziehung der beiden herauskäme. Wahrscheinlich würde Jimin davon nicht einmal etwas mitbekommen, aber das war egal. Wir hatten beide unseren Willen bekommen und es war gut so.

Ich war ... froh, dass Jimin weiterhin ein Teil meiner Existenz sein würde, mich auf dem unendlichen Weg der Unsterblichkeit begleiten und nicht durch einen anderen Amor ersetzt werden würde. Ich hatte mich so sehr an seine Präsenz gewöhnt und die gegenseitigen Sticheleien genossen, dass ich ihn weiterhin bei mir wissen wollte.

Zwar war ich noch immer neidisch darauf, dass er einer Aufgabe nachkam, die ihn erfüllte und ich keine besaß, aber das ließ sich nicht ändern.

Wir setzten uns an den Tresen der Bar und mit einer Handbewegung bestellte ich Hochprozentiges für uns beide, welches kurz darauf vor uns abgestellt wurde. Man kannte mich hier.

„Wie sieht es in der Zwischenwelt aus?", durchbrach Jimin die Stille zwischen uns und sein Blick traf meinen. Wieso wollte er das so plötzlich wissen?

Jimin musste meine Verwirrung gesehen haben, denn er erklärte sich gleich weiter.

„Es ist mir unmöglich dorthin zu gehen. Ich bin neugierig, weil ich es nie sehen werde."

Kurz spielte ich mit dem Gedanken, ihm anzubieten, dass er sie mit mir besuchen konnte. Es herrschte für heute Waffenstillstand und ich konnte es mir nicht erklären, aber ich wollte ihm diesen Gefallen tun. Allerdings biss ich mir auf die Zunge, weil ein Amor in dieser Ebene nichts zu suchen hatte. Sie waren für die obere Welt bestimmt, nicht für die niederen Ebenen.

„Dort gibt es nicht viel zu sehen. Seelen, die umherirren, ehe sie eventuell weiterziehen. Dunst und Rauch und viel Leere."

„Eventuell weiterziehen?", fragte Jimin nach und zog grüblerisch seine Augenbrauen zusammen.

„Nicht jeder findet den Weg ins Jenseits."

„Und dann bleiben sie auf ewig da? In der Zwischenwelt?"

Ich nickte, was Jimin nun auch frustriert die Stirn runzeln ließ.

„Aber könntest du sie nicht weiterführen? So, wie du San zurückgeholt hast?"

Ich dachte einen Augenblick über seine Worte nach und nahm einen Schluck von meinem Whiskey.

„Könnte ich. Aber wieso sollte ich es tun? Sie sind immer so undankbar und anstrengend."

Jimin ließ sich Zeit mit seiner Antwort.

„Vielleicht ist das ja deine Aufgabe. Die Zwischenwelt zu führen."

Ich schnaubte. Was für ein Quatsch. Mir war keine Aufgabe zugeteilt worden und ich ging seit Jahrtausenden keiner nach. Dennoch nagte eine Sehnsucht in mir, die ich nur mühsam zurückdrängte.

„Vielleicht bist du doch nicht so nutzlos. Du hast heute Gutes getan", murmelte Jimin und leerte sein Glas.

Ein schiefes Grinsen stahl sich auf mein Gesicht. Wenn er wüsste, was für ein Chaos ich mit meiner Aktion eigentlich ausgelöst hatte...

„Mach dir keine Hoffnungen. Ab morgen ist wieder alles beim Alten."

Jimin legte den Kopf schief und sah mich prüfend an.

„Nein, ich glaube nicht, dass es wie vorher wird."

Ich erwiderte nichts. Er würde es schon mitbekommen, dass nach heute wieder alles so weiterging wie vorher.

Ich stand auf, zog einen Geldschein aus meiner Tasche und legte ihn auf den Tisch.

Kurz sah ich Jimin an, der sich ebenfalls erhoben hatte und mir die Hand zum Abschied hinhielt.

Nein, soweit würde es nicht kommen. Wir waren keine Freunde.

Ich nickte ihm zu, ehe ich mich umdrehte und die Bar verließ.

Er hatte einen Gedanken in meinen Kopf eingepflanzt, der mich lange Zeit nicht mehr losließ. War es womöglich wirklich meine Aufgabe, die Zwischenwelt zur Ordnung zu rufen und die Seelen, die dort umherirrten, auf den nächsten Pfad zu bringen?

Die Zeit würde es zeigen.

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