TcnyMontanaShit - Die Farbe des Lebens
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TcnyMontanaShit schreibt für bunnykattiii :)
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Die Farbe des Lebens
Niemand kann nachvollziehen, wie es ist, ohne Träume und Ziele zu leben.
Man geistert wie eine verlorene Seele durch die Straßen, erledigt seine Pflichten und die tagtägliche Routine, bis alles am nächsten Morgen wieder von vorne anfing. Du fühlst dich einsam, verlassen, ungewollt. Aber man ist es doch auch, wieso versuchen wir also die Wahrheit zu verstecken? Wieso wird niemandem bewusst, wie wertlos man eigentlich ist? Schämt man sich? Ist es ein Thema, was man totschweigen muss? Wie bei psychischen Krankheiten? Ich wusste es nicht.
Ich wusste, wusste, wusste es einfach nicht und mit jedem Tag, der verstrich, desto stärker drohte die Decke über mir einzustürzen.
Es war wie Selbstmord.
Die Uhr zeigte Mitternacht an. Schwer aufseufzend fuhr ich den Computer runter, legte die Unterlagen ordentlich in die Schubladen und verließ das Büro. In einigen Zimmern brannte noch Licht, die Flure waren dunkel und verlassen. Meine schweren Schritte stiegen die Treppen hinunter in den Keller Richtung Tiefgarage. Das Tor öffnete sich und ich fuhr hinaus in die Dunkelheit.
Ich hatte aufgegeben, an die Spitze gelangen zu wollen. Denn egal wie sehr ich es versuchen würde, es gab immer jemanden, der besser war als ich. Der hübscher war, der stärker war, der talentierter war. Und mit dem Aufgeben kam der bittere Beigeschmack der Sinnlosigkeit hinzu. Was hatte es für einen Sinn zu kämpfen? Wenn dir dein Talent nicht angeboren wurde, bist du nicht dazu bestimmt an der Spitze zu sein. Ich lebe, weil ich nicht sterben kann.
Der Wohnblock lag in Dunkelheit, als ich auf meinen Parkplatz fuhr und, ohne das Licht im Treppenhaus anzuschalten, zu meiner Wohnung in den zweiten Stock lief. Ich war leise, versuchte keinen Muchs von mir zu geben, während ich nach dem richtigen Schlüssel in der Schwärze suchte.
Mir rutschte das Herz in die Hose, als hinter mir ein Geräusch ertönte und ein dünner Lichtstrahl am Boden immer breiter wurde. Scheiße. Ich hörte Nägel am Boden kratzen, dann ein Hecheln von einem Hund. Versteift drehte ich mich um, blickte meinem Nachbar direkt in die Augen. Ich hatte wieder vergessen, wie er hieß, aber ich war mir sicher, dass sein Nachname Park war. "Oh... Yoongi, hallo."
Woher wusste er bitte schön wie ich hieß? Ich hatte mich ihm nie vorgestellt. Wie denn auch, wenn ich von Montag bis Freitag um halb eins nach Hause kam und mich am Wochenende in meiner Wohnung verkroch. Ich hatte ihn nur manchmal gesehen, wenn wir uns mal draußen vor der Tür gesehen hatten. Meistens wegen seinem Hund, der mochte es wohl mitten in der Nacht spazieren zu gehen.
"Hallo, Herr Park."
Ich hörte ihn kichern. Er schaltete das Licht im Treppenhaus an, schloss die Tür hinter sich. Sein Hund sah mich schwanzwedelnd an, die Zunge guckte raus. Ich blickte wahrscheinlich ganz bedeppert drein. "Du kannst mich Jimin nennen, so heiße ich immer noch."
Schüchtern sah ich zu Boden, suchte schnell den Haustürschlüssel am Bund.
"Wieso bist du so spät noch wach?" Nein, bitte kein Gespräch. Nicht hier, nicht jetzt. Ich... ich wollte nicht... "Arbeit." Er brummte verstehend.
Sein Hund wollte mich bestimmt attackieren, denn er zog an der Leine und sein Schwanz wedelte ganz aufgeregt. Ich hasste Hunde. Und doch traute ich mich nicht es ihm zu sagen. Jimin ließ die Leine locker, das Vieh kam auf mich zu und schnüffelte an mir herum. Das war komisch, dachte ich mir.
"Ich könnte mir zurzeit echt die Kugel geben", seufzte mein Nachbar schwer auf und überrascht sah ich zu ihm hoch. Irgendwie sah er gar nicht gut aus. Seine Augen waren matt, der Tagesmantel zerknittert und die graue Jogginghose fleckig. Das war bestimmt sein darin-wird-mich-eh-keiner-sehen-Outfit, in dem ich ihn dann doch erwischt hatte. Mir wäre es sehr peinlich, wenn mich jemand in sowas sehen würde. Aber ihm scheint es gar nichts auszumachen, denn er begann einfach wieder zu reden.
"Mein Trainer ist so gemein zu mir. Er meinte, ich soll nach seiner Pfeife tanzen. Wie sehe ich aus? Wie ein Tier das man trainieren kann?" Stellte er die Frage jetzt mir? Unsicher blinzelte ich, zuckte mit den Schultern. Er rieb sich über seine Schläfe. "Es ist immer derselbe Kindergarten mit ihm. Jimin du machst dies falsch, Jimin du machst das falsch. Es nervt mich so. Ich gebe doch schon mein Bestes, wie kann er noch mehr verlangen?"
Weil es andere vor dir besser gemacht haben und du einfach nicht dafür gemacht bist. Schnell presste ich meine Lippen zusammen und konnte gerade noch so still bleiben. Schweig, Yoongi. Es interessiert niemanden, was du denkst. "Vielleicht muss es so sein, dass er streng zu mir ist. Ein Tänzer zu sein ist eine schwierige Sache. Man muss der Beste sein."
Du wirst niemals der Beste sein. "Gib einfach auf" Meine Stimme war leise. "Du wirst es eh niemals schaffen." Kurz ließ Jimin seine Schultern hängen, dann grinste er aber und zog seinen Hund wieder zu sich. "Ich bin der allerbeste, natürlich schaffe ich das. Woher willst du das denn wissen?" Sein Lächeln war ehrlich, ich sah die Lachfalten an seinen Augen. Mein Herz stolperte und schlug schneller.
"Ich muss jetzt los, Yoongi. Vielleicht sehen wir uns ja bald wieder, hm?" Ich wollte meinen Kopf schütteln, aber da wendete er mir auch schon den Rücken zu und stieg mit seinem Hund die Treppen runter. Still stand ich da, mit dem Schlüssel in der Hand und den Hundehaaren an meiner Jeans.
~*~*~*~
Es war das erste Mal seit einem halben Jahr, dass mich der Wecker nicht am Morgen weckte. Ich schlief lange und gut bis zum Vormittag und als ich wach wurde, fiel mir ein, dass ich Urlaub hatte. Zwei Wochen nichts tun. Zwei Wochen die beste Zeit meines Lebens haben und diese ätzenden Verpflichtungen vergessen. Zwei Wochen lang schlafen, wann und wie lange ich wollte.
Bei dem Frühstück ließ ich mir viel Zeit, ließ das Radio laufen und wusste, dass es gute zwei Wochen sein würden. Ich konnte abends einkaufen gehen, was unter der Woche wegen meiner Arbeit gar nicht möglich war, und würde mir vielleicht die ein oder andere Spritztour erlauben.
Schweigend rührte ich die Milch in meiner Schüssel herum, sah starr auf den Küchentisch und reagierte erst gar nicht, als es an meiner Tür klingelte.
Beim zweiten Mal aber sprang ich erschrocken auf, linste in den Flur und tapste leise zur Tür. Ich blickte in den Spion, sah einen Postboten dort stehen. Das war seltsam, denn eigentlich hatte ich ja nichts bestellt.
Ich zögerte damit, ob ich ihm aufmachen sollte oder nicht, denn ich würde jetzt lieber ohne diese Störung mit meinem Frühstück fortfahren, aber dann griff meine Hand fast schon automatisch zum Griff und öffnete die Tür.
Schluckend sah ich den Mann an, er schien erleichtert zu sein. "Guten Morgen. Ihr Nachbar ist nicht da, würden Sie das Paket annehmen?" Ich wollte was sagen, aber da drückte er mir den Karton in die Hände und lief auch schon die Treppen runter.
Perplex stand ich da und musste erstmal verarbeiten, was gerade passiert war. Ernsthaft jetzt? Wieso muss das denn ich sein? Hätte nicht jemand anderes das Paket entgegennehmen können?
Ich sah auf die obere Seite der Kiste und entdeckte den Namen des Empfängers. Park. Na toll, wer aus sonst. Was auch immer er sich da besorgt hatte: es war ganz schön schwer und groß. Ich spielte mit dem Gedanken es ihm einfach vor die Tür zu stellen, aber die Nachbarn hier könnten es ja klauen und es würde ihn sicher ganz traurig machen.
Also stellte ich das Paket bei mir im Flur ab, schlug die Tür zu und fuhr mit meinem Alltag fort.
Die ganze Zeit über war ich nervös. Irgendwann musste er ja aufkreuzen, wenn er das Paket holen wollen würde. Er müsste klingeln und ich müsste aufmachen und mit ihm reden. Er würde mich fragen, warum ich zuhause sei, und ich würde ihm erzählen, dass ich nun Urlaub hatte.
Wenn ich Pech hatte, würde er mich zu sich nach Hause einladen. Das wollte ich wirklich, wirklich, wirklich nicht, deswegen sollte ich das Gespräch so kurz wie möglich halten. Vielleicht antworte ich ihm auch gar nicht und drücke ihm sein Paket in die Hand, das würde notfalls auch funktionieren.
Der Abend brach an und bis zum Moment, an dem es klingelte, verbrachte ich keine Minute in Entspannung. Ich traute mich nicht zu duschen oder großartig zu kochen, denn sonst könnte ich ihm nicht sofort aufmachen und er würde sicher denken, dass ich sein Paket gestohlen hatte. Aber ehrlich, das würde ich niemals!
Und dann stand er vor mir. Mein Hals war trocken, wie immer. Ich traute mich nicht ihn anzusehen, wie immer. "Hallo, Yoongi."
"Hallo Herr Park."
Seine vollen Lippen verzogen sich zu einem Lächeln. Ich schluckte, er sah über meine Schulter hinweg in meine Wohnung. "Du hast mein Paket, richtig?" Ich nickte hastig, hob es in meinen Armen hoch und reichte es meinem Nachbarn. Unsere Hände berührten sich, seine Haut war weich und warm. Eine Hitzewelle überkam mich.
"Wieso bist du denn heute zuhause? Um die Uhrzeit sehe ich dich sonst nie hier. Ist was passiert?"
Ich hatte es doch gesagt, er würde mich danach fragen. Irgendwie verlernte ich gerade, wie man mit einem Menschen sprach. "Habe Urlaub."
Jimin nickte staunend. "Sag mal, als was arbeitest du? Du kommst immer so spät wieder heim... hast du immer die Nachtschicht?" Das waren so viele Fragen, ich wusste nicht auf was ich zuerst reagieren sollte. Mit offenem Mund stand ich da, mein Kopf war ganz leer.
"Gute Nacht." Ich trat einen Schritt rückwärts und schlug die Tür zu. Ich konnte mich nicht mit ihm unterhalten! Verdammt, wieso redete er auch so viel? Wieso war er so neugierig?
Es klopfte. Schluckend machte ich die Tür auf, Jimin stand immer noch da. Die Wangen rot, die Hände ineinander gefaltet. "Sag mal, magst du mich nicht oder so...?"
Ich weitete meine Augen, wusste nicht, was ich sagen sollte. Kam es etwa so rüber? Hatte ich was Böses gesagt? Aber ich hatte ihm doch eine gute Nacht gewünscht. Das war doch nett, oder?
"Es ist sehr schwer für mich, mich mit jemanden zu unterhalten", sprach ich verlegen und pustete die Luft aus meinen Lungen. Meine Hände zitterten. Ich konnte immer noch seine Berührung spüren.
"Ich will nur meine... Ruhe haben. Verstehst du?" Jimin sah mich an, er legte den Kopf schief und nickte schlussendlich. "Okay. Dann gehe ich mal."
Er kehrte mir den Rücken zu, schob mit seinem Bein die angelehnte Wohnungstür auf. Ich fühlte mich unwohl und verlagerte das Gewicht auf das eine Bein, dann auf das andere. "Was... was machst du heute noch so?" Die Worte sprudelten unkontrolliert aus mir heraus.
Jimin drehte sich verwundert um, seine Augen waren ganz groß. Er schien wohl nicht erwartet zu haben, dass ich noch etwas sagen würde. Es überraschte mich auch selbst.
Aber ich bekam das Gefühl nicht los, dass ich ihn mit meiner schroffen Antwort verletzt hatte. Oder es zumindest seine Sichtweise auf mich veränderte. Aber das... war doch nicht mit Absicht.
Seine Gesichtszüge wurden weich, die Mundwinkel hoben sich. "Ich gehe gleich noch Gassi, und dann... ich weiß nicht, vielleicht schaue ich mir einen Film an." Er schluckte, schien nachzudenken.
"Wenn du willst, kannst du ja mitkommen."
Unsicher sah ich auf den Boden. "Nein, ich mag Hunde nicht so wirklich." Er lachte leise, sein großer Fellknäul kam aus seiner Wohnung zu ihm gerannt. "Ach Quatsch, jeder mag Hunde."
Er ging in seinen Flur, stellte die Kiste dort auf den Boden ab. "Vielleicht ein andermal, hm?"
"Ich denke nicht."
Jimin kicherte erneut, streichelte seinem Hund über den Kopf. "Wir sehen uns." "Okay."
Dann ging er in seine Wohnung und ich in meine. Mir schlug das Herz ganz schnell in der Brust. Er hatte mich eingeladen mit ihm rauszugehen und ich hatte Nein gesagt.
~*~*~*~
Wenn ich an damals dachte, wird mir bewusst, dass ich nie eine nennenswerte Jugend oder Kindheit hatte. Ich könnte nichts aufzählen, woran ich mich noch erinnern konnte, denn die Tage waren immer alle gleich. Sie verschwammen ineinander und es ließ mich so fühlen, als hätte ich meine jungen Jahre einfach übersprungen. Gestern war ich noch das Kind, das eingeschult wurde und heute war ich ein Büroangestellter, der nicht weiß, was er mit seinem Leben anfangen soll.
Ich schob den Einkaufswagen vor mich hin, sah zwischen den Regalen hin und her, dabei waren aber nicht die Lebensmittel mein Ziel. Ich sah mir die Leute an, die sich in meiner Nähe befanden. Und bei jeder neuen Person, die ich sah, wurde der Druck in meiner Brust stärker.
Jeder von ihnen war so unglaublich gutaussehend und man konnte ihnen ansehen, was für Talente sie haben mussten. Malerin, Boxer, Leichtathletik, Intelligenz. Sie alle waren so wertvoll und konnten etwas der Welt bieten, während ich nur hier stand und in Stille daran verzweifelte, dass ich das hier nicht für weitere 40 Jahre durchhalten könnte.
Eine Stimme erschien plötzlich hinter mir. Sie war aufgebracht, zickig, passiv-aggressiv. Ich kannte diese Stimme. Sofort blieb ich stehen, versuchte dem Gespräch zu lauschen. ".. ich habe nie etwas falsch gemacht! Immer kritisiert er mich, warum nicht die anderen? Ich bin der Beste aus der Gruppe!" Einige Sekunden Stille. "Das ist mir egal, er sollte sein Privatleben nicht mit der Arbeit vermischen. Wenn er nicht einmal dazu fähig ist, dann sollte er uns überhaupt nicht unterrichten dürfen."
Mit wem redete er da? Hinter mir knisterte es, dann hörte ich Fußschritte. Ein Einkaufswagen fuhr an mir vorbei, dann sah ich ihn. Ich hob meinen Kopf an und er drehte sich zu mir um, als hätte er meine Anwesenheit erst jetzt bemerkt. Er stand erstmal für ein paar Sekunden da, dann legte er einfach sein Telefonat auf und lächelte mich an.
"Yoongi, wie schön dich zu sehen."
"Hallo, Herr Park."
Ich linste in seinen Einkaufswagen. "Du ernährst dich sehr ungesund." Er raufte sich die Haare. "Ich brauche Nervennahrung, sonst drehe ich hier noch durch."
"Oh..."
Jimin sah heute gut aus. Er trug eine schwarze Jeans und ein faltenfreies, beiges Oberteil. An seinen Fingern hatte er Ringe, um seinen Hals lag eine hübsche Kette. Er war so schön und ich? Ich war es nicht einmal ansatzweise.
"Mit wem hast du gerade geredet? Du hast dich sehr... wütend angehört. Ist was passiert?"
Der Druck in meiner Brust klang ab und ich konnte wieder normal atmen. Irgendwie strahlte Jimin eine Ruhe aus, die meine Seele beruhigt. Und trotzdem zitterten meine Hände ein wenig, während ich den Griff des Einkaufswagens umklammerte.
"Ich habe mit- naja, sowas wie meinem Boss gesprochen. Der, der sich um die Tänzer kümmert. Ich habe mich über meinen Trainer beschwert, weißt du? Immer bevorzugt er die anderen und nicht mich. Er sieht nicht mein Potential und das nervt mich wirklich sehr. Jedes Mal dieses verdammte Theater. Wieso zur Hölle muss ich um seine Aufmerksamkeit kämpfen, wenn die anderen diesen Luxus bekommen, ohne was zu machen?"
Er seufzte laut aus, stützte sich am anderen Ende meines Einkaufswagens ab. Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Helfen konnte ich ja so oder so nicht, aber vielleicht brauchte er auch einfach nur einen Rat. "Vielleicht sieht er dich als Konkurrenz und will nicht, dass du besser bist als er."
Sein Blick war undefinierbar. Er musterte mich, presste seine Lippen zusammen und nickte dann lächelnd. "Du hast recht. Er versucht mich runterzumachen damit ich an mir selbst zweifle. Hah, wie peinlich ist das denn? Er vermischt seine persönlichen Gefühle wirklich mit der Arbeit."
Jimin war wirklich eine Konkurrenz. Sein Talent, seine Schönheit. Wenn er weitermachen würde, dann könnte er alle mit Füßen treten. Er hatte die Chance, an die Spitze zu gelangen. Dunkelheit machte sich in mir breit. Er würde ein gutes Leben haben und ich nicht. Er hatte einen Sinn 𝐮𝐧𝐝 𝐢𝐜𝐡 𝐧𝐢𝐜𝐡𝐭.
"Du kannst tolle Ratschläge geben, Yoongi" Ahnungslos zuckte ich mit den Schultern.
"Als du mir das letzte Mal gesagt hast, dass ich aufgeben sollte, wurde mir klar, wie weit ich es eigentlich geschafft habe. Ich habe schon so viel erreicht und bin zu weit gekommen, um jetzt aufzugeben. Viele Leute träumen davon, in meiner Position zu stehen und das ist der Ansporn dazu, weiterzumachen. Es ist egal ob es gerade läuft oder nicht, man darf nur nicht aufgeben."
Ich habe schon lange aufgegeben. Damals, als das Leben anfing. Damals, als ich die Chance hatte etwas aus mir zu machen. Aber das hatte ich nicht. Wo ich jetzt wohl wäre, wenn ich meinem eigenen Leben nicht selbst den Sinn geraubt hätte? Wäre ich jetzt auch auf den Weg nach oben? Oh, was ich nur dafür geben würde, um wieder von vorne anfangen zu können. Aber jetzt war es zu spät und ich hatte keine Chance, dass es wieder so sein wird wie früher. Ich war schon zu tief drinnen, um jetzt noch rauskommen zu können.
"Was wirst du jetzt tun? Mit deinem Trainer sprechen?"
Es schmerzte in mir. Mein Herz schlug schnell und schwer, ich fühlte mich, als würde ich in hüfthohem Wasser laufen und langsam ertrinken.
"Mit ihm zu reden hat keinen Sinn. Vielleicht wende ich mich nochmal an den Boss und versuche das zu klären. Aber ich sollte anfangen, mich auf mich selbst zu konzentrieren und nur mich. Die Meinung der anderen sollten keinen Wert für mich haben."
Er starrte ins Nichts, schien sich selbst zuzunicken. Als Bestätigung, dass er Recht hatte. Dann sah er wieder zu mir hoch und lächelte mich sanft an. Ich wurde nervös, meine Hände finden anzuschwitzen. "Magst du vielleicht gleich zu mir kommen? Es ist zwar schon spät, aber... ich würde mich freuen Zeit mit dir zu verbringen."
Es kribbelte mir in den Fingern, mein Herz raste wie wild. Oh Gott, passierte das gerade wirklich? Wieso nur? Wieso war er so aufrichtig und freundlich und wollte seine Zeit mit mir verschwenden? Wieso wollte er nicht stattdessen seinen ruhigen Abend genießen, anstatt sowas unglaublich, unglaublich dummes zu machen? Mit mir Zeit verbringen, das würde ich niemals tun. Und doch hatte er mich gefragt und sah mich jetzt mit großen, abwartenden Augen an.
Ich konnte nicht Nein sagen. "Ich mag deinen Hund nicht." Eingeschnappt atmete er ein. "Nicht schlimm! Ich mache die Tür im Wohnzimmer zu, dann kann er gar nicht rein. Bestimmt schläft er schon, aber er ist wirklich ein ganz lieber. Ehrlich, er beißt nicht." Davor hatte ich auch keine Angst. Es war nur...
"Och, komm schon! Wenn du nicht mehr willst, kannst du auch einfach gehen. Versprochen!"
So kam es, dass wir gemeinsam den Einkaufsladen verließen und zusammen in seine Wohnung gingen.
~*~*~*~
Wenn ich an diesen Abend zurückdachte, dann wurde mein Kopf ganz nebelig und in mir wurde alles warm.
Ich hatte nicht gekniffen. Den ganzen Abend lang nicht. Jimins Hund war wirklich schon am Schlafen als wir ankamen und so lieb wie er war half er mir auch, meine Einkäufe in meine Wohnung zu tragen. Es war mir etwas peinlich, denn das war das erste Mal, dass er meine privaten, vier Wände von innen gesehen hatte. Jimin hatte gesagt, dass er meine Küche mochte... war das ein gutes Zeichen?
Sein Sofa war bequem gewesen, wir hatten uns einen Film angesehen. Ich hatte nicht mitbekommen um was es da ging, denn ich war damit beschäftigt gewesen, sein Wohnzimmer genau unter die Lupe zu nehmen. Neben dem Fernseher stand ein großes Regal mit Trophäen und Auszeichnungen, die er wohl alle gewonnen hatte. Mit eigener Kraft und Lebenswillen.
Ich hatte mich nicht getraut, ihn darauf anzusprechen. Stören wollte ich ihn ungern, denn er hatte so gebannt auf den Bildschirm geschaut, dass ich mich nicht einmal dazu überwinden konnte, mich auch nur ein bisschen zu bewegen.
Die Uhr zeigte Mitternacht. Still fuhr ich den Computer runter, packte die Papiere weg und verließ mein Büro. Aber diesmal waren meine Schritte nicht langsam und träge, sondern straff und schnell. Ich beeilte mich runter in die Tiefgarage zu kommen und raste wenige Minuten später die Straßen entlang.
Ich war selbst überrascht von dieser Kraft, die plötzlich in mir steckte. Diese Wärme in mir, die mich gut fühlen ließ. Tief im Inneren wusste ich aber, was mit mir geschah. Wieso die Aufregung stieg, je näher ich mich meiner Wohnung näherte. Es war wegen 𝙞𝙝𝙢...
Diesmal machte ich das Licht im Treppenhaus an, stampfte die Treppen hoch und linste, während ich an meinem Schlüsselbund herumfummelte, immer wieder zu seiner Wohnungstür. Oh, wie sehr ich doch hoffte, dass er sie öffnen würde. Wie sehr ich doch wollte, dass sein Hund wieder einen nächtlichen Spaziergang wollte und 𝙞𝙝𝙣 aus der Wohnung lockte. Wie sehr ich ihn sehen wollte.
Aber die Tür öffnete sich nicht. Auch nicht, nachdem ich nach vielleicht fünf Minuten in meine Wohnung ging und durch den Spion den Flur im Auge behielt. Zehn Minuten vergingen, dann zwanzig, dann dreißig, dann eine Stunde.
Es war sehr spät, er schlief bestimmt schon. Ich gab es auf und zog mich in meinem Schlafzimmer um, legte mich mit klopfendem Herzen in das Bett. "𝘌𝘴 𝘪𝘴𝘵 𝘦𝘨𝘢𝘭 𝘰𝘣 𝘦𝘴 𝘨𝘦𝘳𝘢𝘥𝘦 𝘭ä𝘶𝘧𝘵 𝘰𝘥𝘦𝘳 𝘯𝘪𝘤𝘩𝘵, 𝘮𝘢𝘯 𝘥𝘢𝘳𝘧 𝘯𝘶𝘳 𝘯𝘪𝘤𝘩𝘵 𝘢𝘶𝘧𝘨𝘦𝘣𝘦𝘯."
~*~*~*~
Die Arbeit begann immer schneller zu verstreichen. Vor ein paar Wochen, da hatte sie sich gezogen und gezogen und es ist mir vorgekommen, als würde die Zeit stillstehen, wenn ich am Schreibtisch saß. Aber jetzt kam ich gut durch die Nachtschicht und genoss die Ruhe und Dunkelheit umso mehr.
Und wenn ich nach Hause fuhr, da hatte ich immer ein Lächeln auf den Lippen. Ich versuchte mich nicht im Treppenhaus unsichtbar zu machen und so leise wie möglich in meine Wohnung zu kommen. Jetzt wollte ich, dass man mich bemerkte. Dass 𝙚𝙧 mich bemerkte.
Wieder stand ich an der Haustür, klimperte mit meinen Schlüsseln herum und hörte auf einmal etwas hinter mir. Stoff rieb aneinander, Nägel kratzten am Boden und ein Hecheln war zu hören.
Die Zeit schien stillzustehen. Mein Herz hörte auf zu schlagen, starr blickte ich an die Haustür, bis ich mich langsam umdrehte und 𝙞𝙝𝙢 direkt in die Augen sah. "Yoongi...!" Seine Mundwinkel hoben sich. Perplex sah ich ihn an, meine Wangen wurden ganz rot. "Hallo, Herr Park. Macht dein Hund wieder Randale?"
Jimin kicherte und ließ wieder die Leine locker. Scharf zog ich die Luft ein, als der große Hund auf mich zu kam und meine Jeans beschnupperte. Meine Hand streifte sein Fell, es war weich und gut gepflegt. Ich war ganz nervös. "Oh ja, und wie. In letzter Zeit scheint er echt oft nachts rauszuwollen. Ich bekomme kaum Schlaf mehr ab, was ein Theater."
Die nasse Hundenase stupste gegen meine Finger und mit großen Augen blickte ich zum Hund runter, tippte mit der Fingerspitze die Nase an. Meine Mundwinkel zogen sich hoch. "Vielleicht mag er einfach nur die Ruhe, wenn es dunkel ist."
Meine Augen wanderten wieder nach oben und unsere Blicke trafen sich. Der Kloß bildete sich in meinem Hals, seine Anwesenheit verschlug mir die Sprache.
"Möchtest du vielleicht mitkommen...? Ich weiß es ist spät und du bist bestimmt müde aber ich... würde mich freuen."
Er würde sich über meine Anwesenheit freuen. Über mich.
Ich steckte die Schlüssel in meine Hosentasche und spürte die Nase des Hundes wieder an meiner Hand. Er schnüffelte an ihr, stupste mich an. "Okay."
"Okay?"
Jimin schien überrascht. Sein Lächeln war breit und es war so ansteckend, dass ich auch lächeln musste. Breit, schüchtern. Er stellte sich neben mich, hakte sich bei mir ein und wir stiegen zusammen die Treppen runter.
Ich berührte Jimin. Jimin berührte mich. Er hatte seinen Arm direkt an meinem und unsere Schultern berührten sich. Ich sah zu seiner Hand runter und traute mich nicht, sie zu nehmen.
"Die Hitze ist so ätzend", gähnte er und verließ mit mir den Wohnblock. Wir entfernten uns von diesem, liefen in den Park der direkt gegenüber uns war und Jimin schnallte die Leine ab, ließ seinen Hund durch das Gras laufen. Das weiße Fell war selbst im spärlichen Licht gut zu sehen.
Wir standen da, fast schon Arm in Arm und sahen uns in der Gegend herum. Jimin war so nah, ich spürte seine Wärme an mir. Er legte seinen Kopf auf meine Schulter, meine Wangen begannen heiß zu werden. Es war fremd für mich jemandem so nah zu sein. Auch wenn es für ihn sicher keine Bedeutung hatte.
"Ich wurde aus der Gruppe rausgeschmissen", haute Jimin plötzlich raus und ich war etwas schockiert darüber, dass er sowas sagte, als wäre es keine große Sache. Kurz linste ich zu ihm herunter, wusste sofort, dass er es ernst meinte.
"Wieso?"
"Angebliche sinnlose Beschuldigung und Belästigung gegenüber dem Trainer." Jimin lachte leise, als würde er es selbst nicht glauben können. "Keiner glaubt mir, dass der Trainer jeden bevorzugt, nur mich nicht. Immer stand ich im Hintergrund und konnte noch nie vorne tanzen, obwohl wir schon so oft aufgetreten sind."
Das musste für ihn wie ein Schlag ins Gesicht sein. Wenn ich an seiner Stelle wäre, dann hätte ich mich in meinen eigenen Tränen versenkt. Wie konnte man es nur so weit kommen lassen, dass man rausgeschmissen wird? Ist es nicht ein Zeichen, dass das der falsche Weg war?
"Aber weißt du was? Ich lasse mich nicht mehr unterdrückten. Ich habe mich schon woanders angemeldet und bekomme dort sogar die Chance, vielleicht für ein Musikvideo als Background Tänzer angeheuert zu werden. Weißt du, was das bedeutet? Mein Trainer kann bald schon sehen, wie ich ganz oben stehe."
Jimin war so dermaßen von sich selbst überzeugt, das war unglaublich. Ich würde niemals auch nur so über mich und andere denken. Wie konnte er nur so reden? Ich verstand es nicht. "Du bist sehr selbstverliebt."
"Sollte ich das nicht sein?"
Er sah zu mir hoch, sein Lächeln war sanft und liebevoll. In meinem Kopf begann es zu rattern. "Es gibt Leute die besser sind als du."
Jimin begann laut zu lachen, er stupste mit seiner Faust meine Schulter an meiner Schulter an. "Was interessieren mich die anderen? Das ist doch mein Leben, oder nicht?"
"Schon, aber-"
"Yoongi."
Ich hielt inne. Unsicher blickte ich zu Jimin runter, er nahm seinen Arm von mir und stellte sich direkt vor mich. Das Lachen war schlagartig aus seinem Gesicht verschwunden. Seine Hände stemmte er in die Hüfte, er sah verärgert aus. "Denkst du etwa so? Dass es egal ist, was du machst, weil andere besser sind als du?"
Der Scham breitete sich tief, tief in meiner Brust aus. Ich senkte peinlich berührt meinen Kopf und fühlte mich ganz schrecklich entblößt. Gott, hatte ich was Falsches gesagt? Hatte ich mich wegen meiner eigenen Dummheit verraten? Aber ich...
"Findest du dich selber wertlos?" Der leichte Reiz war aus seiner Stimme verschwunden und wurde mit Unglauben ausgetauscht. Seine Augen waren groß, als ich langsam meinen Blick anhob und ihn musterte. Sein Gesicht war von sanften Schatten umhüllt und die Straßenlaterne hinter mir brachte seine Augen zum Funkeln. Ich war ganz starr.
Er sagte nichts, ich sagte nichts. Schweigend kehrte er mir den Rücken zu, pfiff seinen Hund zu sich und ging einfach wieder in den Wohnblock hinein. Ohne mich. Und ohne sich einmal zu mir umzudrehen. Die Kraft verließ meine Schultern und sie begannen langsam zu zittern.
Die Tränen kullerten meine Wangen hinunter und ein leises Schluchzen verließ meine Lippen.
~*~*~*~
Ich bekam das Gefühl nicht mehr los, dass sich etwas in meinem Leben verändert hatte. Seit dem Tag, als mich Jimin vor ein paar Wochen im Treppenhaus erwischt hatte. Ich konnte... an nichts anderes denken. Sein Lächeln, seine Augen, seine warmen Hände. Und wenn ich ihn sah oder an ihn dachte, dann kribbelte mein Herz und die graue Welt um mich herum begann an Farbe zu gewinnen.
Und das gefiel mir nicht. Es war neu, fremd, eigenartig. Was sollte das? Wieso ging die Zeit im Büro so schnell um und wieso stand ich jede Nacht im Flur, um auf ihn zu warten? Wieso verbrachte ich meine Zeit vor der Arbeit und am Wochenende nicht mehr auf dem Sofa, sondern nahm meine Gitarre in die Hand, die ich bereits seit drei Jahren nicht mehr angerührt hatte? Wieso dachte ich nicht an die anderen, wenn ich die Saiten zupfte?
Es war Samstagnachmittag, die Sonne schien angenehm und der Regen tropfte spärlich auf den Boden. Ich zog die Kapuze über den Kopf, steckte die Hände in die Jackentaschen und lief zu Fuß runter in die Stadt. Ich ließ mir Zeit, sah mir still die Umgebung an, während ich der Musik in meinen Kopfhörern lauschte und mir die Menschen ansah, die mir entgegenliefen.
Sie alle waren gutaussehend und ich wusste, dass sie alle Talente hatten. Aber die hatte ich auch, nicht wahr? Ich... konnte Gitarre spielen und kam gut allein zurecht. Ich konnte kochen und war ein guter Mensch. Ich war freundlich und hilfsbereit und ich hatte es geschafft, eine kleine Bindung zu Jimin aufzubauen. Es konnte auch Einbildung sein, aber jedes Mal, wenn ich ihn vor Augen hatte, dann spürte ich die Wärme zwischen uns. Ich bekam das Verlangen mit ihm reden zu wollen und traute mich, zu lächeln. Ich wollte mit ihm lachen, denn er lachte doch auch und oh, es hörte sich so wunderschön an.
Ob er noch böse auf mich war?
Ich musste mich entschuldigen. Ich wollte. Denn wenn ich es nicht tun würde, dann wird es keine Zukunft geben, in der ich meine Zeit mit ihm verbringen konnten. Er tat mir gut, das wusste ich. Mein Kopf versuchte gegen diese guten Gefühle anzukämpfen, das wusste ich auch.
Aber Jimin hatte Recht.
Andere Menschen sollten keinen Wert für mich haben.
Doch es war so schwer...
Die Innenstadt war voller Menschen. Die Straßen waren voll, die Autos fuhren eng aneinander vorbei. Ich versank in der Menschenmasse und mein Orientierungssinn verabschiedete sich schneller als gewollt von mir. Jetzt hetzte ich einfach über den Gehweg, folgte dem Strom und kam schlussendlich in einer Straße an, die ich gar nicht kannte. Ich hatte bisher noch nie die Stadt erkundet, denn ich kannte nur den Weg zum Einkaufsladen und Büro.
Ich blieb stehen, sah mich interessiert um und lief die Straße entlang. Hier fand ich Schneidereien, Schmuckläden, Kleidungsgeschäfte. Und ganz hinten, da befand sich ein großes Gebäude, was sich als Tanzstudio entpuppte. Der Name kam mir bekannt vor, als ich an diesem vorbeilief und ich versuchte mich zu erinnern, warum ich davon schonmal gehört hatte.
Es kam mir in den Sinn.
Jimin hatte mir an dem Abend, an dem ich bei ihm gewesen war, von dem Tanzstudio erzählt, bei dem er angenommen wurde. Als er auf dem Sofa saß und sich einen passenden Film ausgesucht hatte. "𝘋𝘢𝘴 𝘚𝘵𝘶𝘥𝘪𝘰 𝘩𝘦𝘪ß𝘵 𝘔𝘢𝘨𝘪𝘤 𝘚𝘩𝘰𝘱. 𝘊𝘰𝘰𝘭, 𝘰𝘥𝘦𝘳? 𝘐𝘤𝘩 𝘧𝘢𝘯𝘥 𝘥𝘦𝘯 𝘕𝘢𝘮𝘦𝘯 𝘴𝘰 𝘴𝘤𝘩ö𝘯, 𝘥𝘢 𝘮𝘶𝘴𝘴𝘵𝘦 𝘪𝘤𝘩 𝘦𝘪𝘯𝘧𝘢𝘤𝘩 𝘩𝘪𝘯."
Magic Shop.
Die Schrift stand groß und geschwungen über dem Eingang in dunkelvioletter Schrift und ich erkannte, dass innen Licht leuchtete. Also war jemand drinnen?
Die Tür schwang auf, zwei Jungen kamen heraus. Sie sahen aus der Puste aus, die Haare waren etwas nass. Sie sahen mich an, lächelten mir höflich zu. Meine Hände begannen zu schwitzen, als ich die Kapuze runternahm und die Kopfhörer um meinen Nacken legte. "Ist Herr Park da?"
Meine Stimme bebte kurz, ich versuchte mich zu beruhigen.
"Herr Park?" Der eine Junge schaute den anderen fragend an. "Jimin."
Ihre Gesichter leuchteten auf. "Ah! Ja, er ist da. Ich glaube er ist gleich auch fertig, gerade war er noch bei uns in der Umkleide gewesen."
Mein Herz klopfte ganz schnell. Jimin war da. Er war da! Er würde gleich durch die Tür kommen und ich konnte ihn sehen und... "Danke." Die beiden gingen an mir vorbei und aufgeregt stand ich da, sah fast schon starr in das Tanzstudio durch die Fenster hinein. Ich wurde hibbelig, tigerte etwas auf dem Gehweg herum.
Was sollte ich nur sagen? Würde er mir denn überhaupt zuhören? Aber wir... hatten doch gar nicht gestritten. Es war nur... ich...
Und dann ging die Tür auf. Ich blieb stehen, drehte mich um und sah ihn im Türrahmen stehen. Das Handtuch lag um seinen Nacken, der Pulli war weit und ging ihm bis zu den Oberschenkeln. Es schien, als würde er in seinen Bewegungen einfrieren. Er sah mich an, ohne was zu sagen und dann ging er langsam auf mich zu, stand direkt vor mir.
Meine Sicht war verschwommen, die Lippen presste ich aufeinander. Jimin blickte zu mir hoch in meine Augen und ich versuchte doch so sehr etwas zu sagen, aber mir fehlte die Stimme dazu. Langsam senkte er seinen Kopf, hakte seinen kleinen Finger mit meinen ein und zog mich mit sich mit. Ich folgte ihm still und atmete tief durch.
Wir schwiegen beide. Auch, als wir in sein Auto stiegen und hoch zu unserem Viertel fuhren. Auch, als wir in der Tiefgarage ankamen und die Treppen hochstiegen und auch, als wir im Flur standen und leise unsere Türen öffneten.
Ich drehte mich nicht um, er drehte sich nicht um. Sein Schloss klickte, dann meines. Ich hörte seinen Hund auf dem Boden herumlaufen, dann ertönten schwere Schritte und seine Tür wurde zugeschlagen. Regungslos stand ich da, die Türklinke in meiner Hand und der Schwere in meinem Herzen.
Und dann war da wieder dieses Hecheln. Ruckartig drehte ich mich um und Jimin stand da, mit seinem nicht angeleinten Hund an der Seite. Er... hatte nie seine Wohnung betreten? Meine Augen waren groß und ich traute mich nicht in seine zu sehen. Sein großer Hund ging auf mich zu und sah mich von unten schwanzwedelnd an.
Ich hockte mich runter und strich durch das weiße Fell. Jimin ging auf mich zu, er setzte sich mit einem Knie zu Boden und sah mir ins Gesicht.
"Wieso warst du vor dem Tanzstudio?"
Seine Stimme zu hören, ließ mein Herz leichter werden. "Ich habe mich verlaufen und es durch... Zufall gefunden. Ich habe gehofft mit dir... reden zu können, oder so."
Jimin begann zu lächeln und ich konnte nicht anders, als auch zu lächeln. "Es tut mir leid, dass ich dich etwas so Persönliches gefragt habe. Ich habe eine Grenze überschritten, das weiß ich."
Es war wieder still. Unsere Hände berührten uns immer wieder, während wir über das Fell streichelten. Und ich hatte das Gefühl, dass wir beide das extra machten. Diese kleinen, süßen Berührungen.
"Ich glaube, ich bin ein wertloser Mensch", hauchte ich dann leise und sah bedrückt zur Seite, während Jimins Bewegungen stoppten. Ich wusste, dass er mich anschaute und ich spürte, wie sich sich Blick in meine Seele bohrte. Unwohlsein machte sich in mir breit.
"Mich gibt es nur im Hier und Jetzt, weil ich nicht sterben kann. Ich weiß, dass ich mich umbringen könnte, aber am Ende ist mein Leben doch alles, was ich habe. Nichts hat für mich einen Wert und wenn man der Welt nichts bieten kann, dann bist du ein Niemand. Du bist wertlos und bist ein einfacher, kleiner Lückenfüller."
Sein Ausatmen war schwer. Er schien angeschlagen zu sein. Aber es... war doch nicht meine Absicht gewesen. Ich konnte nichts dafür, denn es war mein Kopf, der gegen mich arbeitete. Ohne Pause, ohne Erbarmen. Ich konnte es nicht kontrollieren und das machte es umso schlimmer.
"Und wenn ich die Leute um mich herum ansehe dann merke ich, wie wenig Wert ich eigentlich bin. Alle können gute und wichtige Dinge tun und dann bin da ich, mit einem Job, den nur diejenigen machen die es leicht haben wollen und nichts im Leben erreichen möchten. Es... gibt keinen Lebenswillen für mich. Wieso kämpfen so viele Leute um ihr Leben? Es ist doch nichts Besonderes und in einem Jahrhundert weiß man nicht einmal mehr von deiner Existenz."
Jimin griff nach meiner Hand. Seine Haut fühlte sich heiß auf meiner an, warme Hitzewellen schossen durch meine Brust. "Oh, Yoongi..."
Seine Stimme war mit Trauer getränkt. Er stand auf, zog mich mit auf die Beine und umarmte mich fest.
Das war die erste Umarmung seit Jahren und die schönste, die ich je hatte. Langsam legte ich meine Arme um seinen Rücken und roch sein Erdbeershampoo. Jimin roch so gut.
"Wie lange fühlst du schon so?"
Seit ich denken kann. Seit ich atme und laufe und von allein essen kann. Seit ich die Schule besuche und die hübschen und talentierten Kinder sah und bemerkte, wie klein ich in deren Anwesenheit war.
Seit ich im Bürojob angenommen wurde und mich Mithilfe der Nachtschicht immer mehr von den Menschen abgeschottet hatte. Seit ich in diese Wohnung gezogen bin und mir einen Plan machte, wann ich das Haus verlassen konnte, um so wenig Menschen wie möglich zu begegnen. Denn deren Anblick machte mich krank und verzerrte mein Selbstbild immer und immer mehr.
"Weiß nicht."
Wieso konnte ich es ihm nicht sagen? Die Last war schrecklich und ätzend und doch konnte ich mich nicht anvertrauen. Niemand würde es nachvollziehen können. Sie würden denken, dass ich verrückt war. Sie würden mir raten, dass ich mich 𝘦𝘪𝘯𝘧 𝘢𝘤𝘩 nur auf mich konzentrieren sollte. Aber ich wusste es doch so viel besser.
"Ich kann das einfach nicht mehr. Jeden Morgen wache ich auf und ich zwinge mich immer und immer wieder durch diesen Alltag zu gehen. Ich hasse es doch so sehr. Ich hasse meinen Job und meine Wohnung und mein verdammtes Leben. Ich habe doch so sehr versucht, dass etwas aus mir wird und trotzdem ist jeder besser als ich und das kann ich nicht verkraften." Meine Stimme war ein einziges Piepsen und ich hatte keine Ahnung, ob Jimin mich überhaupt verstehen konnte. Aber auf einfach sprudelten die Worte aus mir heraus und ich konnte nichts dagegen tun.
Seine Hände strichen trösten über meinen Rücken und es fiel mir so, so schwer, keine Tränen zu verlieren.
"Niemand s-sieht mich. Sie sehen mich nicht, weil ich nichts Besonderes bin. Ich bin nur einer von vielen und es würde niemandem weh tun, wenn ich nicht mehr da wäre. Mein Chef würde nach einer Woche Ersatz für mich gefunden haben und meine Wohnung wäre am nächsten Tag schon wieder besetzt."
Wieso war ich denn eigentlich noch hier? Ich quälte mich dieses Leben weiterzumachen und würde bald schon unter dem Druck zusammenbrechen. Das wusste ich. Und nur ich. Denn niemand wusste, dass es mich gibt und dass ich diese dunklen Gedanken in mir trug. Dass ich mich selbst umbrachte, nur weil ich nicht gut genug war. Weil ich nichts konnte und zu schwach war, um es überhaupt zu versuchen.
"Aber Yoongi..." Die Arme lösten sich von mir. Ich schniefte leise und voller Scham sah ich diesem wunderschönen Menschen in die Augen. Mein Kinn bebte, die Sicht wurde wegen meinen Tränen verschwommen. "Ich sehe dich. Du bist doch hier, oder nicht? Direkt vor mir."
Schluchzend schüttelte ich meinen Kopf. "Das ist nicht dasselbe..."
"Doch, das ist es."
Seine Finger fühlten sich warm an, als sie meine Hand umgriffen und sich mit meinen verschränkten. Es war so ein unglaublich schönes Gefühl und federleichte Geborgenheit breitete sich in mir aus. Tapfer schluckte ich meine Tränen herunter und blickte auf unsere ineinander verschränkten Finger hinab. Seine Hand an meine, seine beruhigenden Blicke auf mir. Ich riss mich zusammen.
"Du bist doch nicht nichts wert, wenn du keine Talente hast. Es ist egal was du kannst oder nicht: du bist und bleibst wertvoll. Hör nicht auf die, die dir sowas gesagt haben. Das stimmt nicht."
Ich habe es mir selbst gesagt. Immer wieder, die letzten zehn Jahre. Leise, flüsternd war diese Stimme in mir. Die Stimme, die mir die Wahrheit sagte. "𝘞𝘢𝘴 𝘣𝘪𝘴𝘵 𝘥𝘶 𝘸𝘦𝘳𝘵, 𝘸𝘦𝘯𝘯 𝘥𝘶 𝘯𝘪𝘤𝘩𝘵𝘴 𝘻𝘶 𝘣𝘪𝘦𝘵𝘦𝘯 𝘩𝘢𝘴𝘵?"
"Ich bin nicht genug."
"Wer sagt das?"
"Ich."
Jimin zog scharf die Luft ein, der Druck an meiner Hand verstärkte sich. Meine Brust war ganz schwer und auf meinen Schultern hingen ätzende Gewichte. Ich sah den weißen, flauschigen Vierbeiner im Augenwinkel, seine nasse Nase stupste meinen Handrücken an.
Es ging mir nicht gut.
~*~*~*~
Ich hatte nie gewusst, dass die Welt in bunten Farben leuchten konnte. Dass die Regentropfen sanft gegen das Fenster klopften und mich fragten, ob alles okay sei. Dass die Sonne lachen konnte und nicht nur die Haut, sondern auch die Seele wärmte. Dass die Blätter im Frühling und Herbst in knalligen Farben schienen und die Leute auf den Straßen lachten.
Sie alle lebten.
Und ich hatte vergessen, wie es ist zu leben, wie es ist den Tag zu genießen und nicht einfach darauf hoffen, dass die Nacht näher rückte.
Es wurde zum festen Bestandteil meines Lebens. Ich gewöhnte mich an die Leere und Dunkelheit und dass das Leben eine einzige Qual war. Dass es um alles und nichts ging. Fressen oder gefressen werden. Bist du schwach, hast du keine Chance. Bist du untalentiert, dann hast du keinen Wert. Du scheiterst in etwas, was du das erste Mal probierst? Lass es lieber direkt sein, du wirst niemals so gut wie die da oben sein können.
Meine Schritte waren im Treppenhaus zu hören. Ich kam am Stockwerk meiner Wohnung an, klimperte mit meinen Schlüsseln und entriegelte die Tür. Hinter mir klickte es, dann sprang mich etwas von hinten an. Breit lächelnd drehte ich mich um und kraulte durch das weiße Fell des Hundes, sah dann zu 𝘪𝘩𝘮 hoch. Seine Augen schimmerten sanft, das Lächeln auf seinen Lippen ließ die Schmetterlinge in meinem Bauch wach werden. Schüchtern stand ich auf und verlagerte mein Gewicht auf das eine Bein, dann auf das andere Bein.
"Hallo, Herr Min."
"Hallo, Herr Park." Sein Kichern klang bezaubernd. Seine Arme legten sich um meine Schultern und mit seinen so schönen Augen sah er mich an. Ich lächelte ihn verträumt an, meine Hände legte ich schüchtern um seinen Rücken. Und dann begann sich das Leben wieder gut anzufühlen. Denn ich wusste, dass ich nicht allein war.
"Möchtest du vielleicht mitkommen...? Ich weiß es ist spät und du bist bestimmt müde aber..." Sein Grinsen war verschmitzt. Er sagte diese Worte immer. Jede Nacht, wenn wir uns sahen. Und immer antwortete ich gleich auf diese Frage. "Okay."
Und ich mochte es mit jedem Mal immer und immer mehr.
Ich mochte immer mehr 𝘪𝘩𝘯.
Mir war klar, dass ich keine Chance bei ihm hatte. Er war ein wunderschöner Mann, ein atemberaubender Tänzer und ich war ein kleiner, stiller Büroangestellter. Ich wusste, dass wir zwei verschiedene Welten waren und uns keine gemeinsame Zukunft bevorstand. Aber als mich Jimin draußen in der Dunkelheit fest an sich drückte und mir einen Kuss auf die Wange gab, da wusste ich, dass es nun anders kam.
Dass mein Kopf unrecht hatte. Dass es mit allem Unrecht hatte.
Dass ich nicht besonders sein muss, um besonders für andere zu sein.
Denn wir Menschen hatten doch nur uns gegenseitig. Wieso also gegeneinander kämpfen, wenn wir uns beschützen können?
Wieso das Leben von anderen beeinflussen lassen, wenn es doch dein eigenes ist?
Ende.
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