Taelirium - von Tretbooten und Lotusblüten

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Taelirium schreibt für... TcnyMontanaShit :)

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Von Tretbooten und Lotusblüten
 

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"Also, dein Begriff lautet", sagt Taehyung aufgeregt, während er seine Schultern strafft und das oberste Kärtchen vom Stapel zieht, "Handseife!"

Hoseok sackt leicht in sich zusammen und seufzt schwer. "Was ein dummer Begriff… ähm… Waschbecken."

"Okay, und deine Geschichte dazu?" 

Hoseok sieht wenig begeistert aus und setzt sich bequemer hin, bevor er antwortet.

"Ich hab mal völlig besoffen in das Waschbecken von einem Kumpel gekotzt. Und er musste das wieder saubermachen, weil ich zu nichts mehr in der Lage war."

"Igitt!", quietscht Taehyung und schüttelt sich, weil sich auf seinem gesamten Körper eine Gänsehaut ausgebreitet hat. "Wenn du das hier machst, ist unsere Freundschaft fristlos gekündigt. Ich meins ernst." 

"Jaaa, schon verstanden. Reg dich ab, ich glaub, aus dem Alter sind wir alle längst raus", grummelt Hoseok verdrießlich. Genau wie Taehyung zuvor zieht er die oberste Karte vom Stapel, der mittig auf dem Boden im Wohnzimmer platziert ist. "Weiter im Text. Dein nächster Begriff lautet: Lotusblüten." 

"Tretboot!", schießt es aus Taehyung heraus. Hoseok mustert ihn skeptisch und starrt ihn mit hochgezogener Augenbraue an. 

"Na, auf die Geschichte bin ich ja mal gespannt. Schieß los." 

Verlegen fährt Taehyung sich durchs Haar. "Es ist aber eine längere Geschichte. Ich hoffe, du hast ein bisschen Zeit mitgebracht."

 

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"Du hast aber einen gesunden Appetit heute." 

Taehyung hebt seinen Kopf und schaut seiner Mutter mit einem frechen Grinsen ins Gesicht. "Ich hab ja auch wieder Lob von meinem Dozenten für die Hausarbeit bekommen." 

"Das ist ja nichts Neues", antwortet seine Mutter, aber aus irgendeinem Grund scheint sie sich diesmal gar nicht so zu freuen wie sonst. Dabei sollte sie doch froh sein, dass Taehyung sein Studium im Gegensatz zu seinem großen Bruder bislang gut meistert. 

"Hast auch mal mehr Begeisterung gezeigt." 

Ein schweres Seufzen ist die einzige Antwort, die er zunächst bekommt. Taehyung wird das Gefühl nicht los, dass sie irgendwas beschäftigt, und überlegt, wie er sie darauf ansprechen kann. Sein Vater, der ebenfalls am Esstisch sitzt und sich normalerweise aus den Gesprächen raushält, ergreift allerdings das Wort, ehe Taehyung was sagen kann. 

"Wir machen uns Sorgen." 

"Hää? Warum das? Ich hab Bestnoten, lerne fleißig und hab schon ein paar Jobangebote für nach dem Studium. Um was bitteschön macht ihr euch Sorgen?" 

"Das ist es ja", erwidert seine Mutter betrübt. "Du bist jung, mein Schatz. Wir finden es ja toll, dass du jeden Tag so fleißig lernst, aber solltest du in deinem Alter nicht auch mal was anderes machen? Dich mit Freunden treffen oder so?" 

Taehyung kann es nicht fassen! Machen ihm seine Eltern gerade ernsthaft einen Vorwurf daraus, dass er sein Leben nicht so wegwirft wie sein Bruder? Dass sie bei ihm besorgt waren, ist ja noch verständlich. Aber Taehyung tut alles, um später mal einen vernünftigen Abschluss in der Tasche zu haben und einen Job zu bekommen, den er auch machen will. 

"Das könnt ihr nicht ernst meinen." 

"Versteh uns nicht falsch. Wir sind wirklich froh, dass du deine Sache so ernst nimmst. Aber vielleicht haben wir dir zu viel Druck gemacht. Wir wollten nie, dass du dein Leben nicht ab und zu einfach mal genießt. Was meinst du, was wir uns für Vorwürfe machen? Andere Jungs in deinem Alter gehen feiern, schlagen manchmal auch ein bisschen über die Strenge und verlieben sich.” 

"Ihr meint, so wie mein Bruder, ja?", kontert Taehyung.

Diesmal ist es wieder sein Vater, der das Antworten übernimmt. "Er hat mit Sicherheit nicht alles richtig gemacht. Aber wenn er in ein paar Jahren zurückblickt, wird er zumindest behaupten können, dass er gelebt hat. Und glaub mir, mein Sohn. Dieser Moment wird kommen."

Taehyung ist der Appetit vergangen. Er schiebt seine halbleere Schüssel Nudelsuppe von sich weg, lehnt sich im Stuhl nach hinten und verschränkt die Arme vor der Brust. "Ich bin mir ziemlich sicher, dass ich dann sehr erleichtert sein werde, weil ich die Jahre nicht mit irgendeinem Bullshit verschwendet habe. Und ihr könnt mir nicht sagen, dass es euch lieber ist, wenn ich mich wie ein gewisser Herr durch die Betten der gesamten Stadt vögele! Diese schrägen Partys brauche ich nicht. Und außerdem habe ich euch schon mal erklärt, dass es für mich nicht so einfach ist, jemanden kennenzulernen. Es mag ja Teile der Welt geben, wo es okay ist, schwul zu sein. Aber leider gehört Jeonju nicht dazu." 

Wieder ein Seufzen. Sein Vater isst schweigend eine zweite Portion Nudeln, während seine Mutter ihre Schüssel nur nachdenklich anstarrt. 

"Ich versteh das ja", nuschelt sie, ohne den Blick auch nur einmal von ihren Nudeln zu lösen. "Und ich will auch gar nicht sagen, dass du dich nicht für Jungs interessieren sollst. Aber es gibt ja auch diese… Bisexualität. Vielleicht solltest du dir wenigstens die Möglichkeit offen lassen, dass du dich in beides verlieben kannst. Vielleicht… bist du bis jetzt nur nie der Richtigen begegnet."

Taehyung weiß nicht, was genau ihr Problem ist, aber das geht eindeutig zu weit. Er hat keine Ahnung, wie er es ihnen noch erklären soll. Mädchen interessieren ihn nicht, zumindest nicht auf diese Weise. Er kennt einige, mit denen er sich wirklich gut versteht, aber selbst bei ihnen ist es, als gäbe es eine Art Barrikade, die nicht zulässt, dass sich mehr entwickelt. Er kann das nicht beeinflussen, aber anscheinend verstehen seine Eltern das nicht.

"Nein, Mama. Ich bin nicht bi und es liegt auch sicher nicht daran, dass ich noch nicht der Richtigen begegnet bin. Ich stehe nur auf Jungs, akzeptier das bitte. Ich werde auch bestimmt irgendwann jemanden kennenlernen, aber wann das sein wird, kann ich nicht beeinflussen. Und es bringt ganz sicher nichts, wenn ich deswegen jetzt jedes Wochenende feiern gehe. Mein Traummann wird mir irgendwann schon über den Weg laufen, keine Sorge. Und bis dahin möchte ich meine Zeit lieber ins Lernen investieren, als mich mit irgendwelchen Liebschaften zu begnügen."

Er bemüht sich wirklich, freundlich zu bleiben. Immerhin will er sich nicht mit seinen Eltern streiten, dafür versteht er sich zu gut mit ihnen. Außerdem kann er sich glücklich schätzen, dass seine Eltern seine Homosexualität überhaupt irgendwie akzeptieren, selbst wenn sie teilweise solche dummen Sachen sagen. Wahrscheinlich wissen sie es nicht besser und machen sich wirklich nur Sorgen. Dennoch strapazieren sie seine Geduld gerade ein bisschen zu stark.

Vielleicht ist es besser, wenn er einfach geht? 

Kurzerhand beschließt Taehyung, dass es sinnvoller ist, wenn sie das Gespräch auf ein anderes Mal verschieben. Entschlossen steht auf, stellt seine Schüssel kommentarlos auf die Spüle und will gerade die Küche verlassen, als die Worte seine Mutter ihn aufhalten.

"Und wie… sollte dieser Traummann deiner Meinung nach aussehen?" 

Hat er das richtig gehört? Noch vor ein paar Minuten hat seine Mutter seine sexuelle Orientierung in Frage gestellt und jetzt interessiert sie sich plötzlich dafür, wie sein Traummann sein sollte?

"Wollt ihr das wirklich wissen?", hinterfragt er, nachdem er sich wieder zu seinen Eltern umgedreht hat und sie mit hochgezogener Augenbraue skeptisch mustert. 

"Es würde mich schon interessieren", gibt seine Mutter nach kurzer Bedenkzeit zu, was sein Vater nur mit einem dezenten Nicken bestätigt. 

Taehyung überlegt, ob er es seinen Eltern wirklich sagen soll, weil sie sich dann mit Sicherheit nur noch mehr Gedanken machen. Auf der anderen Seite könnte das wie eine Art Konfrontationstherapie funktionieren. Einzig aus dem Grund beschließt er, es ihnen offen und ehrlich zu sagen. 

"Also… schwarze Haare wären halt ganz schön, er sollte muskulös sein und… lieb und zuvorkommend, aber nicht so sehr danach aussehen. Vielleicht ein paar Piercings? Oder Tattoos?"

"Ach du meine Güte", kommt es von seiner Mutter, der das Entsetzen förmlich ins Gesicht geschrieben steht. Sogar sein Vater sieht ein wenig schockiert aus, dabei hat Taehyung absichtlich schon die ganzen schmutzigen Details ausgelassen.

Taehyung verdreht die Augen, lässt ihre Reaktion aber unkommentiert. "Ich würde dann jetzt gerne wieder in mein Zimmer gehen und lernen, wenn ihr das erlaubt."

Der wehleidige Blick, den seine Eltern ihm zuwerfen, macht ihm beinahe ein schlechtes Gewissen. Aber sie sind erwachsen und müssen damit klarkommen, welche Präferenzen ihr Sohn hat.

 
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Drei Wochen später ist das Thema zum Glück wieder vergessen. Seine Eltern haben nichts mehr in der Richtung gesagt, ihn in Ruhe lernen lassen und sich stolz gezeigt, als Taehyung von seiner guten Bewertung der Hausarbeit erzählt hat. Sie haben auch keine Einwände gehabt, als er ihnen mitgeteilt hat, den Nachmittag in der Bibliothek zu verbringen. Er ist erleichtert, dass endlich wieder alles beim Alten ist und er sich in Ruhe auf sein Studium konzentrieren kann. 

Gut gelaunt und mit Kopfhörern ausgestattet, schlendert er durch die vollen Straßen Jeonjus, bis er endlich an seinem Ziel angekommen ist. Die öffentliche Stadtbibliothek. Wenn er einen Lieblingsort in der Stadt benennen müsste, würde er wohl diesen nennen. Wie oft schon ist ihm alles zu viel geworden und er hat sich hierher zurückgezogen, um seinen Kopf wieder frei zu kriegen? 

Ein Lächeln schmückt seine Lippen, als er zur großen Doppeltür der Bibliothek geht. Er schließt die Augen, atmet tief ein und meint, die vielen alten Bücher bereits riechen zu können. Als sich im selben Moment jedoch jemand an ihm vorbeiquetscht, schlägt er genervt seine Augen wieder auf und schaut sich nach dem Störenfried um. Er kann tatsächlich einen Mann ausfindig machen, der gemerkt hat, dass seine Aktion vollkommen unnötig war, denn er dreht sich zu Taehyung um und verbeugt sich kurz. "Sorry. War keine Absicht."

Im selben Augenblick bleibt Taehyungs Herz augenblicklich stehen. Da steht er.

Sein Traummann.

Schwarze Haare, Lippenpiercing, Lederjacke, dicke Boots, ein durchtrainierter Körper, bei dem sogar Adonis vor Neid erblassen würde, und zu allem Überfluss hat er auch noch ein hinreißend charmantes Lächeln. 

Taehyung verschlägt es die Sprache. Vor ihm steht wirklich seine absurde Vorstellung eines Mannes, von der er niemals geglaubt hat, dass sie wirklich existieren kann. Das kann nur ein Streich sein. Oder ist es Schicksal? Möglicherweise auch nur ein Traum? 

Was es auch ist, Taehyung hat seine Chance verpasst. Der Mann ist weg. Warum hat er gezögert? Er hätte ihn doch zumindest mal ansprechen können. Verdammt!

Eilig huscht Tae durch den Eingang der Bibliothek, zeigt seinen Ausweis am Empfang, den er nicht mehr zeigen müsste, weil das gesamte Personal Taehyung schon kennt, und sucht die zahlreichen Gänge nach dem Mann seiner Träume ab. 

Als er ihn nach gefühlten 20.000 Schritten in einem der hintersten Gänge gefunden hat, bekommt er jedoch kalte Füße. Sollte er ihn wirklich direkt ansprechen? Er könnte sich ja zunächst einen ersten Eindruck verschaffen, indem er ihn eine Weile beobachtet. Auch wenn er sich wie ein Stalker vorkommt, zieht er den Plan durch, schleicht durch die Gänge und schaut sich nur immer mal flüchtig nach dem anderen um. Die meiste Zeit zieht er irgendwelche Bücher aus dem Regal und tut so, als würde er interessiert darin lesen. Was natürlich nicht der Fall ist, weil seine gesamte Aufmerksamkeit einzig darauf liegt, den jungen Mann nicht wieder aus den Augen zu verlieren.

Als besagter Mann einige Schritte auf ihn zukommt, zieht Tae gekonnt das nächste Buch aus dem Regal. Wieder blättert er sehr interessiert wirkend darin herum, ohne auch nur die geringste Ahnung zu haben, was für ein Buch er überhaupt in der Hand hat. 

"Ähm… hi. Kurze Frage", hört Taehyung eine raue Männerstimme neben sich, die ihm auf der Stelle eine fette Gänsehaut beschert. Oder ist es gar nicht die Stimme, die das auslöst, sondern vielmehr die Angst, dass stalkerhaftes Verhalten aufgeflogen ist?

Zögernd klappt er das Buch in seinen Händen zu, und während er sich zu dem Unbekannten umdreht und seine Frage abwartet, legt er sich vorsichtshalber schon mal ein paar Ausreden für sein fragwürdiges Verhalten zurecht.

"Kennst du dich zufällig mit diesem Astroscheiß aus?" Wieder eine fette Gänsehaut. Scheinbar liegt es doch an der atemberaubenden Stimme des Fremden.

"Ich kann's erkl... äh… warte. Was?", stottert Taehyung vor sich hin und bemerkt zu spät, dass der andere ihn verlegen anlächelt. Anscheinend ist er doch nicht aufgeflogen? Aber wieso stellt der Fremde so eine absurde Frage? Sieht Taehyung so aus, als würde er sich mit so esoterischem Zeug wie Astrologie auskennen? Wenn ja, sollte er die Worte seiner Eltern eventuell doch beherzigen und mal mehr unter Menschen in seinem Alter gehen. 

"Nein, sorry", antwortet er daher knapp, woraufhin der Fremde seufzt.

"Schade. Ich dachte nur, weil…" Der gutaussehende Mann spricht seinen Satz nicht zu Ende, sondern deutet mit seinem Zeigefinger stattdessen auf das Buch in Taehyungs Händen. Als dieser daraufhin ebenfalls einen Blick auf das Buch wirft und den Titel liest, wird ihm einiges klar. 

"Astrologie für Anfänger und Fortgeschrittene" 

"Ich… also, das ist… ich musste was recherchieren, aber ich weiß nicht so recht, wo ich anfangen soll und dachte, es hilft mir, wenn ich ein bisschen in Büchern stöbere." 

Sehr unauffällig, Taehyung, kritisiert er sich selbst in Gedanken.

"Achso? Na dann sind wir ja schon zu zweit. Ich hab leider auch so gar keine Ahnung von diesem Hokuspokus, aber ich brauche das für eine Hausarbeit."

Taehyung kann sich an der Stimme nicht satt hören. Und dieses Lächeln erstmal. Es ist auf seine Art und Weise unschuldig, was ein verdammt starker Kontrast zu dem silbernen Piercing ist, das verfüherisch an seiner Unterlippe funkelt. Ganz zu schweigen von den sattschwarzen Haaren, die schon ein Stück zu lang sind und deswegen in Form von Locken in alle Himmelsrichtungen abstehen. 

"Also dann… viel Erfolg noch", reißt der Fremde ihn aus seinen Tagträumen und im selben Augenblick realisiert er, dass dieser vorhat zu gehen. 

"Warte", versucht Tae den anderen aufzuhalten, "Ich bin ziemlich gut in der Schule und… okay, das sollte sich jetzt nicht so angeberisch anhören, wie es sich angehört hat. Aber… was ich sagen wollte: ich könnte dir beim Lernen helfen. Wenn du willst, meine ich. Lernen kann ich." Im Gegensatz dazu, souveräne Gespräche mit hübschen, fremden Männern zu führen, fügt er gedanklich hinzu.

"Das würdest du tun?"

"Klar, wieso nicht?" 

"Wie cool!" Die ebenso dunklen Augen des Mannes beginnen zu funkeln, und er macht noch einen Schritt auf Taehyung zu. "Jeon Jungkook. Freut mich." 

Taehyung starrt die Hand an, die der junge Mann ihm entgegenstreckt. Das sind Tattoos auf seinem Handrücken! Und wenn Taehyung das richtig erkennt, blitzen unter dem Ärmel seiner Lederjacke noch weitere hervor. Wie kann es sein, dass dieser Jungkook bislang wirklich ALLE Kriterien seines Traummanns erfüllt? Die Wahrscheinlichkeit, genau diesem Menschen zu begegnen, ist so gering, dass selbst Mathematiker den Aufwand einer stochastischen Gleichung nicht betreiben würden.

Ein Räuspern hält Taehyung davon ab, diese Überlegung zu vertiefen. Jungkook hat eine Augenbraue hochgezogen und mustert ihn.

"Okay? Und du hast keinen Namen? Oder überlegst du grad, ob du mir den besser nicht verraten solltest?"

Shit. Taehyung hat noch nicht geantwortet… das muss er sofort nachholen, sonst wirkt er noch unsympathisch oder als hätte er nicht mehr alle Tassen im Schrank. 

Jungkook seufzt leise und fügt hinzu: "Wenn ich dich doch in Ruhe lassen soll, sag das ruhig. Ist kein Problem."

NEIN!, schießt es Taehyung durch den Kopf und nur mit Mühe kann er es sich verkneifen, das auszusprechen. Stattdessen sammelt er sich kurz und versucht sich an einer Antwort.

"Ähm, sorry. Die… die Tattoos an deiner Hand haben mich abgelenkt. Sind echt cool. Ich wollte selbst auch immer welche haben, aber meine Eltern meinen, dass ich damit noch warten soll, bis ich einen festen Job hab. Hast du noch mehr?"

Okay. Er hat nicht mehr alle Tassen im Schrank! Was soll das denn für eine Antwort sein? Dieser Jungkook sieht ihn auch schon so an, als würde er ihn für verrückt halten. Wie soll er das jetzt wieder retten?

"Und natürlich habe ich einen Namen! Und es gibt auch keinen Grund, den nicht zu verraten. Und gehen musst du auch nicht", fügt er eilig hinzu und merkt viel zu spät, dass es das eher schlimmer als besser gemacht hat.

Jungkook sieht ihn erwartungsvoll an, aber das Grinsen kann er sich trotzdem nicht verkneifen. "Okay, cool. Und diesen Namen… wann genau hast du vor, ihn mir zu verraten?"

"Tae! Ich meine... jetzt. Jetzt sofort werde ich ihn dir verraten. Also: Mein Name ist Tae. Also eigentlich Kim Taehyung, aber Tae reicht." Wie es sich gehört, verbeugt er sich leicht vor dem anderen, aber er bezweifelt, dass die Geste noch irgendwas retten kann.

Kim Taehyung, zuletzt noch gelobt für seine herausragenden Leistungen, hat es erst nach mehreren Versuchen geschafft, seinen vollständigen Namen fehlerfrei zu sagen. Das ist mit Abstand der peinlichste Moment in seinem Leben! Auch Jungkook scheint recht amüsiert von den Schwierigkeiten seines Gegenübers zu sein, denn das Grinsen ist zu einem geräuschvollen Lachen herangewachsen. 

Einen kleinen Trost gibt es aber. Viel schlimmer kann es jetzt nicht mehr werden. 

 
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Anfangs haben die beiden tatsächlich versucht, ernsthaft an die Sache heranzugehen, sich einen Tisch im hintersten Teil der Bibliothek gesucht und Bücher gewälzt. Mittlerweile albern sie allerdings nur noch rum, lesen irgendwelche Zeilen aus den Astrologiebüchern vor und amüsieren sich darüber, wie absurd vieles in ihren Ohren klingt. 

Während dieser Zeit hat Tae noch etwas festgestellt. Jungkook ist freundlich, zuvorkommend, charmant und witzig. Es ist schon ein bisschen erschreckend, wie genau er der Vorstellung seines Traummanns entspricht. Deswegen ist Taehyung auch mittlerweile fest davon überzeugt, dass es sich nur um einen verdammt realistisch wirkenden, wunderschönen Traum handeln kann. Bestimmt, weil er mit seinen Eltern neulich über das Thema gesprochen hat. Aber was soll’s. Wenn Taehyung schon mal die Möglichkeit hat, seine Wunschvorstellungen auszuleben, sollte er das auch ausnutzen. 

Mit diesen Gedanken im Hinterkopf schafft er es immer mehr, sich zu entspannen und sich nicht andauernd zu verhaspeln.

"Also, hier steht", verkündet Jungkook, der das Buch hoch hält, sich nochmal übertrieben laut räuspert und sich an einem ernsten Gesichtsausdruck versucht. "Der Steinbock hat einen sehr kontrollierten Charakter. Verantwortungsbewusstsein und Leistung sind sein erstes Gebot. Daher ist es kein Wunder, dass der ehrgeizige Steinbock stets die Verantwortung gegenüber sich, seinen Aufgaben und seinen Mitmenschen übernimmt.

Taehyung bewundert, dass Jungkook dabei so ernst bleiben kann, denn allein schon durch die übertriebene Betonung kann er nicht mehr aufhören zu lachen. 

"Passt leider ziemlich gut", schafft er es, zwischen zwei Lachflashs hervorzubringen. Sie haben sich zwar einen Tisch in einer abgelegenen Ecke der Bibliothek ausgesucht, dennoch werden mittlerweile einige Besucher ziemlich genervt von ihnen sein. Nur wie soll Taehyung sich wieder einkriegen, wenn Jungkook die ganze Zeit irgendwelche absurden Texte aus dem Buch vorliest? Wenn sie so weitermachen, kassieren sie mit Sicherheit noch eine Abmahnung oder werden direkt rausgeschmissen.

Leider scheint Jungkook das noch nicht zu reichen.

"Kommt noch besser. Pass auf." Wieder räuspert er sich und fängt an, in dieser übertriebenen Betonung aus dem Buch vorzulesen. "Wenn Steinbock und Jungfrau zusammenfinden, dann ist es meist für immer. Denn während der Steinbock mit anderen Sternzeichen oft aneinandergerät, passt er mit der Jungfrau einfach perfekt zusammen. Sie ergänzen sich in vielen Dingen, verfolgen die gleichen Ziele und arbeiten als Team wunderbar zusammen."

"Na dann muss ich ja nur noch eine Jungfrau finden, hm?", witzelt Taehyung herum, ohne zu ahnen, was das für Konsequenzen hat. Jungkook rutscht ein Stück näher an ihn heran, bis sich ihre Beine berühren, und fixiert ihn mit einem Blick, der zu explosionsartigen Herzrasen bei Taehyung führt. Er ist eindeutig zu nah! Taehyung kann schon das markante Männerparfüm des anderen riechen und holy shit! Es riecht nach purer Sünde. Kein Wunder, dass Taehyung nicht mehr dazu in der Lage ist, sich auch nur einen Millimeter zu bewegen, geschweige denn, noch etwas zu sagen.  

"Ich bin eine Jungfrau." Jungkooks Lächeln wird breiter und Taehyung ist sich ziemlich sicher, dass er sich absichtlich kurz über die Lippen leckt, um ihn noch mehr in den Wahnsinn zu treiben. Was soll das? Wieso macht Jungkook das? Zieht er ihn auf, weil man aus drei Kilometer Entfernung erkennen kann, dass Taehyung Interesse an ihm hat? 

"Du… du verarschst mich doch."   

"Nope. Ich hab Anfang September Geburtstag, demnach bin ich zu hundert Prozent eine waschechte Jungfrau."

Wieder dieses elendige, verschmitzte Grinsen! "Weißt du, es soll ja Menschen geben, die bewusst einen Partner danach aussuchen, ob ihre Sternzeichen zueinander passen."

Taehyung kann nicht mehr klar denken. Dementsprechend auch nicht mehr abschätzen, ob Jungkook ihn gerade nach Stich und Faden verarscht oder er tatsächlich mit ihm flirtet. Er möchte es wissen, und da diese absurde Situation niemals real sein kann, hat er doch auch eigentlich nichts zu verlieren, oder? Das Schlimmste, was passieren könnte, wäre, dass er aufwacht. Also lehnt Taehyung sich so weit in Jungkooks Richtung, dass ihre Gesichter nur noch ein paar Millimeter trennen, und lächelt ihn neckisch an. "Sag mal… flirtest du grad mit mir?"

Jungkook weicht keinen Millimeter zurück, schaut Taehyung stattdessen tief in die Augen und antwortet mit einer Gegenfrage. "Kommt drauf an. Würde es dich abschrecken, wenn ich mit dir flirten würde?"

"Nein", kommt es Taehyung schneller über die Lippen, als er denken kann. Im selben Moment fragt er sich (sollte dies doch kein Traum sein), woher Jungkook die Sicherheit nimmt, dass Taehyung auf Männer steht. Immerhin ist es hierzulande immer noch verpönt, auf das gleiche Geschlecht zu stehen.
"Ich frag mich nur, warum… du dich das traust. Ich meine… ich könnte ja auch genauso gut homophob sein oder so."

"Also, sonderlich schwer war's jetzt nicht zu erkennen, dass du ein Auge auf mich geworfen hast. Es sei denn, für dich ist es normal, anderen in einer Bibliothek aufzulauern und keinen vernünftigen Satz zu Stande zu kriegen, obwohl man nur eine simple Frage gestellt hat."

"Oh." 

"Außerdem merke ich eigentlich immer recht schnell, ob ich bei jemandem eine Chance habe oder nicht. Und bei einem so hübschen Mann kann ich ja gar nicht anders, als mein Glück zu versuchen."

"An Selbstbewusstsein mangelt es dir zumindest nicht", schafft Taehyung zu antworten, obwohl sein Herzschlag sich schon wieder selbst überholt. 

"Kann ich dir leider nicht widersprechen", erwidert Jungkook lachend, "Also, Tae. Hättest du Lust herauszufinden, ob an diesem Sternzeichenkram was dran ist?"

"Ist das… eine Einladung zu einem Date?"

"Nicht unbedingt die charmanteste, muss ich zugeben, aber ja, war es."

Das passiert gerade nicht wirklich. 

Das KANN gar nicht die Realität sein. 

Mit Sicherheit ist Taehyung über irgendeinem Buch in der Bibliothek eingeschlafen. Aber… was, wenn es doch real ist? Er will nicht, dass es sich nur um einen Traum handelt. Und wenn er herausfinden will, ob Jungkook tatsächlich existiert oder nur in seinem verträumten Kopf, bleibt ihm wohl nichts anderes übrig, als dem Date zuzustimmen. (Zumal es keinen Grund gibt, warum er es nicht tun sollte.)

"Jeon Jungkook. Ich würde sehr gerne mit dir auf ein Date gehen", antwortet er erstaunlich souverän und bekommt als Belohnung ein vorfreudiges Lächeln von dem Mann seiner Träume geschenkt. 

 

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Taehyung kann es gar nicht erwarten, seinen Eltern von der Begegnung zu erzählen. Er reißt die Tür zur Wohnung auf, streift sich in Windeseile die Schuhe von den Füßen, die er achtlos in eine Ecke pfeffert, und rennt aufgeregt ins Wohnzimmer. Seine Eltern sehen ihn skeptisch an, weil sie dieses Verhalten von ihm nicht gewohnt sind.

"Taehyung-Schatz. Was ist…?"

"Ich muss euch UNBEDINGT was erzählen", fällt er seiner Mutter ins Wort, tippelt unruhig von einem Bein auf andere und weiß vor lauter Euphorie nicht, wohin mit sich.

"Okay…? Dann erzähl mal."

"Es gibt ihn!", quietscht er, woraufhin seine Eltern sich lediglich fragende Blicke zuwerfen.
"Meinen Traummann! Ihr erinnert euch? Schwarze Haare, Tattoos, Piercings. Es gibt ihn! Ich bin ihm tatsächlich begegnet! HIER. IN JEONJU. Ist das zu fassen!? Wir haben sogar Nummern ausgetauscht. Und es kommt noch besser." Taehyung unterbricht sich, um ein weiteres Quietschen rauszulassen. "WIR HABEN EIN DATE!"

Stille. Taehyungs Eltern tauschen weiterhin stillschweigend fragende Blicke aus. Irgendwie hatte Taehyung eine andere Reaktion erwartet und merkt, wie seine Euphorie langsam abebbt.

"Das ist toll", äußert seine Mutter, obwohl sie nicht so klingt, als würde sie die Worte so meinen. "Wirklich. Wir freuen uns für dich. Aber… vielleicht solltest du dich da nicht direkt so reinsteigern."

Das ist ein schlechter Scherz! Sie waren es doch, die unbedingt wollten, dass Taehyung sich endlich mal verliebt und wie ein Teenie benimmt. Jetzt tut er es und das ist auch wieder verkehrt?

"Was ist eigentlich euer Problem? Erst wollt ihr unbedingt, dass ich mal anfange zu leben und jetzt ist es wieder nicht richtig?" 

"Das sagen wir gar nicht", erwidert sein Vater seufzend, "Wir wollen nur nicht, dass du dich Hals über Kopf in jemanden verliebst, den du noch gar nicht richtig kennst." 

"Außerdem weißt du ja gar nicht, ob er wirklich der richtige ist, nur weil er im ersten Moment danach aussieht", fügt seine Mutter hinzu, während sie von der Couch aufsteht und auf Taehyung zugeht. Aber Taehyung hat keine Lust, dieses Gespräch weiterzuführen und verschwindet eilig in seinem Zimmer. Die Tür knallt er extra fest zu, damit seine Eltern auch bloß mitbekommen, wie angepisst er von ihrem Verhalten ist. Sie wollten ja unbedingt, dass er sich benimmt wie andere Jungs in seinem Alter. Können sie haben. 

Die erste halbe Stunde versucht er sich mit Musik und Zeichnen abzulenken, aber er schafft es nicht, den Kopf frei zu kriegen. Auch das Lesen hat er mittlerweile aus demselben Grund drangegeben. Jetzt liegt Taehyung schmollend und wütend im Bett und starrt die Decke an.

Er versteht dieses widersprüchliche Verhalten seiner Eltern nicht, egal wie lange er darüber nachdenkt. In seiner Verzweiflung greift er nach seinem Handy und scrollt eine Weile durch Instagram, nur um einmal mehr festzustellen, dass er diesem Social-Media-Kram einfach nichts abgewinnen kann. Genervt schließt er die App und will gerade sein Handy sperren, als eine Nachricht auf dem Display erscheint. Sie ist von Jungkook! Und im selben Moment sind alle Sorgen und der Ärger vergessen. 

Ich fands heute sehr schön und freu mich schon, wenn wir uns wiedersehen. Wenn du morgen noch nichts vorhast, könnten wir uns ja treffen?

Taehyung liest die Nachricht wieder und wieder und kann immer noch nicht glauben, dass das alles wirklich passiert. Ohne groß darüber nachdenken zu müssen, tippt er seine Antwort.

Morgen steht soweit ich weiß nichts an :) können uns gerne treffen. Sag nur wann und wo

12 Uhr und ich hol dich ab, wenn du mir deine Adresse verrätst

Wieder überlegt er nicht lange und schreibt ihm seine Adresse. Eine dumpfe Stimme in seinem Kopf warnt ihn, dass Jungkook gefährlich sein könnte und er seine Daten nicht so leichtfertig rausgeben sollte. Immerhin läuft alles ein bisschen zu perfekt, irgendwo muss es doch einen Haken geben. 

Allerdings ist Tae stur (oder auch naiv) genug, um die Stimme zu ignorieren. 

  

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Nachdem Jungkook ihn am nächsten Tag zu Hause abgeholt hat, suchen sie ein Café auf. Taehyung genießt die Zeit mit ihm, allerdings geht ihm das merkwürdige Verhalten seiner Eltern nicht aus dem Kopf. Leider entgeht Jungkook das nicht. 

"Du siehst so nachdenklich aus. Alles in Ordnung? Liegt es an mir? Wenn du lieber nach Hause möchtest, kannst du das gerne sagen."

"Nein, nein. Es liegt nicht an dir", antwortet Taehyung und seufzt abermals. "Meine Eltern. Ich hab mich gestern mit ihnen gestritten."

"Ist das so ungewöhnlich?" 

"Schon…" Taehyung starrt in seinen Eiscafé, der noch völlig unangetastet vor ihm steht. "Ich streite mich sonst nie mit ihnen. Und irgendwie verhalten sie sich total merkwürdig. Erst machen sie mir einen Vorwurf daraus, dass ich meine Freizeit lieber mit Lernen statt Partys verbringe, was an sich ja schon ziemlich merkwürdig ist. Und gestern haben sie 'nen Aufstand gemacht, weil ich mich mit dir nochmal treffen wollte und… ach Mann. Ich versteh's einfach nicht."

"Hm", brummt Jungkook nachdenklich, "vielleicht machen sie sich nur Sorgen? Sie scheinen es ja nicht gewohnt zu sein, dass du… an etwas anderem Interesse hast, als deinen Schulbüchern." 

"Sie sind es von meinem Bruder eigentlich genug gewohnt." Wieder ein schweres Seufzen. Er will Jungkook eigentlich nicht so volljammern, aber er kann sich auf nichts anderes konzentrieren. Ein schlechtes Gewissen breitet sich in ihm aus.

"Tut mir leid. Ich will dir nicht so die Ohren vollheulen." 

Erstaunlicherweise scheint Jungkook kein bisschen genervt davon zu sein, denn auch jetzt findet er sein sanftes Lächeln wieder. "Trink mal deinen Kaffee aus und dann komm."

Perplex blinzelt Tae ein paar Mal. Jungkooks Lächeln wird zu einem breiten Grinsen, das vermuten lässt, dass er irgendwas vorzuhaben scheint. Aber was?

"Und dann?" 

"Und dann folge mir. Ich kenne da einen schönen Ort, wo man gar nicht mehr Trübsal blasen kann."

Immer noch leicht irritiert von der plötzlichen Aufforderung, leert Taehyung seinen Eiscafé in einem Zug. Er fragt sich zwar, was für einen Ort Jungkook meinen könnte, will sich aber lieber überraschen lassen.

  

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Taehyung kann es immer noch nicht fassen. Der Deokjin Park ist gar nicht so weit von seiner Wohnung entfernt und trotzdem ist er noch nie hier gewesen. Aber was wundert es ihn? Er geht sonst nie raus oder erkundet grundlos die Gegend. Jungkook dagegen scheint sich hier bestens auszukennen. Zielstrebig führt er Taehyung durch den Park, bis sie an einem See ankommen, der im Herzen der Grünanlage liegt. 

Taehyung bleibt stehen und bewundert die Lotusblüten, deren Blätter sich wie ein grüner Teppich über einen hinteren Teil des Sees erstrecken. Seit wann hat Jeonju so schöne Orte? Bislang dachte er immer, die Bibliothek sei der schönste Ort, allerdings macht dieser Park ihr ernsthafte Konkurrenz. 

"Deiner Sprachlosigkeit entnehme ich jetzt mal, dass es dir gefällt", kommentiert Jungkook nach einer Weile. Nur eine Sekunde später spürt Taehyung die Hand des anderen an seiner und vor Schreck zuckt er leicht zurück. 

"Zu schnell?", fragt Jungkook, obwohl er auf seine vorherigen Worte nicht mal eine Antwort bekommen hat, aber glücklicherweise ist er ja schon gewohnt, dass Tae für manche Antworten etwas länger braucht. 

"Ähm… nein. Nur… plötzlich?", antwortet Tae, ehe er einmal tief durchatmet und sich erstmals traut, selbst die Initiative zu ergreifen. Nervös hält er seine Hand Jungkook hin, doch dieser erwidert die Geste zu seinem Erstaunen nicht direkt. Hat er was falsch gemacht? Taehyung wollte Jungkook doch nur signalisieren, dass es okay ist, wenn sie Händchenhalten.

"Hör mal, Tae", beginnt Jungkook und klingt ungewohnt ernst. Er sucht nach Taehyungs Blick und als sich ihre Blicke daraufhin kreuzen, breitet sich erneut eine gewaltige Gänsehaut lawinenartig über Taes Körper aus. 

"Wenn dir das zu schnell geht, können wir gerne eine Spur langsamer machen. Ich will dich zu nichts drängen. Und Du musst dich auch zu nichts verpflichtet fühlen, okay?" 

Drei Herzschläge lang setzt Taehyungs Atmung aus. Ist das zu fassen? Der Mann seiner Träume ist nicht nur äußerlich GENAU das, was er sich immer vorgestellt hat. Auch charakterlich scheint es keinen einzigen Haken an ihm zu geben. Er hat Humor, ein gesundes Selbstbewusstsein, ist zuvorkommend und jetzt das? Wie soll Taes Herz diese geballte Ladung an Perfektion überstehen? 

"Jungkook", murmelt Taehyung verlegen, obwohl er gar nicht weiß, was er sagen soll. Zum Glück hetzt der andere ihn nicht, sondern wartet geduldig, bis Taehyung seine Worte zurechtgelegt hat.

"Es geht mir nicht zu schnell und ich fühle mich auch zu nichts gezwungen. Wenn ich ehrlich bin, würde ich sogar sehr gerne deine Hand halten. Es… ist nur… ich hab noch nicht viel Erfahrung in puncto Dates und so."

Jungkooks Gesichtsausdruck entspannt sich. "Wenn das so ist, erkläre ich mich natürlich gerne bereit, dir zu helfen, deinen Erfahrungsschatz zu erweitern."

Hilfe, ist das einzige, was Taehyung noch denken kann. Er weiß nicht mal mehr, ob sein Herz gerade stehengeblieben ist oder einfach schon so schnell schlägt, dass Taehyung es nicht mehr eindeutig als Bewegung wahrnehmen kann. 

"Und wie…? Also was hast du jetzt vor?"

"Jetzt leihen wir uns ein Tretboot aus", erklärt Jungkook daraufhin so souverän, als wäre es völlig absurd, dass Taehyung das überhaupt gefragt hat. 

Kurz darauf sitzt Taehyung das erste Mal in seinem Leben in einem Tretboot und ist aufgeregt wie ein Kleinkind, das endlich seine Geburtstagsgeschenke auspacken darf. Der See ist groß genug, um eine ganze Weile mit dem Tretboot darauf herumzufahren. Ein Teil des Sees wird, wie er bereits vom Ufer her schon gesehen hat, von zahlreichen Lotusblüten bedeckt, und er erkennt, dass es nicht nur hübsch anzusehen ist, sondern auch einige Tiere anlockt. Die verschiedensten Vogelarten, Schmetterlinge, Libellen und sonstige Insekten fliegen über den grünen Teppich, landen mal hier und mal dort und sorgen in Kombination mit dem Plätschern des Wassers für eine entspannende Geräuschkulisse.

"Und? Immer noch traurig wegen deiner Eltern?", fragt Jungkook, und erst da fällt Taehyung auf, dass er keine Sekunde mehr über den Streit mit ihnen nachgedacht hat. 

"Nein."

"Na, dann hab ich ja nicht zu viel versprochen."

  

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Sie sind schon eine ganze Weile auf dem See unterwegs und üben sich darin, möglichst gleichmäßig zu fahren (was sich äußerst schwierig gestaltet, da Jungkooks Beine wesentlich kräftiger und ausdauernder sind als Taehyungs), ehe Jungkook erneut das Wort ergreift.

"Du hattest also noch nie ein Date?"

Irritiert von der Frage, vergisst Taehyung, dass er weiter treten muss. Jungkook stoppt daraufhin ebenfalls, weil sie sonst wie zuvor schon einige Male nur wieder im Kreis fahren.

"Ähm… nicht wirklich." 

"Und eine Beziehung?"

"Auch nicht."

Jungkooks prüfender Blick ist zu viel für ihn, zumal Taehyung eins klar wird. Sie sind auf dem Wasser. Er kann von hier nicht einfach so weg, das heißt, die einzige Fluchtmöglichkeit - sollte er aus welchem Grund auch immer fliehen wollen - besteht darin, kopfüber in den See zu springen und darauf kann er wirklich gut verzichten. Mit anderen Worten: sie sitzen jetzt erstmal hier auf engstem Raum fest. 

"Warst du denn wenigstens schon mal so richtig verliebt?", bohrt Jungkook weiter nach und langsam machen sie Taehyung nervös. Auf was will er hinaus? 

"So richtig? Ich weiß nicht. Ich hab mich auf jeden Fall mal so richtig in jemanden verguckt. Ein Junge aus der Schule. Wenn ich das richtig mitbekommen habe, hatte er mal ne Freundin, also hab ich ihn gar nicht erst angesprochen."

Jungkook nickt, während sein Blick auf dem Wasser ruht. Sie treiben immer noch auf derselben Stelle, was ihre Unterhaltung noch unangenehmer macht. Zudem fragt sich Taehyung, seit der andere das Thema angefangen hat, wie es bei Jungkook aussieht. Ob es okay wäre, ihn das auch zu fragen?

"U…nd wie ist es bei dir?", traut er sich schließlich zu fragen. Jungkook sucht daraufhin wieder nach seinem Blick, zuckt dann aber mit den Schultern und wendet den Kopf wieder ab. 

"Also Dates hatte ich einige. Aber irgendwie ist nie mehr daraus geworden. Hatte bis jetzt auch nur eine richtige Beziehung, aber sonderlich lang hat die auch nicht gehalten. Und verlieben? Eher nicht. Das waren eher immer so Schwärmereien, aber wirklich Gefühle für jemanden entwickelt habe ich nur einmal."

Taehyung grübelt. Er kann sich nicht vorstellen, dass seine ganzen Dates nicht mehr von Jungkook wollten, denn bislang ist er immer noch der perfekteste Mensch, dem er je begegnet ist. Heißt das dann, dass sich von Jungkooks Seite aus nie mehr entwickelt hat? Ist er so eine Art Herzensbrecher? Wenn ja, wie wird es bei ihm und Taehyung sein? Was, wenn sich aus der jetzigen Schwärmerei ernsthafte Gefühle entwickeln und Jungkook ihn dann abserviert? Das würde er niemals verkraften können (und das weiß er, obwohl sie sich gerade mal seit knapp zwei Tagen kennen). 

"Du siehst so nachdenklich aus, Tae."

"Hm…" 

"Was ist los?"

"Ich frage mich nur, wie es sein kann, dass jemand wie du noch nicht so viele Beziehungen hatte. Ich meine…" Taehyung überlegt, wie er das formulieren soll und druckst ein paar Mal herum, weil er keine passende Formulierung findet. Er kann ja schlecht sagen, dass er Angst hat, dass ihm das Herz gebrochen wird. "Du bist… ich versteh nicht, warum du so viele Dates hattest, aber da keine Beziehungen draus geworden sind. Du siehst gut aus, bist zuvorkommend, witzig und… wolltest du nie mehr?" 

Jungkook fängt aus heiterem Himmel an zu lachen. Taehyung sackt unterdessen in sich zusammen und schweigt. Er wusste doch, dass er das nur versauen kann. 

"Danke für das Kompliment", kommt es kichernd von Jungkook, "Ich kann mir schon vorstellen, was in deinem Kopf vorgeht. Du fragst dich jetzt, ob ich so'n Herzensbrecher bin, oder? Aber ich kann dich beruhigen. Die Typen, mit denen ich ausgegangen bin, haben meistens zeitgleich jemand anderen kennengelernt." 

Voll ins Schwarze getroffen. Taehyung bekommt ein schlechtes Gewissen, dass er Jungkook das überhaupt unterstellt hat. Aber vielleicht ist das einfach die Angst, dass er von Jungkook abserviert wird. Dass er nicht gut genug für den Mann seiner Träume ist. Niemals hätte er in Erwägung gezogen, dass es gar nicht von Jungkook ausgegangen ist, sondern von seinen Dates. Dass sie sich für jemand anderen entschieden haben könnten anstatt für Jungkook. 

"Entschuldige, Jungkook. Ich wollte nicht…" 

"Schon gut", unterbricht er ihn, bevor Taehyung es noch schlimmer machen kann. "Ich hätte mich das an deiner Stelle wahrscheinlich auch gefragt. Aber manchmal passt es nicht, das ist einfach so. Ich bin mir trotzdem ziemlich sicher, dass jeder irgendwann jemanden finden wird, der passt. Man darf nur nicht aufgeben." 

Tae sucht nach dem Blick des anderen, aber Jungkook erwidert es nicht. Nachdenklich betrachtet er die kleinen Wellen im Wasser, die durch den lauen Sommerwind entstehen. Und irgendwie glaubt Tae, eine gewisse Traurigkeit in seinem Blick erkennen zu können.

"Ich weiß nicht", antwortet Tae fast flüsternd, "ich find es schwierig. Nicht jeder geht mit seiner Homosexualität so offen um wie du. Ich würde mich niemals trauen, jemanden anzusprechen oder nach einem Date zu fragen, weil viele darauf nicht besonders gut reagieren würden." 

"Ja, ich weiß", antwortet Jungkook seufzend. "Leider ist es tatsächlich so, dass sich einige dadurch angegriffen fühlen. Aber ich tue doch niemandem weh, nur weil ich auf Kerle stehe, oder? Ich möchte mich nicht mein ganzes Leben verstecken, nur weil hier manche sexuelle Ausrichtungen immer noch ein totales Tabuthema sind."

Taehyung kann nicht anders, als Jungkook (wieder einmal) zu bewundern. Dass er so offen damit umgeht, ist inspirierend und gibt Taehyung neuen Mut, endlich offener zu seiner Homosexualität zu stehen.

Gleichzeitig spürt er, dass Jungkooks Hand auf seiner Schulter zum Liegen kommt. Sie strahlt ungeheure Wärme aus, die sich auch auf Tae überträgt, und wird eigentlich nur von der warmen Ausstrahlung seiner Augen übertroffen. Durch den Blickkontakt fängt es überall in Taehyung an zu kribbeln, sein Verstand setzt aus und ein angenehm flaues Gefühl breitet sich in seinem Magen aus. Taehyung kennt das Gefühl nur in abgeschwächter Form von seiner Schwärmerei in der Schulzeit. In dieser Intensität spürt er das zum ersten Mal.

Ist das möglich? Kann man sich so schnell in jemanden verlieben? 

"Jetzt schau nicht so. Ich bin mir sehr sicher, dass du schon bald jemanden an deiner Seite haben wirst, der zu dir passt."

Jungkook meint sich selbst, oder? 

Hoffentlich meint er sich selbst. Taehyung möchte niemand anderen an seiner Seite haben, als Jeon Jungkook, die lebendige Version seines Traummanns. 

  

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In den nächsten zwei Wochen trifft sich Taehyung fast täglich mit ihm. Dabei zeigt Jungkook ihm immer mehr Orte, die er noch nicht kannte, aber sein Lieblingsort ist immer noch der Lotusblüten-See im Deokjin Park. 

Während dieser Zeit denkt Taehyung immer mehr darüber nach, ob es okay wäre, wenn er selbst mehr Initiative ergreifen würde, denn bislang geht das meiste von Jungkook aus. Zu seinem Bedauern sind sie über den Punkt des Händchenhaltens oder anderen vorsichtigen Körperkontakts nie hinausgegangen. Dabei fragt er sich die ganze Zeit, wie es ist, jemanden mit Lippenpiercing zu küssen. Oder was ein Kuss erst bei ihm auslösen würde, wenn er schon Herzrasen bekommt, wenn sich nur ihre Hände berühren. 

Denn eins steht mittlerweile fest. Er ist über beide Ohren in Jungkook verknallt. 

Und er möchte weitergehen. Jungkook hat gesagt, dass Taehyung bald jemanden an seiner Seite haben wird und er ist sich sicher, dass Jungkook sich selbst damit gemeint hat. Vielleicht wartet Jungkook nur darauf, dass Tae den nächsten Schritt macht? 

Als sie sich am Abend in eine Bar setzen, bestellen sie sich jeweils ein Bier und Taehyung fällt die Entscheidung, dass er heute eine mutigere Version seiner Selbst sein wird, auch wenn er dazu Alkohol benötigt.

"Wollen wir noch hier bleiben? Oder vielleicht noch ein bisschen raus?", traut sich Taehyung zu fragen, als sie fast gleichzeitig ihr Bier ausgetrunken haben. 

"Hab nichts gegen 'nen Spaziergang", murmelt Jungkook. Wirklich begeistert sieht er jedoch nicht aus, aber wenn Taehyung ehrlich ist, tut er das schon den ganzen Abend nicht. Vielleicht liegt es am Alkohol, dass er so in sich gekehrt wirkt. Er hofft es inständig, denn alles andere würde bedeuten, dass Jungkook kein Interesse mehr an ihm hat. 

Jungkook übernimmt wie immer das Bezahlen, obwohl Taehyung zu Beginn ihres Treffens darauf bestanden hat, dass er heute sämtliche Rechnungen übernimmt. Allerdings lässt Jungkook in dem Punkt nicht mit sich verhandeln, weshalb Tae doch wieder kleinbei gibt.

"Wohin wollen wir denn gehen?", fragt Jungkook, als sie draußen ankommen. Taehyung strafft die Schultern, fasst all seinen Mut zusammen und greift nach Jungkooks Hand. Kurz darauf verschränken sich ihre Finger wie selbstverständlich miteinander und Taehyung fragt sich, wie es sein kann, dass es schon fast zu einer Normalität geworden ist. Er findet es schön und möchte es unter keinen Umständen mehr missen. Was soll er denn machen, wenn Jungkook wirklich kein Interesse mehr an ihm hat? 

"Wenn das für dich okay ist, würde ich einfach ein bisschen in den Park gehen", schlägt er vor, was Jungkook mit einem Nicken und einem knappen "Okay" erwidert. 

Sie schweigen, während sie sich auf den Weg Richtung Park machen. Er ist nur einige Meter von der Bar entfernt, weshalb sie innerhalb kürzester Zeit ihr Ziel erreichen.

Um diese Zeit ist der Park selbst im Sommer fast menschenleer und Taehyung fällt nach einem kurzen Blick aufs Handy auf, wie spät es schon ist und dass sich seine Eltern nicht einmal bei ihm gemeldet haben. 

Sie scheinen sich damit abgefunden zu haben, dass er oftmals erst spät in der Nacht wieder zu Hause ist. Anfangs haben sie noch nachgefragt, wo er war oder wie die Treffen mit Jungkook gelaufen sind, aber selbst das hat stark nachgelassen. Sie scheinen sich nicht mehr dafür zu interessieren, wie es um das Liebesleben ihres Sohnes bestellt ist. So bitter das auch irgendwie ist, ist er ebenso erleichtert, dass er bei seinen Treffen mit Jungkook nicht permanent auf die Uhr gucken muss, um rechtzeitig zu Hause zu sein.

Nach einigen Minuten, die sie stillschweigend durch die Grünanlage schlendern, lassen sie sich auf einer der zahlreichen Bänke nieder. 

"Du bist so still heute, Jungkook", murmelt Taehyung, ehe er sich zaghaft an seine Schulter anlehnt. Er wird das Gefühl nicht los, dass irgendwas nicht stimmt und er weiß nicht, ob es okay ist, wenn er es anspricht. 

"Sorry", antwortet er, "mir geht grad nur ziemlich viel durch den Kopf."

Er will diese Treffen nicht mehr, überlegt Tae. Im selben Moment fühlt sich die Nähe zu ihm so unfassbar falsch an, dass er sich umgehend aufrecht hinsetzt und mehr Abstand zwischen sie bringt. Jungkook schaut ihn daraufhin verwundert an. Er scheint sofort zu merken, wie sehr es Tae verunsichert und setzt zur Erklärung an.

"Einem guten Freund geht's grade nicht so gut. Er hat sich mal wieder mit seinen Eltern gestritten und sucht jetzt 'ne Bleibe. Ist leider nicht das erste Mal, dass er von zu Hause flüchten muss." 

Darum geht's also? Um einen Freund, der gerade eigentlich seine Hilfe braucht? Muss ziemlich heftig sein, wenn Jungkook deswegen den ganzen Tag schon so nachdenklich ist. 

"Kann er nicht bei dir unterkommen solange?"

"Schon", stimmt Jungkook zu, aber irgendwas scheint ihn daran zu hindern. Warum redet er nicht offen mit Taehyung? Gibt es etwas, das er verschweigt?  

"Aber?" 

"Du kennst Jimin nicht. Wenn er einmal da ist, wird man ihn so schnell nicht wieder los. Du erinnerst dich daran, was ich dir zu meinen Dates erzählt habe? Jimin war einer davon. Wir haben recht schnell gemerkt, dass wir nicht zueinander passen, weil er mir zu anhänglich ist. Ich verstehe mich immer noch gut mit ihm und wenn du nicht wärst, würde ich ihm auch sofort das Angebot machen, dass er zu mir kommen kann. Aber so wie ich ihn kenne, wird er dann permanent mitkommen wollen und ich weiß nicht, ob du das so toll fändest."

Die Gedanken in Taehyungs Kopf überschlagen sich. Jungkook und Jimin haben sich mal gedatet? Das heißt, dass Jimin auch an Männern interessiert ist? Und er wäre bei den Treffen dabei? Was, wenn er doch wieder was von Jungkook will? Das Risiko will er eigentlich nicht eingehen. Auf der anderen Seite kann er nicht von ihm erwarten, einen Freund hängen zu lassen. 

"Ich hab nichts dagegen", sagt Taehyung schließlich und erntet dafür einen verwunderten Blick von Jungkook.

"Ehrlich, wenn er deine Hilfe braucht und du ihm helfen möchtest, solltest du das tun."

"Danke", ist das einzige, was Jungkook darauf erwidert, ehe er sein Handy hervorholt und eilig eine Nachricht tippt. Taehyung starrt unterdessen auf die ordentlich in einer Reihe gepflanzten Bäume, lauscht dem Plätschern des Sees und dem Summen der Insekten, und hängt seinen Gedanken nach. 

"Komm", fordert Jungkook plötzlich, bevor er von der Bank aufspringt und nach Taes Hand greift. Taehyung stolpert hinter ihm her. "Was? Wohin?"

"Na, ans Wasser", antwortet Jungkook so gut gelaunt, als wäre er niemals niedergeschlagen gewesen. Taehyung kann nicht anders als in neugieriger Vorfreude breit vor sich hin zu grinsen.

Als sie am Ufer ankommen, stellt Taehyung fest, dass sie fast vollkommen alleine sind. Um zehn Uhr abends scheint keiner mehr den See besuchen zu wollen, was Taehyung durchaus nachvollziehen kann. Wäre Jungkook nicht, würde er längst wieder zu Hause vor seinen Büchern sitzen oder im Bett liegen und schlafen. 

"Cool, oder?", fragt Jungkook aufgeregt und da erkennt Taehyung, dass es noch hell genug ist, um von der Umgebung was erkennen zu können, aber auch schon dunkel genug ist, dass sich das Mondlicht im Wasser spiegelt. Ein Glühwürmchen fliegt durch die Luft und zieht Taehyungs gesamte Aufmerksamkeit auf sich. Er kann sich nicht daran erinnern, wann er das letzte Mal eines gesehen hat. Erst als es aus Sichtweite ist, richtet er seinen Blick wieder zu Jungkook, nur um feststellen zu müssen, dass dieser gerade dabei ist, sein Shirt auszuziehen. 

"Jungkook? Was hast du vor?"

"Na, was wohl? Schwimmen gehen!", antwortet er grinsend. 

"Warte mal. Ist das überhaupt erlaubt?" Taehyung ist sich nicht sicher, ob sie das wirklich tun sollten. Zumal er eh nicht so sonderlich gut schwimmen kann. Außerdem haben sie nicht mal Wechselwäsche dabei. Und mit Alkohol im Blut, selbst wenn es nur wenig ist, sollte man gar nicht ins Wasser. Das kann ganz schnell sehr böse enden. Was denkt Jungkook sich nur dabei? 

"Mach dich mal locker", ist das einzige, was Jungkook sagt, ehe er sich auch seiner Hose entledigt. Taehyung will seinen Blick abwenden, aber die durchtrainierten Beine faszinieren ihn so sehr, dass er einige Sekunden nur mit offenem Mund vor Jungkook stehen bleibt und ihn anstarrt.

"Was ist? Kommst du mit rein?" Jungkook hat auch seine Socken und Schuhe ausgezogen und steht lediglich in Unterhose bekleidet vor ihm. Das Denken fällt Taehyung zunehmend schwer, aber nach ein paar weiteren Sekunden schafft er zumindest den Kopf zu schütteln.

"Na gut, aber du wartest hier, oder?"

"Ja…", nuschelt Tae, ehe er fassungslos mit ansieht, wie Jungkook näher zum Ufer tapst und langsam ins Wasser geht.

"Sei bloß vorsichtig."

Jungkooks Antwort besteht aus einem unbeschwerten Lachen, ehe er bis auf den Kopf vollständig im Wasser ist. Kurz darauf schwimmt er die ersten Bahnen. Taehyung weiß nicht, ob das Entsetzen oder die Bewunderung überwiegt. 

"Das Wasser ist gar nicht so kalt wie ich dachte", ruft Jungkook ihm zu, während Tae sich ans Ufer setzt und überlegt, ob er mit rein soll. Eigentlich will er nicht, und er weiß auch, dass Jungkook ihn zu nichts zwingen würde, aber die Versuchung ist trotzdem groß. Taehyung ist immer vernünftig, hat sich immer an die Regeln seiner Eltern gehalten und ist niemals über die Strenge geschlagen. Vielleicht ist es okay, wenn er einmal in seinem Leben etwas Dummes tut. Vielleicht meinte sein Vater genau solche Momente, als er sagte, dass Taehyung leben soll.

"Okay, ich komm mit. Aber nur ein kleines Stück", kündigt Taehyung an, ehe er seine Socken und Schuhe ebenfalls auszieht, seine Hose bis über die Knie hochkrempelt und Jungkook ins Wasser folgt.

"Scheiße", flucht Tae, "von wegen nicht kalt! Es ist eiskalt! Du holst dir noch den Tod, wenn du länger hier drin bleibst…" 

"Ach was. So kalt ist es echt nicht, und außerdem gewöhnt man sich dran."

Taehyung geht einige sehr vorsichtige Schritte auf Jungkook zu, der darauf zu ihm geschwommen kommt und ihm eine Hand hinhält. Das sanfte Lächeln lässt Taehyungs Herz höher schlagen und sämtliche Bedenken in weite Ferne rücken.

"Siehst du? Man gewöhnt sich dran", sagt Jungkook und kommt noch näher auf ihn zu. Ihre Oberkörper berühren sich fast und Taehyung verliert sich in der Schönheit dieses Moments. Das Plätschern, das die beiden verursachen, das Mondlicht, dass sich in der Wasseroberfläche widerspiegelt und die nassen Haare, die Jungkook ins Gesicht hängen, lassen Taehyung glauben, dass es der richtige Zeitpunkt für seinen ersten richtigen Kuss ist. Er überwindet den letzten Abstand, sodass sich ihre Oberkörper berühren. Jungkook weicht nicht aus, sieht ihm in die Augen und sogar das Grinsen, das die ganze Zeit auf seinen Lippen gelegen hat, verschwindet und weicht einem eher verträumten Ausdruck. Tae beugt sich mit klopfendem Herzen nach vorne, bereit ihn zu küssen. 

Kurz bevor sich ihre Lippen berühren, macht Jungkook allerdings einen Rückzieher. 

"Lass uns langsam raus", flüstert Jungkook, ehe er Abstand zwischen sie bringt. Taehyung ist zum Weinen zumute, aber er unterdrückt den Drang, lässt sich nichts anmerken und nickt stattdessen.

Die Stimmung ist angespannt, als sie wieder das Ufer erreichen. Jungkook greift nach seinen Klamotten und traut sich nicht einmal Taehyung anzusehen, während er sie überzieht.

"Ich… es wäre nicht richtig, Tae", erklärt Jungkook flüsternd, während er immer noch mit dem Rücken zu Tae steht. "Es liegt auch nicht an dir. Ich muss nur erst… was klären, dann…" Jungkook beendet seinen Satz nicht, aber das braucht er auch nicht. Taehyung will es gerade eh nicht hören. Er will nur nach Hause und verarbeiten, was gerade passiert ist.

"Schon gut", antwortet Tae kühl.

"Okay. Aber ich bring dich noch nach Hause." 

"Brauchst du nicht."

"Taehyung. Bitte sei nicht sauer. Ich… es ist echt nicht so einfach. Ich erkläre es dir, aber nicht heute, okay?" 

Seine Antwort besteht lediglich aus einem Schulterzucken. Was soll er auch sagen? Er kann nicht mal sagen, wie es ihm gerade geht. Ob er lediglich enttäuscht oder auch sauer auf Jungkook ist. Oder wie es seiner Meinung nach jetzt weitergeht. Fest steht, dass Jungkook ihm zu wichtig geworden ist und deswegen die Angst, dass er ihn verliert, das einzige ist, worüber er nachdenken kann.

  

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Taehyung hat den ganzen Samstag bislang im Bett verbracht und sogar seine Eltern haben nachgefragt, ob alles in Ordnung ist. Er hat geantwortet, dass er nur müde ist, weil er gestern zu spät im Bett war und sie haben es dabei belassen. Allerdings hat er Jungkook am gestrigen Abend noch zugesagt, dass er sich heute Nachmittag mit ihm treffen wird. Das ist wahrscheinlich das Dümmste, was er tun konnte und trotzdem hat er es nicht übers Herz gebracht, ihm abzusagen. Nur die Tatsache, dass Jimin auch da sein wird, stört ihn. Er würde die Zeit lieber nutzen, um mit Jungkook zu reden, aber das geht natürlich nicht, wenn noch jemand dabei ist. 

Lustlos rollt er sich aus seinem Bett und macht sich fertig. Er beschließt, dass er vorher noch ein bisschen spazieren geht, um den Kopf frei zu kriegen.

Wenig später steht er vor dem Café, atmet noch ein paar Mal tief durch und betritt schließlich den Laden. Jungkooks Lachen hört er sofort aus den anderen Stimmen und Geräuschen heraus und automatisch dreht sich Tae in seine Richtung. Neben ihm sitzt ein junger Mann, der ebenfalls unbeschwert lacht. Sofort versetzt es Tae einen Stich ins Herz. Die ersten Male hat Jungkook sich bei ihm auch so unbeschwert gezeigt, mittlerweile wirkt er immer nachdenklicher und in sich gekehrter. Er ist sauer, dass dieser Jimin scheinbar problemlos schafft, Jungkook dieses Lachen zu entlocken. 

"Ähm.. hi", begrüßt er die beiden, als er an ihrem Tisch ankommt. Jimin steht eilig auf und verbeugt sich kurz, ehe er Taehyung eingehend mustert. 

"Nicht zu fassen! Jungkook, du hast echt nicht übertrieben", sagt Jimin an Jungkook gewandt. Tae versteht nur Bahnhof und sucht nach Jungkooks Blick, damit er sieht, wie überfordert er ist, und eingreifen kann. Jimin bekommt aber auch so mit, wie überfordert Tae ist und erklärt: "Jungkook hat ziemlich viel von dir gesprochen und behauptet, du seist der hübscheste Typ hier in ganz Jeonju. Natürlich hab ich ihn für verrückt erklärt, aber er hatte wohl doch recht."

Hat Jungkook das wirklich über ihn gesagt? Der hübscheste Typ in ganz Jeonju? Ernsthaft? Und warum wollte er den Kuss dann nicht? 

"JIMIN!", kommt es peinlich berührt von Jungkook, der seinem besten Freund einen bitterbösen Blick zuwirft. Jimin kickert daraufhin nur und bittet Taehyung, sich zu ihnen zu setzen.

Wenn Taehyung ein Wort wählen müsste, um die nächsten Minuten zu beschreiben, würde er wohl 'kurios' wählen. Vor allem Jungkooks Verhalten ist kurios. Im einen Moment sieht er aus, als wäre er eifersüchtig und als wolle er Jimin gleich die Augen auskratzen, weil er kein Problem damit hat, vor Jungkooks Augen mit Taehyung zu flirten. Aber im nächsten Moment macht es den Anschein, als würde er die beiden verkuppeln wollen und liefert immer wieder neue Gesprächsthemen, bei denen Jimin und Taehyung weitere Gemeinsamkeiten finden. Sie lesen dieselben Buchreihen, haben dieselben Lieblingsserien und sogar in puncto Musik haben sie anscheinend den gleichen Geschmack.

Fast zwei Stunden halten sie es in dem Café aus, ehe sie beschließen, noch ein bisschen in den Deokjin Park zu gehen. Taehyung schmeckt das gar nicht. Es ist Jungkooks und Taehyungs Park. Ihr Park, und er kann nur gerade so verhindern, das laut auszusprechen. 

Während Jimin ununterbrochen Taehyung anflirtet, schaut Jungkook wieder und wieder nervös auf sein Handy. Aber es wird noch kurioser. Als Jimin mal wieder sehr offensichtlich sein Interesse an Tae bekundet, hat Jungkook nichts besseres zu tun, als zu erwähnen, wie gut die beiden zusammen passen würden.

Jungkook war doch derjenige, von dem das Date zu Beginn ausging. Derjenige, der gesagt hat, dass Tae sicher bald einen Partner haben wird, der zu ihm passt. Meinte er die ganze Zeit Jimin damit und gar nicht sich selbst? Aber warum? Taehyung will nichts von Jimin, auch wenn er ihn gut leiden kann. Ist das heutige Treffen vielleicht gar kein Zufall? Und wenn Jungkook das wirklich ernst meint, bleibt die Frage, warum er dann manchmal so eifersüchtig wirkt. 

Taehyung versteht nichts mehr.

Seit wann ist sein Leben eigentlich so kompliziert? 

"Jimin, du kannst gleich übrigens schon mal vorgehen. Ich… muss noch dringend was klären und komme dann nach. Schlüssel hast du ja, ne?" Jungkook sieht Jimin fragend an, der den Blick leicht irritiert erwidert. Er stimmt ihm schließlich zu und verabschiedet sich anschließend auch von Taehyung. Dieser hofft, dass Jungkook sich noch einen Moment Zeit nimmt, den sie ungestört sein können, aber Jungkook hat es scheinbar eilig. 

"Wir sehen uns dann… morgen?", fragt er und Taehyung möchte ihn am liebsten anbrüllen, dass er endlich mit der Sprache rausrücken soll. Es ist doch offensichtlich, dass etwas nicht stimmt! Wieso sagt er es dann nicht? 

"Jungkook, mal ehrlich. Wir müssen…" 

Taehyung wird von Jungkooks klingendem Handy unterbrochen. 

"Das ist leider wichtig", erklärt Jungkook und zeigt auf sein bimmelndes Telefon, "ich muss da drangehen, sorry. Ähm… Bis morgen." 

Taehyung bleibt wie angewurzelt stehen und sieht Jungkook nach, der sich mit eiligen Schritten von ihm entfernt. Er hat den Anruf angenommen und wirkt durch und durch angespannt. Im selben Moment bekommt Taehyung es mit der Angst zu tun. Jungkook sagte, dass er noch etwas klären muss und gerade beschleicht Tae das Gefühl, dass der andere in der Klemme steckt. Vielleicht kann Jungkook nicht mit Tae darüber reden, selbst wenn er wollte, weil es zu gefährlich ist? 

Was es auch ist, Taehyung braucht Gewissheit. 

Und deswegen macht er etwas, von dem er nie geglaubt hat, es mal zu tun. Er folgt Jungkook unauffällig und versteckt sich hinter einem Busch, damit er Jungkooks Telefonat belauschen kann, ohne entdeckt zu werden. Taehyung kann gar nicht beschreiben, wie groß sein schlechtes Gewissen ist. Trotzdem muss es sein. Wenn Jungkook in Gefahr ist, muss er ihm helfen! 

"Ich weiß", hört Tae ihn zu seinem Gesprächspartner sagen. Er erkennt auch, dass Jungkook sich gestresst durch die Haare fährt und unruhig auf der Stelle hin und her läuft. Mit wem redet er? Was geht hier vor sich? 

"Ich brauche einfach mehr Zeit, verstehen Sie das doch! ... Und wie!? … Es ist aber nicht so einfach, verdammt! … Ja, ich weiß, dass das anders vereinbart war … Was? Das können Sie nicht machen! Tae wäre am Boden zerstört!"

Als sein Name fällt, setzt sein Herz kurzzeitig aus. Es geht eindeutig um ihn und im selben Moment ist es ihm egal, welche Konsequenzen sein Handeln hat. Er wagt sich aus seinem Versteck, was Jungkook allerdings zunächst nicht mitbekommt, weil er mit dem Rücken zu ihm steht und voll und ganz auf das Gespräch konzentriert ist. Schließlich beendet er es mit einem "Ich versuch's…" und steckt das Handy zurück in seine Hosentasche. Wieder fährt er sich durch die Haare und Taehyung nutzt die Gelegenheit.

"Jungkook."

Sofort dreht sich der Angesprochene um. Seine Augen weiten sich vor Schock.

"Scheiße. Taehyung, was machst du hier!?"

"Wonach sieht's denn aus!?", antwortet Taehyung pampig. Für gewöhnlich bleibt er auch in stressigen Situationen ruhig, aber das schafft er längst nicht mehr. 

"Du verschweigst mir etwas, benimmst dich seit ein paar Tagen total merkwürdig, redest nicht mehr mit mir und dann diese Aktion mit Jimin! Mir reicht's. Ich will wissen, was hier vor sich geht. Steckst du in Schwierigkeiten?" 

"Nein. Das nicht." Jungkook sieht aus wie ein getretener Hund. Er sackt in sich zusammen und richtet seinen Blick gen Boden.

"Was ist es dann?" 

"Das… ich kann dir das nicht sagen, Tae."

Jungkook ist anzusehen, dass er ein schlechtes Gewissen hat, aber gerade ist Tae zu sauer, um sowas wie Mitleid für ihn zu empfinden. Wenn er nicht in Gefahr ist, wieso redet er dann nicht endlich mit ihm? 

"Also gut, dann eben nicht", sagt Tae abschließend, ignoriert sein schmerzhaft pochendes Herz und kehrt Jungkook den Rücken zu. 

"Taehyung, warte bitte." 

Absichtlich laut seufzend dreht Taehyung sich wieder zu dem anderen um und verschränkt wie ein bockiges Kind seine Arme vor der Brust. Er muss nichts sagen, ihm ist auch so anzusehen, dass er endlich eine ehrliche Antwort erwartet. 

"Können wir uns setzen?" Jungkook kaut unruhig an seinem Lippenpercing herum und sein Blick streift Taehyungs nur flüchtig. Es ist kaum mit anzusehen, wie sehr Jungkook damit zu kämpfen hat, die Wahrheit zu sagen.

"Also gut", stimmt Taehyung widerwillig ein, denn auch wenn er sich dagegen wehrt, tut es ihm weh, den anderen so zu sehen. Sie gehen ein kleines Stück, ehe sie sich auf der nächstbesten Parkbank niederlassen. 

"Ich weiß nicht, wie ich dir das erklären soll, Tae. Das war alles so nicht geplant und… ich bereue es. Aber ich kann auch verstehen, wenn du sauer bist. Es ist nur… ich weiß selbst nicht, wie sich das alles so entwickeln konnte. Und…"

"Jungkook! Sag endlich, was Sache ist!"

"Ich war nicht zufällig zur gleichen Zeit wie du in der Bibliothek. Deine Eltern haben mich vor ein paar Wochen kontaktiert. Und mich angeheuert, damit ich mit dir ausgehe."

Taehyung hört die Worte, aber es dauert lange, bis sie in seinem Kopf ankommen. Es klingt so unglaubwürdig, so absurd, dass er nicht glauben kann, dass Jungkook die Wahrheit sagt.

"Ich weiß, wie das klingt. Aber lass mich bitte erklären, Tae."

"Nenn mich nicht so!", ist das erste, was Taehyung schafft, darauf zu antworten, weil seine Gedanken immer noch das pure Chaos sind.

"Taehyung, bitte. Ich sag doch, dass es … anders geplant war. Ich sollte nur ein paar Mal mit dir ausgehen, um dich besser kennenzulernen und dich dann mit jemand Vernünftigem zu verkuppeln. Aber… je öfter wir uns getroffen haben und je mehr wir uns kennengelernt haben, desto schwieriger ist mir das gefallen. Ich hab’s echt probiert. Aber als Jimin dich vorhin so angebaggert hat, ist mir klar geworden, dass ich dich nicht an jemand anderen verlieren will. Ich hab deinen Eltern schon vor ein paar Tagen gesagt, dass ich das nicht kann, aber sie haben mich nur angeschrien und gemeint, dass ich das regeln soll. Und zwar schnell. Deswegen habe ich grade mit ihnen telefoniert. Ich wollte, dass sie mir mehr Zeit geben, damit ich mit dir in Ruhe über alles sprechen kann."

Das ist lächerlich. Verrückt. Absurd. Ein schlechter Scherz oder sowas. Jungkook soll die ganzen letzten Wochen alles nur vorgetäuscht haben? Die vielen Momente, in denen sie sich nah gekommen sind, sollen alles Lügen gewesen sein? 

Er will es nicht wahrhaben und doch macht plötzlich nicht nur Jungkooks Verhalten einen Sinn, sondern auch das seiner Eltern. Die merkwürdige Nachfrage, wie Taes Traummann aussehen sollte. Die Skepsis, als er ihnen gesagt hat, dass er jemanden kennengelernt hat, der seiner Wunschvorstellung zu hundert Prozent entspricht. Selbst die Tatsache, dass Jungkook im letzten Moment einen Rückzieher gemacht hat, als er ihn küssen wollte oder das widersprüchliche Verhalten, als Jimin mit ihm geflirtet hat. 

Endlich versteht Taehyung, dass die ganzen letzten Wochen nicht echt waren. Im selben Moment fühlt es sich für ihn so an, als würde ihm jemand den Boden unter den Füßen wegziehen. Er spürt, wie sich die ersten Tränen anbahnen, aber er will sich die Blöße nicht vor Jungkook geben und hält sie zurück. Seine Kehle schnürt sich zu und dennoch möchte er am liebsten Schreien vor Wut. Oder eher vor Enttäuschung.

"Du bist ein Arschloch, Jungkook", sagt er erstaunlich ruhig, doch in seiner Stimme schwingt mit, wie verletzt er ist. Jungkook will etwas erwidern und setzt zum Sprechen an, aber er verstummt augenblicklich wieder, als Taehyung aufsteht. Er weiß immer noch nicht so genau, was er davon halten soll. Dafür weiß er, dass er so schnell wie möglich von hier weg muss.

Dass Jungkook ihm mehrere Male hinterher ruft und ihn anfleht, zu bleiben, ignoriert er. 

  

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In den nächsten Tagen verbarrikadiert sich Taehyung in seinem Zimmer und kommt nur dann raus, wenn er weiß, dass seine Eltern nicht da sind. Natürlich haben sie deswegen einen riesigen Aufstand gemacht und ihn mehrfach gebeten, dass er mit ihnen reden soll. Aber wenn Jungkook die Wahrheit gesagt hat, wissen sie ganz genau, was los ist und dass sie sich das selbst zuzuschreiben haben. Er will nicht mit ihnen reden. Er will mit niemandem reden, nicht essen und auch nicht zu seinen Vorlesungen, die er zuvor noch nie absichtlich geschwänzt hat. 

Auch Jungkook hat ihm mehrfach geschrieben oder versucht anzurufen. Tae hat zwar jede einzelne Nachricht gelesen, aber reagiert hat er auf keine einzige. 

Seine Gedanken kreisen nur noch um dieses Thema und zu seinem Bedauern muss er feststellen, dass er niemanden hat, mit dem er über sowas reden kann. Dabei bräuchte er jetzt dringend einen Freund, der ihm sagen kann, wieso er immer noch so verwirrt ist. Auf der einen Seite ist er sauer auf Jungkook und will ihn am liebsten zur Hölle schicken, weil er noch nie so dermaßen von jemandem verarscht wurde. Ein anderer Teil in ihm jedoch vermisst ihn schrecklich und sehnt sich nach den Treffen, nach den vorsichtigen Zärtlichkeiten und dem kribbeligen Gefühl in seinem Bauch. 

Scheiße. Taehyung weiß einfach nicht weiter. Er muss das klären, wenn er sich nicht für den Rest seines Lebens in seinem Zimmer verschanzen will.

Entschlossen verlässt er sein Zimmer und geht ins Wohnzimmer, wo er sogleich auf seine Eltern trifft. 

"Taehyung!", kommt es von seiner Mutter, die von der Couch aufspringt und zu ihrem Sohn eilt. Sie scheint genauso überfordert von der Situation zu sein wie er, denn sie sieht aus, als würde sie erfolglos nach Worten suchen. 

"Warum?", fragt Tae, der einen Schritt nach hinten ausweicht und damit direkt klar macht, dass die Sache für ihn noch nicht geklärt ist. "Warum habt ihr das gemacht?"

Sein Vater ergreift das Wort. "Wir haben es nur gut gemeint. Wir wollten doch nur, dass du endlich mal zu leben anfängst und dich nicht die ganze Zeit hinter deinen Büchern versteckst."

"Und da ist euch nichts besseres eingefallen, als einen Typen dafür zu bezahlen, dass er mit mir ausgeht!? Habt ihr sie noch alle!?" Taehyung kann nicht mehr ruhig bleiben. Die ganze Wut, die sich in ihm angestaut hat, entlädt sich explosionsartig. "ES IST MEIN LEBEN, VERDAMMTE SCHEIßE! ICH ENTSCHEIDE, WAS ICH DAMIT ANSTELLE. NICHT IHR!" 

Schuldbewusst lässt seine Mutter die Schultern hängen. "Wir wissen, dass es falsch war. Wir wollten nur nicht, dass du an den Falschen gerätst und dachten, das wäre die beste Lösung. Du musst uns glauben."

"EINEN SCHEIß MUSS ICH!", unterbricht er sie. "HABT IHR EIGENTLICH AUCH NUR DIE GERINGSTE VORSTELLUNG DAVON, WIE DRECKIG ES MIR DESWEGEN GEHT?" 

"Das wollten wir nicht", wiederholt seine Mutter betrübt.

"UND TROTZDEM HABT IHR ES GETAN!", brüllt Taehyung und merkt gleichzeitig, wie seine Wut langsam in Trauer umschlägt. "Wenn ihr euch da nicht eingemischt hättet, hätten Jungkook und ich vielleicht wirklich eine Chance gehabt. Ich habe noch nie so gefühlt. Aber wegen eurer scheiß Aktion kann ich ihm nicht mehr vertrauen." 

Taehyungs Mutter kommt auf ihn zu und streckt vorsichtig eine Hand nach ihm aus. Er will sie wegschlagen und sie weiter anbrüllen. Aber stattdessen brechen die Tränen aus ihm heraus und er fällt ihr in die Arme. Was soll er tun? Er liebt seine Eltern. Auch wenn er für den Rest seines Lebens sauer auf sie sein wird. 

Sofort erwidert sie die Umarmung. "Es tut uns wirklich so unendlich Leid", entschuldigt sie sich erneut. "Wenn wir könnten, würden wir das alles rückgängig machen."

Einen Moment verharrt Taehyung noch in der Position und genießt die Nähe, obwohl er ihr noch nicht verziehen hat, und löst sich schließlich wieder von ihr.  

"Aber das könnt ihr nicht", antwortet er ihr schließlich am Ende seiner Kraft. Er braucht dringend eine Pause, weil sich seine Gedanken jetzt wieder stärker in seinem Kopf überschlagen. 

Als er schon im Türrahmen des Wohnzimmers steht, hält sein Vater ihn nochmal zurück. 

"Jungkook hat uns das ganze Geld wieder zurückgegeben. Er hat gesagt, dass er es niemals hätte annehmen dürfen. Und dass es ein Fehler war, den er sehr bereut." 

Augenblicklich dreht Taehyung sich wieder zu seinen Eltern um und versucht in ihren Gesichtern herauszufinden, ob es wahr ist, was sie sagen. Ob Jungkook es wirklich bereut. 

"Rede mit ihm, Taehyung. Er leidet genauso wie du darunter, dass du ihn seit Tagen ignorierst. Wir erwarten gar nicht, dass du uns verzeihst. Aber vielleicht kannst du wenigstens ihm verzeihen." 

Unfähig, darauf etwas zu antworten, dreht er sich von ihnen wieder weg und flüchtet in sein Zimmer. Sein Herz will sich aber auch dort nicht wieder beruhigen. Wenn seine Eltern die Wahrheit sagen, besteht dann vielleicht sogar noch eine Chance, dass die beiden sich wieder versöhnen können? Aber ist Taehyung überhaupt bereit, Jungkook diesen Fehler zu verzeihen? Er weiß ja nicht mal, was von alledem nur vorgespielt war.

Ob überhaupt etwas echt war.

Je länger er aber darüber nachdenkt, desto klarer wird er sich, dass er nie eine Antwort auf die unzähligen Fragen erhalten wird, die ihm durch den Kopf gehen, wenn er Jungkook weiter ignoriert. 

Ohne zu wissen, was genau er sich von dem Gespräch erhofft, legt er sich aufs Bett und greift nach seinem Handy, um Jungkook zu schreiben. Er erkennt, dass dieser schon wieder zwei Mal versucht hat, anzurufen und auch eine neue Nachricht geschrieben hat. Taehyung seufzt. Zumindest scheint er Jungkook nicht egal zu sein, denn ansonsten hätte er längst aufgegeben. 

Ich kann verstehen, dass du sauer bist. Aber bitte antworte mir nochmal. Ich würde dir das gerne alles richtig erklären. Auch wenn ich wohl keine Chance habe, dass du mir verzeihst.《 

Taehyung geht so vieles durch den Kopf. So viele Fragen, dass er gar nicht weiß, wo er anfangen soll. Wieso hat Jungkook das gemacht? Wie haben seine Eltern Jungkook überhaupt gefunden? Macht Jungkook sowas öfter? Oder ist das mit Taehyung eine einmalige Sache gewesen, die von seinen Eltern ausging? 

Und vor allem: Hat Jungkook jemals die Wahrheit gesagt? 

Woher soll ich wissen, dass du mich nicht wieder anlügst?

Taehyung sieht an der kleinen Einblendung der App, dass Jungkook eine Antwort tippt. Er braucht ziemlich lange und das einzige, was ihn schließlich erreicht, ist eine kurze Frage. 

Kann ich dich anrufen?

Taehyung überlegt und lässt Jungkook ziemlich lange zappeln, bis er schließlich antwortet.

Ja okay《, schreibt er zurück und nur eine Sekunde später vibriert auch schon sein Handy, weil Jungkook ihn anruft. Er nimmt mit einem kaum hörbaren "Hallo" an.

"Taehyung", sagt Jungkook aufgeregt, "Danke, dass du angenommen hast. Ich wollte das gerne persönlich mit dir klären und nicht nur per Nachricht. Also… ähm. Erstmal: Ich werde dich nie wieder anlügen. Versprochen. Ich weiß, dass das wahrscheinlich nicht reicht, aber mehr kann ich dir nicht geben. Du hast allen Grund, mir nicht mehr vertrauen zu können, aber vielleicht… kannst du mir trotzdem vertrauen?"

Taehyung kann sich gut vorstellen, wie nervös Jungkook gerade hin und her rennt. Wahrscheinlich knibbelt er sogar wieder an seinem Piercing rum oder fährt sich durch die Haare, wie immer, wenn er gestresst ist. Es ist verrückt, wie genau er Jungkook dabei vor Augen hat. Aber er hat wohl auch noch nie einem Menschen so viel Aufmerksamkeit geschenkt wie ihm, also ist es vielleicht gar nicht so abwegig. 

"Wenn du mir meine Fragen alle ehrlich beantwortest, vielleicht."

"Du kannst alles fragen, was du willst und ich werde sie ehrlich beantworten."

"Na gut. Dann… wieso hast du das getan? Ich meine, diesen Job… - ist es überhaupt ein Job? Oder ist das nur ein Zeitvertreib? - Wieso hast du ihn angenommen? Es war doch klar, dass das nicht gut enden kann. Du hast mir etwas vorgespielt und ich habe Gefühle für dich entwickelt. Ich hab mit Hoffnungen gemacht, Jungkook. Ist dir das alles egal gewesen?"

"Also, erstmal: Das ist kein Job. Also nicht wirklich. Ich studiere tatsächlich, aber weil meine Eltern mich finanziell kaum unterstützen, verdiene ich mir manchmal ein bisschen was dazu, indem ich Geld annehme, um andere zu verkuppeln. Bis jetzt war das auch nie ein Problem. Was soll ich sagen? Ich bin schon immer besser darin gewesen, andere miteinander zu verkuppeln, als jemanden für mich zu gewinnen. Irgendwann meinte ein Kumpel, dass ich damit reich werden könnte, wenn ich als Verkuppler arbeite. Ich hab ihm gesagt, dass das bescheuert ist. Zwei Tage später hat mich ein Freund von besagtem Kumpel angeschrieben und mich angefleht, ihm zu helfen. Er hat sich Hals über Kopf in ein Mädchen verknallt und ich sollte ihm helfen, damit er sie für sich gewinnen konnte. Er hat gesagt, dass er mich bezahlt und da es finanziell grade echt Scheiße war und ich 'nen neues Fahrrad brauchte, um zur Uni zu kommen, hab ich es angenommen. Das sollte eine Ausnahme sein. Ehrlich. Aber kurze Zeit später hatte ich schon die nächste Anfrage. Und zu deiner letzten Frage: Nein. Natürlich war mir das nicht egal. Du…  bedeutest mir wirklich viel. Und es tut mir so unendlich Leid, dass ich dir so wehgetan habe."

"Wie oft hast du das jetzt schon gemacht?"

Es dauert ein paar Sekunden, bis Jungkook endlich antwortet. 

"So acht oder neun Mal?" 

Das ist ein Witz! Er hat Menschen schon so oft hinters Licht geführt? Und scheint nichts daraus gelernt zu haben? Das Schlimmste aber ist, dass Taehyung damit nur einer von vielen ist. Der neunte oder zehnte, bei dem Jungkook seine Show abgezogen hat und das tut fast noch mehr weh, als alles andere.

"Und hast du den anderen auch all das erzählt, was du mir erzählt hast? Der Kram mit den Sternzeichen uns so. Ist das nur ‘ne Masche gewesen, die du jedem durchziehst?" 

Ein schweres Seufzen ist zu hören, mehr jedoch nicht. 

"Fällt dir darauf keine Antwort ein?", fragt Taehyung zickig und spielt kurzzeitig mit den Gedanken, einfach wieder aufzulegen. 

"Doch. Ich… es ist echt schwierig zu erklären, Tae. Natürlich hab ich immer einen Plan, wenn ich sowas mache. Das mit den Sternzeichen hat sich nur ergeben, weil ich dich ja aus irgendeinem Grund ansprechen musste. Aber alles, was danach kam, war so nicht geplant. Das Tretbootfahren nicht, die Abende im Park, meine Eifersucht wegen Jimin. Das sollte so alles nicht passieren. Ich habe mir so oft vorgenommen, dass es unser letztes Treffen war, ehe ich dich mit Jimin bekannt mache. Aber ich hab’s nicht geschafft. Jedes Mal, wenn du gefragt hast, ob wir uns nochmal sehen, konnte ich nicht anders, als ja zu sagen." 

Tae weiß nicht, was er sagen soll. Wieder ist er am zweifeln, ob er Jungkook glauben kann. 

"Du wolltest mich also mit Jimin verkuppeln, ja? Hat er davon gewusst? Oder hast du ihn genauso an der Nase herum geführt wie mich?"

"Nein, er wusste davon nichts. Ich habe ihm nur gesagt, dass ich jemanden kennengelernt habe, der genau seinem Typ entspricht."

"Und wenn ich auf Jimins Flirtversuche eingegangen wäre?" 

"Weiß nicht", antwortet Jungkook kaum hörbar. "Ich war noch nie vorher in der Situation. Bis jetzt hab ich mich immer gefreut, wenn ein Plan aufgegangen ist. Du bist der Erste, bei dem ich insgeheim nicht wollte, dass da was draus wird. Dabei ist Jimin ein viel besserer Kerl als ich. Du wärst bei ihm in guten Händen gewesen. Trotzdem… wollte ich es nicht. Ich habe es gehasst, wie er dich angebaggert hat."  

Tae holt tief Luft und erinnert sich an den Tag. "War dir anzusehen."

"Ganz schön… unprofessionell", witzelt Jungkook herum. Zumindest versucht er das, aber Taehyung hat seine Stimme intensiv genug studiert, um jede noch so kleine Gefühlsregung darin erkennen zu können. Jungkook zittert. Und er klingt, als würde seine Stimme jeden Moment versagen. 

"Machst du damit weiter? Ich meine, dich von irgendwelchen fremden Menschen anheuern zu lassen, um andere zu verkuppeln." 

"Nein!", kommt es wie aus der Pistole geschossen, "ich wollte das eh nie machen und ich glaube, ich hab diesen letzten Anstoß gebraucht, um tatsächlich einen Schlussstrich drunter zu ziehen." 

"Okay." 

"Okay. Und was jetzt? Ich mein, es war falsch, was ich getan habe, aber ich kann nichts rückgängig machen, auch wenn ich es sofort tun würde, wenn ich könnte. Aber ehrlich gesagt, bist du mir zu wichtig, Tae. Ich will nicht, dass du mich jetzt hasst und nie wieder mit mir redest. Bitte sag mir, was ich machen soll, dass du mir noch eine Chance gibst."

Taehyung tut es weh, wie hilflos und ehrlich Jungkook klingt. Es macht ihn wahnsinnig, dass er für sich selbst nicht herausfinden kann, was er nun will. Er könnte Jungkook noch eine Chance geben. Sein Herz sagt ihm, dass das das einzige Richtige ist. Gleichzeitig hat er so eine immense Angst, wieder nur verarscht zu werden, dass es ihn lähmt und er sich nicht traut, ihm direkt zu verzeihen. Verdammt. Wieso kann ihm keiner sagen, was er jetzt machen soll?

"Taehyung? Bist du noch dran?"

"Ja. Aber ich leg jetzt auf, Jungkook", sagt er daher und hofft, dass er sich nach ein bisschen mehr Bedenkzeit klarer darüber ist, was er will. 

"Oh… okay. Meldest du dich?"

"Ich weiß nicht. Vielleicht." 

Damit beendet er das Gespräch, rollt sich in seinem Bett zusammen und versucht ein bisschen Ordnung in sein Gedanken - und Gefühlschaos zu bringen. Noch immer hat er viele Fragen, die er noch nicht gestellt und dementsprechend noch nicht beantwortet bekommen hat. Gerade erscheinen sie ihm aber nebensächlich, weil er es viel wichtiger findet, jetzt eine Entscheidung zu treffen. Jungkook wird nicht ewig warten und vielleicht bereut Taehyung es irgendwann, wenn er zu lange zögert. Fakt ist, er war noch nie so sehr verliebt wie in Jungkook. Er vermisst die gemeinsame Zeit. Er vermisst das Lächeln, die Albernheiten, die Nähe. Und jeder Mensch macht mal Fehler. Ob Taehyung ihm jemals wieder richtig vertrauen kann, weiß er nicht, aber vielleicht wird er das nie erfahren, wenn er es nicht wenigstens mal versucht? 

Als er nochmal zu seinem Handy greift, ist eine neue Nachricht von Jungkook eingetroffen.

"Ich hätte dich so gerne geküsst, Tae. An dem Abend, als wir schwimmen waren."

Tae bringt das komplett aus dem Konzept. Sein Herz rast und sein Kopf ist plötzlich wie leergefegt. Wie schafft Jungkook es nur, dass er zu solchen Gefühlen in der Lage ist? Obwohl er immer noch skeptisch ist und antworten will, dass er nicht weiß, ob er ihm vertrauen kann, entscheidet er sich letztlich für eine andere Antwort.  

"Überzeug mich, dass ich damit keinen Fehler begehe, und du kriegst eine zweite Chance." 

"Das reicht mir. Du wirst es nicht bereuen, versprochen. Ich werde alles, was ich falsch gemacht habe, wieder gut machen."

  

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Hoseoks Mund steht schon seit einigen Minuten offen und er sieht aus, als wäre er nicht mehr wirklich anwesend. Als er sich endlich wieder regt, greift er direkt zu seinem Bier und trinkt einen großen Schluck. 

“Ich wusste gar nicht, dass eure Beziehung so kompliziert angefangen hat”, erklärt er, “Ich dachte immer, es sei eher so Liebe auf den ersten Blick gewesen. Aber das klingt alles total nach so einem furchtbaren Hollywood Blockbuster."

Bevor Taehyung etwas darauf antworten kann, geht die Wohnungstür auf. Die beiden schauen erwartungsvoll Richtung Flur, ehe Jungkook und Jimin zu sehen sind. Jungkook trägt einen Stapel Pizzakartons, während Jimin zwei Tüten in der Hand hat. 

“Na endlich! Wir dachten schon, ihr wollt uns jetzt hier verhungern lassen”, scherzt Hoseok, der umgehend aufsteht und sich eine Pizza schnappt. Jungkook verdreht die Augen. “Ja sorry. Aber wir waren nicht die einzigen, die Samstagabend auf die glorreiche Idee gekommen sind, Pizza zu holen.” 

Jimin setzt sich neben Hoseok und lehnt sich an ihn an, als er die Taschen abgestellt und jedem eine neue Dose Bier in die Hand gedrückt hat. Sein Blick fällt dabei auf den Kartenstapel. “Jetzt sagt bloß, ihr habt ohne mich Assoziationskarten gespielt!”

“Wir mussten uns ja irgendwie beschäftigen”, erklärt Hoseok, ehe er Jimin einen Kuss auf die Stirn drückt.

Jungkook seufzt. Er hasst dieses Spiel, aber leider ist er in der Vierergruppe der einzige von ihnen, der dem Spiel nichts abgewinnen kann. Ehe er sich versieht, zieht Jimin eine Karte vom Stapel. “Du bist dran, Kookie. Dein Begriff lautet: Astrologie!”, verkündet er freudig. Taehyung fängt umgehend an zu kichern, während Hoseok jammert.

“Die Karten sind doch manipuliert! Und bevor du anfängst, Jungkook. Ich habe gerade schon eine sehr, sehr ausführliche Version eures rührseligen Kennenlernenblockbusterdramas bekommen und bin nicht scharf drauf, das nochmal zu hören. Also die Kurzfassung bitte." 

Jungkook lacht ehrlich amüsiert auf und Taehyung kann nicht anders, als mitzulachen. Nach all den Jahren, die sie jetzt zusammen sind, hat er sich noch immer nicht daran sattgesehen. 

"Okay, Kurzfassung", kichert Jungkook. "An diesem Astrokram ist tatsächlich was dran..."
  

(Mit liebevoller, geduldiger Unterstützung von JiminsPapierflieger. Danke!)

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