Nicht von dieser Welt
"Das Universum ist vollkommen. Es kann nicht verbessert werden. Wer es verändern will, verdirbt es. Wer es besitzen will, verliert es."
Er mochte ihn einfach nicht und langsam aber sicher würde Tim deswegen noch wahnsinnig werden. Er ging ihm so dermaßen auf die Nerven, dass er kaum die richtigen Worte dafür finden konnte. Wahrscheinlich müsste für den Grad der Genervtheit, die Tim gegenüber Lukas empfand, erst ein vollkommen neues Wort geschaffen werden, um sie für andere verständlich beschreiben zu können.
Es gab da verschiedene Ursachen, weswegen Lukas Tim so nervte. Zum einen war da seine verdammte Untreue.
Er selbst liebte seine Frau über alles und er käme nie auf die Idee, sie zu hintergehen. Bei diesem bescheuerten Lukas sah das jedoch ganz anders aus. Jeder ihrer Kollegen wusste, dass er sich von einer Affäre in die nächste stürzte, obwohl er erst seit gerade einmal zwei läppischen Jahren mit seiner überaus hübschen Frau verheiratet war.
Diese eine Sache war eigentlich schon Grund genug dafür, dass Lukas Tim nicht besonders sympathisch war. Dass er der größte Schussel war, den er kannte und dass ständig irgendwas schief ging und dass Tim sich fragte, wie zur Hölle Lukas überhaupt an diesen Job gekommen war, machte das Ganze definitiv nicht besser.
Und dass er sich ausgerechnet mal wieder mit Lukas auf Weltraummission befand, monatelang zusammen auf engstem Raum eingepfercht, machte die ganze Sache für ihn zu einem wahr gewordenen Alptraum.
Lukas wusste genau, dass Tim nicht sein größter Fan war und er glaubte auch zu wissen, warum das so war. Er sah zu Tim rüber, der konzentriert auf die vielen blinkenden Bildschirme und Kontrollleuchten starrte. Er prüfte, ob alles nach Plan lief, wirkte dabei so ernst und sah bloß nicht zu ihm hin.
Lukas rollte genervt mit den Augen, machte es sich vor einem der vielen kleinen Fenster ihrer Raumstation bequem und schaute auf die Erde hinab. Endlose Kilometer weit weg von ihm, ganz da unten auf diesem kleinen blauen Planeten, war seine Frau wohl gerade mit ihrer Arbeit als Hotelmanagerin beschäftigt. Sie befand sich nicht mal auf dem gleichen Planeten wie er. Genaugenommen befand er sich ja aktuell nicht mal auf irgendeinem Planeten. Trotzdem war er doch ein Mensch, der Bedürfnisse hatte.
Wenn er auf einer Mission wie dieser war, konnte es schon mal ein paar Monate dauern, bis er wieder heim kam. Und auch die weiblichen Kolleginnen, die sich mit ihnen auf der Raumstation befanden, sehnten sich manchmal nach etwas Liebe, während ihre Männer irgendwo da unten herum irrten und so kam eben eins zum anderen.
Lukas hatte sich schon oft gefragt, wie Tim das so lange aushielt, so ganz ohne Körperkontakt. Er selbst würde wahrscheinlich nach einer Woche schon völlig verrückt werden.
Natürlich hatte er ab und zu ein schlechtes Gewissen, doch vielleicht zählte sein Fremdgehen ja in Anbetracht der Entfernung, die ihn von seiner Frau trennte, und den ungewöhnlichen Umständen gar nicht. Sie würde bestimmt nicht wollen, dass er sich monatelang quälte und auch wenn sie es nie abgesprochen hatten, wäre er nicht böse darüber, wenn sie es sich auch wo anders holte, während er weg war.
„Was machst du da?", fragte er und warf einen Blick zu Tim rüber. Statt einer Antwort bekam er nur entnervtes Schnauben zu hören. Mal wieder.
Er zuckte mit den Schultern, lehnte sich entspannt zurück und schaute weiter aus dem Fenster, in die endlose Schwärze, auf die Sterne und Planeten, auf die Erde hinab.
„Jetzt sag doch mal", forderte er einige Minuten später. Tim warf ihm einen kurzen, völlig neutralen Blick zu, ehe er seine Aufmerksamkeit wieder auf die zahlreichen Bildschirme lenkte.
Lukas löste den Gurt, der ihn an seinem Sitz gehalten hatte, drückte sich an der Wand ab und ließ sich zu Tim rüber schweben. Sein Kopf war nun unmittelbar vor Tims Gesicht.
„Was machst du gerade?"
„Meine Fresse ey", schrie Tim und gab Lukas einen kräftigen Schubser, sodass dieser bis ans andere Ende der Kammer gedrückt wurde und sich unterwegs sogar überschlug.
„Das war witzig, kannst du das nochmal machen?", fragte er amüsiert und streckte Tim die Zunge raus. Manchmal war ihm so langweilig, dass er sogar absichtlich einen Streit provozierte, und Tim sprang so gut wie immer darauf an.
Statt einer gepfefferten Antwort bekam Lukas diesmal nur diesen typischen Ist-das-dein-verfickter-Ernst-Blick, den er mittlerweile schon sehr gut kannte.
„Ich versteh echt nicht, wieso wir uns deswegen immer wieder fetzen", seufzte Lukas nach gefühlten Stunden Stille, die vermutlich gerade mal ein paar Minuten betragen hatte. „Ich mein, es ist nicht deine Frau, der ich fremdgehe und ich ficke hier oben auch nicht deine Frau. Wieso pisst du mich also ständig so an, Mann?"
„Du fickst in der Schlafkammer neben mir, du fickst hier im Kontrollraum, du fickst einfach überall. Ein scheiß benutztes Kondom ist zu mir rüber geschwebt, bis in mein verdammtes Gesicht! Während ich geschlafen habe! Wie zur Hölle hast du es überhaupt geschafft, Kondome mit hierher zu nehmen? Und es reicht ja nicht, dass ich es ständig mitkriegen muss. Jetzt ist diesmal keine dabei, die du bumsen kannst und trotzdem musst du in allen Einzelheiten erzählen, wie und wie oft du wen auf der letzten Mission gefickt hast", blaffte Tim ihn von der Seite an.
„Ich glaub, du musst einfach selbst mal wieder bumsen", erwiderte Lukas trocken, zog sich auf den Sitz neben Tim und schnallte sich an. Wie so oft bekam er keine Antwort und als er das schier endlose Schweigen nicht mehr aushielt, löste er sich vom Sitz, drückte sich ab und zog sich in ein schmales Rohr, das den einen Raum vom nächsten trennte.
Ina, eine Astronautin die Lukas und Tim schon des öfteren auf Missionen begleitet hatte und gleichzeitig eine der wenigen Kolleginnen war, die Lukas noch nicht nackt gesehen hatte, schraubte gerade eine Tube Astronautennahrung zu und verstaute sie wieder im richtigen Fach. „Was wirst du als erstes essen, wenn wir wieder unten sind?", fragte sie ihn und leckte sich etwas von der unansehnlichen Pampe, an die Lukas sich wohl niemals so richtig gewöhnen würde, aus den Mundwinkeln.
„Wahrscheinlich Königsberger Klopse von meiner Oma", seufzte Lukas, ließ seinen Blick zu einem Fenster wandern und sah sehnsüchtig auf die Erde hinab, die jetzt noch viel weiter weg zu sein schien als vorhin.
„Ich werd in so ein krasses XXL-Restaurant gehen und mir dann ein kiloschweres Schnitzel reinhauen", schwärmte Ina, zog sich an einer Stange zu Lukas rüber und hielt sich dann an diesem fest. „Mit Pommes und richtig fetter, sahniger Soße und statt Salat sollen sie mir einfach noch ein zweites Schnitzel geben."
Schweigend blickten sie eine Weile ins Weltall hinaus und bevor Lukas das seltsame, unerklärliche Gefühl bekam, das ihn seit einigen Tagen immer mal wieder beschlich, drehte er sich schnell um und sah Ina in die Augen.
„Was ist los? Mal wieder Zickenkrieg mit Tim?", fragte sie leise.
„Warum kann er mir nicht einfach meine Ruhe lassen?", meckerte Lukas.
„Ich weiß auch nicht genau, was er hat", antwortete Ina.
Lukas drückte sich an sie und vergrub seinen Kopf in ihrer Halsbeuge.
„Du weißt, dass ich nicht auf Kerle abfahr."
„Ich will ja auch gar nix von dir. Ich fühl mich einfach nur seltsam heute."
Ina seufzte und sah nachdenklich nach draußen. In wenigen Stunden würde der Einsatz stattfinden, auf den sie monatelang hin trainiert hatten. Die Wissenschaft konnte sich noch nicht im geringsten erklären, woher er gekommen war. Irgendwann war ein pechschwarzer Planet auf dem Radar aufgetaucht, von dessen Existenz sich all die Jahre, die der Mensch den Weltraum schon erforschte, absolut nichts gezeigt hatte. Es war, als sei er von einem Tag auf den anderen wie aus dem Nichts erschienen. Es hatte einen wahren Aufschrei in der Fachwelt gegeben, sämtliche Medien waren einen Tag später vollkommen eskaliert, und ein jeder hatte sich darum gerissen, diesen Planeten als erstes untersuchen zu dürfen. Auch Tim, Ina und Lukas hatten alles gegeben, um für die Mission ausgewählt zu werden. Sie hatten trainiert bis zur vollkommenen Erschöpfung und nach Ewigkeiten des Hoffens, Bangens und Träumens waren sie tatsächlich unter den sechs Personen, die das Privileg bekamen, in die Geschichte der Weltraumforschung einzugehen.
Sie sagten es nicht offen, denn trotz anfänglicher, überschwänglicher Freude waren sie mittlerweile alle nicht mehr froh darüber.
Sie hatten Angst.
Je näher sie dem schwarzen Planeten gekommen waren, desto bedrohlicher hatte er gewirkt. Ina war erleichtert darüber, dass sie in der Raumstation bleiben würde, um den Einsatz an den Monitoren zu überwachen und sie konnte absolut verstehen, dass es Lukas mittlerweile ganz und gar nicht mehr so gut ging, war er doch derjenige, der zusammen mit Tim den direkten Einsatz auf dem schwarzen Planeten übernehmen würde. Nur durch einen Raumanzug getrennt und nahezu schutzlos dem gegenüber, was sie vielleicht dort antreffen würden.
Ina wusste nicht wirklich, ob sie an ein Leben da draußen glauben sollte.
Schon als sie ein kleines Mädchen war, hatte sie sich für außerirdisches Leben interessiert und zwar in einem Maße, das fast schon nicht mehr gesund für so ein Kind war. Und sie hatte sich bereits mit zarten sechs Jahren geschworen, dass sie alles dafür tun würde, um ihren Eltern zu beweisen, dass Wesen wie E.T., dessen Poster jahrelang über ihrem Bett gehangen hatte und von ihren Eltern als absoluter Unfug abgetan wurde, tatsächlich existierten. Doch mit den Jahren schwanden ihre kindliche Fantasie und ihre Hoffnungen und die Skepsis wuchs immer weiter, und nun konzentrierte sie sich eher auf die Arbeit an den Satelliten oder auf die Erforschung von Steinmaterial, das Lukas und Tim von ihren Außeneinsätzen mitbrachten.
Doch jetzt, bei diesem Einsatz schien irgendwas anders zu sein und sie spürten es alle. Es war nicht mehr als ein dumpfes Gefühl, eine vage Befürchtung, eine schwammige Vermutung, und jeder wusste, wie viel Angst der andere hatte, auch wenn es sich niemand wagte auszusprechen. Da draußen war etwas.
„Ich versteh schon", sagte Ina und drückte Lukas fest an sich ran.
„Ich kann da nicht raus", murmelte er gegen ihre Schulter.
„Doch, du kannst da raus. Du hast über Monate hinweg geübt. Jeder verfickte Astronaut da unten wäre gerne an deiner Stelle, Lukas. Du wirst Geschichte schreiben. Dein Name wird eines Tages in Millionen von Schulbüchern stehen und man wird noch in hunderten von Jahren über dich reden!"
Das war es, was Ina Lukas sagte. Was ein Teil von ihr jedoch dachte, war etwas ganz anderes. Gerne hätte sie ihm gesagt, dass er drin bleiben sollte, bei ihr. Dass er verrückt war, wenn er da raus ging. Dass sie Kontakt zur Erde aufnehmen und einfordern sollten, dass diese Mission abgebrochen wurde.
Lukas löste sich von Ina und zog sich ein paar Fenster weiter. Nun hatte er den schwarzen Planeten direkt vor Augen. Sie waren noch sehr weit von ihm entfernt, aber dennoch waren sie ihm schon viel zu nah. Er wusste nicht, ob seine Augen ihn täuschten, aber ihm war es so, als wäre die ganze Atmosphäre um den Planeten herum vergiftet. Es sah aus, als würden tausende, wenn nicht sogar Millionen Fliegen oder irgendwas in der Art um ihn schweben, die Tim und ihn sofort umschwirren und auffressen würden, sobald sie sich dem Ding näherten.
Und selbst wenn er nicht von diesem seltsamen Schwarm, der den Planeten zu umkreisen schien, gefressen würde, so würde der Planet ihn auf andere Art und Weise verschwinden lassen.
Vielleicht waren alle Berechnungen falsch und die Schwerkraft dort war gar nicht so, wie sie es vermuteten.
Vielleicht würde er so schwer sein, dass der Boden einfach nachgeben würde, sobald er ihn betrat.
Vielleicht würde er direkt versinken und in den Boden gezogen werden, in seinem schweren Raumanzug vollkommen unfähig, sich irgendwie zu befreien.
Er stellte sich vor, wie er in den Boden sank, Meter um Meter. Wie die Erde, oder aus was auch immer der Boden bestand, ihn umhüllen würde.
Bewegungsunfähig, blind und taub.
Er konnte richtig fühlen, wie ein unerträglich schweres Gewicht auf seinen Brustkorb drückte, das ihm die Kraft zum Atmen nahm.
Der Sauerstoff würde ohnehin höchstens ein paar Stunden halten, eher sogar weniger. Wenn er nicht vorher an einem Herzinfarkt starb, voller Panik in seinem viel zu engen Raumanzug, dann würde er qualvoll ersticken. Da war der schnelle Tod nicht unbedingt die schlechteste Option. Bitte, Gott, lass mich nicht zu lange leiden.
Er würde sterben.
Im Weltall.
Unvorstellbar weit entfernt von jedem, den er liebte.
Lebendig begraben.
Ersticken.
Sterben.
Tot.
Erst jetzt bemerkte Lukas, dass er hemmungslos weinte. Ina war wieder bei ihm, drückte ihn fest und er riss den Kragen seines Shirts ein Stück nach unten, da es sich viel zu eng an seinem Hals anfühlte.
„Was macht dieses scheiß Ding mit uns?", fragte er verzweifelt. „Wenn wir nicht von ihm getötet werden, dann bringen wir uns gegenseitig um! Weil wir hier oben den Verstand verlieren, Ina! Und niemand kann uns davon abhalten!"
Ina sah Lukas besorgt ins Gesicht. Er war eigentlich ein psychisch stabiler Mensch. Er konnte Ruhe bewahren, besser als sie alle zusammen. Dennoch hatte Ina nicht zum ersten Mal den Eindruck, dass Lukas seinen Beruf verfehlt hatte. Schauspieler oder Musiker hätte er werden können. Das Talent dazu hatte er und jeder, der ihn einmal in Aktion erlebt hatte, war der gleichen Meinung wie sie. Jedes Jahr trat er bei der Weihnachtsfeier der Astronauten auf, spielte während seines Auftritts die verschiedensten Instrumente, sang und rappte, und schob zwischen den einzelnen Liedern sogar kleine Ein-Mann-Theatereinlagen ein. Ina war sich sicher, dass jeder einzelne Mensch, der in der Medienlandschaft Einfluss hatte, ihm zu Füßen liegen würde, und dennoch war er jetzt hier oben mit ihr in der Raumstation und stand nicht irgendwo da unten auf dem blauen Planeten, der immer kleiner zu werden schien, auf einer Bühne.
„Wir verlieren nicht den Verstand. Wir sind auf all das hier vorbereitet."
Was auch immer das war. Keiner wusste es. Wie konnte sie das so sicher behaupten?
Lukas sprach seine Gedanken nicht aus. Ina war positiv, Ina glaubte an ihn und sie glaubte daran, dass sie alle irgendwann wieder lebend und am Stück zur Erde runter kamen, also wollte er es auch glauben.
Er fragte sich, was Tim wohl so kurz vor ihrem Einsatz durch den Kopf ging. Er überlegte kurz, ihn danach zu fragen, doch entschied sich dann dagegen. Momentan war dieser schon von ihm genervt, wenn er ihn nur ansah. Doch eigentlich wusste er die Antwort auch so schon, da musste er gar nicht fragen. Er sah es in Tims Augen, wenn er glaubte, niemand würde hinsehen. Sah den Zweifel, sah die Angst. Die Panik.
Wäre Tim nicht so gegen ihn, dann könnten sie sich gegenseitig Mut machen. Vielleicht würde er später doch noch das Gespräch suchen. Privat mochte er ihn vielleicht nicht, doch Tim war andererseits auch sehr professionell.
Dann, wenn es am meisten drauf ankam, da draußen... da passten sie perfekt und lückenlos zusammen, wie zwei Puzzleteile. Tim nahm seinen Job ernst, viel ernster noch sogar als Lukas selbst, und der hielt sich ja sogar schon für einen Perfektionisten, auch wenn seine Kollegen das aufgrund seiner Schusseligkeit nicht so bestätigen würden. Er konnte sich da draußen im All auf Tim verlassen. Er hatte stets alles im Blick, alles unter Kontrolle und solange er mit ihm da draußen war, fühlte Lukas sich sicher. Auch wenn sie in der Raumstation ständig aneinander gerieten und sich unten auf der Erde sogar fast schon hassten, zählte Lukas da draußen in der Endlosigkeit absolut auf Tim und das konnte er auch ruhigen Gewissens tun. Tim war nun seit sechzehn Jahren ständig hier oben und nicht ein einziges Mal war ihm während dieser langen Zeit ein Fehler passiert.
Und trotzdem war es diesmal anders. Irgendwas sagte Lukas, dass dieser Einsatz schrecklich schief gehen würde. Doch woher er diese Gewissheit nahm, das lag im Ungewissen.
„Schade, dass diesmal nur Kerle und eine Lesbe hier oben sind, hm?", murmelte Tim vor sich hin, als Lukas wenig später wieder zu ihm in den Kontrollraum kam. Lukas seufzte und erwiderte nichts, sah sich stattdessen die Werte auf dem Bildschirm an. Normalerweise sprang er nur zu gerne drauf an, wenn Tim ihn provozierte. Besonders wenn sie lange unterwegs waren und es Tage dauerte, ehe wieder irgendwas von Bedeutung geschah. Jetzt konnte Lukas jedoch nur noch an den Einsatz denken, der in weniger als drei Stunden starten würde und an sein seltsames Gefühl, das immer intensiver wurde. „Hier stimmt doch was nicht", stellte er fest.
Tim wechselte die Ansicht und andere Tabellen tauchten auf. „Hast dich verlesen... alles in Ordnung."
„Sicher?"
„Sicher."
Ganz und gar nicht sicher.
„Tim... ich..."
„Was? Ich muss mich konzentrieren. Sei doch einfach mal leise, Lukas."
Lukas seufzte. Die ständigen Zickereien auf so engem Raum zehrten an ihm. Besonders auf dieser Mission wünschte er sich, es gäbe nur einen eventuellen Feind da draußen und nicht noch einen todsicheren hier drinnen. Sehr lange überlegte er ob er es tun sollte, wägte Für und Wider ab, entschied sich erst dagegen und sprach dann doch seine Frage aus.
„Warum magst du mich nicht?"
Tim antwortete nicht direkt. Er holte tief Luft, sah ihn an, sah wieder weg. Drückte ein paar Knöpfe, schaute nacheinander auf fünf verschiedene Bildschirme, atmete lange aus und tief wieder ein ehe er leise sagte: „Ich mag dich nicht nicht."
„Es fühlt sich aber anders an", seufzte Lukas und schaute wieder auf die Tabelle, die ihm vorhin nicht geheuer vorgekommen war. Jetzt konnte er jedoch nichts außergewöhnliches mehr daran entdecken. Alle Werte schienen in Ordnung zu sein.
Nun war es Tim, der seufzte. „Weißt du, ich will einfach nur meinen Kindheitstraum leben, das Weltall erforschen und tun, was nur ein paar wenigen Menschen außer uns vorbehalten ist. Wenn es gehen würde, dann würde ich das am liebsten alleine tun. Was denkst du, warum ich mir den Job ausgesucht habe, der am weitesten weg von der Welt, den ganzen abgefuckten Leuten und der ganzen abgefuckten Scheiße, die da unten los ist ist? Krieg, Gewalt, Lügen, Intrigen, Untreue... Ich hab keinen Bock auf den Scheiß. Die Welt ist mir zu anstrengend, Menschen sind mir zu anstrengend. Ich mag ganz einfach die meisten Menschen nicht. Und du mit deiner ständigen Fremdfickerei erinnerst mich halt an all das, was mich da unten so fertig macht. Ich hab da keinen Bock drauf! Seit du vor drei Jahren bei uns angefangen hast, habe ich das Gefühl, dass du mir alles wegnimmst, was ich an der Arbeit so toll fand."
„Verstehe", sagte Lukas.
„Nein, du verstehst es nicht", murmelte Tim.
Lukas überlegte kurz. „Nein, du hast Recht. Ich verstehe es nicht."
„Und das ist vermutlich der Grund, weswegen unser Verhältnis so ist, wie es ist."
„Ich hätte nicht gedacht, dass du so ein... Menschenhasser bist."
Tim lachte tatsächlich kurz auf. „Es gibt schon ein paar Menschen die ich mag. Meine Frau, mein Kind. Meine Eltern und ein paar Freunde."
„Ich kann mich nicht ändern. Nur wegen dir. Ich gehe hier oben sonst ein."
Tim seufzte. „Pass einfach auf, wo deine benutzten Gummis hinfliegen..."
Tim rief wieder diese eine Tabelle auf, die ihm vorhin schon aufgefallen war. Sein Herz raste noch immer und beruhigte sich langsam, als er die Werte betrachtete. Wahrscheinlich hatte er sich doch nur verlesen. Er warf einen Blick auf Lukas, der minimal entspannter wirkte, seitdem er sich wieder zu ihm gesetzt hatte.
Tim versuchte, sich auf den bevorstehenden Einsatz zu konzentrieren. Sie hatten wichtigeres zu tun, als zwischenmenschliche Angelegenheiten zu klären und wenn er so darüber nachdachte, konnte es ihm ja wirklich egal sein, ob Lukas seine Frau betrog oder nicht. Lukas war im Grunde ein anständiger Kerl und er bemühte sich sehr, alles richtig zu machen und er sog alles Wissen in sich auf, das Tim an guten Tagen an ihn weitergab. Vielleicht würde er sich ja im Laufe der Zeit auch privat ein Beispiel an ihm nehmen und etwas ernsthafter werden. Er war im Vergleich zu Tim auch noch sehr jung und vielleicht würde die Zeit ihm seine Flausen noch von ganz alleine austreiben.
Lukas beobachtete Tim noch eine Weile, dann lehnte er sich zurück und schloss die Augen. Eigentlich sollte es ihn freuen, dass Tim gerade so offen zu ihm war und ihm ehrlich und direkt gesagt hatte, was ihn an Lukas störte. Doch was in ihm viel mehr wog als die Freude, war ein sehr ungutes Gefühl. Es passte nicht zu Tim. Er war ein Misanthrop durch und durch, gab sich nur mit wenigen, ausgewählten Menschen ab und dass er jemandem sein Herz ausschüttete, den er so wenig mochte wie er Lukas mochte, das war vollkommen abwegig.
Lukas fragte sich, ob diese ungewöhnliche Wesensveränderung mit dem schwarzen Planeten im Zusammenhang stehen konnte. Es erschien ihm völlig surreal, so etwas gab es doch nur im Kino. Doch andererseits hatten sie es mit einem riesengroßen, pechschwarzen Planeten zu tun, der aus dem Nichts erschienen war. Sämtliche Erkenntnisse der Wissenschaft brachten nicht die logische Erklärung warum dies so war, dann konnte Lukas vermutlich auch nicht mit Logik an die Sache heran gehen.
Er begann zu schwitzen und spürte, wie sich sein Herzschlag beschleunigte. Wenn der Planet auf diese Entfernung schon Einfluss auf den Menschen haben konnte, wie würde es dann erst sein, wenn er und Tim ihn betreten würden? Würde er überhaupt zulassen, dass es soweit kam? Würde der Planet sie lassen?
Lukas öffnete seine Augen wieder und bemerkte erneut diesen panischen Blick in Tims Gesicht, den er in den letzten Tagen schon viel zu oft darin gesehen hatte. War es denn möglich, dass Tim wusste, was da auf sie zukam? Warum hatte er vorhin so seltsam reagiert, als Lukas ihn auf die Werte auf dem Monitor angesprochen hatte?
Wieder zog sich Lukas den Kragen seines Shirts vom Hals weg, doch diesmal reichte es nicht aus, um der Enge zu entgehen. Er schnallte sich ab und zog es ganz aus. Es war nicht besonders warm in der Kontrollkammer, doch Lukas war unfassbar heiß. Seine Gedanken rasten und wurden immer katastrophaler. Er hatte keine Ahnung, was in Tims Leben auf der Erde gerade los war.
Vielleicht hasste er mittlerweile nicht nur die meisten Menschen, sondern alle Menschen.
Vielleicht hatte er sich kurz vor dem Start von seiner Frau getrennt oder irgendetwas anderes schlimmes war passiert, sodass er keinen Grund mehr hatte, um lebendig zur Erde zurück zu kommen.
Vielleicht war es ihm ja deshalb egal, dass die Werte nicht im Normbereich gelegen hatten. Mittlerweile war sich Lukas sicher, dass er vorhin richtig gelesen hatte.
Vielleicht plante Tim ja seinen Tod und er würde Lukas mitreißen, ganz gleich, ob dieser sterben wollte oder nicht.
Vielleicht hatte Tim diesen ängstlichen Ausdruck im Gesicht, weil er zwar da draußen sterben wollte, aber dennoch Angst vor dem Ungewissen hatte.
Was wäre es auch für ein spektakulärer Abgang? Astronaut stirbt, weil die wichtigste und am meisten von der Welt beobachtete Weltraummission katastrophal schief gegangen war! Wenn schon gehen, dann mit Bums! Unvergessen, für immer in den Geschichtsbüchern. Als Held gestorben, beim Auftrag die Nachwelt mit Wissen zu versorgen. Das war doch bei weitem spannender als ein Sprung von der Autobahnbrücke oder ein paar aufgeschlitzte Pulsadern.
Lukas wischte sich mit seinem Shirt den Schweiß von Gesicht und Körper. Seine Haare waren mittlerweile klatschnass und er wünschte sich in diesem Moment so sehr sein Dasein auf der Erde zurück, wie noch nie zuvor in den letzten drei Jahren. Er atmete tief ein und aus. Er versuchte sich zu beruhigen, doch es gelang ihm kaum. Die ganze Raumstation kam ihm auf einmal viel zu klein vor und er wusste nicht, wie er es noch länger darin aushalten sollte. Doch es gab kein Entkommen. Wenn der Einsatz auf dem schwarzen Planeten vorbei sein würde, würden sie in ein Shuttle steigen, das knapp drei Wochen für den Weg zurück zur Erde brauchte, bevor sie in die Rückkehrkapsel konnten.
„Ist alles okay?", fragte Tim in die Stille hinein und Lukas erschrak so sehr, dass er in seinem Stuhl zusammenzuckte.
„Ja", sagte er mit schon fast piepsender Stimme.
„Sieht aber nicht so aus. Du bist ja klatschnass und völlig weiß. Hast du grade eine Panikattacke oder sowas in der Art?"
Lukas zitterte und versuchte alles, damit Tim das nicht bemerkte. „Ich... mir ist nur ein bisschen schlecht oder so. Bin aufgeregt wegen unserem Einsatz", presste Lukas heraus.
Tim zuckte nur mit den Schultern und widmete sich wieder den Monitoren. Dann drehte er sich wieder zu Lukas und warf einen ungenierten, langen Blick auf dessen nackten Oberkörper.
Lukas wollte fragen, was dieser seltsame Blick gerade sollte, doch aus seinem Mund kam kein Ton. Er bekam eine Gänsehaut am ganzen Körper und fühlte sich immer unwohler neben Tim, sodass er einen Moment später die Kammer verließ und zu Ina ging, die gerade dabei war, sich mit wenigen Schlucken Wasser aus einem Quetschbeutel die Haare zu waschen.
Ertappt schaute sie Lukas an und grinste.
„Hast du jetzt so kurz vor dieser Aktion echt nichts besseres zu tun, als dir die Haare zu waschen?", fragte er, genauso wie sie es erwartet hatte.
„Hey, wenn wir schon in die Geschichte eingehen, dann will ich dabei wenigstens gut aussehen. Und du, machst es gleich ganz oben-ohne wie so ein verkappter Chippendale?"
Lukas zog sich das Shirt, das er die ganze Zeit mit sich herumgeschleppt hatte, wieder über. „Mir war gerade einfach nur total heiß. Ich glaub, meine Nerven sind mir kurz durchgedreht."
„Kann ich verstehen", sagte Ina und tätschelte ihm beruhigend die Schulter. „Ihr schafft das schon!"
Ihr schafft das schon.
Lukas wiederholte die Worte von Ina unzählige Male in seinem Kopf. Nun war es soweit. Die Mission würde jeden Moment starten. Stefan und Benni, zwei weitere Astronauten auf der Raumstation, checkten gerade ein letztes Mal, ob mit Tims und Lukas Ausrüstung alles in Ordnung war und wenn dies abgeschlossen sein würde, dann konnte es losgehen. Sie waren in den letzten Stunden noch viel näher an den schwarzen Planeten herangekommen und was sich da nun zeigte, war noch viel furchteinflößender und bedrohlicher als das, was sie aus der Ferne schon vermutet hatten. Von dem riesigen Ding ging etwas schreckliches aus, für das niemand die richtigen Worte fand. Es war vollkommen bescheuert und lebensmüde, sich ihm ohne die schützende Umgebung der Raumstation zu nähern und dennoch waren Tim und Lukas im Begriff, genau dies gleich zu tun.
Lukas hatte sich wieder etwas beruhigen können und Tim wirkte eigentlich wie immer auf ihn. Auch heute würde er sich hundertprozentig auf ihn verlassen können und auch heute würden sie unversehrt wieder zur Raumstation zurückkehren, von wo aus sie sich dann bald wieder auf den Heimweg machen konnten.
Über Lukas Gesicht zog sich ein leichtes Grinsen, als er an seine Frau Lena dachte. Fast zwei Monate hatte er sie nun nicht mehr gesehen und er nahm sich vor, erst einmal einen langen Urlaub mit ihr zu machen, wenn er wieder unten war. Vielleicht würden sie auf die Malediven fliegen, da hatte sie schon immer einmal hin gewollt.
„Bist du soweit?", fragte Tim und Lukas nickte. Gemeinsam stiegen sie in eine Art Aufzug, der sie aus der Raumstation ins All entlassen würde.
„Hört ihr mich?", schallte Inas Stimme aus den Lautsprechern in den Helmen und beide Astronauten nickten. „Wunderbar, dann kanns ja losgehen, Jungs. Viel Glück!"
Langsam senkte sich die Box, in der die beiden sich befanden und Lukas spürte erneut, wie sein Herz anfing zu rasen. Er hatte plötzlich das unerklärliche Bedürfnis, Tims Hand zu nehmen und sich an ihm festzuhalten. Doch er tat es nicht. Zum einen, weil der Aufbau der Raumanzüge dies gar nicht zuließ und zum anderen, weil es vollkommener Schwachsinn war.
„Ich öffne die Klappe", sagte Ina und einen kurzen Moment später schob sich das massive Metall auseinander und Lukas und Tim hatten direkten Blick auf den schwarzen Planeten. Noch hätten sie Ina bitten können, die Klappe einfach wieder zu schließen und die Box wieder hochfahren zu lassen, doch sie taten es nicht. Dies war ihre Mission, sie hatten es so gewollt, also würden sie es jetzt auch hinter sich bringen.
„Na dann los", hörte Lukas Tims Stimme blechern in seinem Helm. Ina, Tim und er waren miteinander verbunden, sodass sie sich die ganze Zeit über unterhalten konnten.
Entgegen Lukas starker Ängste früher am Tag, dass er in den Planeten hereingezogen werden könnte, geschah nichts dergleichen, als seine Füße nun auf den Untergrund trafen. Seine Schritte waren bedeutend leichter, als sie es auf der Erde waren und er konnte sich relativ gut fortbewegen, trotz des Anzugs, der seine Körperbewegungen stark einschränkte.
Tim warf einen Blick zu Lukas rüber und setzte sich ebenfalls in Bewegung. Er betrachtete sich den Boden, der surreal schwarz war. Es gab einfach nur schwarz und zwar überall haargenau das gleiche. Es gab keine Schattierungen, keine Muster, nichts. Es war, als sei der ganze Planet mit ein und der selben Farbe überzogen worden. Tim war erleichtert, als er etwas weiter hinten einige Geröllbrocken entdeckte, die er einfach so einsammeln konnte, um sie mit in die Station nehmen zu können. Sie hatten sich darauf vorbereitet, schwere Geräte mit auf den Planeten zu holen, um Teile zu lösen, doch dies schien glücklicherweise gar nicht erst notwendig zu sein.
„Hier sind genug lose Teile, wir werden die Bohrung nicht machen müssen", informierte er Ina über seine Entdeckung.
„Gut!", erwiderte diese.
Tim ließ seinen Blick so weit schweifen, wie er sehen konnte. An sich konnte er jetzt gar nichts bedrohliches mehr entdecken und er konnte nun gar nicht mehr nachvollziehen, weshalb er eine solche Angst vor dem Planeten gehabt hatte. Rein gar nichts war hier außergewöhnlich. Er konnte keine Bewegungen ausmachen, es schien kein Leben hier zu geben. Einfach nur schwarzen Boden, sonst nichts. Es war fast schon enttäuschend unspektakulär.
Lukas hingegen fühlte sich überhaupt nicht wohl und er konnte nicht nachvollziehen, wieso Tim so völlig ruhig über den Planeten spazierte. Er konnte zwar nichts seltsames sehen, aber dafür spürte er umso mehr, das er nicht beschreiben konnte. Am liebsten würde er wieder umdrehen und sich von Ina auf die Raumstation zurückholen lassen, doch er wollte vor Tim auch nicht als Versager dastehen. Er hielt Lukas ohnehin nicht für besonders fähig und knallte ihm viel zu oft an den Kopf, dass er hier oben nichts verloren hatte, und jetzt einfach abzuhauen würde ihm wohl endgültig das Genick brechen und er wäre nichts weiter als eine alberne Lachnummer auf sämtlichen Missionen, die noch folgen sollten. Falls er diesen Einsatz überhaupt überlebte.
„Komm mal bisschen schneller", hörte er Tims Stimme blechern in seinem Helm.
„Bin unterwegs", murmelte Lukas und bemühte sich darum, zu Tim aufzuschließen.
Ina schüttelte nur den Kopf und beobachtete die beiden über den Monitor. Die Streitereien zwischen den beiden waren sehr anstrengend und oft war das ganze Team davon genervt. Doch man sagte nicht wirklich etwas dazu, da alle Angst davor hatten, auf diesem engen Raum noch mehr Spannungen dadurch zu erzeugen. Sie zoomte etwas näher heran. Offenbar hatte Tim etwas entdeckt, denn er zeigte gerade in Richtung eines großen Hügels und Lukas folgte seinem Blick.
„Ich glaub hier ist eine Höhle, oder so was in der Art."
„Geht ihr rein?", fragte Ina.
„Klar", antwortete Tim. Lukas schwieg. Der Schweiß lief ihm in Strömen das Gesicht herunter und brannte ihm in den Augen, doch er konnte nichts dagegen tun.
Tim war schon längst im dunklen Eingang verschwunden, da fasste er endlich den Mut, ihm zu folgen.
Nahezu direkt nachdem er eingetreten war, konnte er absolut nichts mehr sehen. Er drückte den Knopf für die Beleuchtung seines Raumanzuges, doch es tat sich nichts.
„Tim?", fragte er panisch, doch er erhielt keine Antwort. „Ina?"
Lukas drehte sich um und hielt nach der Öffnung Ausschau, durch die er gerade gekommen war, doch er konnte sie nicht mehr finden. Er tastete sich an der Wand entlang, doch auch das half ihm nicht weiter. Sie war völlig glatt, wie Glas. Er konnte absolut nichts darauf fühlen, nichts was ihm irgendwie verriet, wo es aus dieser beängstigenden Dunkelheit wieder hinaus ging.
Sein Herz schlug immer schneller, er schwitzte immer mehr und langsam aber sicher bekam er keine Luft mehr. Er hatte das Gefühl, dass umso weniger Sauerstoff seine Lungen erreichte, je öfter er einatmete. Doch er konnte sich nicht dazu zwingen, seine Atmung zu verlangsamen. Er wurde immer panischer und schnappte nach Luft wie ein Karpfen auf dem Trockenen. Er lief immer weiter, doch da war nichts mehr außer Schwarz und diese glatte Oberfläche der Wand, die nie zu enden schien.
Lukas ganzer Körper zitterte, obwohl er furchtbar heiß hatte in seinem viel zu engen Raumanzug. Er dachte an seine Freunde und Bekannte, die viel zu weit von ihm entfernt waren. Er dachte an seine Familie, die er vermutlich nie wieder sehen würde und die niemals erfahren würde, was hier oben mit ihm passiert war. Und er dachte an seine Frau, die er garantiert nie wieder betrügen würde, wenn er doch nur die Chance dazu hätte, sie wieder zu sehen.
Gerade, als Lukas mit seinem Leben abschließen wollte, hörte er wieder etwas über die Lautsprecher. Zunächst war es nur ein Rauschen, dann ein leises Knacken, dann hörte er Tims Stimme, die ihm sagte, er solle immer weiter gehen und gleich würde es wieder hell werden. Und dann endlich sah er ihn. Tim stand in einer riesigen Halle, die von gleißendem, weißen Licht unbekannten Ursprungs beleuchtet wurde. Der Boden, die Wände und die Decke strahlten in so purem Weiß, wie er es noch nie gesehen hatte. Lukas konnte seinen Augen kaum trauen. Dieser Kontrast vom dunkelsten Schwarz da draußen und dem hellsten Weiß hier drinnen war mehr als surreal.
Tims Herzschlag beruhigte sich allmählich wieder. Noch nie zuvor war er so froh, Lukas vor sich stehen zu sehen. Auch er hatte auf dem Weg hierher panische Angst gehabt. Er hatte ebenfalls wie Lukas absolut nichts sehen können, doch dafür hatte er umso mehr gehört. Schreckliche Dinge, an die er nicht zurückdenken wollte.
„Ist das nicht der absolute Hammer?", fragte er und grinste Lukas leicht an.
Lukas drehte sich einmal um die eigene Achse, spiegelte sich in der abnormal glatten Wand und legte vorsichtig eine Hand an diese. „Ja. Definitiv."
Tim nahm einen kleinen Brocken vom Boden hoch und sah ihn sich an. Er war so hell, dass es ihm in den Augen brannte. Er steckte ihn in die Transportbox, die die beiden von der Raumstation mitgenommen hatten und schloss diese fest zu.
„Ich kann keine Lichtquelle sehen", sagte er. „Es sieht so aus, als ob das Material von alleine leuchten würde."
„Was könnt ihr noch sehen?", fragte Ina. Ihre Stimme war nur sehr leise zu hören, als ob die Verbindung gerade so noch für eine Kommunikation ausreichen würde.
„Wir stehen in einer vollkommen symmetrischen Halle. Es ist schwer vorstellbar, dass sie sich von alleine so geformt hat. Es sieht aus, als sei sie so... gebaut worden."
Erst einen langen Moment, nachdem er die Worte ausgesprochen hatte, verstand er auch den Sinn von diesen. Die Halle sah aus, als sei sie so gebaut worden. Doch von wem? Oder von was?
„Ich will hier raus", sagte Lukas und sah sich um. Er hatte kein Problem damit, Reparaturarbeiten an Satelliten zu machen, während er im Weltall herum schwebte. Es machte ihm nichts aus, auf anderen Planeten herumzuwandern und Bodenproben zu nehmen. Das war alles Alltag für ihn. Doch dieser Einsatz hier war anders. Er wollte nicht hier sein und er hatte das Gefühl, je länger er hier blieb, desto schlimmer würde es noch für ihn werden.
Auch Tim schien die Sache nicht mehr ganz geheuer zu sein, denn er drehte sich direkt zu Lukas und machte sich auf den Weg Richtung Ausgang. „Komm, dann lass uns gehen. Ich hab die Probe, mehr scheint es hier drin nicht zu geben."
Die Dunkelheit, die die beiden auf dem Weg in die Halle begleitet hatte, blieb auf dem Rückweg aus. Auch die schwarzen Wände schienen jetzt zu fluoreszieren und sie konnten die ganze Zeit über den Boden und die Wände sehen.
Beide atmeten erleichtert aus, als sie den Durchgang verließen. Doch die Erleichterung hielt vor allem bei Tim nur für den Bruchteil einer Sekunde an. Er sah kurz die Raumstation und die Sterne in weiter Ferne und dann wurde mit einem Mal alles grellrot. Er konnte Lukas nicht mehr sehen, er sah keine Felsbrocken und kein Schwarz mehr, alles war einfach nur noch rot.
Tim kam es so vor, als sei nicht nur die Umgebung um ihn herum rot. Er hatte den Eindruck, die Farbe sei in ihn hinein gelangt, als sei er auch rot.
Rot. Rot. Rot. ROT. Er sagte sich in seinem Kopf dieses Wort immer und immer wieder, das Rot war so präsent, dass es alles und jeden einzelnen Gedanken bald übertünchte. Er konnte nichts anderes mehr sehen und fühlen außer rot. Er wusste nicht mehr, ob er überhaupt ein Mensch war, er war einfach nur rot. Rot. Rot wie Blut. Blut. Verlor man zu viel Blut war man unter Umständen tot. Und tot wiederum reimte sich auf rot. Tim, oder Rot wie er sich in seinem von rot ausgefüllten Kopf nun nannte, verlor vermutlich gerade den Verstand. Er fragte sich, ob Lukas jetzt auch rot war, oder ob es nur ihm so ging. Vielleicht war Lukas ja auch blau. Das Rot war so intensiv und alles überlagernd, dass er zu diesem Wort... Blau... diesem seltsamen Wort... keine bildliche Vorstellung mehr hatte. Er konnte sich nicht vorstellen, wie überhaupt irgendetwas außer rot aussah. Oder roch, oder schmeckte oder klang. Rot. ROT.
„Kann mich jemand hören?", fragte er leise und vorsichtig und er war selbst total erstaunt davon, dass er andere Worte mit seinen Lippen formen konnte, Worte die anders waren als rot. Er hörte Inas Stimme und kurz war er auch erleichtert darüber, doch als er begriff, was sie da gerade gesagt hatte, wünschte Tim sich, er hätte sie nicht gehört. Er antwortete ihr nicht, darum wiederholte sie ihre Worte.
„Töte ihn."
Sein Herz überschlug sich in seiner Brust und er wünschte sich, er hätte sich nur verhört. Doch als er wieder nicht antwortete, wurde Inas Stimme in seinem Helm immer lauter und sie wiederholte ihre schrecklichen Worte nochmal mit Nachdruck.
„Töte ihn!"
Er schüttelte den Kopf, auch wenn er nicht wusste, ob Ina ihn inmitten von rot überhaupt sehen konnte.
„Töte ihn! Töte ihn! Töte ihn! TÖTE IHN!", schrie sie immer lauter.
„Ich kann ihn nicht töten", sagte Tim so ruhig wie es ihm nur möglich war.
„Wichser", flüsterte Ina. Dann rauschte es kurz und dann war da nichts mehr außer Stille. Tim lief weiter, doch nichts an der Umgebung änderte sich. Alles blieb rot.
Lukas stand nur wenige Meter von Tim entfernt und beobachtete ihn voller Angst. Tim stand einfach nur da und starrte mit völlig entgleisten Gesichtszügen ins Nichts. Ina und er versuchten die ganze Zeit mit ihm zu reden, doch er gab keine Antwort. Er stand einfach nur da und ab und zu bewegte er leicht seinen Kopf. Erst langsam nach links, dann langsam nach rechts. Und immer dann, wenn sein Kopf wieder in der Mitte war, breitete sich ein irres Grinsen in seinem Gesicht aus, das von Mal zu Mal immer breiter wurde.
„Ina, ich glaube er hat den Verstand verloren", flüsterte Lukas, in der Hoffnung, dass Tim ausgerechnet darauf nicht reagieren würde. „Was sollen wir jetzt tun?
„Vielleicht gibt es sich ja gleich wieder. Was zur Hölle ist da drin passiert?"
„Eigentlich gar nichts. Da war einfach nur diese weiße Halle, Tim hat einen Steinbrocken mitgenommen und dann sind wir wieder raus."
„Denkst du, der Kontakt mit dem Stein hat ihn verändert?"
„Keine Ahnung, ich hab die Wand genauso angefasst und die Box steht noch am Eingang. Tim hat sie gerade gar nicht. Dann müsste es doch mit mir auch was gemacht haben."
Ina schwieg einen Moment. „Kommt vielleicht noch", flüsterte sie. „Wie lange willst du noch warten?"
Lukas erschrak und direkt fing sein Herz wieder an zu rasen. „Wie meinst du das?"
„Dein Sauerstoff reicht nicht ewig."
„Ich kann ihn doch nicht einfach zurücklassen!", schrie Lukas empört und schrill in seinen Helm hinein. Ina zuckte im Kontrollraum zusammen, doch Tim schien Lukas nicht einmal wahrgenommen zu haben. Er stand einfach nur da.
Das Rot löste sich so plötzlich auf, wie es gekommen war. Von einer Sekunde auf die andere konnte Tim wieder klar sehen, und zwar so klar, wie noch nie zuvor in seinem Leben. Da stand er. Es war ihm unbegreiflich, wie er es so lange nicht hat merken können. Er liebte ihn und zwar mit jeder Faser seines Körpers. Die Sehnsucht und das Verlangen, dass er die ganze Zeit unbemerkt in sich getragen hatte, durchflutete seinen Körper und alles, was er jetzt noch wollte, war er. Lukas, Liebe seines Lebens. Wie dumm ist er nur gewesen?
Seine Fantasie ging völlig mit ihm durch. Vor seinem inneren Auge flammten Bilder auf, heiße Bilder von ihm und Lukas, wie sie sich durch Kissen und Decken wälzten und sich die Seele aus dem Leib vögelten. Er konnte Lukas versautes Gerede hören und er war sich nicht sicher, ob er nur in seinem Kopf sprach oder ob er ihn gerade wirklich anmachte und die Stimme tatsächlich in seinem Helm war. Es interessierte ihn jedoch nicht wirklich. Alles was er wollte war, Lukas zu ficken wie er noch nie jemanden gefickt hatte.
„Fick mich Tim. Los beweg dich, lass uns reingehen und dann kannst du mit mir tun was du willst. Ich brauch dich und ich brauch deinen Schwanz und zwar sofort", säuselte Lukas vor sich hin.
„Kannst du haben", raunte Tim und setzte sich endlich in Bewegung.
„Er bewegt sich", sagte Ina voller Erleichterung und Lukas sah zu Tim hin. Sein Gesicht zierte nicht mehr dieses völlig irre Grinsen. Er sah Lukas an, als ob er sich wirklich freute, ihn zu sehen. Lukas fragte sich, was Tim wohl gerade gesehen oder gehört hatte. Vielleicht hatte der Planet wirklich etwas mit ihm gemacht, aber nun schien er wieder der alte zu sein und sie konnten endlich die Box mit der Probe mit in die Station nehmen und den Einsatz zum Abschluss bringen.
Bevor der Planet weiter erforscht werden konnte, mussten erst einmal die Bodenproben analysiert werden, denn niemand wusste, aus was dieser Planet bestand und ob es für den Menschen gefährlich war, sich länger auf ihm aufzuhalten. Bis wirklich in Erfahrung gebracht werden konnte, ob der Planet bewohnt oder unbewohnt war und was sich noch alles auf ihm verbarg, würden sicherlich noch Monate, wenn nicht sogar ein Jahr vergehen und Lukas war sich jetzt schon sicher, dass er sich ganz bestimmt nicht darum bemühen würde, noch einmal in die Nähe von diesem Ding zu kommen.
Irgendetwas stimmte hier ganz und gar nicht und obwohl Lukas von Natur aus der neugierigste und abenteuerlustigste Mensch war, den er selbst kannte, wollte er absolut nicht wissen, was das war.
„Gehen wir rein?", fragte er Tim, als der zu ihm aufgeschlossen hatte. „Was war denn plötzlich los mit dir?"
„Erklär ich dir später, Baby", sagte er und zwinkerte Lukas zu. Irritiert starrte dieser in Tims Gesicht. Er konnte sehen, wie sich Tim nahezu lüstern über die Lippen leckte, dann wendete er seinen Blick ab. Vielleicht war Tim doch noch nicht ganz der Alte. Hektisch sah er sich um, auf der Suche nach etwas, was ihm Anlass dazu gab, aus dieser skurrilen Situation zu fliehen. Dann entdeckte er weit weg die Box, in dem sich die Proben befanden.
„Warte hier, ich hole die Proben", sagte Lukas und setzte sich sogleich in Bewegung. Zwar wollte er so schnell wie möglich zurück in die Raumstation, doch er war sich ganz und gar nicht sicher, ob er so schnell wie möglich mit Tim zusammen in diese zurück wollte.
„Ich kann warten, Schatz", flüsterte es leise in seinem Helm und er war sich unsicher, ob er richtig gehört hatte. Er fragte sich, warum Ina das alles nicht kommentierte.
„Okay, noch ein paar Schritte, dann bin ich bei der Box. Dann nehm ich sie, dreh mich um, und dann bin ich auch ganz schnell zurück und ich muss diesen dummen schwarzen Planeten nie wieder betreten", murmelte Lukas zu sich selbst, um sich zu motivieren. Wieder hörte er Tims Stimme in seinem Helm. Diesmal sagte er nichts, sondern stöhnte einfach nur. Irritiert und leicht verstört schaute Lukas zu Tim, der nur da stand und ihn anstarrte. Er hoffte, dass er sich einfach nur irgendwie weh getan hatte, doch sein Stöhnen klang leider nach etwas anderem.
Der Mensch war nicht dafür gemacht, sich so weit weg von der Erde zu befinden. Es war unnatürlich, hier oben im Weltall herumzuwandern. Oder hier unten im Weltall oder wo auch immer er sich jetzt befand. Fakt war, er befand sich nicht dort, wo er hingehörte. Warum hatte er seit er ein kleiner Junge war an diesem kindlichen Traum vom Astronautendasein festgehalten? Warum hatte er nicht einfach Bürokaufmann, oder Koch, Arzt, Anwalt, Hausmeister oder sonst was werden können, so wie alle anderen auch?
Warum musste ausgerechnet er Eltern haben, die ihren Jungen so dermaßen unterstützten und ihm einredeten, er könne alles sein und werden, was er nur wollte... und das dann auch noch so erfolgreich, dass er den Mist sogar selbst glaubte!
Lukas schaute auf den schwarzen Boden, schaute rüber zu dem lüstern grinsenden Tim, der anscheinend nicht mehr Herr seiner Sinne war, sah sich die Raumstation an und beschloss in diesem Moment, dass dies sein letzter Einsatz werden würde. Er würde wieder zu seiner Frau gehen und der treuste Mann sein, den die Welt je gesehen hat. Er würde Sonntagmorgen die Zeitung aus dem Briefkasten holen, von Montag bis Freitag von Acht bis Vier ins Büro fahren und sich Samstagabend mit ein paar Freunden zum Bierchen treffen. Und das war es dann. Mehr brauchte er nicht!
Er kam endlich an der Box an und in dem Moment, in dem er sie nach oben hob, sah er nur noch Sterne, tausende Sterne und alles, an das er denken konnte, alles was er noch wollte... das war Tim. Tim alleine. Nur Tim.
In der Raumstation angekommen, befreiten sie sich gegenseitig von ihren sperrigen Anzügen. Keiner der beiden fragte sich, wo Ina, Stefan, Benni oder sonst wer waren, warum sie so lange während ihres Außeneinsatzes keinen Kontakt mehr zur Station gehabt haben oder wie es generell nun weiterging. Wie sie überhaupt in die Raumstation zurückgekommen waren, lag völlig im Dunkeln. Es war, als habe man einfach etwas von dem Geschehen übersprungen.
Ohne Umschweife flogen auch die unter dem Anzug getragenen Klamotten in der Gegend herum und beide waren nackt.
Tim stöhnte in Lukas Ohr und dieser war völlig benebelt, er konnte an nichts anderes mehr denken als daran, wie gern er Tim jetzt in sich spüren würde. Dass er noch nie im Leben auch bloß schwule Fantasien gehabt hatte, war im Moment außerhalb jeden Interesses.
Tim drückte Lukas gegen die Scheibe der Schlafkammer und Lukas hielt sich verzweifelt an einer Stange fest. Er spürte, wie sich Tim seinen Rücken hinab küsste, spürte seine Lippen, seine Zunge und seine Hände, die mit festem Griff um seine Hüften lagen. Lukas konnte sich nicht mehr länger festhalten, seine Arme wurden zu schwach, und bald schwebten sie durch die Kammer. Er schrie laut auf vor Lust als er spürte, wie Tim seinem Arsch immer näher kam und ihm dann gleich die Rosette leckte.
Er genoss es einen Moment lang, dann musste er plötzlich lachen und er fragte sich, was wohl nun ein Außenstehender denken mochte, der die beiden beobachtete. Wie sie hier völlig von Sinnen ohne Halt durch die Kammer schwebten, komplett nackt und er mit Tims Gesicht zwischen seinen Arschbacken.
Tim war von Lukas spontanem Gelächter so gar nicht angetan und gab Lukas einen heftigen Klaps auf den Hintern, der diesen sofort wieder verstummen ließ. Tim küsste sich wieder ein Stück an Lukas Rücken nach oben und dann schlug er ihn noch einmal auf die gleiche Stelle, was Lukas ein lustvolles Wimmern entlockte.
Der kurze Moment, in dem Lukas sich klare Gedanken darüber machen konnte, was er gerade mit Tim trieb, war nur von kurzer Dauer. Es war, als würde sein Kopf vollkommen ausgeschaltet sein und es zählte nur noch Trieb und Verlangen.
„Fick mich, oh mein Gott, fick mich", schrie er mit zusammengekniffenen Augen und voller Hoffnung, dass Tim ihn von dem elendigen Druck erlösen würde. Mittlerweile hielt er sich wieder an eine Haltestange geklammert fest, vor dem größten Aussichtsfenster in der Kammer.
Tim ließ sich das nicht zweimal sagen. Er leckte sich großzügig die Handfläche ab und verteilte die Spucke an Lukas, dann schob er zwei Finger in ihn hinein. Lukas grinste und drehte seinen Kopf leicht zu Tim nach hinten, der ihn direkt in einen heftigen Zungenkuss verwickelte. Tim küsste gut und es war besser als jeder Kuss, den Lukas zuvor in seinem Leben bekommen hatte. Er konnte nicht genug von ihm bekommen und drückte seinen Hintern an Tims Schritt, wo er bereits eine knallharte Erektion zu spüren bekam.
In Tims Bewusstsein flackerte derweil für einen Sekundenbruchteil ein Bild von seiner Frau auf, doch es interessierte ihn kein bisschen. Er zog seine Finger aus Lukas raus, packte ihn grob an den Hüften und schob sich dann langsam in ihn. Lukas keuchte auf und drückte seine Stirn an die Scheibe. Tim begann in ihn zu stoßen und er gab Lukas dabei kaum Zeit, sich an ihn gewöhnen zu können. Seine Bewegungen wurden immer schneller und heftiger und Lukas gab ein leises Wimmern von sich. Kurz verspürte Tim den Impuls, etwas vorsichtiger zu sein, das musste Lukas doch eigentlich furchtbar weh tun, doch dann sah er Lukas Gesicht, das sich in der Scheibe spiegelte und das fette Grinsen, das sich darin zeigte. Lukas zu ficken war der absolute Wahnsinn. Nicht nur das war der Wahnsinn, auch er selbst war der Wahnsinn. Er war wahnsinnig.
Er sah sein eigenes, lustverzerrtes Gesicht in der Scheibe und grinste sich selbst wie von Sinnen an. Und während er diesen vor Lust schreienden Kerl vor sich immer härte bumste, schaute er ins Weltall hinaus, sah auf die Erde und die ganzen Planeten und Sterne. In diese endlose Weite, unvorstellbar und total krank und unverständlich für jeden, der länger an das niemals Endende dort draußen dachte. Seltsame Gefühle machten sich in Tims Körper breit, er war angespannt, das Adrenalin strömte durch ihn durch und er hatte noch andere, überwältigende Empfindungen, die er noch nie zuvor gespürt hatte.
Mit einem Mal hatte er das Gefühl, plötzlich alles zu sehen, alles zu wissen und alles zu verstehen. Die Erde, der Mond, die Sonne und die Sterne, jede einzelne Galaxie, jedes Sonnensystem teilte sich ihm mit und er verstand. Er verstand plötzlich alles. Und gleichzeitig wusste er auch nicht mehr, was er gerade tat, er wusste nicht einmal mehr, wer er war. Wer war dieser Typ da, in dem er gerade steckte? War es Lukas, oder war er Lukas, oder wer war Lukas? War er Tim oder war Tim vor ihm und wer war Tim überhaupt? Vollkommen egal, vielleicht war er auch nicht einmal ein Mensch, vielleicht war er einfach nur ein kompletter Haufen angesammelten Wahnsinns oder eine Macht, die Alles gleichzeitig war. Ja, eine Macht, das war er. Die alles verstehende, alles erkennende Macht und vermutlich hatte er seine Basis, sein Königreich auf dem schwarzen Planeten. Ja, der schwarze Planet, das war die Quelle allen Ursprungs, da lag des Rätsels Lösung, da war der Schlüssel und er hatte verstanden.
Endlich hatte es jemand verstanden.
Er und Lukas kamen gleichzeitig. Heftig, schreiend, bebend. Und mit dem Abebben ihrer gewaltigen Orgasmen kehrte auch der Verstand zurück.
Nackt und völlig verstört starrten sie sich an. Niemand sagte ein Wort.
„Warum habt ihr euch in der Kammer eingeschlossen, verdammt nochmal? Was ist los mit euch?", fragte Ina, die direkt zu den beiden rein kam, nachdem sie sich hastig angezogen hatten und Tim die Tür entriegelte. Er konnte sich beim besten Willen nicht mehr daran erinnern, wie er sich und Lukas hier eingeschlossen hatte.
„Nichts, alles gut", sagte Lukas leise und starrte auf die Monitore vor sich. Er wollte Tim nicht ins Gesicht sehen, unter keinen Umständen. Er wollte nicht einmal mehr im gleichen Raum sein, wie er. Nie wieder.
Nicht, weil er sich dafür schämte, was er getan hatte oder weil es ihm nicht gefallen hatte. Das Problem war eher, dass es ihm gefallen hatte. Sehr sogar.
Tage später fand die Mission ihr Ende. Erleichtert und glücklich stieg das Team aus der Rückkehrkapsel. Lukas war extrem froh, endlich wieder festen Boden unter den Füßen zu haben. Endlich wieder Zuhause, endlich Normalität.
Er wusste nicht, ob er je wieder auf Mission gehen würde. Er dachte ernsthaft darüber nach, seine Astronautenkarriere an den Nagel zu hängen. Zu verrückt war das Erlebte und er wollte nie wieder Gefahr laufen, noch einmal etwas ähnliches wahnsinniges und beängstigendes mitmachen zu müssen wie das, was in den letzten Wochen mit ihm geschehen war.
Die letzten Tage in der Raumstation waren erschreckend ereignislos vorübergezogen.
Tim war schnell zu seinem distanzierten Verhalten Lukas gegenüber zurückgekehrt. Auch die seltsamen Gefühle und Gedanken, die er gehabt hatte, waren immer schwächer und schwächer geworden, je weiter sie sich von dem schwarzen Planeten entfernt hatten. Sie hatten ihn, und den ganzen Wahnsinn der ihn umgab, hinter sich gelassen. Sie hatten die Verbindungen zu ihm gekappt und alles abgeschüttelt.
Lukas Herz schlug einen Takt schneller, als er seine Frau in der Menge, die auf die heimkehrenden Astronauten wartete, erblickte. Er beschleunigte seinen Schritt und stolperte dabei fast, war er doch die Schwerkraft nicht mehr gewohnt. Lachend schlang Lena die Arme um ihren Mann und küsste ihn lange, als er nach Monaten endlich wieder bei ihr ankam.
„Ich bin so froh, dass du wieder hier bist", flüsterte sie in sein Ohr.
„Ich bin auch froh, wieder hier zu sein. Du glaubst gar nicht, wie froh", säuselte er zurück und drehte den Kopf ein wenig. Einen Meter entfernt sah er, wie Tim ebenfalls von seiner Frau mit Küssen überhäuft wurde. Er drehte seinen Kopf in die andere Richtung und sah Ina dabei zu, wie sie ihrer Freundin Tania in die Arme sprang, die diese quietschend festhielt und gerade so nicht umfiel.
„Und, wie war es denn?", fragte Lena und wuschelte Lukas durch seine vernachlässigte, fast nicht mehr existierende Frisur.
„Das... ist eine lange Geschichte", erwiderte er und nahm sie an die Hand. Auf dem Weg zum Ausgang der Basis drehte er sich noch einmal für einen letzten Gruß zu seinen Kollegen um, bevor er sie erst einmal für längere Zeit nicht mehr sehen würde. Vielleicht ja sogar nie wieder.
Sein Blick blieb bei Tim hängen. Auch dieser sah gerade in Lukas Richtung und als seine Frau nicht hinsah, huschte ein anzügliches Grinsen über sein Gesicht und er zwinkerte Lukas zu.
Lukas wusste nicht, ob er sich nur eingebildet hatte, dass Tims Augen gerade sehr dunkel, ja sogar fast... schwarz...gewesen waren.
Aber er wusste plötzlich sehr genau, dass er so schnell wie möglich wieder ins All hoch wollte.
Mit Tim.
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