Für mich soll's rote Rosen regnen
Heute
„Mensch, Julia! Jetzt mach dich doch nicht so verrückt", sagte meine gute Freundin Marie mit einer sanften Stimme, die mich wohl beruhigen sollte. Aber das tat sie leider gerade überhaupt nicht.
„Ich...ich kann mich nicht beruhigen", antwortete ich verzweifelt, während ich immer wieder an meinem Kleid herum zupfte. „Ich hätte doch das andere Kleid nehmen sollen. Und meine Haare, um Gottes Willen. Ich kann so nicht da raus!"
„Na? Wie weit ist sie?", fragte Lara, eine weitere enge Freundin von mir, als sie zu uns um die Ecke kam. Als sie meinen panischen Blick sah, drückte sie mir sofort ein neues Glas Sekt in die Hand.
„Ohje, hier Maus... trink noch einen Schluck. Das ist dann aber der letzte, du sollst deinem Timi schließlich nicht total betrunken das Ja-Wort geben. Was ist denn los?"
Ich nahm das Glas an mich und seufzte tief. Dann trank ich einen großen Schluck, stellte das Glas neben mir auf einen kleinen Holztisch ab und stand auf. „Siehst du das? Hier drückt sich total der Speck durch! Und meine Oberarme sind auch viel zu dick. Aber ich habe nichts für drüber. Warum haben wir nichts gekauft? Warum?", fragte ich und wurde langsam hysterisch.
„Es wird alles gut, Julia", sagten Marie und Lara fast gleichzeitig.
Klar, die hatten leicht reden. Zwar zählte ich sie zu meinen besten Freundinnen, aber trotzdem hatten sie doch keine Ahnung, wie ich mich fühlte. Die beiden sahen schließlich einfach bezaubernd aus, mit ihren schlanken Körpern in den kurzen Brautjungfernkleidchen. Ich dagegen war leider nicht wirklich das, was man als schlank bezeichnen würde. Und dann trug ich auch noch ein weißes Kleid, obwohl ich doch sonst fast nur schwarze Klamotten hatte. Ich fand, dass mich das Weiß nochmal mindestens fünf Kilo schwerer aussehen ließ...
Heute würde ich tatsächlich meinen Timi heiraten. Besser gesagt gleich, denn alle Gäste waren schon draußen auf ihren Plätzen und warteten darauf, dass die Trauung losging. Es war nur noch eine Frage der Zeit, bis die Melodie ertönen würde und ich auch da raus musste. Heute sollte der schönste Tag meines Lebens sein, aber ich war gerade so aufgeregt, dass ich fast verrückt davon wurde.
Timi und ich hatten uns dafür entschieden, auf einer großen Lichtung im Wald, ganz in der Nähe unseres Hauses in Bielefeld zu heiraten.
Dabei war der Plan ursprünglich ein ganz anderer gewesen. Eigentlich wollten wir erst ins Standesamt, danach in die Kirche und im Anschluss in einem schicken Restaurant feiern. Doch je länger und intensiver wir planten, umso deutlicher wurde uns vor Augen geführt, dass das nicht wirklich wir waren.
Eines Tages saßen wir dann in einer tropisch warmen Sommernacht eng aneinander gekuschelt auf unserem großen Balkon und sahen in den ruhigen, friedlichen Wald hinein, über dem unzählige Sterne glitzerten wie tausende Diamanten.
„Wir müssen draußen heiraten. Einfach so, mitten in der Natur", hatte Timi da vor sechs Wochen verträumt gesagt. „Ich will nicht in ein unpersönliches Standesamt. Ich brauche keine stickige Kirche und mal im Ernst, warum sollten wir in einem ultraspießigen Restaurant feiern, wenn wir da nie essen gehen und das so gar nichts mit uns zu tun hat? Wir lieben beide die Natur und sind beide gerne draußen, das wäre uns auf jeden Fall viel ähnlicher. Was meinst du, mein Schatz?"
„Klingt gut", hatte ich ihm dann lächelnd geantwortet und mich noch enger an meinen zukünftigen Mann heran gekuschelt.
Aber heute wusste ich nicht so wirklich, was ich von der Idee halten sollte, während meine Freundinnen in der kleinen Waldhütte, die der Besitzer uns extra für diesen Tag zur Verfügung gestellt hatte, an mir herum fummelten. Ich konnte doch noch nicht mal auf geradem Boden richtig in meinen viel zu hohen Schuhen laufen. Der Waldboden war total uneben. Was, wenn ich vor allen Gästen einfach hinfallen würde? Für mich wäre die Hochzeit dann wahrscheinlich gelaufen. Auch, wenn nichts schief gehen sollte... schon alleine der Gedanke, da gleich rausgehen zu müssen, versetzte mich in Panik. Sobald eine Braut die Kirche, den Saal oder welchen Ort auch immer betritt, richten sich alle Augen auf sie. Überhaupt nicht mein Ding, aber was blieb mir denn bei der eigenen Hochzeit übrig, als im Mittelpunkt zu stehen?
„Na, was geht dir durch den Kopf?", fragte Lara und setzte sich neben mich auf einen Stuhl. Ich sah sie durch den großen Spiegel an der Wand an und seufzte.
Lara legte mir den Arm um die Schultern und streichelte über meinen Oberarm. „Du bist wunderschön, okay? Und Timi liebt dich genau so, wie du bist. Sonst würde er dich doch heute kaum heiraten wollen."
„Ich frage mich wirklich, womit ich diesen Mann überhaupt verdient habe", sagte ich leise und versuchte zum hundertsten Mal, mir eine Haarsträhne festzustecken, die sich immer wieder selbstständig machte.
„Wie lange bist du jetzt schon mit ihm zusammen?", fragte Marie von hinten. Um das zu beantworten, musste ich nicht lange überlegen. Das Datum, an dem dieser wunderbare Mann wieder in mein Leben getreten war, würde ich niemals vergessen.
-
Zwölf Jahre zuvor...
Fast alle Kinder waren schon von ihren Eltern abgeholt worden und ich packte kurz vor Feierabend total glücklich meine Sachen zusammen. Es war Freitag und ich hatte meine allererste Woche als angehende Erzieherin erfolgreich hinter mich gebracht und schon jetzt wusste ich, dass ich mich für den richtigen Beruf entschieden hatte. Ich hatte mir wochenlang vor Ausbildungsbeginn Gedanken darüber gemacht, was wohl schief gehen könnte oder wie die Kinder mich aufnehmen würden. Aber bereits ein paar Minuten, nachdem ich an meinem ersten Tag die Tür des kleinen Bielefelder Kindergartens geöffnet hatte, hatten sich die Kinder total erfreut auf mich gestürzt und alle meine Zweifel waren wie weggeblasen.
Ich ging durch den langen Flur, von dem die verschiedenen Gruppenräume abgingen und verabschiedete mich von meinen neuen Kolleginnen. In Gedanken war ich schon bei meiner Freundin Lara, mit der ich heute Abend ins Kino gehen wollte.
„Okay, Viktoria... ich wünsche dir ein schönes Wochenende, bis Montag dann", sagte ich lächelnd zu der Auszubildenden im dritten Jahr, die gerade dabei war, zwei putzige Mädchen an der Garderobe anzuziehen.
Doch gerade, als sie sich ebenfalls von mir verabschieden wollte, kam der kleine Paul mit heruntergelassenen Hosen aus der Toilette getapst.
„Abputzen. Hab Kacka gemacht", ließ er uns grinsend wissen.
„Ich komme gleich", rief Viktoria ihm zu. Dann drehte sie sich zu mir. „Könntest du vielleicht hier weitermachen und die beiden anziehen? Sobald sie abgeholt wurden, kannst du dann auch gehen."
„Natürlich", antwortete ich lächelnd und stellte meine Tasche auf der Bank ab, um die beiden Mädchen, Sandra und Randi, fertig anzuziehen.
Fünf Minuten später war die kleine Sandra dann abgeholt worden und Randi, mein heimliches Lieblingskind, wurde ohne ihre Freundin immer ungeduldiger.
„Deine Mama kommt bestimmt gleich", sagte ich und strich ihr durch ihr zartes, blondes Haar. Und tatsächlich ging im nächsten Moment die Tür auf.
Ich musste drei mal hinsehen bis ich wirklich glauben konnte, wer da gerade total abgehetzt den Kindergarten betreten hatte: Tim. Tim Wessinger.
Schon seit wir selbst noch in den Kindergarten gegangen waren, sind wir die besten Freunde gewesen. Genau hier, in diesem Gebäude, hatten wir uns Schaufeln und Eimer geteilt, hatten zusammen die Eisenbahn aufgebaut und uns um die besten Legofiguren geprügelt.
Später in der Grundschule hatten wir uns dann stolz gegenseitig den Inhalt unserer Schultüten gezeigt, hatten die ersten Hausaufgaben zusammen gemacht und sind nachmittags auf jeden Baum geklettert, den wir finden konnten. Auch die ersten zwei Jahre in der weiterführenden Schule waren wir noch unzertrennlich gewesen und es hatte fast keinen Tag gegeben, an dem wir nicht gemeinsam Bielefelds Spielplätze, Felder und Waldstücke unsicher machten.
Doch irgendwann hatte das alles ein Ende, denn dann kam die Pubertät und riss uns brutal auseinander. Während ich mein eher ruhiges Wesen behalten hatte und die Natur liebte, gerne Bücher las und mit Vergnügen ruhige, gechillte Nachmittage mit meinen Freunden verbrachte, war Tim immer wilder geworden.
Nach und nach hatte er sich von unseren alten Freunden abgewendet und sich den coolen Leuten, ein paar Klassen über uns, angeschlossen. Schon mit zwölf hatte er angefangen, zu rauchen. Mit dreizehn wurden die Zigaretten dann zu Joints und mit vierzehn schmiss er die ersten Pillen.
Wir hatten uns noch immer ab und zu getroffen, aber es war lange nicht mehr das, was es mal war.
Als er dann begann, sich für Mädchen zu interessieren, war es mit unserer Freundschaft endgültig vorbei. Ich war vierzehn, als ich mir eingestehen musste, dass ich mich in Tim verliebt hatte. Doch er empfand leider nicht das selbe für mich, denn er jagte lieber kleinen dünnen Blondinen hinterher. Diesen kleinen dünnen Blondinen, die mir auf dem Schulhof das Leben zur Hölle gemacht hatten.
Glücklicherweise war Tim dann in der achten Klasse sitzen geblieben und wir sahen uns kaum noch. Wir grüßten uns zwar noch auf dem Schulhof, aber das war es dann auch schon. Ein Jahr später war mein ehemals bester Freund dann von der Schule geflogen und seitdem hatte ich ihn nicht mehr gesehen.
Ich hatte ihn trotz allem nie vergessen und jetzt, da er so vor mir stand, zog es mir fast den Boden unter den Füßen weg. Ich fand ihn damals schon sehr hübsch, aber jetzt, mit neunzehn, sah er einfach noch viel, viel besser aus.
„Julia! Was...was machst du denn hier?", fragte er mich sichtlich erstaunt. Ich brauchte erst einen Moment, um meine Sprache zu finden.
„Tim... Ich... arbeite jetzt hier. Was machst du hier?"
„Randi ist meine Halbschwester", sagte er und guckte verlegen auf seine Füße herunter.
Dann starrten wir uns einfach nur an und keiner wusste so recht, was er sagen sollte. Doch die kleine Randi brach glücklicherweise das Eis. „Woher kennt ihr euch?", fragte sie neugierig und sah zwischen uns hin und her.
Tim beugte sich zu ihr herunter und grinste. „Das ist Julia. Wir sind früher zusammen hier in deinen Kindergarten gegangen, als wir noch klein waren."
„So wie ich und Sandra?", fragte Randi und zog Tim an seinem Hoodie herum. „Seid ihr jetzt keine Freunde mehr? Ich will mit Sandra für immer Freunde bleiben!"
Tim seufzte und stellte sich wieder aufrecht hin, dann sah er mich auf einmal total traurig an und zog einen Zettel aus seiner Hosentasche.
„Randi, geh doch mal zur Monika und gib ihr das."
Wir sahen Tims Halbschwester noch nach, wie sie in den Raum der Tigerentengruppe stürmte. Sobald sie aus unserem Sichtfeld verschwunden war, drehte Tim sich zu mir um.
„Ähm... ich weiß nicht, ob das jetzt ein bisschen komisch ist. Aber, willst du vielleicht irgendwas mit mir machen, wenn ich Randi heim gebracht habe?", stotterte er vor sich hin. „Ich hab immer viel an dich gedacht, aber ich hab mich nicht getraut, mich bei dir zu melden. Aber jetzt, wo wir schon mal hier sind. Also, nur wenn du willst natürlich. Ich könnte es auch total verstehen, wenn du nicht willst."
Ich konnte immer noch nicht so wirklich glauben, dass Tim gerade wirklich vor mir stand. Und dann fragte er mich auch noch, ob ich mich mit ihm treffen wollte. Nach all den Jahren! Ich war viel zu perplex, um irgendwas zu antworten, also nickte ich einfach nur.
Zwei Stunden später saßen wir dann am Waldrand auf unserem Platz von früher - einem alten Jägerhochsitz - und sahen über das weite Feld, das der Herbst schon golden gefärbt hatte.
„Es tut mir so leid, wie sich das damals alles entwickelt hat", seufzte Tim und hielt mir eine Tüte von den schokoladenüberzogenen Erdnüssen entgegen, von denen wir früher unzählige hier oben verputzt hatten.
„Wir waren einfach zu verschieden", sagte ich leise und drehte nachdenklich eine Nuss in meinen Fingern hin und her. „Und dann hab ich dir auch noch ein Liebesgeständnis gemacht. Ich hätte mir doch vorher denken können, dass du nichts von mir willst."
Tim drehte sich zu mir um und sah mich ertappt an. „Ähm..."
„Schon gut, Tim. Ich meine... ich hab doch die Mädels gesehen, mit denen du dich rumgetrieben hast. Und ich? Ich sehe nun mal aus, wie ich aussehe..."
Tim zündete sich eine Zigarette an und antwortete mir nicht. Er starrte geradeaus auf das Feld, über dem sich die Sonne langsam rot färbte, was der Landschaft um uns herum etwas Surreales verlieh.
Es vergingen mehrere Minuten, in denen er immer wieder etwas tiefer einatmete und den Mund öffnete, dann schloss er ihn allerdings wieder, ohne zu sprechen.
Erst, als er nach seiner ersten direkt noch eine zweite Kippe geraucht hatte, fand er die Worte wieder.
„Ich... ich war auch in dich verliebt", brachte er endlich heraus.
Ich konnte gar nicht fassen, was er da gerade gesagt hatte. Mein damaliger bester Freund, der hübsche, coole Tim soll tatsächlich in mich verliebt gewesen sein?
„Was?", stieß ich erschrocken aus. „Du...du..."
„Ja, verdammt", sagte Tim leise und vergrub sein Gesicht in den Händen. „Ich hab es so verkackt. Es tut mir so Leid. Ich... ach das hört sich doch total bescheuert an... der scheiß Gruppenzwang damals. Ich... ich hatte einfach nicht die Eier, zu dir zu stehen. Du weißt doch, dass ich in der Grundschule wegen meinem Lispeln so krass gemobbt wurde... und dann gehörte ich auf der anderen Schule zu den sogenannten coolen Leuten. Und... naja...da... ähm..."
Ich seufzte tief und rutschte ein Stück von Tim weg. „Da habe ich nun mal nicht dazu gepasst. So ist das eben..."
„So wollte ich das nicht sagen", meinte Tim und rutschte mir etwas nach. „Wenn ich damals gewusst hätte, was ich heute weiß, dann hätte ich das alles ganz anders gemacht."
„Wie meinst du das?"
„Jetzt, wo ich aus der Schule draußen bin, weiß ich erst, wie bescheuert das damals alles war. Das ist alles überhaupt nicht wichtig! Im Leben kommt es doch auf ganz andere Dinge an, als auf gutes Aussehen, oder wie beliebt man bei so ätzenden Posern ist, oder was für Klamotten man trägt. Ich kann gar nicht glauben, dass ich mich zu solchen dummen Oberflächlichkeiten hinreißen ließ. Das war alles nicht echt. Diese Tussis, mit denen ich da was hatte... die sahen zwar nett aus, aber weißt du, was die im Kopf hatten? Da war nichts! Überhaupt nichts!"
Jetzt wusste ich nicht, was ich sagen sollte. Zwar hatte ich mir das damals alles schon irgendwie gedacht, aber es jetzt zu hören, war nochmal was ganz anderes.
„Julia... kannst du mir das verzeihen? Ich will unbedingt wieder mit dir befreundet sein. Das mit uns, das war von Anfang an was besonderes. Ich konnte mit niemandem so gut reden, wie mit dir. Du hast mich immer verstanden, egal, was war. Unsere Freundschaft war so echt und ehrlich, ich hätte das niemals einfach so aufgeben dürfen. Bitte..."
„Tim... ich weiß nicht..."
„Vedammt", zischte er leise. Dann geschah etwas komplett unerwartetes. Bevor ich richtig realisieren konnte, was da gerade geschah, hatte er seine Lippen auf meine gelegt und begann damit, mich sanft zu küssen, während ich starr und bewegungslos neben ihm saß.
„Das hätte ich schon viel früher tun sollen."
Ganz zaghaft grinste ich ihn an und so langsam bemerkte auch mein Körper, was das gerade war. Eine Bombe, bestehend aus einer Million Schmetterlingen, war in meinem Bauch explodiert und all die längst verdrängten Gefühle kamen wieder an die Oberfläche.
„Julia, ich weiß, wir haben uns jetzt eine Zeit lang nicht gesehen. Aber... du bist das einzige Mädchen, in das ich jemals verliebt war. Und jetzt, wo du hier neben mir sitzt weiß ich, dass ich das noch immer bin. Ich bin jetzt älter geworden und nicht mehr der kleine, dumme Mitläufer von damals. Ich will endlich richtig mit dir zusammen sein. Ich will zu dir stehen, ganz egal, was kommt. Und ich werde jetzt nicht so blöd sein, wie damals und dich einfach wieder gehen lassen."
So lange hatte ich auf diesen Moment gehofft und niemals gedacht, dass er irgendwann mal Wirklichkeit sein würde.
„Bist du dir sicher?", fragte ich Tim völlig fassungslos.
„So sicher, wie noch nie in meinem Leben. Nur du und ich, okay? Scheiß auf die ganzen Plastikmenschen da draußen!"
-
Heute
Als ich meine Erzählung beendet hatte, sahen mich meine Freundinnen Marie und Lara lächelnd und total verträumt an.
„Und seit dem Tag wart ihr dann einfach so zusammen? Das ist ja schöner, als jeder Liebesfilm", seufzte Marie.
„Ja. Ich kann es sogar heute manchmal kaum glauben, wie sich das alles entwickelt hat. Auf einen Schlag sind alle Gefühle wieder hochgekommen", schwärmte ich. Dann schlug mein Herz einen Takt schneller, denn die Melodie, die mein Erscheinen ankündigte, ertönte in diesem Moment. „Fuck!"
Meine Freundinnen sprachen mir noch ein paar ermutigende Worte zu, dann gab es kein zurück mehr. Ganz langsam ging ich aus der Hütte heraus und bog um die Ecke.
Nervös sah ich mir die ganzen Menschen an, die heute gekommen waren, um diesen Tag mit uns zu feiern. Doch all die Nervosität legte sich mit einem Mal, als ich meinen wundervollen Freund da vorne an dem provisorischen Altar stehen sah. Während ich am Arm meines Vaters auf ihn zulief, blendete ich alles um mich herum aus und sah nur noch ihn. Er sah so unglaublich gut aus in seinem Anzug, wie er da auf dieser kleinen, mit hunderten roten Rosen geschmückten Bühne stand und auf mich wartete.
Ich konnte es kaum erwarten, endlich „Ja" zu ihm sagen zu dürfen und den Rest meines Lebens mit ihm verbringen zu können.
Als wir bei Tim angekommen waren, klopfte mein Vater ihm freundschaftlich auf die Schulter und ging dann auf seinen Platz.
„Du siehst so schön aus", flüsterte Tim und strahlte dabei über das ganze Gesicht. Und ich glaubte ihm.
„Du auch! Ich bin so aufgeregt", flüsterte ich zurück.
Der Standesbeamte, der die Trauung durchführte, erzählte noch einmal unsere Geschichte. Dass wir uns seit dem Kindergarten kannten, die ersten Jahre miteinander verbracht hatten, vom Leben auseinandergerissen wurden und wie wir wieder zueinander gefunden haben.
Während der Rede sah ich mich um und bemerkte, dass kein einziges Auge trocken geblieben war.
Dann war endlich der Zeitpunkt für das Tauschen der Ringe gekommen. Da ich nicht vor vielen Menschen reden kann, hatten wir uns vorher darauf geeinigt, keine Ehegelübde aufzusagen. Umso erstaunter war ich dann, als Tim doch einen kleinen Zettel aus seiner Hosentasche zog.
„Tut mir leid", flüsterte er mir grinsend zu. „Aber das kann ich einfach nicht lassen."
Er räusperte sich nochmal und sah nervös zu unseren Gästen, dann begann er.
„Meine liebste Julia, ich möchte dir heute versprechen, dir in guten und weniger guten Zeiten zur Seite zu stehen. Ich will dich bei all deinen Vorhaben..."
Timi holte tief Luft, dann zerriss er lachend seinen Zettel.
„Ach verdammt, ich hab mir jede Menge romantische Sprüche aufgeschrieben, aber irgendwie ist das doch nicht das Richtige. Vielleicht klingt das, was ich jetzt sage, nicht so schön und blumig wie das, was da auf dem Zettel stand, aber dafür kommt es aus dem Herzen", sagte er grinsend und griff nach meinen Händen.
„Danke, dass du mich heute zum glücklichsten Mann auf der Welt machst, weil ich dich heiraten darf. Schon als wir vor genau zwölf Jahren, drei Wochen und vier Tagen endlich richtig zusammengekommen sind, wusste ich, dass wir eines Tages hier stehen würden. Seit unserem ersten gemeinsamen Tag im Kindergarten bist du meine zweite Hälfte. Du verstehst mich auch ohne Worte und du bedeutest mir mehr, als alles andere. Ich möchte keinen einzigen Tag mehr ohne dich verbringen.
Du bist für mich die schönste Frau auf der Welt. Ich weiß, dass du das oft nicht so siehst und darum möchte ich bis ans Ende deines Lebens an deiner Seite stehen und dich daran erinnern, wie wunderbar du bist, wenn du es selbst mal wieder vergessen hast."
Mit wild klopfendem Herzen blinzelte ich meine Tränen weg und auch Tim nahm ein Taschentuch von seinem Trauzeugen Lukas entgegen, um sich seine von der Wange zu tupfen. Dann drückte er ihm mit total zitterigen Fingern das Tuch wieder in die Hand und wandte sich an den Standesbeamten. „Okay, los, ich will ihr endlich den Ring an den Finger stecken!"
Was dann im Anschluss noch kam, nahm ich kaum wahr. Denn egal, was der Standesbeamte noch sagen würde, konnte nicht halb so schön sein wie das, was Tim mir da gerade gesagt hatte. Endlich war der Moment gekommen, in dem er mir den Ring an den Finger steckte und mich somit zur glücklichsten Frau der Welt machte.
„Scheiß auf die ganzen Plastikmenschen da draußen. Nur wir beide. Für immer", flüsterte er mir ins Ohr, bevor er mich in einem Regen aus unzähligen, blutroten Rosenblättern küsste.
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top