Die Klassenfahrt - Was sich liebt, das neckt sich [4/4]

Gott, wie gut sich das anfühlte, was Tim da gerade mit mir anstellte! Ich ließ mich einfach so von ihm küssen und wollte gar nichts dagegen tun. Endlich hatte ich dieses Gefühl, von dem die anderen immer erzählten, wenn sie ein Mädchen küssten! Einen richtigen Plan davon, was ich tun sollte, hatte ich zwar nicht so richtig, aber es schien Tim nichts auszumachen. Ich versuchte einfach, mich seinem Tempo irgendwie anzupassen. Doch als er seinen Mund ein bisschen weiter öffnete und seine Zunge so richtig einsetzte, zuckte ich doch mal kurz zurück.
„Komm schon", flüsterte er und drückte meinen Unterkiefer vorsichtig ein bisschen nach unten, wie er es beim Flaschendrehkuss schon getan hatte. Je intensiver er seine Zunge einsetzte, desto langsamer wurden seine Bewegungen. Das fand ich noch viel besser, als das hektische Knutschen zu Beginn und ich hatte meinen Atem so langsam nicht mehr unter Kontrolle.
Neben seinen Küssen streichelte er meinen Rücken knapp über dem Bund meiner Shorts. Ich war noch nicht so ganz trocken von meiner Dusche, da Tim ja mein Handtuch runtergeschmissen hatte und ich mich daher nicht richtig abtrocknen konnte, bevor ich hektisch in meine Klamotten geschlüpft war. Darum war mir ein bisschen kalt und seine warmen Hände fühlten sich auf meiner Haut richtig heiß an. Mein ganzer Körper war am Ausrasten. Alles kribbelte wie verrückt, mein Puls fühlte sich nicht mehr gesund an und in meinem Kopf war so ein Chaos, dass ich keinen klaren Gedanken mehr fassen konnte.
Als Tim dann noch wie zufällig mit seinen Fingerspitzen meinen Arsch streifte, konnte ich mich nicht mehr beherrschen und stöhnte laut auf.
„Warum wehrst du dich nicht?", fragte er mich leise und packte dann richtig fest zu.
„Ich weiß nicht", keuchte ich und drückte ihm in der Hoffnung, dass er nicht aufhören würde, einen verzweifelten Kuss auf die Lippen.
Er grinste und ging einen Schritt nach hinten. „Okay."

Ich stand an die Wand gelehnt und beobachtete ihn dabei, wie er sich immer weiter von mir entfernte.
„Tim, was..."
Weiter kam ich nicht, denn ein kleines Grüppchen anderer Jungs betrat den Raum. Sie beachteten uns nicht weiter und zogen sich in aller Seelenruhe aus, um sich unter den Duschen zu verteilen.
Tim sah mich noch einmal an, dann ging er durch die Tür und ließ mich zitternd stehen.
Ich hatte überhaupt keine Ahnung, was das alles zu bedeuten hatte. War es das jetzt, oder würde sich das irgendwann nochmal wiederholen? Ein kleiner Teil von mir hatte auch ein wenig Angst, dass er das nur getan hatte, um mich weiterhin als Schwuchtel beschimpfen zu können. Jetzt fehlte mir ja die Ausrede, dass das nur wegen einem Spiel passiert war. Es war meiner Meinung nach ziemlich offensichtlich für ihn, dass mir das gerade gefallen hatte.

Ich hob mein klatschnasses Handtuch vom Boden auf und ging zu unserem Zimmer. Dort drin herrschte schon wieder Partystimmung und wie gestern Abend hatten sich ein paar Mädels bei uns eingefunden, die auf den Betten verteilt saßen. Die blöde Bibi war natürlich auch wieder am Start und hatte es sich auf dem Bett von Tim bequem gemacht. Dieser saß auch schon dort und nahm gerade eine Flasche Schnaps von ihr entgegen, um einen großen Schluck daraus zu trinken.
Ich zog mir noch eine Jeans über meine Boxershorts und setzte mich auf mein Bett.
Während ich noch immer völlig neben der Spur war, schien Tim die Ruhe selbst zu sein. Ganz entspannt lehnte er mit der Flasche in der Hand an der Wand und sah sich im Zimmer um.
Nur zu mir guckte er nicht.
Er wirkte aber auch nicht so, als ob ihm dieser zweite Kuss irgendwie unangenehm gewesen war. Es wirkte eher so, als ob er überhaupt nicht stattgefunden hätte. Wie konnte er jetzt bloß so ruhig da sitzen, während ich so langsam Schweißausbrüche bekam und mir schon schlecht vor lauter Aufregung wurde?
Ich hätte zu gerne jemanden um Rat gefragt, aber das fiel wohl weg. Wem sollte ich denn bitte sagen, dass ich gerade nochmal mit Tim rumgeknutscht hatte? Die würden mich doch alle für verrückt erklären. Erstens, weil wir uns offiziell total hassten und zweitens, naja... er war eben ein Junge. Ein Junge, der gerade vor meinen Augen mit Bibi rummachte.
Zuerst küssten sie sich nur ein bisschen, aber irgendwann lag Tim auf dem Rücken und Bibi saß auf ihm drauf. Da wurde es mir echt zu dumm und ich ging raus auf den Balkon, um mir das nicht weiter ansehen zu müssen.

„Lukas?"
Ich drehte mich um und sah Tobi, der sich gerade neben mich auf einen Plastikstuhl setzte, von denen mehrere draußen standen.
„Hm?"
„Was ist denn jetzt wieder los? Irgendwie benimmst du dich echt komisch, seit wir hier sind."
„Nichts ist los. Mir ist das nur ein bisschen zu viel mit so vielen Leuten auf so engem Raum."
Tobi guckte eine Weile nachdenklich in die Nacht hinaus, dann schaute er wieder zu mir.
„Bist du in Bibi verknallt?", fragte er ganz vorsichtig.
Ich konnte mich nicht beherrschen und brach in schallendes Gelächter aus.
„Was? Ist das dein Ernst?"
„Naja, also irgendwie guckst du immer so böse, wenn sie mit Tim knutscht. Und du bist immer so genervt, wenn sie irgendwas zu ihm sagt. Da dachte ich, dass du vielleicht eifersüchtig bist."
„Ähm. Nein, also... ich bin bestimmt nicht eifersüchtig und ich bin auch garantiert nicht in Bibi verknallt. So weit kommt's noch"
„Was ist denn dann los?"
Ich seufzte tief und stand auf, um mich gegen das Geländer zu lehnen.
„Ich... bin nicht genervt wegen Bibi. Tim nervt mich. Er ist in der Schule schon unerträglich und jetzt ist er vierundzwanzig Stunden am Tag hier. Zum Glück ist es ja nur noch ein Tag und dann fahren wir wieder heim. Vielleicht benimmt er sich ja wieder wie der letzte Asi und wird vorher schon nach Hause geschickt. Oder er fliegt gleich ganz von der Schule, mir egal."
„Ja, der ist schon ziemlich ätzend", meinte Tobi.
„Das ist er wohl", sagte ich und drehte mich von ihm weg, um in die Stadt runter zu sehen.
Tobi stellte sich neben mich und bot mir eine Zigarette an, die ich aber ablehnte.
„Hast du irgendeine Ahnung, warum er so scheiße zu dir ist?"
„Nein, ich habe keine Ahnung, warum er tut, was er tut. Aber ich wüsste es echt gern."

Als Tobi nach seiner Zigarette zu kalt hatte, blieb ich weiterhin alleine draußen sitzen. Ich hatte absolut keine Lust, Bibi weiter zuzusehen, wie sie auf Tim herumturnte. Außerdem befürchtete ich, dass ich dann wieder ein paar Sprüche von ihm kassieren würde, wenn die anderen dabei waren. Es wäre ja auch viel zu auffällig, wenn er von heute auf morgen ohne ersichtlichen Grund damit aufhören würde.
Jetzt, wo sich mein Herzschlag und die große Aufregung wieder etwas gelegt hatten kam ich dazu, mir seine Worte im Bad nochmal durch den Kopf gehen zu lassen.
Er hatte gesagt, er hasst es, was ich mit ihm mache. Und dass er mich hasst, weil er mich nicht hasst.
Wer sollte denn daraus schlau werden? Ich machte doch überhaupt nichts mit ihm. Ich hatte ihn noch nie von mir aus angesprochen, weil ich immer froh war, wenn er mich in Ruhe ließ. Ich ging sogar immer mit Absicht weg, wenn er kam. Es konnte nicht sein, dass er mich deshalb nicht mochte, weil ich ihn mied.
Ich war in den ersten Tagen sogar freundlich zu ihm gewesen, habe mit ihm geredet und ihm dabei geholfen, sich in der neuen Schule zurecht zu finden. Doch nach ein paar Tagen hatte dieses Mobbing dann plötzlich völlig grundlos angefangen. Eventuell mochte er mich ja vom ersten Tag an nicht und wollte einfach nur meine Hilfsbereitschaft ausnutzen, bis er mich nicht mehr gebraucht hatte. Jedenfalls machte es keinen Sinn, dass er mich hasste, weil ich nichts mit ihm zu tun haben wollte. Das hatte er sich selbst zuzuschreiben. Und etwas anderes, was ich aktiv tun könnte, fiel mir beim besten Willen nicht ein.
Mit der zweiten Aussage, dass er es hasste, mich nicht zu hassen, konnte ich auch nach langem Überlegen rein gar nichts anfangen.
Aber vielleicht musste ich damit ja auch gar nichts anfangen können. Man erzählte sich, dass Tim eine Menge Drogen konsumierte. Vielleicht war das irgendeine Junkielogik, die ich überhaupt nicht verstehen konnte, weil sie nur für ihn Sinn machte.

Ich hing noch ein wenig meinen unsortierten Gedanken nach, bis ich ein Räuspern neben mir hörte. Ich drehte mich in die Richtung, aus der es kam und entdeckte Tim auf der anderen Seite des Balkons. Als er nichts weiter sagte, guckte ich wieder weg.
„Lukas?"
Ich drehte mich wieder zu ihm hin und sah ihn an. Doch er sagte noch immer nichts.
„Was denn?", fragte ich, als mir das Schweigen zu unangenehm wurde. „Willst du mich jetzt wieder dumm anmachen oder was?"
„Nein."
„Was dann?"
„Ich weiß nicht", seufzte er und zündete eine Zigarette an.
„Ja dann weiß ich auch nicht", antwortete ich genervt und guckte wieder nach unten auf die Gasse, auf der gerade ein sehr lauter Junggesellenabschied vorbeizog.

„Das kommt nie wieder vor", sagte Tim nach einer langen Pause.
„Was meinst du?"
„Dass ich dich küsse."

Jetzt glaubte ich wirklich daran, dass das, was in seinem Kopf vor sich ging, nur für ihn zu verstehen war. Warum küsste er mich dann, wenn er das gar nicht wollte? Ich musste unbedingt aus dem Kopf bekommen, dass mir das gefallen hatte. Er hatte bestimmt nur eine Wette verloren und mich deswegen nochmal geküsst. Der Gedanke daran, dass das nie wieder vorkommen sollte, machte mir viel mehr aus, als es eigentlich sollte. Was war denn nur los mit mir?

„Gut", sagte ich nur und versuchte, so ruhig wie möglich zu wirken. Wenn er es nicht wollte, wollte ich es auch nicht. Wenn es für ihn nichts bedeutete, dann für mich erst recht nicht.
„Ich mein, warum sollte ich das auch nochmal tun?"
„Warum hast du es vorhin überhaupt nochmal getan? Das erste mal gehörte es eben zum Spiel. Aber was war das in der Dusche?"
„Keine Ahnung."

So langsam wusste ich echt nicht mehr, was ich sagen sollte.
„Sag doch was", bat er mich nach einer gefühlten Ewigkeit.
„Was soll ich denn sagen?"
„Ich weiß nicht."
Mittlerweile war mein Puls wieder auf 180, aber diesmal eher vor Ärger, als vor Aufregung. Er wusste also nicht, warum er das getan hatte. Ich wusste ja auch nicht, warum ich mich überhaupt darauf eingelassen hatte. Warum ging er nicht einfach wieder rein und ließ mich in Ruhe, statt mich mit diesem mehr als seltsamen Gespräch zu nerven?
„Tim, was willst du?"
Er drückte seine Zigarette aus und zündete direkt die nächste an. „Hat dir das gefallen?"
„Was?"
„Boah Lukas! Das Küssen, was denn sonst?"

Ich überlegte ziemlich lange, doch dann schüttelte ich den Kopf. Warum, das wusste ich selbst nicht so genau. Vielleicht hätte ich zugegeben, dass ich es mochte, wenn er sich klarer ausgedrückt hätte. Aber ich war einfach viel zu geprägt von den letzten vier Wochen, in denen ich Tag für Tag verbal von ihm auf die Fresse bekommen hatte. Besonders häufig hatte er dabei Schwulenwitze über mich gemacht. Wenn ich so darüber nachdachte, wollte er mich bestimmt nur testen, um mehr Stoff für seine Sprüche zu haben.
Wenn ich jetzt zugeben würde, wie sehr mir das gefallen hatte, dann hätte ich ein für alle mal verloren.
„Nein, es hat mir nicht gefallen. Und ich fände es sehr gut, wenn das nicht mehr vorkommen würde", sagte ich dann, weil ich nicht sicher war, ob er mein Kopfschütteln registriert hatte.
Tim stand sofort ruckartig auf und ging ein paar Schritte auf dem Balkon hin und her. „Gott sei Dank. Nicht, dass du dich noch in mich verknallst, oder so. Ich mein, ich bin keine Schwuchtel."
„Ich auch nicht", blaffte ich.
„Ach nein?"
„Nein. Dann ist doch jetzt alles geklärt, oder?"
Tim stellte sich direkt vor mich und sah mich an. „Denk schon. Trotzdem hat es so gewirkt, als ob es dir gefallen hätte."
„Du... du bist total über mich hergefallen. Ich konnte mich so schnell überhaupt nicht wehren. Warum hast du das überhaupt gemacht?"
„Ach, ähm... weil die anderen behauptet haben, ich würde mich das nicht nochmal trauen. Tja, jetzt hab ich 'ne Flasche Schnaps gewonnen. Also danke dafür."
Ich drehte mich ein bisschen um, um in nicht mehr ansehen zu müssen. „Bitte, dann geh rein und sauf sie."

Ohne ein weiteres Wort zu sagen verzog er sich wieder rein. Ich war so unglaublich froh, dass ich ihm nicht gesagt hatte, dass ich den Kuss mochte. Endlich hatte Tim sein wahres Gesicht gezeigt und ich wusste Bescheid.
Zwar war ich zum Teil sehr erleichtert darüber, aber leider bemerkte ich nun, dass ich mir einen ganz anderen Ausgang dieser Sache gewünscht hatte. Warum hatte ich es wieder soweit kommen lassen, dass er mich so verarschen konnte? Nach all den Gemeinheiten in den letzten Wochen hätte ich es doch besser wissen müssen. Ich hätte beim Flaschendrehen einfach aufs Klo gehen sollen. Dann hätte ich nie gemerkt, dass mir der Kuss mit ihm gefallen könnte. Wäre der erste Kuss nie passiert, dann hätte er mich bestimmt auch nicht ein zweites Mal im Bad überfallen. Und ich würde mich nicht so fühlen müssen, wie ich es gerade tat. Zum einen fühlte ich mich total verarscht, aber da war auch noch ein anderes Gefühl, das dumpf und tief in meinem Herzen pochte. Dieses Gefühl hatte ich noch nie zuvor in meinem Leben und ich wusste es nicht einzuordnen.

Ich blieb noch sehr, sehr lange draußen sitzen und starrte einfach nur in die Nacht hinaus. Mir war extrem kalt, da ich nur ein Shirt anhatte, aber das war mir vollkommen egal. Ich hatte weder Lust, da drin so zu tun, als ob ich gute Laune hätte, noch wollte ich Tim weiter dabei zusehen, wie er auf irgendeiner Tussi hing. Der Gedanke daran störte mich brutal und ich wusste einfach nicht, warum.
War es, weil ich nicht derjenige war, auf dem er lag? Doch warum sollte ich das wollen? In was für einer komischen, pubertären Krise steckte ich gerade und wo zur Hölle kam die auf einmal her?

Als ich mich irgendwann umdrehte und durch die Scheibe ins Innere des Zimmers schaute, stellte ich fest, dass die Mädchen gegangen waren und fast alle Jungs in ihren Betten lagen. Tim konnte ich von hier aus nicht entdecken, aber ich beschloss, jetzt endlich mal wieder rein zu gehen, bevor ich noch erfrieren würde.
Nachdem ich mich ausgezogen hatte, legte ich mich direkt ins Bett und stellte fest, dass das Bett auf der anderen Seite mal wieder leer war.
Das ganze Zimmer roch nach Schnaps, aber immerhin hatte er dafür gesorgt, dass die meisten entweder schon schliefen oder betrunken in ihren Betten hingen.

Ich lag ziemlich lange wach und konnte einfach keinen Schlaf finden. Nachdem ich mich geschätzte hundert mal von einer Seite auf die andere geworfen hatte, zog ich mich wieder an und nahm meinen Block, um unten vorm Haus ein paar Gedanken aufzuschreiben.

Ich saß auf der gleichen Bank wie gestern und kritzelte ein paar zusammenhanglose Worte aufs Papier, die nicht den geringsten Sinn ergaben. Irgendwann gab ich es auf, legte den Kopf in den Nacken und schloss die Augen. Fast niemand war mehr draußen unterwegs, lediglich ein paar vereinzelte Fußgänger kamen an mir vorbei. Ab und zu fragte sogar jemand, ob mit mir alles okay sei, weil ich mitten in der Nacht sitzend auf einer Parkbank schlief.
Ich bekam es gar nicht mit, aber irgendwann musste ich tatsächlich richtig eingeschlafen sein. Mit steifem Nacken, Schmerzen im ganzen Körper und total durchgefroren wurde ich wieder wach, als mir jemand die Hand auf die Schulter legte.
Total erschrocken sprang ich auf und fiel fast wieder um, weil mein Kreislauf noch nicht richtig da war.
„Was willst du denn hier?", fragte ich Tim, der neben mir saß. Warum konnte er mich nicht endlich mal in Ruhe lassen!
„Lukas..."
„Ja, verdammt. So heiße ich. Und jetzt sag mir nicht schon wieder, dass du überhaupt nichts weißt. Ich weiß es nämlich auch nicht und ich will es auch gar nicht wissen. Ich will mit dir absolut nichts zu tun haben! Du beleidigst mich einen Monat lang und dann schwulst du mich für eine Flasche Schnaps an, nur damit du noch mehr Gründe hast, um mich fertig zu machen. Mir reicht es so langsam. Such dir einen neuen Idioten, mit dem du deine Scheiße abziehen kannst!"
„Ich wollte nur..."
„Tim, es ist mir egal, was du wolltest. Weißt du, ich kann nämlich auch mal scheiße zu dir sein. Aber ich bin es nicht, weil ich noch ein bisschen Anstand habe! Wenn ich den nicht hätte, dann würde ich dir nämlich sagen, dass du ein abgefuckter Junkie bist, der niemals im Leben irgendwas zustande bringen wird. Dass du durch und durch ein Asi bist und dass jeder, der sich mit dir nicht abgeben muss, vom Glück gesegnet ist. Du hast nichts auf dem Kasten und du kriegst überhaupt nichts hin. Du hast keinen Respekt und stirbst wahrscheinlich mit dreißig den Drogentod, falls du es überhaupt so lange aushältst. Und eigentlich weißt du das alles selbst, weil du es so nötig hast, andere runter zu machen, damit du daneben nicht so klein aussiehst."

Ich wartete seine Antwort nicht ab, sondern ging direkt wieder ins Zimmer und legte mich in mein Bett. Nur kurze Zeit später konnte ich Tim im halbdunkel dabei beobachten, wie er sich in sein Bett legte. Es war kaum hörbar, aber nach ein paar Minuten konnte ich ihn ganz leise schluchzen hören.
Ich hätte mich darüber freuen können, dass ich ausnahmsweise mal ihn zum weinen gebracht hatte. Eigentlich, so könnte man meinen, war das jetzt nicht mehr als gerecht, wenn er selbst mal erfuhr, wie es war, runtergemacht zu werden. Doch von Freude war bei mir keine Spur. Ich fühlte mich kein bisschen besser. Es zerriss mir das Herz und ich fühlte mich furchtbar.
Doch sollte ich mich jetzt dafür entschuldigen? Nach alldem, was er mir in den letzten Wochen vor die Füße geknallt hatte?
Er bemühte sich so sehr darum, leise zu sein, aber so richtig gelingen wollte es ihm nicht. Ich musste wohl wirklich ins Schwarze getroffen haben. Ich hoffte, dass er irgendwann aufstehen würde, um rauchen zu gehen. Dann könnte ich ihm eventuell nach und mich doch entschuldigen. Das musste ich auf jeden Fall tun. Ich hatte das alles doch gar nicht wirklich sagen wollen.
Ich versuchte mich mit aller Anstrengung wach zu halten, doch Tim stand nicht mehr auf, bevor ich eingeschlafen war.


Am nächsten Tag machten wir erst eine Stadtrundfahrt quer durch Amsterdam und im Anschluss schleppten wir uns stundenlang bis in den frühen Abend hinein durchs Reichsmuseum. Das schlechte Gewissen wegen meiner Ansage gestern fraß mich fast auf und ich konnte mich auf nichts konzentrieren. Auch Tim schien es ganz und gar nicht gut zu gehen. Er war blass, wirkte völlig lustlos und sprach mit niemandem.
Bibi hatte ihn die meiste Zeit des Tages über belagert und suchte ständig Körperkontakt, den er nicht wollte. Irgendwann war ihm endgültig der Kragen geplatzt und er hatte ihr gesagt, dass sie eine billige Schlampe sei und dass sie ihn in Ruhe lassen soll.
Darum lief auch sie jetzt wie das letzte Häufchen Elend durch die Gegend.
Wann immer es mir möglich war, versuchte ich, in seine Nähe zu kommen. Aber er beachtete mich überhaupt nicht und ging mir so gut es ging aus dem Weg.

Er mied mich den ganzen Tag und am Abend war mein schlechtes Gewissen noch immer so groß, dass ich mich aus dem Jungszimmer verzog und stattdessen mit Tina und ein paar von den anderen Mädels in eine schummerige Bar um die Ecke ging, um Tim nicht sehen zu müssen.
Außer uns waren gleich mehrere Männergruppen, die Junggesellenabschied feierten, anwesend. Im Laufe des Abends löste sich unsere Gruppe immer weiter auf, da ständig eines der Mädchen von einem der Typen angebaggert wurde und mit dem verschwand. Irgendwann saß ich dann mit Tina, die rein gar kein Interesse an den Männern hatte, alleine am Tisch und nutzte die Gelegenheit, um sie mal ein bisschen unauffällig auszufragen. Vielleicht würde das ein wenig Ordnung in mein Chaos bringen. Sie konnte mir vielleicht erklären, warum mir bisher nur der Kuss mit Tim gefallen hatte, obwohl ich schon ein paar wenige Mädchen vor ihm geküsst hatte.
"Tina, wann hast du eigentlich gemerkt, dass du auf Frauen stehst?", fragte ich sie und guckte dabei nervös auf die Tischplatte vor mir. Das Gespräch war mir schon unangenehm, bevor es überhaupt angefangen hatte.
"Wie kommst du jetzt darauf?"
"Ähm, keine Ahnung. Nur so."
Tina legte die Cocktailkarte, in der sie gerade noch geblättert hatte, zur Seite und beugte sich über den dunklen Holztisch zu mir rüber.
"Nur so, also?", fragte sie und grinste.
"Ja, nur so", antwortete ich mit glühend heißen Wangen.
"Warum dann so nervös?"
"Ähm. Ich... ich bin nicht nervös!"
Tina legte den Kopf schief und grinste mich noch immer an. Dann schüttelte sie lächelnd den Kopf und begann damit, an einem Bierdeckel herumzuspielen.
"Ach, schon ziemlich früh habe ich das gemerkt. Irgendwie hat sich das bei mir mit elf schon angedeutet. Die anderen Mädchen haben für die Backsteetboys geschwärmt und jeder fand irgendeinen davon toll. Sie haben sich vorgestellt, was wäre, wenn sie mit denen eine Beziehung hätten und so weiter. Wie das eben so ist."
"Und du?"
"Na ich fand eben keinen von denen toll. Ich hab für Christina Aguilera geschwärmt und hab mir vorgestellt, wie es wäre, mit ihr zusammen zu sein", antwortete Tina lachend. "Und später, mit dreizehn, war ich dann in unsere Sportlehrerin verknallt. Und zwar so richtig mit Liebeskummer und allem drum und dran."
"Boah, diese Frau Meyer ist halt auch echt ein scharfes Geschoss. Ungefähr alle Jungs waren in die verknallt. Krass, ich hätte nicht gedacht, dass du da auch mit geschwärmt hast."

Ich stutzte kurz und dachte nach. Ich selbst hatte unsere ehemalige Sportlehrerin zwar extrem hübsch gefunden... aber fand ich sie damals so richtig geil, wie die anderen Jungs es taten?

"Warst du auch in sie verknallt, Lukas?"
"Ich ähm... ich überlege gerade. Ich glaube nicht."
"Okay. Warum hättest du nicht gedacht, dass ich für sie schwärmen könnte?", fragte Tina amüsiert.
"Na weil du gar nicht lesbisch aussiehst."
Tina sah mich erst nur an, dann lachte sie lauthals los. "Ohje, bestell mal was zu trinken, ohne halt ich das nicht aus."
Ich ging zur Bar rüber, registrierte kurz, dass Bibi halb nackt auf irgendeinem Bundeswehrler saß und lief dann mit zwei vollen Schnapsgläsern zu Tina zurück.
"Ist Bibi eigentlich mit Tim zusammen?", fragte ich und schaute nochmal nach hinten.
"Ich denke nicht."
"Und warum knutschen die dann ständig rum?"
"Bibi ist ne Schlampe und knutscht mit jedem rum und Tim... keine Ahnung. Aber zurück zum Thema. Ich sehe also nicht lesbisch aus?"
"Nein."
Tina nahm ihr Schnapsglas und kippte es mit einem mal herunter. "Wie sieht man denn lesbisch aus?"
"Ähm... ich hab so den Eindruck, ich sag grad was total falsches", stotterte ich vor mich hin. "Das war nicht so gemeint. Ich denke nicht, dass..."
"Schon gut, Lukas. Es gibt viele Lesben, denen man das ansieht, weil sie sich eben ein bisschen maskuliner kleiden oder verhalten. Aber die wollen das dann so. Nicht jede Lesbe sieht zwangsläufig aus, als würde sie mit bloßen Händen einen LKW aufbocken können. Ganz vielen sieht man das gar nicht an. Ich meine, warum sollte man auch? Man hat ja nicht plötzlich ein Brandmal auf der Stirn. Lesben können genau so feminin sein, wie heterosexuelle Frauen auch. Genauso, wie auch der herbste Bodybuilder schwul sein kann. Oder denkst du etwa, die haben alle einen Pudel an der Leine und tragen Pink?"
Peinlich berührt nahm ich ebenfalls mein Glas und kippte den Schnaps rein, der mir bis tief in den Magen brannte.
"Du hast natürlich recht, Tina. Ich... ähm..."
"Lukas, dein Gestotter ist doch nicht zu ertragen. Sagst du mir jetzt endlich, was du wirklich wissen willst? Ich sehe dir doch an, dass es eigentlich um was ganz anderes geht."
Wenn es so offensichtlich war, brachte es wohl nichts, weiter um den heißen Brei herumzureden. Ich schaute mich kurz um, um zu sehen, dass keines der anderen Mädchen in der Nähe war.
"Naja. Ich hab ja Tim geküsst. Beziehungsweise er mich. Beim Flaschendrehen."
"Ja."
"Und vorher hab ich ab und zu auf einer Party mal ein Mädchen geküsst."
"Okay."
"Ich fand es nie so richtig toll, wenn ich mit einem Mädchen geknutscht habe."
Tina grinste breit und ihr Gesichtsausdruck verriet mir, dass sie wohl schon genau wusste, worauf ich hinaus wollte.
"Und dann hat Tim dich geküsst und dein ganzer Körper ist explodiert und du hast jetzt keine Ahnung, was du davon halten sollst?"
"Ähm. Ja, genau so war es."
"Und jetzt?"
"Nichts ist jetzt. Keine Ahnung."
"Na, willst du es nochmal machen?"
"Nein. Er hat mich danach nochmal geküsst und das war echt schön. Aber hinterher hat er gemeint, das war nur wegen einer Wette."
"Oh. Aber würdest du ihn denn nochmal küssen wollen?"
"Nein, er ist ein Asi und ich mag ihn nicht."
Tina musterte mich fast schon mitleidig und bestellte uns eine neue Runde.
"Und Jungs im allgemeinen? Würdest du lieber einen Jungen küssen, oder ein Mädchen?"
"Wenn sich das mit allen Jungs so anfühlt, wie mit Tim, dann natürlich... einen Jungen", flüsterte ich ganz leise. "Verdammt, ich weiß doch auch nicht!"
"Ich hoffe für dich, dass du es bald weißt."
Wir saßen noch recht lange zu zweit in dieser Bar. Neue Erkenntnisse hatte mir das Gespräch irgendwie nicht so richtig gebracht. Eigentlich war ich sogar noch viel verwirrter als vorher und das gefiel mir überhaupt nicht.

Später, als ich dann im Bett lag, grübelte ich noch ewig vor mich hin. Wenn ich mir meine Zukunft früher vorgestellt hatte, dann sah ich dort immer ein Haus, eine Frau, ein paar Kinder und eventuell ein paar Haustiere. Etwas anderes war mir nie in den Sinn gekommen. Sollte es wirklich so sein, dass ich überhaupt keine Zukunftsaussichten mit Frauen hatte? Was wäre gewesen, wenn die Flasche nie auf mich gezeigt hätte? Wäre ich dann irgendwann eine Beziehung mit einer Frau eingegangen, ohne die Aufregung und ohne das Kribbeln zu spüren? Hätte ich es einfach so über mich ergehen lassen, ohne das Wissen, dass es noch etwas ganz anderes gab?
Sollte ich vielleicht einfach nur so zum Test mal einen anderen Jungen küssen, um zu sehen, ob das bei dem dann genau so war, wie mit Tim?

Ich rollte mich mal wieder unruhig im Bett herum und war so unglaublich verwirrt und nervös. Außerdem war da noch immer mein Gewissen, das mich quälte. Morgen früh würde die Klassenfahrt vorbei sein und wir würden in den Bus nach Hause steigen. Ich musste unbedingt mit Tim reden, bevor es soweit war.

Doch die Gelegenheit sollte sich mir nicht mehr bieten. Als ich am nächsten Morgen aufwachte, war Tim nicht mehr in seinem Bett, sondern saß schon unten beim Frühstück.Ich hatte überhaupt keine Chance mehr, auch nur mal kurz in seine Nähe zu kommen. Auch später im Bus saß er am anderen Ende, als ich.
Frustriert war ich dann eingeschlafen und erst Zuhause wieder aufgewacht, als der Bus schon an der Schule parkte und mein Lehrer mich aufweckte.
Ich hielt noch Ausschau nach Tim, aber er schien schon gegangen zu sein.


Die nächsten beiden Wochen nach Ende der Klassenfahrt litt ich Höllenqualen. Tim war, seit die Klassenfahrt vorbei war, nicht mehr zur Schule gekommen und ich befürchtete, dass ich der Grund dafür war. Ich hatte ihn doch gar nicht so beleidigen wollen, aber er hatte mich doch so provoziert, dass ich mir in dem Moment nicht zu helfen wusste. Ich hoffte jeden Morgen so sehr, dass er durch die Tür kommen würde, damit ich mich endlich entschuldigen konnte.

Als die zweite Woche dann vorbei war, und die dritte Woche begann, in der er nicht zur Schule kam, hatte ich das ganze langsam abgehakt. Ich würde wohl nicht mehr die Chance bekommen, mich bei ihm zu entschuldigen. Ich konnte auch niemanden von den anderen fragen, denn keiner aus der Klasse hatte eine Telefonnummer oder wusste, wo er wohnte.

An einem warmen Oktobernachmittag saß ich mit meinen Hausaufgaben auf meinem Platz am Fluss. Mein schlechtes Gewissen war schon etwas weniger geworden und auch die Verwirrung in meinem Kopf hatte nachgelassen. Ich hatte beschlossen, mich in nächster Zeit nur auf die Schule zu konzentrieren und nicht auf Mädchen oder... Jungs.
Ich würde mich sicherlich irgendwann damit auseinandersetzen müssen, aber zunächst wollte ich mir nicht die ganzen Fragen stellen, vor deren Antworten ich mich fürchtete.
Ich legte mein Buch auf die Seite und ließ mir mit geschlossenen Augen die letzten warmen Sonnenstrahlen des Jahres auf den Körper scheinen. Der Sommer war endgültig fort und die Blätter begannen zu fallen.
Als ich meine Augen wieder öffnete, erschrak ich mich fast zu Tode, denn ich war nicht mehr alleine.

"Tim. Was machst du denn hier?"
Er war da. Er war wirklich da. Ich hatte irgendwie schon gedacht, ich würde ihn nie wieder sehen.

"Woher weißt du, dass ich hier bin?"
Tim kratzte sich verlegen am Kopf. "Naja, ich weiß es halt."
Klar wusste er es. Auf der Klassenfahrt hatte er mich ja sogar an diesem Ort gezeichnet. Doch ich wollte jetzt nicht den leicht beunruhigenden Fakt, dass er mir nachstellte, aufklären. Viel lieber wollte ich mich endlich bei ihm entschuldigen!
"Es tut mir so leid, was ich dir da an dem einen Abend auf der Klassenfahrt gesagt habe. Das wollte ich nicht, aber ich war so unglaublich sauer auf dich."
Tim seufzte tief. "Schon okay, Lukas. Ich hatte es nicht anders verdient. Die ganzen Sachen, die ich dir an den Kopf geworfen habe und das über Wochen... das war doch viel schlimmer als das, was du gesagt hast."
"Trotzdem sage ich sowas normalerweise nicht und ich muss mich dafür entschuldigen. Niemand hat es verdient, so beleidigt zu werden."
"Klar sagst du sowas nicht, du bist ja auch ein Streber. Ich mein, es ist Samstag und du hockst hier mit deinem Mathebuch."
"Willst du jetzt wieder Stress anfangen?", fragte ich, grinste aber dabei.
"Nein Lukas. Ich will keinen Stress mehr mit dir haben."
"Warum bist du eigentlich die letzten drei Wochen nicht mehr zur Schule gekommen?", fragte ich nach einer etwas längeren Pause.
"Naja, also... es hat schon sehr weh getan, was du gesagt hast. Aber du hattest recht. Ich gehöre überhaupt nicht auf ein Gymnasium, weil ich absolut nichts von dem verstehe, was da den ganzen Tag geredet wird. Ich pack das nicht, also brauch ich da nicht mehr hin zu gehen, weil es eh nix bringt. Und ich wollte dich nicht mehr sehen, weil... ach egal."
"Weil was?"
"Vergiss es."
Weiter nachzubohren hatte keinen Sinn, also ließ ich es bleiben. Was ich noch weiter sagen sollte, wusste ich jedoch auch nicht. Also schwieg ich so lange und schaute in das Wasser des Flusses, der um uns herum rauschte, bis Tim wieder das Wort ergriff.
"Ich komm eigentlich aus Bielefeld", sagte er irgendwann.
"Oh. Was machst du dann hier?"
"Meine Alten lassen sich gerade scheiden und es ist das totale Chaos ausgebrochen. Darum sind ich und meine Geschwister zu einer Tante geschickt worden, die hier wohnt. So lange, bis das alles vorbei ist. Aber ich werd wahrscheinlich eh nicht mehr zu denen ziehen, keine Ahnung."
"Das tut mir leid für dich", sagte ich und rückte, ohne es zu merken, näher zu ihm heran.
"Meine Tante ist so ne reiche Olle. Und sie hat eben die totalen Asikinder erwartet, als wir kamen. Und so hat sie uns dann auch behandelt. Als ob wir dumm wären und keine Chancen hätten, dass irgendwas aus uns wird. Wir sind halt am Anfang der Sommerferien zu ihr gekommen. Eigentlich hab ich die Hauptschule geschmissen und hab noch immer keinen Abschluss. Aber das wollte ich ihr nicht sagen, als sie mich gefragt hat, auf was für ne Schule ich geh oder was ich sonst so mach. Ich hab mich in diesem großen Haus mit all den teuren Möbeln sowieso schon wie der letzte Dreck gefühlt. Dann hab ich halt nen Kumpel angerufen. Der hat mir ein Zeugnis von nem Gymnasium aus Bielefeld gefälscht und damit hab ich mich dann eben hier bei eurer Schule angemeldet. Früher oder später kommt das sowieso raus, also lass ich es jetzt lieber sein."
"Du bist gerade mal achtzehn Jahre alt. Es ist noch nicht alles vorbei. Aus dir kann noch was werden."
"Ich weiß nicht."
"Ich aber, Tim."
Er seufzte und schaute mich verständnislos an. "Warum sagst du das?"
"Weil ich es so meine."
"Warum interessiert dich das überhaupt, nachdem ich so scheiße zu dir war?"
„Gute Frage", sagte ich. „Warum bist du heute hierher gekommen?
„Das klingt doof, wenn ich das sage", antwortete er und rückte ein Stück von mir weg.
„Egal, sag es einfach", forderte ich ihn erwartungsvoll auf.
„Du hast mir irgendwie gefehlt."
„Und warum?"
Tim drehte sich zu mir um und rückte wieder zu mir rüber. „Bitte sag mir die Wahrheit. Hat dir der Kuss gefallen, oder nicht?"

Ich schluckte und starrte ihn an. Was sollte ich jetzt sagen? Ich dachte kurz nach und entschied mich dann für die Wahrheit. Er würde doch nicht nach drei Wochen, in denen wir uns nicht gesehen hatten, extra wieder zu mir kommen, um mich weiter zu mobben. Das machte in meinen Augen überhaupt keinen Sinn. Außerdem hatte er mir gerade so viel über sich anvertraut und er hatte dabei so ehrlich gewirkt.
„Ja, es hat mir gefallen", sagte ich und zupfte nervös an meinem Shirt rum.
„Mir hat es auch gefallen", sagte er. „Ich mag dich eigentlich, weißt du. Schon vom ersten Tag an. Aber ein paar Tage nach dem ersten Schultag wurde ich so seltsam kribbelig in deiner Nähe und... naja ich find dich halt echt geil. Damit konnte ich halt nicht umgehen und du warst so lieb zu mir. Ich musste dich irgendwie auf Abstand bringen und da dachte ich, das geht am besten, wenn ich es so drehe, dass du gar nichts mehr mit mir zu tun haben willst."
„Oh", sagte ich und sah Tim überrascht an.

„Tja, so ist das", seufzte er.
Dann griff er nach meiner Hand und zog mich zu sich heran. Alleine das machte mich schon vollkommen verrückt.
„Darf ich dich nochmal küssen?", fragte er mich ganz schüchtern. Ich grinste breit und drückte ihm dann einfach so meine Lippen auf seine.
„Na das klingt doch sehr gut", meinte Tim ebenfalls grinsend. Dann setzte er sich neben mich und legte seinen Arm um meine Taille. „Was lernst du da gerade?"
„Ähm... Wurzelrechnung."
Tim guckte nachdenklich auf mein Mathebuch, während er noch immer ganz fest meine Hand hielt. „Bring mir was über Mathe bei. Aber fang bitte ein bisschen kleiner an."
„Ist das jetzt dein Ernst?", fragte ich und lächelte ihn an.
„Ja, vielleicht wird ja doch noch was aus mir."

Da uns der Felsen im Fluss zu hart wurde, legten wir uns eng umschlungen auf die weiche Wiese.
Währenddessen lernte Tim ein ganz kleines bisschen was über Bruchrechnung und ich lernte eine ganze Menge über mich.

Die Liebe ist nicht wie die Mathematik. Sie kommt völlig unverhofft und lebt nicht nach Regeln oder Formeln. Sie ist unberechenbar und man muss sie nehmen, wie sie kommt. Und genau das taten wir von diesem Tag an.

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