Gilde der Jäger
Aus irgendeinem Grund musste Evelyn an ihre Begegnung mit Elena vor 16 Jahren denken. Damals war sie zehn gewesen und ein Vampir hatte ihre beste Freundin getötet. Bis heute verstand sie nicht, warum in Elenas Augen ein unaussprechlicher Schmerz gelegen hatte, als sie fragte, ob Eve sie gefunden hätte. Und die Erleichterung darüber, das sie nur das Blut gesehen hatte. "Hey Illium?", fragte Evelyn den blaugeflügelten Engel, der neben ihr herlief. Eve hatte eine Wette gegen ihn verloren und musste ihn nun auf eine Jagd mitnehmen - sehr zu ihrem Leidwesen. "Was ist denn?", fragte er. "Weißt du noch, als dieser eine Vampir bei mir in der Schule aufgetaucht ist?" "Klar. So lange ist das ja noch gar nicht her", antwortete er. Stimmt ja. Engel haben ein anderes Zeitgefühl. "Warum hat- Ach, vergiss es", seufzte sie und konzentrierte sich auf den Geruch, dem sie folgte. Granatapfel mit Zimt und Schokolade. "Sag schon", drängte Illium und pikste Evelyn in die Seite. "Okay, okay. Eine Weile danach, als Dad mich in ein Internat in Europa stecken wollte und Ellie mich in die Engelsenklave mitgenommen hatte, da hat sie mir von ihren Schwestern Arie und Belle erzählt." Illiums goldene Augen verdüsterten sich. "Ich dachte, ihre Schwestern wären vielleicht bei einem Autounfall gestorben. Aber gerade ist mir eingefallen..." Ihre Stimme verebbte. "Man, Eve. Jetzt mach es nicht so spannend", drängte Illium. "Gerade ist mir eingefallen, das in ihren Augen ein unglaublicher Schmerz war, als sie mich fragte, ob ich die Leiche von ihr gesehen hätte. Damals, als ich zehn war", sagte Evelyn. Illium wurde still. Eve wollte ihn schon fragen, was los sei, als ihr eine frische Spur in die Nase wehte. "Illium", zischte Eve. "Er ist in der Nähe." Mit diesen Worten deutete Eve auf eine Lagerhalle und zog ihre Armbrust mit den Kontrollchip-Bolzen. Vampire waren wehrlos, wenn sie von solch einem Bolzen getroffen worden, da die Chips ihre Gehirne vorübergehend umpolten. Vorsichtig betraten die Jägerin und der Engel die Lagerhalle.
Eine Stunde später saßen Evelyn und Illium mit Aodhan auf einem der geländerlosen Balkone der Erzengelturms von New York und ließ die Beine baumeln. Der Vampir war zum Turm zurückgebracht worden und nun wollte Illium umbedingt wissen, was Eve ihn vorher hatte fragen wollen. Die Jägerin saß zwischen den beiden Engeln und seufzte. "Also, was wolltest du fragen?", fragte Illium. "Weißt du, wie Ellies ältere Schwestern gestorben sind?", fragte Evelyn solange sie den Mut dazu hatte. Illium und Aodhan sahen sich viel sagen an. "Ihr wisst es beide, oder?" Illium nickte. "Glaub mir, du willst es nicht wissen", sagte Aodhan. "Wieso wisst ihr es, aber ich nicht? Vertraut Ellie mir nicht?", fragte Eve und ließ sich auf den Rücken fallen. "Nur Raphael und seine Sieben wissen, was deine Schwester verfolgt", sagte Aodhan. "Aber-", Illium unterbrach sie. "Ich glaube, Ellie hat es dir auch deswegen nicht erzählt, weil sie nicht will, das du sie mit anderen Augen siehst", sagte er und blickte nach oben. Eve folgte seinem Blick und sah ihre Schwester neben dem Erzengel der Stadt auf sie zu fliegen. Evelyn verstand nicht, was Ellie an ihm fand. Klar, ihr gegenüber war er stehts freundlich, da sie die jüngere Schwester seiner Gemahlin - verdammt, was für ein altmodisches Wort! - war, aber sie hatte nicht die Blicke übersehen, mit denen er Jerry immer bedachte, wenn sie sich gezwungener Massen begegneten. Aber jetzt lächelte Raphael und seine unnatürlich blauen Augen blitzten. "Eve, Glöckenblümchen," Illium knurrte. "Fünkchen." Aodhan stieß sich von Balkon ab und jagte den lachenden Erzengel über die Wolken nach, während er ihm wüsste Beschimpfungen an den Kopf war. Ellie, Illium und Eve brachen in Gelächter aus. Elena setzte sich neben ihre jüngste Schwester und drückte sie. "Hey, Kleine", sagte sie und zauste ihr durch die Haare. Elena sah noch immer aus wie 28, obwohl sie nun schon 45 war. Aber verdammt, Illium ist 500 Jahre älter als sie!, dachte Eve. Und von Raphael wollte sie gar nicht erst anfangen. "Hey", Elena stieß Evelyn mit dem Ellenbogen an. Ihre silbernen Augen blitzten besorgt. "Irgendwas bedrückt dich", sagte sie. Illium ließ sich mit einer schnellen Verabschiedung von Balkon fallen und flog Raphael und Aodhan nach, angeblich, um sicher zustellen, das keiner der beiden verletzt wurde. Schweigend blickten die Schwestern dem blaugeflügelten Engel nach. Eve lief ein Schauer über den Rücken, bei dem Gedanken, ihre Schwestern nach ihren älteren Schwestern zu fragen. Fürsorglich legte Ellie ihren rechten Flügel aus Mitternacht und Morgengrauen um ihre kleinste Schwester drückte sie an sich. "Du weißt, das du mit mir über alles reden kannst, oder?", fragte Elena und sah ihrer kleinen Schwester fest in die Augen. "Ich weißt. Ich hab nur Angst davor", gab Eve zu und wandte den Blick ab, heftete ihn auf einen der Legionäre, die Raphael dienten. Die Legion war während einem Krieg zwischen Raphael und Lijuan für den Erzengel von New York aus ihrem äonenlangen Schlaf erwacht und diente nun ihm und seiner Gemalin - Elena. "Frag mich ruhig. Ich werde dir schon nicht den Kopf abschlagen", sagte Ellie mit einem leisen Lachen in der Stimme. "Also... Ich wollte dich fragen... Wie Arie und Belle gestorben sind", sagte Eve und wurde immer leiser, je mehr Elena sich verspannte. "Ich... Du musst es mir nicht sagen. Es war eine blöde Idee, dich danach zu fragen", sagte Eve schnell und wollte sich aus Elenas Flügel befreien, doch ihre Schwester schlang ihre Arme um sie und vergrub ihr Gesicht in der Halsbeuge ihrer kleinen Schwester. Als heiße Tropfen auf Eves Haut trafen, wurde ihr bewusst, das ihre große, starke Schwester ihre Nähe brauchte. Also nahm Eve ihre Schwester, die immer für sie da war, in den Arm und hielt sie fest.
Nach einer Weile versiegten Elenas Tränen. "Tut mir leid", wisperte sie an Eves Hals. Diese erstarte. "Wieso... Wofür entschuldigst du dich?", fragte sie. "Dafür, das du mich so gesehen hast", sagte Ellie heiser, vom Weinen war ihre Stimme rau. "Jeder weint einmal. Wie oft hast du mich nun schon weinen gesehen? Definitiv mehr als einmal", sagte Eve in dem Versuch, ihre Schwester zu beruhigen. "Weißt du noch von dem schlimmsten Vampiermörder der jüngsten Zeit?", fragte Ellie und löste sich von ihrer kleinen Schwester, um die Engel zu beobachten, die über den Himmel von New York flogen. "Ja. Sein Name war Slater Patalis", sagte Eve langsam und ließ ihre Schwester nicht aus den Augen. "Wir", zitternd stieß Elena die Luft aus. "Waren sein letzter Imbiss." Wie Schuppen fiel es Eve von den Augen. Warum Elena ihren Vater hasste, den Schmerz in ihren Augen, als sie fragte, ob Eve die Leiche gesehen hätte und wieso sie es ihr nicht früher erzählt hatte. Sie hatte Angst. Aus irgendeinem Grund hatte ihre starke, große Schwester Angst, das Eve sich von ihr abwenden könnte. Ganz fest schloss sie Elena in ihre Arme und drückte sie an sich. "Du brauchst nicht weiter zu erzählen", sagte Eve leise. "Ich habe verstanden." Elena drückte sie kurz an sich und sagte dann: "Irgendwie... fühle ich mich jetzt besser."
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