12
Es war ein friedlicher Winterabend, als Dado sich auf den Weg zu dem Stall hinter dem Bauernhaus machte.
Eigentlich durfte er so spät nicht mehr raus, in weniger als einer Stunde würde es dunkel werde, aber er wollte nur noch einmal kurz raus, um nach Shadow, seinem Hengst zu sehen.
Der Schnee knirschte unter seinen warmen Stiefeln, dennoch fror er und war froh, als er die Stalltür öffnete und ihn die Wärme der Tiere empfing.
Shadow in dem Halbdunkel zu satteln und trensen war kein Problem. Schon seit Jahren war er es gewohnt, den Rappen fast blind zu trensen.
Noch in der Enge der Box saß er auf und öffnete die Boxentür vom Rücken seines Hengstes aus.
Shadow trug keine Eisen, zum Glück, sonst hätte sein Vater ihn wohl gehört und wieder in das Wohnhaus zitiert.
Wölfe hatten seine Mutter umgebracht, als er noch ein Baby gewesen war. Vermutlich passte sein Vater deswegen so sehr auf ihn auf. Er gab sich Mühe, verständnisvoll zu sein, doch sein Vater hatte ihn damit zum Außenseiter gemacht.
Ohne das zutun des Jungen lief der Hengst über den Hof, hinein in den für Dado verbotenen Wald.
Es war schön, wirklich schön. Schnee bedeckte den Boden, die Büsche und Bäume.
Ab und zu kreuzte ein Tier den Weg der beiden und eigentlich wollte Dado nicht zurück zu seinem Vater, in die drückende Stille zwischen den Beiden Männern, weil keiner wusste, was er sagen sollte.
Im laufe der Jahre hatten sie sich entfremdet.
Ein scharfer Windstoß riss den blonden jungen Mann aus seinem Gedanken, parallel dazu setzte wieder der Schneefall ein.
Überrascht blickte der Junge hoch und musste feststellen, das es schon dunkel wurde und er nicht wusste, wo er war!
Er zwang sich zur Ruhe, Panik würde ihm jetzt auch nicht weiter helfen.
Ein lautes Heulen, ganz in seiner Nähe brachte ihn dazu, Shadow unsanft anzutreiben.
Mit großen Sprüngen schossen sie durch den Wald, planlos, hektisch, als Dado plötzlich ein Licht rechts von ihm wahrnahm.
Das Dorf, so dachte er und riss den Rappen herum.
Doch schon nach kurzer Zeit bemerkte er seinen Irrtum, dennoch ritt er weiter.
In dem Schloss konnte er garantiert übernachten und sich vor den Wölfen retten.
~
Er stand an dem Fenster seines Schlosses und sah hinaus in die Dunkelheit.
Die haarigen Pranken auf das Fenstersims gelegt, beobachtete er das dunkle Pferd und den Reiter, die sich durch den Sturm auf ihn zu kämpften.
Er wunderte sich, zurecht. Wie sollten sie in solch einer Ruine Schutz vor den Wölfen finden.
Zielsicher ritt der Reiter durch die Stelle, wo früher das Tor gestanden hatte. Er sah es dort immer noch stehen, doch der Junge sah dort nur eingestürzte Mauern.
Die Selbstsicherheit, mit der der Junge sein Pferd in den für ihn nicht sichtbaren Stall brachte, verwirrte das, was von dem einstigen Prinzen übrig geblieben war.
,,Hallo?" Hallte eine hohe Stimme durch die leeren Gänge und sofort wusste er, was passiert war.
Der Junge sah das Schloss, wie es wirklich war und nicht, wie es der Außenwelt vorgegaukelt wurde. Und das hieß, der Junge sah ihn als das, was er war und nicht, als das, was er so gerne wieder wäre.
Der Junge sah in ihm nur ein Biest.
~
Die hohen Gänge waren von Kerzen beleuchtet, es roch nach gebratenem Fleisch.
Doch niemand reagierte auf seine Rufe, kein Personal lief ihm über den Weg.
Dado hatte Angst.
Es war still, viel zu still.
Ganz leise begann er zu singen, etwas, was er schon immer getan hatte, um die aufkommende Panik zu unterdrücken.
,,Take a sip and pass it on
Fill it up, until it's gone
Send a round, another one
Let's sing another song
About the time when we were young
And all the crazy shit we done
Living like the special ones
In the sun, we're-"
Ein Rascheln lies ihn verstummen.
Etwas großes musste in einem der höher gelegenen Gänge herum laufen.
Ängstlich sah er die Treppe vor sich herauf.
Ein riesiger Schatten fiel die Treppe herunter, er drehte sich um und rannte.
Hinter sich konnte er die polternden Schritte seines Verfolgers hören, doch er drehte sich nicht um.
So schnell er konnte rannte er die leeren Gänge entlang, raus aus dem Schloss und über den verschneiten Hof.
Das Tor war bereits wieder geschlossen, draußen lauerten bestimmt noch irgendwo die Wölfe, doch alles war besser, als das, was hinter ihm war.
Mit aller Kraft warf er sich gegen das Tor, doch es öffnete sich nicht.
Immer und immer wieder gab er alles, was er hatte, doch gegen das massive Tor konnte er nichts ausrichten.
Hinter ihm kam das zottige Ding immer Näher.
Ängstlich presste er sich an das Gitter, doch das Biest blieb wenige Meter von ihm entfernt stehen.
,,Hab keine Angst." Brummte es mit tiefer, kehligen Stimme.
,,Tu mir nichts!" Piepste Dado.
,,Hatte ich nicht vor. Komm wieder rein." Antwortete das Biest bekümmert.
,,Ich will zu meinem Vater!" Gab der Blonde als Antwort.
Das Biest seufzte. Dann nickte es.
~
Er hatte gehofft, dass dieser bildhübsche Mann vor ihm, ihn von seinem Fluch befreien konnte.
Hatte gehofft, dass es für ihn doch noch diese eine Chance gab, schließlich waren die 100 Jahre bald vorbei.
Und dieser Mann war der erste seit 10 oder 12 Jahren, der das Schloss überhaupt sehen und betreten konnte.
Doch er hatte sich geirrt.
,,Ich bringe dich morgen zurück zu deinem Dorf. Aber jetzt komm, das Essen steht schon auf dem Tisch."
Zögernd folgte der Junge ihm.
[...]
,,Ich habe ganz vergessen, dich nach deinem Namen zu fragen."
Gemeinsam saßen sie an einer Tafel, die vermutlich für Dados ganzes Dorf groß genug gewesen wär und aßen.
So viel Essen an einem Ort hatte der Bauernsohn noch nie gesehen.
,,Du kannst mich Dado nennen. Und wie heißt du?"
Immer noch beäugte er das Biest ihm gegen über skeptisch, doch es verhielt sich fast ganz normal.
,,Einst hatte ich einen Namen, aber Biester haben keine Namen. Für dich werde ich ohnehin in Erzählungen oder Gedanken "Das Biest" sein."
Stellte das Biest fest.
,,Also bist du gar nicht immer ein Biest gewesen."
Stellte Dado fest.
Das Biest nickte.
,,Also hattest du auch einen Namen."
Stellte Dado erneut fest und abermals nickte das Biest.
,,Einst nannte man mich Lord Zombey, aber ein Biest ist kein Lord..." Brummte es.
,,Gut...reichst du mir noch mal das Brot, Zombey?"
,,Es sind fast hundert Jahre vergangen, seit ich diesen Namen zum letzten mal gehört habe." Sagte Zombey und reichte das Brot.
,,Magst du mir erzählen, was mit dir passiert ist?"
Fragte der blonde.
,,Wenn es dich wirklich interessiert."
Vor etwas weniger als hundert Jahren hatte Lord Zombey über diese Ländereien geherrscht.
Er war weder ein guter, noch ein aufrichtiger Lord gewesen.
Hatte Unschuldige hinrichten lassen, Frauen benutzt und beschmutzt und anschließend verstoßen, Tiere der Bauern, die ihm nicht gehorchten vergiften lassen und noch weitere Taten, die so grausam waren, dass Dado sie sich nicht einmal vorstellen wollte.
Eines Tages hatte er seine Grausamkeiten an einer alten Wanderin vollführen wollen, doch diese war eine Hexe gewesen.
Hundert Jahre hatte sie ihm gegeben um über seine Taten nach zu denken. Hundert Jahre als Biest.
,,Und wie kannst du den Fluch wieder aufheben?"
Wollte Dado wissen.
Das Biest schüttelte stumm den Kopf.
Natürlich wusste es, wie es den Fluch brechen konnte.
Die Antwort saß direkt vor ihm, mit großen grünen Augen und so unfassbar unschuldig, dass das Biest wusste, dass es nicht noch mehr Leben zerstören konnte.
,,Ein Akt der wahren Liebe" hatte es geheißen, doch es konnte nicht auch noch dieser Person die Unschuld nehmen.
,,Und was passiert, wenn du es innerhalb dieser hinter Jahre nicht schaffst, die Lösung zu finden?"
Wieder zuckte das Biest mit den breiten, haarigen Schultern.
Und wieder wusste es die Antwort.
Es würde sterben.
,,Es ist schon spät, du solltest dich schlafen legen. Komm, ich geleite dich in meine Gemächer, dort steht ein Bett."
Der Junge folgte dem Biest durch hohe Gänge, Treppen herauf und schließlich durch eine massive Tür, zu einem großen Bett.
,,Leg dich schlafen, ich weck dich morgen früh."
Brummte das Biest leise.
,,Und wo schläfst du?"
,,Mach dir um mich keine Sorgen."
[...]
,,Ich will aber zurück zu meinem Vater!"
Schrie Dado.
,,Siehst du nicht, dass das nicht möglich ist? Es stürmt noch schlimmer als gestern!"
Brüllte das Biest und raufte sich die Haare.
,,Dann geh ich halt alleine!"
Tief sah der Blonde dem Biest in die eisblauen Augen.
Und das Biest knickte ein.
,,Ich begleite dich. Iss auf, ich mach dir dein Pferd fertig."
Brav aß der Bauernjunge seinen Haferbrei und sah dem Biest nach, wie es verschwand.
Das Biest kam ihn einige Minuten später auch wieder abholen und brachte ihn zu Shadow.
,,Steig auf, ich führ dich."
Brav saß Dado auf und wartete, bis das Biest die Zügel gegriffen hatte, dann ging es los.
Meter für Meter kämpfen sie sich durch den tiefen Schnee.
Bereits nach kurzer Zeit war Dado durch gefroren und wünschte sich, nie aus dem Schloss weggegangen zu sein.
Auch das Biest mit seinem dichten Fell bibberte, von dem Hengst mal abgesehen.
,,Wölfe!" Stellte das Biest alarmiert fest, wenige Sekunden später hörte auch der Blonde das Heulen.
,,Los, schneller!"
Das Biest beschleunigte seine Schritte, doch die Wölfe kamen unaufhaltsam näher.
Plötzlich warf sich etwas auf das Biest.
Es konnte zwar den ersten Wolf mit einem Arm abwehren, doch fast sofort erschien der nächste an seiner Stelle.
Dado schrie.
,,Lauf!" Brüllte das Biest und schlug Shadow auf den Hintern.
Der Hengst rannte los, das letzte was Dado noch sah, war wie das Biest zu Boden ging.
,,Ich halte sie auf, bringt euch in Sicherheit!"
Brüllte es noch. Dado stiegen die Tränen in die Augen.
Er hielt sich am Sattel fest und hoffte, dass Shadow den Weg alleine finden würde.
Und Shadow fand den Weg.
In den Mittagsstunden erreichten sie das Dorf und wurden sofort überglücklich empfangen.
Aber Dado war nicht in der Lage, zu erzählen, was passiert war.
Tage lang konnte er nichts anderes tun, als in seinem Bett liegen und heulen.
Sein Vater hatte es schon aufgegeben, mit ihm reden zu wollen, dementsprechend überrascht war Dado, als sein Vater plötzlich wieder in seiner Tür stand.
,,Komm." Sagte der Bauer.
,,Da draußen wartet jemand auf dich."
Der blonde seufzte. Das Leben musste weiter gehen.
Er hatte das Biest geliebt. So sehr man eben ein Biest lieben konnte, dass man nicht länger als einen Tag gekannt hatte.
Schweigend folgte er seinem Vater die Treppe runter, raus auf den Hof.
Dort stand ein junger Mann. Gekrümmt, als ob er verletzt wäre, in altmodischer Kleidung.
Seine Haare hatten den selben Farbton wie das Fell des Biestes... gehabt hatte.
Langsam ging er auf den Fremden zu.
Sah ihm tief in die eisblauen Augen, die ihn gespannt musterten.
Und ab da gab es kein halten mehr für Dado.
Er rannte los und warf sich dem Mann in die Arme. Dieser stöhnte zwar vor Schmerzen auf, klammerte sich aber an den Blonden, als hätte er Angst, ihn zu verlieren, wenn er seinen Griff nur ein wenig lockern würde.
Dado vergrub sein Gesicht an dem Hals des anderen.
,,Zombey"
Flüsterte er überglücklich und wusste, dass von nun an alles gut werden würde.
Für lonavy
Und wo wir schon mal dabei sind, obwohl es nichts hiermit zu tun hat....
Ebenfalls für lonavy
An der Schrift kann man durchaus was ändern, da bin ich mir noch immer sehr unsicher. Das Bild ist überwiegend mit lightX gemacht, die Zeichnungen sind bis auf Zombey (dazu find ich keine Künstlerin) von Retrogirl, das Wappen ist random aus dem Internet und schwarz gefärbt.
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