Im Spiegelreich

CN: Tod, eingesperrt sein

Ich stehe ich einer riesigen Halle - zumindest denke ich, dass es eine Halle ist. Ich kann nämlich zu keiner Seite eine Wand sehen und trotzdem ist alles in ein dunkles Dämmerlicht getaucht, beinahe schwarz.
Ich habe keine Ahnung, wie ich hier her gekommen bin.

Alles ist still.

Vorsichtig gehe ich in kleinen Schritten nach vorne, denn irgendetwas zieht mich weiter und weiter. Mit einer ungeahnten Gewissheit wird mir bewusst, dass ich jetzt exakt in der Mitte des runden Raumes stehe.

Wie von selbst hockt sich mein Körper hin und für einen Augenblick sehe ich mir selbst von außen und aus der Luft zu.
Dann bin ich wieder in meinem Körper und spüre die glatte Kälte unter meinen Fingern.

Ich blicke auf den Boden und sehe mir in die Augen, durch den Spiegel hindurch, der zu meinen Füßen liegt. Doch meine Augen sind nichts als Schwärze, zwei klaffende Höhlen in meinem Schädel.

Komm, komm nur, trau dich. Hier unten ist es wunderschön, vertrau mir und begleite mich! Ergreife meine Hand...

Die Stimme fühlt sich an wie ein Summen in meinem Kopf und wie in Trance versetzt strecke ich meine Hand wieder nach meinem Spiegelbild aus, mache nur diesmal keinen Halt an der glasigen Barriere. Stattdessen schiebe ich die Finger weiter durch die ölig-zähe Kälte, bis ich auf die leichenblassen meiner Spiegelung stoße.

Unsere Finger verschränken sich fest ineinander.

Komm mit mir! In mein Reich.

Dröhnt es in meinem Kopf.

Langsam werde ich in den Spiegel hineingezogen.
Die Welt um mich herum scheint zu kippen. Orientierungslos, wohin mich die Schwerkraft ziehen sollte, schwebe ich durch die Scheibe hinab nach oben.
Gelächter erfüllt mein Gehirn, ein leises summendes Kichern.

In die Ewigkeit, hinab, hinauf, hinein, herunter, hier gibt es kein Entkommen...

Die merkwürdige Stimme verfällt in einen Singsang, welcher mir einen Schauer nach dem anderen über den Rücken jagt.

In die Ewigkeit, Unendlichkeit, in die Gleichheit, die Eintönigkeit, komm zu mir, bleibe bei mir, lass mich dich besitzen...

Das Summen der Stime wird unangenehmer, nervenaufreibender. In meinen Gedanken fühlt es sich fast so an, als würde Metall auf Glas kratzen.

Die steife kühle Hand zieht mich weiter und weiter, bis ich ganz in der Spiegelwelt bin.
Dann löst sie sich in dünne Rauchschwaden auf.

Für immer... im Spiegel gefangen... in mir gefangen...

Hallen die Worte in meinem Kopf.

Tiefer, tiefer, komm tiefer hinein!

Fordert die Stimme mich auf, doch es kommt einem Befehl gleich.

Ich falle - oder schwebe ich? - immer tiefer. Mein Körper scheint nicht mehr mir, sondern nur noch der merkwürdigen Existenz zu gehorchen, die langsam Besitz von mir ergreift.

Zu allen Seiten sind Spiegel, doch alles was ich darin sehe, sind mehr und mehr Spiegel.
Sie klappen und drehen sich, alles um mich herum verhält wie ein riesiges farbloses Kaleidoskop. Alles verändert sich. Mir wird schwindelig und es ist, als würde ich in alle Richtungen gesogen.

Doch ich falle immer weiter, durch die Spiegel hindurch. Hinter jedem ändert sich meine Umgebung, wird noch vertrakter. Ich kann die Formen, die die Spiegel annehmen nicht mehr benennen, es sind keine zweidimensionalen Viekecke mehr, sondern immer kompliziertere Körper, bis ich mich in einer Art Spiegelkabinett aus vierdimensionalen Gebilden befinde.
Ich schwebe weiter durch den Raum, bis ich auf einer Seite, ich weiß längst nicht mehr welche, auf eine Scheibe pralle.

Ich sinke zu Boden - plötzlich ist dort auch ein Boden.
Es ist ein Spiegel unter mir, einer vor mir, über, hinter und zwei neben mir, so dicht, dass ich mich nicht einmal um mich selbst drehen kann.
Von allen Seiten drücken auf mich ein, immer stärker und immer enger.

Ich habe keinen Körper mehr, kein Herz, was in meiner Brust schlagen könnte, doch dennoch kriecht eine überwältigende Angst in mir hoch.

Ich hämmere mit unsichtbaren Fäusten gegen den Spiegel, unaufhörlich, verfalle nach Stunden, vielleicht sind es auch Tage oder Jahre, mein Zeitgefühl habe ich längst verloren, in einen Takt und langsam kehrt sich meine Angst in Gier, das Hämmern wird langsamer, sicherer, wütender, fordernder.

Ich nehme langsam wieder einen Körper an, während vor mir mein Ebenbild erscheint. Beziehungsweise die Person, dessen Ebenbild ich bin.
Ich strecke meine Hand langsam aus, bis ich mit den Fingerkuppen auf das Glas treffe.

Komm, komm nur, meine Liebe. Hab keine Angst, hier unten ist es wunderschön, vertrau mir und begleite mich! Du brauchst nur meine Hand zu fassen...

Flüstere ich dem Mädchen ein. Sie starrt mich beinahe willenlos aus strahlend blauen Augen an. Deren blau bald schon verblassen wird, wie es alles hier tut.

Ich brauche sie. Ich will ihre Seele.
Sie soll gefangen sein, in der Spiegelwelt, auf alle Ewigkeiten, genau wie ich, in mir.

Sie streckt den Arm zu mir, durchbricht für einen Moment die Barriere, dann Streifen ihre grässlich warmen weichen Finger meine leblosen.
Ich greife sie und ziehe sie tiefer in mein Reich.

Ich brauche sie nicht nur, ich will sie auch.

Meine Seele will es.

Die toten Seelen in der Spiegelwelt hungern nach frischen Seelen, von denen sie Besitz ergreifen können.
Ich hungere nach ihr.

Jede Nacht besteht wieder die Chance, eine Seele aus dem schlafenden Körper zu ziehen. Wenn sie in der Traumwelt nah genug an der Spiegelwelt ist.
Was zurückbleibt, ist eine leere Hülle, mit nichts als Schwärze in sich, verdammt, zu sterben und zu zerfallen, während die Seele eingeschlossen bleibt, in der Ewigkeit.

Komm mit mir! In mein Reich.
Und bleibe bei mir, lass mich dich übernehmen! Dich beherrschen... besitzen...

Säusle ich mit einem gefährlichen Unterton.

Ich brauche dich...
In meinem Reich...

Im Spiegelreich

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