Die ewige Suche

CN: Tod, Verlust von geliebter Person
(Ja, ich nehme die Content Notes ziemlich ernst, lieber eine zu viel als zu wenig.)

Wind peitschte um ihren Kopf, fuhr eiskalt unter die eng angezogene Fellkaputze und schoss ihr Abertausende winzige Eiskristalle entgegen, die unaufhörlich auf ihr Gesicht einstachen wie feine Nadeln.

Ihre Füße und Hände waren trotz Stiefeln und Handschuhen lange schon taub, schmerzten nicht einmal mehr. Es war mühsam bis schier unmöglich, weiter voranzukommen, doch irgendwie kämpfte sie sich trotzdem den Hang hinauf.

Mit jedem Schritt sank sie bis zu den Knien ein, manchmal traf sie so unglücklich auf einen Stein, dass sie beinahe umknickte und stolperte - was sie um jeden Preis vermeiden musste.

Zwischen den Wipfeln und Klüften heulte der Wind, als wollte er ihr etwas mitteilen.
Vielleicht ein Warnruf, bloß fernzubleiben. Vielleicht aber auch Hohn, Gelächter über ihre Dummheit, tiefer in den Sturm hineinzugehen.
Doch sie musste weiter, sie hatte keine andere Wahl.
Und wenn es ihr das Leben kosten würde.

Die Spuren waren kaum noch zu erkennen, in wenigen Minuten würden die letzten flachen Mulden komplett zugeschneit und er für immer verloren sein.

Warum, warum musste es einen Schneesturm geben?
Ausgerechnet jetzt?

Der Wetterdienst hatte ihn nicht kommen sehen.
Und nun steckte sie mittendrin, komplett alleine.
Sie wollten doch nur friedlich wandern, einmal den Berg hinauf und wieder zurück.
Und dann war der Sturm aufgezogen, sie war gestolpert und hatte in verloren.

Mit jedem Schritt wurde der Rest Hoffnung kleiner und der Schmerz größer.
Was, wenn sie ihn niemals finden würde?
Vielleicht war er längst erfroren.

Doch Aufgeben kam nicht infrage. Immer tiefer stapfte sie in das Unwetter hinein.
In der Ferne grollte es.
Ein Gewitter? Oder... Sie wagte kaum, den Gedanken zu Ende zu führen. Eine Lawine?

Obwohl die Kälte mittlerweile weiter an ihr hochgekrochen war, sich nun schon in die Knochen zog und Arme sowie Beine als schmerzende Eissäulen zurückließ, konnte und wollte sie nicht aufgeben.

Ihre Gesichtshaut prickelte nicht einmal mehr, wenn die Schneeflocken auf sie einstachen, nur ihre Augen brannten noch.
Die Finger konnte sie kaum noch bewegen und langsam fühlten sie sich an, wie von einer Wachsfigur. Oder einer Leiche.

Sie konnte schon lange nicht mehr weiter als wenige Zentimeter sehen, doch nun war auch diese kümmerliche Sicht zu sehr verschwommen, als dass sie noch irgendetwas hätte erkennen können.
Die Fußspuren waren sowieso unter einem weichen Polster bedeckt und so irrte sie blindlings durch den Schneesturm.

Vielleicht auf eine Hütte zu, es sollte in der Gegend eine geben, schließlich hatten sie geplant, die nächste Nacht darin zu verbringen.
Vielleicht auch auf ihren Partner zu. Hatten manche Menschen nicht einen Insinkt, mit dem sie sich blind wiederfinden konnten?

Doch vielleicht lief sie auch nur in die Leere, geradewegs in den Erfrierungstod hinein.

Mit der Zeit gewöhnte sie sich an die Kälte, ja, ihr wurde sogar wieder richtig warm.
Hatte sie vorhin noch Schmerzen gespürt?
Jetzt war sie kurz davor, ihre Jacke auszuziehen. Nur ein kleines Fünkchen Verstand, dass es vielleicht nicht schlau wäre, hielt sie davon ab.

Also irrte sie weiter durch das endlose Getöse.

Ihre Schritte wurden mit zunehmder Erschöpfung immer langsamer, bis sie sich schließlich niederließ, um kurz zu verschnaufen.

Nur eine kurze Pause.

Sie schloss die Augen, um sie kurz vor dem Schnee zu schützen. Sehen konnte sie ja sowieso kaum etwas.

Ihre Glieder wurden schwerer und schwerer, sie wurde müder und müder, bis sie schlussendlich wegdämmerte.
Sie fiel in einen traumlosen Schlaf, aus dem sie nie mehr aufwachen würde.

Sie würde ihren Partner nie wieder treffen und sie würde nie erfahren, dass er es bis zur Hütte geschafft und überlebt hatte.

Und dass sie, wäre sie umgekehrt, mühelos die Bleibe der vorherigen Nacht hätte erreichen können, um nach dem Sturm wieder glücklich vereint Arm in Arm zu liegen mit ihrem Partner, würde sie auch nur erfahren.

Doch er tat es.
Und er musste fortan leben, mit dem Wissen, dass seine Verlobte auf der Suche nach ihm starb.

Legenden besagen, dass der Geist der Verstorbenen bis heute durch die Berge wandert, auf der Suche nach dem Mann, den sie niemals wieder sehen wird.
Sie hat ein Ziel, doch es ist unerreichbar.
Es ist eine Wanderung, derer Antrieb einzig und allein Hoffnung ist, doch diese Hoffnung ist zwecklos.
Nur wird sie das nie erfahren, sie wird unerlöst bleiben von der Sinnlosigkeit des Unterfangens.

Sie wird weiterhin bleiben, auf der ewigen Suche.

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