Das Monster an meinem Bett

CN: Tod, Blut, Angst, Schlafstörung

Ich starre in die mich umgebende völlige Dunkelheit. Langsam verhallen die Schritte im Flur und mit ihnen das letzte Bisschen Gefühl von Sicherheit.
Ich bin alleine.
Ich bleibe regungslos liegen, wie jeden Abend in der Hoffnung, bald einzuschlafen und der Realität des düsteren Raumes zu entfliehen.
Doch wie so oft ist es vergebens.

Als ich gerade beinahe wegdämmere, lässt mich ein Geräusch hochschrecken.
Es scharrt unter meinem Bett, als würden Krallen über das Parkett gezogen.
Ich bleibe mit vor Angst geweiteten Augen liegen. Inzwischen kann ich schemenhaft meine Möbel erkennen, die mich allesamt anzustarren scheinen.

Wieder kratzt es unter meinem Bett, doch jetzt weiter rechts. Ich höre, wie es sich bewegt und näher zur Kante des Bettrahmens rückt.
Ich würde am liebsten schreien, doch mein Mund ist staubtrocken und bringt keinen Ton hervor. Und mir würde sowieso niemand glauben.

Wie in Zeitlupe tastet sich eine klauenbesetzte Pranke am Bettgestell hoch, bis sie denn oberen Rand findet und sich langsam darum schließt.
Die spitzen Krallen bohren Löcher in meine Matratze und endlich finde ich meine Stimme wieder.

Ein gellender Schrei schießt aus meiner Kehle. Sofort sind Schritte zu hören, die Tür fliegt auf und mein Vater stürmt herein.
Das Flurlicht erfüllt den Raum in einem warmen Weiß.

"Da- Da ist ein Monster! Unter meinem Bett!", bringe ich hysterisch hervor.
Seufzend geht mein Vater in die Knie und schaut unter das Bett.
"Da ist nichts, außer ein bisschen Staub, Lucy", sagt er. "Du wirst schon zwölf, du bist schon ein großes Mädchen. Monster existieren nur in Geschichten."

"Aber ich habe es doch gesehen." Jetzt klinge ich noch aufgelöster, als zuvor.
"Das war ein Traum. Schlaf gut, meine Große", sagt er und geht wieder.
Aber ich sehe die Löcher im Bettbezug. Und beim Schlafengehen waren sie definitiv noch nicht da.

Die folgenden Nächte sind eine Qual, ständig habe ich Alpträume, in denen ich von dem Monster zerfetzt werde.
Doch sobald ich aufwache, ist der Horror nicht vorbei.
Fast jede Nacht sitzt es inzwischen neben meinem Bett.

Jedes Mal ein wenig näher. Erst vor dem Fenster, dann auf meinem Schreibtischstuhl, neben meinem Bett und schließlich sogar an dem Fußende der Matratze.
Sobald ich meine Augen aufschlage, sehe ich es. Zwar nur seinen schwarzen Rücken und kauernde Gestalt, aber doch klar und deutlich.

Und jedes Mal ist es dasselbe: Ich habe das Gefühl zu ersticken, kann mich nicht bewegen, als wäre ich gelähmt und bekomme keinen Laut von den Lippen. Es ist, als würde eine unsichtbare Kraft auf meinen Brustkorb drücken und mir die Luft abschnüren.

Nach einer Woche halte ich es nicht mehr aus und weigere ich, in meinem Zimmer zu schlafen. Trotzdem schlafe ich in keiner Nacht mehr als 4 Stunden, klappe dafür aber regelmäßig zusammen.

Schließlich schleppen mich meine Eltern zu einem Arzt. Psychiater, um genau zu sein, wegen Schlafstörungen.
Nach einem ausführlichen Gespräch und einem mehrseiten Anamnesebogen stellt er einen Verdacht auf Schlafparalysen und eine Angststörung.
Meine Eltern sind erleichtert und sehen voller Hoffnung auf die nächsten Termine.
Aber ich weiß es besser.

Ich sehe das Monster nicht, wenn ich bei meinen Eltern schlafe, aber die Alpträume bleiben. Und übermorgen soll ich wieder in das Zimmer, welches einmal meines war.

Ich weiß, dass ich diese Nacht nicht überleben werde, aber jeder denkt, ich würde nur halluzinieren.
Also sage ich nichts und lebe schlucke meine Angst stumm herunter.

In dieser Nacht habe ich einen der schlimmsten Alpträume seit langem, und dabei werde ich seit Monaten täglich von ihnen heimgesucht.

Wieder liege ich reglos in meinem Bett. Ich sehe den Schemen mit seinen knochigen Gliedmaßen und langen Klauen vor mir. Es bewegt sich langsam vom Fußende des Bettes auf mich zu.
Die Matratze wölbt sich unter seinem Gewicht.

Ich will meine Beine anziehen, doch ich bin wie gelähmt. Ich bin ihm hilflos ausgeliefert.

Es hockt über mir und starrt mich über eine elend lange Zeit hinweg aus den dunklen Löchern in seinem Schädel an.
Dann plötzlich gräbt es seine Krallen durch die Decke in meine Brust.
Ein unglaublicher Schmerz durchzuckt mich, als sie meine Lunge und dann die Herzwand durchdringen.

Ich schrecke aus dem Schlaf und möchte am liebsten schreien, doch meine Kehle ist ausgetrocknet. Neben mir sitzt die dunkle Gestalt und beobachtete mich, als sollte etwas passieren.

Ein warmes, nasses Gefühl breitet sich auf meinem Oberkörper aus, doch ich kann meinen Blick nicht von dem Wesen abwenden.
Irgendwann brauche ich das aber auch gar nicht, denn die rote Lache wächst so sehr an, dass sie mein gesamtes Bett ausfüllt.

Wieder wache ich auf.
Diesmal liege ich im Bett meiner Eltern, die zu beiden Seiten von mir schlafen. Ich bin sicher.
Aber dann sehe ich den Schatten, der sich auf mich zu bewegt.
Ich möchte meine Eltern wecken, doch sie schlafen tief und fest.
Zu fest.
Dann sehe ich das Blut.
Panik erfüllt mich, als ich merke, dass das gesamte Doppelbett rot gefärbt ist.

Ich wache auf und setze mich auch sofort auf. Die Matratze unter mir ist trocken und meine Eltern atmen beide. Und es ist nichts zu sehen. Trotzdem bleibt das Gefühl, dass das Wesen sich jeden Moment auf mich stürzen könnte.
Aber noch wird es das nicht tun, noch genießt es meine Angst, wie bei einem perversen Spiel.

In achtzehn Stunden muss ich zurück in das andere Bett... Achtzehn Stunden bleiben mir noch. Dann wird alles aufhören.
Davor habe ich wenig Angst. Der Tod ist mir egal. Aber das, was unmittelbar davor passiert, macht mir sehr wohl Angst...
Nur noch etwas mehr als siebzehn Stunden trennen mich von diesem Moment.

Siebzehn Stunden, in denen ich mich fühle, wie ein Tier, was zur Schlachtbank geführt wird.
Ein letztes Mal sehe ich am Morgen die Sonnenstrahlen, die an den Rändern der Gardine vorbei scheinen. Ein letztes Mal schleppe ich mich in die Schule und höre dem sinnlosen Gerede über die Romanisierung und Ableitungsfunktionen zu. Ein letztes Mal kaufe ich mir ein trockenes Brötchen in der Mensa. Ein letztes Mal sage ich meinen Freunden Tschüss und schwinge mich auf mein Rad. Ein letztes Mal esse ich mit meinen Eltern matschige Farfalle zu Abend und ein letztes Mal putze ich mir danach meine Zähne.

Dann geht das Licht aus.
Eins.
Zwei.
Drei.
Ich zähle mit, wie oft die Uhr an meiner Wand tickt.

Irgendwann gewöhnen meine Augen sich an das Dämmerlicht.
Siebenundneunzig.
Achtundneunzig.
Neunundneunzig.
Hundert.

Gleich ist es soweit. Ich spüre es.
Zweihundertdreiundsechzig.

Zweihundertfünfundachzig.
Zweihundertsechsundachzig.
Zweihundertsiebenundsechzig.
Mir bleiben nur noch einige wenige Sekunden.
Ich hätte mein Leben besser nutzen sollen.
Aber wenn mir meine nur Eltern glauben würden, hätte ich noch bestimmt siebzig Jahre mehr...
Ich habe keinen Abschiedsbrief geschrieben, aber jetzt werde ich es auch nicht mehr tun.
Zweihundertzweiundsiebzig.

Es kratzt unter meinem Bett.
Dann schiebt sich wieder die Pranke hoch, bis an den Rand der Matratze.
Gleich ist es vorbei.
Gleich hat alles ein Ende.
Keine Alpträume mehr.
Nie wieder.

Das Monster klettert auf mein Bett, beugt sich über mich und vergräbt dann seine sechzehn Klauen in meinem Brustkorb.

Ein grausam stechender Schmerz zieht sich durch meinen gesamten Körper und raubt mir meine Stimme.
Dann fühle ich das Blut fließen.
Der Schmerz verblasst und alles verschwimmt, nur noch undeutlich erkenne ich die scheinbar über mir schwebende gierig verzerrte Fratze.

Meine Eltern werden damit leben müssen, sich nicht nur nie von mir verabschiedet zu haben, sondern gleichzeitig Mitschuld an meinem Tod getragen zu haben.
Es hätte nicht so kommen müssen.

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