Verlassenes Haus°Kürbistumor

Ein Junge lief schnellen Schrittes durch das Herrenhaus. Seine Braunen Haare waren zu einem Zopf gebunden. Über seinem karierten Hemd trug er eine bräunliche Weste. "Manuel!", schallte die Stimme seiner Amme durch die Räume. "Manuel, wo steckst du?" Seine grünen Augen funkelten schelmisch, als er sich mit einem schnellen Blick über die Schulter vergewisserte, dass er noch nicht entdeckt worden war, dann schlüpfte er zwischen zwei Mahagonischränken hindurch, die vollgefüllt mir Büchern waren. Sein liebstes Versteck. "Manuel,", sie klang nun empörter, "wir können nicht zu spät auf die Verlobungsfeier deines Bruders kommen." Doch er kicherte nur und zog sich weiter in die Nische zwischen Wand und Holz zurück.

Fasziniert sah Patrick die große Mansion an. Sie war, trotz des Verfalls, wunderschön. Viele kleine Spitzdächer türmten sich zu einem großen Berg auf. Unter dem Vordach befand sich eine großläufige Veranda, die von einem ehemals weißen Zaun umrahmt war. Die Farbe blätterte an allen Stellen ab, doch man konnte noch gut erkennen, dass die Villa einmal hellorange gewesen war. Beinahe geistesabwesend hob er seine Kamera und fotografierte das Gebäude. Er drehte sich zu seinem Auto, kontrollierte, ob es wirklich abgeschlossen war und lief, erst zögerlich, dann immer sicherer, durch den riesigen Garten. Die Natur hatte sich ihren Weg gesucht, das Grundstück zurückzuerobern. Das Gras ging ihm bis zur Mitte des Oberschenkels, die Beete waren von Unkraut bewachsen. An der Hauswand rankte sich Efeu entlang, Blumen und Wurzelenden sprenkelten den ehemals so gepflegten Weg.

Manuel war etwas älter geworden. Mittlerweile konnte er lesen und schreiben, was die eigene Bibliothek der Thurgoods für ihn nur noch faszinierender machte. Er saß auf der breiten Fensterbank, in ein Buch vertieft. Vereinzelte Strähnen hatten sich aus seiner Frisur gelöst, die er immer noch gleich trug, wie vor einem Jahrzehnt, und fielen ihm ins Gesicht, immer wieder strich er sie hinter sein Ohr, doch sie wollten ihm nicht gehorchen. Magareth, die Hausherrin, betrat den Raum. Sie ging auf ihren Sohn zu, doch dieser nahm keine Notiz von ihr, zu vertieft war er in die Geschichte. Sie räusperte sich und strich die Falten ihres hellblauen Kleides glatt. "Hier steckst du, Manuel." Nun sah er endlich auf. "Du musst packen, das tut die Kleidung nicht von selbst." "Warum verreisen wir?" "Etwas frische Landluft schadet nie, oder?" Er runzelte die Stirn. Seine Mutter verabscheute das Landleben. Immer, wenn das Gespräch auf ihre Kindheit, ihre Mutter oder eine ihrer Schwestern fiel, breitete sich eine tiefe Furche auf ihrer sonst so makellosen Stirn aus und sie gab alles, um das Thema so schnell wie nur möglich wieder zu wechseln. "Warum kommen Vater, Stephan und Sebastian nicht mit? Warum darf ich nicht bei ihnen bleiben?" "Jemand muss das Haus hüten. Ich beantworte dir deine Fragen in der Kutsche, nun eil dich."

Der junge Fotograf schob vorsichtig die Eingangstür auf. Es roch vermodert. Nach feuchtem Schimmel, Staub und Holz. Einen Moment schloss er die Augen und sog den Geruch ein. Jedes mal war er ein wenig anders und doch so vertraut. Das Haus war gut erhalten geblieben, gerade für das, was es hatte durchmachen müssen. Er strich über den Sockel einer kleinen Skulptur, einem Fabelwesen, welches mit dem Wasser spielte, und hinterließ eine Spur aus schwarz darauf. Der Staub haftete dick und grau an seinem Finger, einen Moment betrachtete er ihn, dann blies er ihn hinunter und ging in die Knie, um ein Bild von der Messingstaue zu machen. Von der Eingangshalle gingen drei Türen ab, links, rechts und geradeaus. Nach kurzem Zögern, öffnete er die linke als erstes und Trat in ein Esszimmer. Der tisch war groß und kunstvoll aus dunklem Holz gefertigt. Zwölf gepolsterte Stühle standen darum herum, ein großer Kronleuchter hing von der Decke. Eine Kerze war herab gefallen und lag nun auf den dunkeln Dielen, ebenso wie die dunkelroten Vorhänge. Erneut fotografierte er, lief durch den Raum und inspizierte alles genaustens.

Trotzig starrte Manuel seine Amme an. "Ich möchte hier bleiben." "Das geht nicht, Sir. Auf dem Land wird es Ihnen bestimmt gefallen, sie haben dort viele Tiere, einige davon sind noch ganz jung. Sie werden es mögen, ich bin mir sicher." "Warum darf ich nicht bleiben?" Sie seufzte, schüttelte den Kopf und machte sich wieder daran, seine Kleidung in den hölzernen Koffer zu packen. "Miss Briar, wie weit sind Sie?" "Geben Sie uns noch einen Moment." Die Amme warf Manuel einen bösen Blick zu. "Ihre Mutter wird nicht erfreut sein." Doch der Junge zuckte nur mit den Schultern. Wenn sein Vater nicht mitkäme, hätte er nichts zu fürchten.
Briar trug sein Gepäck die Treppe hinab, Manuel schlenderte ihr hinterher. Er traute dem Ganzen nicht. Wenn seine Mutter freiwillig ihre Familie besuchte, musste etwas faul sein. Auf dem Plato schlug er den rechten Weg ein, anstatt dass er, wie Briar, den Kürzeren ging. Diese blieb stehen und blickte ihn verärgert an. "Sir, wir müssen uns sputen. Man wartet auf uns." "Ich benötige etwas zu lesen, geh ruhig schon."
Als sie außer Sicht war, begann er schneller zu laufen, schlug die Tür zur Bibliothek hinter sich zu und stieß das Fenster auf. Er griff sich einen Stapel Bücher und huschte in sein geheimes Versteck hinter dem Regal. Durch die Hektik stieß er es ein wenig an und es bewegte sich ein kleines Stück, doch es würde niemandem auffallen, da war er sich sicher. Er hatte Glück, dass er so schmal gebaut war, sonst hätte er nicht mehr durch die Lücke gepasst. Hinter dem Schrank war genügend Platz, um gemütlich sitzen zu können, wenn auch mit angezogenen Beinen. Von oben fiel genügend schummriges Licht hinein, um die Wörter entziffern zu können. Jetzt hieß es abwarten, bis sie die Suche nach draußen verlagern würden. 

Der Fotograf hatte die Beiden anderen Räume ausreichend erkundet und war nun drauf und dran, in den zur Rechten des Eingangs vorzustoßen. Er legte seine Finger auf die Klinke, eine hübsche Goldene mit Löwenkopf, die von einigen dunklen Sprenkeln überzogen war, und drückte sie runter. Sein Blick schweifte durch den Raum. Er war, bis jetzt, der am schlechtesten erhaltende. Gänsehaut rann ihm über den gesamten Körper. Die Wände waren holzvertäfelt, davor standen einige geschwungene Schränke, vollgefüllt mit Büchern. Die Glasscheiben davor waren oft zersplittert, große Teile des Bodens mit Scherben bedeckt. Auf der einen Seite war ein großes Loch in der Decke, durch welches man das Skelett des Hauses sehen konnte. Kleine Schuttstücke lagen darunter, einige Bücher aufgeschlagen oder mit ihrem Inneren nach unten auf dem roten Teppich. Ein großes Fenster stand offen, die Vorhänge hingen schräg. Neben ihm, bei der Tür, war ein Schrank nach hinten gekippt. Holzsplitter lagen überall darum verteilt unter der Kante lugte ein Stück Stoff hervor. Vorsichtig ging er näher heran, bückte sich und pustete den Staub von dem Fetzen herunter. Hustend winkte er die entstandene Wolke weg und beugte sich über sein Fundstück. Es war dunkelblau, durch die Zeit etwas ausgeblichen, doch immer noch gut erkenntlich. Der Stoff war weich, aber nicht zu dünn, der braunhaarige Fotograf vermutete eine Jacke oder ähnliches.

"Manuel!" Die aufgebrachte Stimme Magareths schallte durch das Haus, dann flog die Tür zur Bibliothek auf. "Manuel, wir warten!" "Wo steckt der Junge denn schon wieder?" Das war Amelia, seine Schwester. Sie war die Einzige der Familie, die ebenfalls auf den Ausflug mitkommen sollte, abgesehen von Briar und Dorthy, der Bediensteten ihrer Mutter. Einen Moment überlegte er, aus seinem Versteck zu kommen, entschied sich jedoch, kaum dass ihm der Gedanke gekommen war, dagegen. "Manuel!", brüllte nun auch sein Vater, erschreckend laut und erstreckend nah bei ihm. Doch er schaffte es, abgesehen von einem kurzen Zusammenzucken, ruhig zu bleiben. "Wie sind wir nur zu solch einem verzogenen Bengel gekommen, wo all unsere anderen Kinder doch so vorzeigbar sind?" Seine Faust donnerte gegen das Holz des Schrankes, dieser kippte leicht nach hinten, kam jedoch wieder in seine Ausgangsposition zurück. Der Sohn kniff die Augen zusammen. Staub rieselte auf ihn hinab, er musste sich zusammenreißen, nicht zu niesen. "Manuel! Wo steckst du? Komm raus oder es wird böse Konsequenzen haben!" Einen Moment lauschte Mortimer Thurgood nach einer Antwort, dann schlug er erneut auf den Schrank ein, diesmal noch stärker. Manuel hielt den Atem an. Er spürte die Vibration des Holzes, wie es in seine Richtung kippte. Dann wurde es schwarz. Ein erschrockener Schrei verließ seinen Mund, dann war es still.

"Verdammt", zischte der Braunhaarige und strich über den Stoff. "Bei Gott, bitte lass es nicht das sein, was ich denke." Er merkte, wie seine Atmung schneller ging, sein Herzschlag beschleunigte. Auf einmal lag der Geruch von Verwesung in der Luft, oder bildete er sich das nur ein. Ein bitteres Lachen erklang. Er fuhr herum. Es war soweit, er wurde verrückt. "Es ist genau das, was du denkst." Vor ihm tauchte eine schwammige Gestalt auf, die Umrisse eines jungen Mannes, um die achtzehn Jahre alt, vielleicht jünger. Er trug einen dunkelblauen Anorak, darunter ein weißes Hemd. Der Fotograf sah von dem Mann zu dem Stoff am Boden. Seine Kleidung hatte die selbe Farbe, nur etwas kräftiger.
"Was bist du? Werde ich wahnsinnig?" Er fasste sich an den Kopf, blinzelte, kniff sich schließlich in den Arm. Doch nichts half, die Gestalt blieb weiterhin dort vor ihm, lediglich ihr Blick wurde immer spöttischer. "Was ich bin? Nun, ich denke man würde mich als Geist bezeichnen. Ein Phantom ohne wissenschaftliche Erklärung, eine Seele ohne Körper, ein Toter ohne Ruhe." Er seufzte und strich sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht. "Warum existierst du? Was ist passiert? Du bist nicht echt, oder?" Der Mann kroch etwas zurück, stieß jedoch gegen die Kante des Schrankes. "Warum ich in meiner Form bin, weiß ich selbst nicht genau. Ob ich echt bin, hängt von deiner Definition der Realität ab, schätze ich." "Wer bist du?" "Manuel. Manuel Thurgood." Der Geist hob das Kinn, als müsste sein Name dem Fotografen etwas sagen, doch dieser runzelte nur die Stirn. Als keine weitere Reaktion kam, rollte der Junge die Augen. "Natürlich. Bildung im Gesellschaftlichen hat stark nachgelassen, wenn auch die Wissenschaft interessante Ergebnisse hervorbrachte. Nun denn, was tust du hier?" "Ich mache Fotos. Für meine Website und Instagram." Der Geist nickte wissend, auch wenn der Braunhaarige sich sicher war, dass er keine Ahnung von seinen Worten hatte. "Ich vermute, du möchtest einen Artikel über unsere Familie schreiben, wenn du möchtest, kann ich dir Informationen geben." Der Mann schmunzelte. Eigentlich hatte er nicht vor, sich weiterhin mit der Gesichte des Anwesens zu beschäftigen, doch die Möglichkeit würde sich ihm mit Sicherheit kein zweites Mal bieten, also stimmte er nickend zu. "Sehr gerne." 




Ich hoffe, es sind nicht zu viele Fehler drin, meine Aufmerksamkeit reicht nicht mehr, um es korrekturzulesen. Gute Nacht oder (hoffentlich) guten Morgen/Tag

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