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Außer Tims Stimme und der Musik war nichts in meiner dunklen Wohnung zu hören. Ich mochte seine Songs, sie beruhigten mich. Dass es vermutlich nur an seiner Stimme oder einfach an ihm lag, wusste ich zwar, aber das würde ich nicht zugeben. Die wundervolle Stimmung wurde durch das Türklingeln unterbrochen. Seufzend stellte ich mein Weinglas weg und stand auf. Als ich an der Küche vorbeikam, sah ich kurz auf die Uhr. Verwundert trat ich durch den Flur zur Eingangstür, wer besuchte mich nachts um halb drei?
Die Frage erübrigte sich, noch bevor ich die Tür öffnen konnte, durch ein lautes "Strebol!" und energisches Klopfen.
Ich drückte die Klinke herunter.
"Max, was gibt's?"
"Du musst mir helfen", murmelte er abwesend und ging an mir vorbei in die Küche. Dort setzte er sich an den Tisch. Verwirrt schloss ich die Tür uns folgte ihm. "Bier?" Er schüttelte den Kopf. Ehrlich überrascht zog ich eine Augenbraue hoch. "Was denn, ehrlich?", vergewisserte ich mich und Maximilian kratzte nervös an seinen Knöcheln herum.
"Luca. Ich hab Angst." Stille in der Küche, aus dem Wohnzimmer leise Tims Gesang, Max gab keinen Kommentar dazu ab. Ich setzte mich zu ihm und versuchte vergebens, Augenkontakt aufzubauen. "Wie viel hast du dir denn eingeworfen?", stellte ich meine Standardfrage. Es war nicht ungewöhnlich, dass Max zu einer unmenschlichen Uhrzeit bei mir antanzte und seinen Rausch voll auslebte. Beschädigte Dinge und Körperteile mit inbegriffen. Aber so wie jetzt hatte ich ihn selten erlebt. Er wirkte nicht nervös, nicht einmal ängstlich, obwohl er das ja gesagt hatte. Sein Verhalten wirkte nur unfassbar unsicher. Max war unsicher. Und das war mehr als ungewöhnlich.
"Ich..bin sozusagen nüchtern...naja fast. Bis auf ein, zwei kurze Lines war heute nichts..", murmelte er.
Nun begann ich, mir ernsthaft Sorgen zu machen. Aber ich durfte nicht zu weit gehen, sonst würde er dicht machen, das wusste ich.
"Du sagtest, du bräuchtest Hilfe?", begann ich ein Gespräch. Plötzlich atmete er anders, stoßweise. "Sicher, dass du nüchtern..", begann ich, doch er unterbrach mich. "Wie merkt man, ob man hetero ist oder eben..naja, nicht?" Verdutzt atmete ich aus, sackte leicht zusammen und sah ihn an. Ich hatte mit vielem gerechnet, aber nicht damit. "Warum fragst du ausgerechnet mich das?", rutschte es mir heraus, die Neugier hatte mich unvorsichtig gemacht. Stille. Auch aus dem Wohnzimmer, die Musik war wohl aus gegangen. "Ich hab euch gesehen", sagte er emotionslos. "Im Tourbus, im Zimmer, hinter der Bühne. Drei mal hab ich euch beim rumlecken erwischt, Timmy und dich. Du kannst sagen was du willst, da läuft mehr, als wir wissen." Kalter Schweiß rann plötzlich meinen Rücken herunter. Erinnerungen kamen zurück, an die Tour. An das, was Tim und ich getan hatten. Öfter als diese drei Mal. Ich räusperte mich. "Darüber reden wir noch, versprochen. Aber jetzt geht es um dich. Was ist los?"

Dann brach er.
Seine Fassade, die alle immer zu sehen bekamen, zerbrach quasi vor meinen Augen.
Der coole, lustige Max, der sich Sorgen um nichts und niemanden machte, am wenigsten um sich selbst, war verschwunden. Stattdessen saß nun ein zusammengesacktes Häufchen Elend vor mir, das Gesicht in den Händen, der Atem flach und unregelmäßig.
Ich schaute ihn lange an, bis er tief einatmete und aufsah. Seine Frage fiel mir wieder ein. Wie merkt man, ob man hetero ist oder nicht? "Findest du Frauen anziehend?" Er schwieg, nickte. "Glückwunsch, du bist heterosexuell!" Ich lachte, er nicht.
"Aber was..wenn..ich nicht nur.." Er zuckte verzweifelt die Schultern, ich verstand.
"Findest du Männer anziehend?"
Er schwieg, sah auf seine Hände, kratzte seine Knöchel. Die Sekunden, vielleicht Minuten verstrichen.
"Nur einen."
Stille, in meinem Kopf brodelte es. Max war bi, irgendwie. Derjenige, der alles und jeden, der oder das nicht vor Männlichkeit strotzte, als Schwuchtel bezeichnete.
Nur einen.
Er stand auf wen.
Max war verliebt einen Mann.
Ich lehnte mich fassungslos zurück.
Wie weit konnte ich mit meinen Fragen gehen?
"Kenne ich ihn?"
Seine Knöchel begann leicht zu bluten, er wischte das Blut weg.
"Ja."
Das grenzte die Sache erheblich ein, da ich viele von seinen Freunden nicht kannte und auch nicht kennen wollte, war aber immer noch zu ungenau.
"Ich hab Angst", murmelte er noch mal.
"Wovor?", flüstere ich. Ich wusste nicht, warum ich flüsterte.
"Ich will nicht schwul oder so 'ne Scheiße sein. Ich will nicht..fühlen. Nicht so. Das ist nicht mein Ding. Dieser ganze Liebesscheiß und dieses ständige nur an eine Person denken und der ganze Kotz, das brauch ich alles nicht. Das stresst einen nur und wenn es schief geht, was es sowieso geht, leidet auch noch die Band darunter.." Er hatte sich so sehr in Rage geredet, dass er vermutlich nicht mehr wahrnahm, was er mir da eigentlich alles offenbarte.
Wenn ich ihn richtig verstanden hatte, spielte die Person eine wichtige Rolle für die Band. "Berry?", fragte ich.
Er lachte auf. "Sicher."
Timmy war es vermutlich nicht, sonst hätte er vorhin nicht solche Anspielungen gemacht, oder?
"Luca, du brauchst nicht zu raten. Ich werde es dir nicht sagen." Seine Stimme klang weniger fest als sonst, als würde er sich selber nicht so recht glauben. Ich dachte kurz darüber nach, was ich wissen wollte und wie ich es ihm rausbekommen würde. Vorhin hatte er auch eher in Gedanken von alleine etwas verraten, vielleicht musste ich ihn einfach etwas einlullen und zum Nachdenken bringen.
"Warum genau bist du hier?", fragte ich ruhig.
Stille. Erneut. Lange.
Das Ticken der Uhr fiel mir erst jetzt auf, ich blickte kurz zu ihr hoch. Zwanzig nach drei.
"Darf ich ehrlich mit dir sein?", murmelte er.
"Natürlich."
"Ich will einfach von jemand anderem als mir hören, dass ich nicht verrückt bin."
Ich sah ihn verwirrt an.
"Weshalb verrückt?"
Er begann wieder, seine Knöchel aufzukratzen. Das tat er oft, wenn er nervös war.
"Ich bin nicht schwul und ich bin nicht  bi und ich bin nicht..verliebt. Aber ich muss irgendwie voll oft an ihn denken und ich will das nicht. Aber ich kann's nicht abstellen und das ist doch...verrückt. Ich muss an ihn denken, obwohl ich es nicht will. Das ist verrückt, ich bin verrückt."
Auf mein Gesicht schlich sich ein kleines Lächeln. Dass er verliebt war, war Fakt. Dass er das nicht hören wollte, auch. Und dass wir es trotzdem beide wussten.
"Du hast recht, das klingt ziemlich verrückt."
Erstaunt sah er auf, sah mich zum ersten Mal richtig an.
"Verrückt nach deinem mysteriösen Lover." Kurz dachte ich, er wäre sauer auf mich, aber dann lachte er. "Ach halt's Maul. Bin bestimmt nur so verstört, weil ich Timmy und dich bei was auch immer gesehen hab'." Nun lachten wir beide.
Nach kurzem Schweigen stand Max auf und nahm sich doch eine Dose Bier. "Hab mir schon Sorgen gemacht", grinste ich. Er ging grinsend durchs Wohnzimmer auf den Balkon, ich folgte ihm.

"Du darfst dir einfach nicht so viele Gedanken machen", sagte ich nach minutenlangem Schweigen.
"Worüber?"
Wir starrten weiter in die Ferne, sahen auf die dunkle Stadt.
"Über alles", murmelte ich und nahm einen Schluck Wein.
"Tyler", sagte er plötzlich.
Ich sah ihn von der Seite an, er starrte den Horizont an.
"Es ist Tyler."
Ich erstarrte kurz, verarbeitete es, sah wieder in die Ferne.
"Na und?", ich zuckte mit den Schultern, "Kannst doch bestimmt hetero sein und trotzdem 'nen Kerl lieben. Ist bestimmt erlaubt."
Er lachte und trank den Rest aus seiner Dose, warf sie dann so weit wie möglich über das Zaungeländer.
"Da war Pfand drauf", lachte ich und verstummte dann wieder.
Wir genossen die Stille, hingen unseren Gedanken nach und saßen schweigend auf meinem Balkon, bis es begann, heller zu werden. Ein kurzer Seitenblick zeigte mir, dass Max in seinem Stuhl eingeschlafen war.
"Einfach nicht so viel nachdenken", flüsterte ich nochmal und beobachtete den Sonnenaufgang.

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