42: reupload


"Na los, erzähl." Ich knibbelte an dem Etikett meiner Flasche herum und fragte: "Was erzählen?" Er seufzte. "Na alles eben. Das, weshalb du seit Wochen nicht mehr an dein Telefon, geschweige denn deine Haustür gehst." Ich schluckte. "Es ist nichts." Max lachte sarkastisch. "Weißt du, es kommt vielleicht zweimal in zehn Jahren vor, dass ich halbwegs nüchtern einen auf verständnis- und gefühlvoll mache. Also nutz' es besser aus." Ich riss ein Stück des Aufklebers ab und holte tief Luft. "Aber lach mich nicht aus." "Mal sehen." Ich sah ihn über den Rand meiner Brille hinweg an. "Ich mein's ernst!" Er machte eine Handbewegung, die mir deutete, dass ich anfangen solle. Nach einem lauten Seufzen tat ich dies. "Als ich 6 war, hab ich ihn kennengelernt. Wir wurden zusammen eingeschult. Wir waren 'zu jung', und trotzdem..von dem Moment an ließ mein scheiß Herz mir einfach keine Ruhe. Immer wenn ich ihn sah, schlug es wie wild." Max unterbrach mich kurz. "Bevor du weiter redest: hab ich richtig verstanden, dass du dich wochen-, fast monatelang abschottest, wegen 'nem Typ, den du vor.. 25 Jahren kennengelernt hast?" Ich nickte, den Blick weiter auf die leere Flasche in meiner Hand gerichtet. "Erzähl weiter." "Er ist weggezogen. Ich hatte nur noch ein Bild von uns. Ich wurde älter und konnte ihn nicht vergessen. Weißt du noch die Zeit, in der ich nichts gegessen habe? Das war wegen ihm. Ich war..besessen von ihm. Er war mein Lebensziel. Ich konnte an nichts außer ihm denken, nicht mal an mich. Ich wurde zunehmend kühl, das weißt du. Ich habe viel geweint, mehr als du denkst. Eine Zeit lang..", ich machte eine kurze Pause, in der wir beide schwiegen.

Ich holte tief Luft, atmete die heraufkommenden Tränen weg. "Eine Zeit lang ließ mich nur sein Foto weiterleben. Man versuchte, mir was einzureden, doch es gab keinen wie ihn. Er war einzigartig, unantastbar und perfekt. Ich stellte mir vor, er wäre bei mir, jede Nacht in meinem Bett. Seit er weg war, hatte ich Depressionen. Nur durch die Drogen sah ich ab und zu mal Regenbogen." Wieder machte ich eine kurze Pause, die aber diesmal von Max genutzt wurde, um mir etwas zu sagen. Er klang überraschend ernst und verständnisvoll bei seinen Worten: "Jeder hat seine Gründe für sein Verhalten. Warum hast du mir deine nie erzählt?" Ich zuckte mit den Schultern und riss den letzten Rest des Flaschenetiketts ab. "Ich hab ihn wieder gefunden." Maximilian sah mich an. "Wen? Den ihn?" Ich nickte und lächelte leicht. "Ich hab ihn auf YouTube gesehen, er macht Musik. Ich glaube, wenn ich..vielleicht wird jetzt alles besser." Max sah mich lange an, dann stand er auf. "Komm mit." Verwirrt sah ich ihn an. "Wohin?" "Na zu ihm!" Ich stand auf und ließ die Flasche fallen. "Ich hab seit Wochen nicht geduscht oder mich umgezogen, ich bin komplett verwahrlost und vor allem weiß ich nicht, wo er wohnt!" Max drückte mich in Richtung Badezimmer und sagte: "Zieh dich aus und geh duschen, ich räum hier auf und geb dir gleich frische Wäsche. Beeil dich, ich brauch nicht lang, um seine Adresse herauszufinden. Gib mir WLAN und 10 Minuten. Wir packen dein Foto ein und suchen den Kerl." Ich lachte halbherzig, folgte aber trotzdem seiner Anweisung.

Max brauchte 7 Minuten, um die Adresse herauszufinden.
Wir brauchten 4 Stunden und 11 Minuten, um zu seinem Haus zu fahren. Und dann standen wir vor seinem kleinen, hellen, freundlichen Haus. Schön sah es aus. Beruhigend. Und es lenkte beinahe davon ab, dass ich mir fast in die Hose machte.
"Max? Träume ich?" Er lachte und klopfte mir auf die Schulter. "Nein, Alter." "Ich stehe wirklich vor seinem Haus? Die..Max die Tür geht gleich auf. Max. Was..was soll ich machen. Ich hab doch nur ein Bild von ihm. Ich kann das nicht.." Die Panik in mir wuchs ins Unermessliche.
Max packte mich an den Schultern und drehte mein Gesicht grob zu sich. "Alter. Ist dir eigentlich aufgefallen, dass du durch oder ohne diesen Kerl zu 'nem Monster geworden bist?"
Ich erstarrte.
Ich wurde ein Monster.
Ich brauchte ihn Tag und Nacht.
Ich wollte zu ihm.
Ich brauchte ihn.
Ich wollte ihn.
Er musste bei mir sein.
Ich wurde ein Monster.
"Timmy. Du wirst krank. Wenn du so weiter machst, wirst du verrückt."
"Ich will ihn und er will mich, ganz einfach." Max sah erst sprachlos zu mir, dann auf den Boden und ließ mich los.
Ich war so verdammt aufgeregt.
Wie er wohl aussehen wird? Das YouTube Video, das ich gesehen hatte, war alt. Bestimmt hatte er sich verändert.
"Was glaubst du, wie er reagiert?", murmelte Max leicht anklagend. Ich konnte einen Hund von draussen hören. Kurz nachdem ich klingelte, fing er auch schon an, zu bellen.
Mein Herz raste wie verrückt.
Hinter uns spielten Kinder Fußball auf der Straße.
Es war eine schöne Gegend, er hatte das Haus bestimmt geerbt.
Plötzlich hörte ich etwas.
"Mein Puls", flüsterte ich. Max räusperte sich. "Du weißt, wie ich hierzu stehe. Er..tut dir nicht gut. Aber du bist mein bester Freund, also bin ich für dich da." Er erntete einen dankbaren Blick von mir.
Ich konnte von draußen seine Stimme hören.
"Reiß dich zusammen, alles ist gut."
Die Haustür öffnete sich, meine Lunge brannte, mein Herz explodierte, meine Knie lösten sich auf. Ich hoffte, mein Gleichgewicht verließ mich nicht.
Ein hochgewachsener Mann sah auf mich herab, er war wunderschön. Ich schaute ihn an, was für ein wunderschöner Engel er doch war. Plötzlich fragte er mich: "Wer sind Sie? Kenne ich Sie?". Mein Hals war zugeschnürt und ich merkte plötzlich, dass Max nicht mehr neben mir stand. "E-erkennst du mich nicht ?", flüsterte ich, den Tränen nahe. "Du bist meine wahre Liebe! Du bist damals weg gezogen, wir haben immer im Garten gespielt, weißt du nicht mehr? Ich hab unsere Namen in den Baum geritzt.." Er schaute mich lange an, sah mir tief in die Augen und flüsterte: "Tut mir leid..ich glaube nicht!"
Ich starrte ihn entgeistert an.
Das Foto, denk an das Foto.
"Hier, ich habe ein Bild von dir!", sagte ich und begann, meine Taschen abzutasten. "Ich weiß es, wir sind füreinander bestimmt. Du bist der Sinn meines Lebens. Ich hab um dich geweint, jede Nacht wenn ich das Foto sah", murmelte ich dabei. Der Blick meines Gegenübers wurde immer verstörter, aber all das zählte nicht. Sobald er das Bild sah, würde er sich erinnern und alles wäre gut. Als ich es fand, erhellte sich meine Miene. "Hier, schau's dir an, da oben bist du mit deim roten Schal", teilte ich ihm glücklich mit und hielt ihm das zerfetzte Stück Papier hin. Er sah es kurz an und erwiderte dann: "Stimmt, das bin ich. Aber ich weiß es nicht mehr." Als er meinen zerstörten Gesichtsausdruck sah, fügte er hinzu: "Es ist einfach lang her, ich bin vor langer Zeit hierherhezogen..ich..ich hab zwei Kinder und bin jetzt verheiratet..", er spielte mit dem Ring an seinem Finger, der mir jetzt erst auffiel, "Das Foto stammt aus der Zeit, als wir noch zwölf war'n.." Ich schüttelte ungläubig den Kopf, während er sprach, Tränen fanden den Weg durch mein Gesicht. "Halt den Mund!", schrie ich, erschrocken fuhr er zusammen. "Ich will das nicht hören! Das kann nicht wahr sein, nein, bitte! Ich habe alles gegeben für diesen Augenblick! Ich will es hören, verdammt!", kreischte ich, sackte zusammen. Dieser Mann bedeutete mir alles, ich bedeutete ihm nichts mehr. "Sag, dass du mich willst! Ich weiß, dass du mich willst! Zeig, dass du mich willst!" Ich dachte an Max' Worte. "Ohne dich werd' ich zum Monster!" Unbeholfen stammelte er: "Es..es tut mir leid." Ich sah auf und blickte ein letztes Mal in sein wunderschönes Gesicht, bevor alles um mich herum bunt wurde und ihn und mich verschlang. Endlich waren ich und er vereint.

Ich hatte nur ein Bild von ihm.
Ohne ihm wurde ich zum Monster.
Ich brauchte ihn Tag und Nacht.
Ich wollte doch nur zu ihm.
Ohne ihn wurde ich zum Monster.
Ich brauchte ihn.
Ich wollte ihn.
Er musste bei mir sein.
Ich wollte ihn.
Ich wurde krank, verlor immer mehr den Verstand.
Ich wollte ihn, aber er wollte mich nicht mehr.

Ich wachte auf, schweißgebadet und in einer Pfütze Kotze, hoffentlich meiner eigenen. Mein linkes Bein war an das Bett geschnürt, auf dem ich halb lag. Ich sah Menschen in weißen Kitteln, haben sie mich etwa weggesperrt? "Timmy?", fragt einer von ihnen. Mir wurde meine Brille aufgesetzt, ich sah schärfer und erkannte, dass es sich bei den Menschen in weißen Kitteln in Wahrheit um Max und Till handelte. "Alter, was war'n los?", fragte Till besorgt, Max lachte bei dem Anblick meiner Kotze. "Max?", fragte ich verwirrt. "Wir waren bei ihm? Oder?" Er lachte lauter. "Alter, wir waren nirgendwo, wo du gerade warst, will ich gar nicht wissen. Du solltest dir mal was anderes einwerfen, das Zeug tut dir nicht gut. Du hast irgendwas von Monstern gefaselt." Während Maximilian sich weiterhin nicht einkriegen konnte, sah Till ernsthaft besorgt aus. Er nahm etwas, das auf dem Tisch neben mir lag in die Hand und musterte es. Als er es umdrehte, erkannte ich, dass es ein Foto war. Till sah sich die Rückseite an, las augenscheinlich etwas. "Tim?" Ich sah ihn an. Er zeigte mir die Rückseite des Fotos, auf der zwei kurze Schriftzüge in Kinderschrift zu sehen waren und fragte: "Wer ist Luca?".

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