•Fabulous•

Sie überquerte die Ampel und traf auf der Mittelinsel auf einen jungen Mann. Sie hatte ihn schon auf der anderen Straßenseite gesehen, aber aus der Entfernung nicht viel erkannt.

Mit seinem wippenden Gang lief er ihr entgegen als hätte er keine Sorge auf der Welt. Sie senkte ihren Blick auf die Straße und ließ ihn dann an ihm empor gleiten. Ihre Neugierde ließ sich nur schwer bändigen.

Vielleicht würde sie eines Tages zufällig den richtigen Mann treffen, mitten auf der Straße. Ganz ohne die Hilfe einer Dating App oder ihrer kuppelnden Freunde.

Doch nachdem sie ihn von oben bis unten gemustert hatte, musste sie sich enttäuscht eingestehen, dass es mit den jungen Männern immer das Gleiche war: hübsches Gesicht, freundliches Lächeln, aber gekleidet als schulde die Welt ihnen einen Gefallen.

Sie schnaubte in sich hinein, unterdrückte mit größter Mühe ein Augenrollen und trat neben ihn um die Mittelinsel zu überqueren.

Plötzlich legte sich eine Hand auf ihren Oberarm. Sie verharrte in ihrer Bewegung und wandte dem jungen Mann überrascht den Kopf zu. Sie waren allein auf der Straße, so früh am Morgen.

Für gewöhnlich sortierte sie alle Menschen, die sie traf, in Kategorien ein. Unterteilt nach sicher und unsicher hatte sie so immer im Hinterkopf, an wen sie sich wenden konnte, wenn sie Hilfe bräuchte. Ihn hatte sie, obwohl er ihr unsympathisch erschien, als sicher eingestuft. Hatte sie sich getäuscht?

Grimmig sah er sie an. "Was war das denn für ein verächtlicher Blick?"

Sie stutzte einen Moment, dann schoss sie zurück. Er war scheinbar harmlos. Von jemandem, der hauptberuflich ein verzogenes Söhnchen reicher Eltern und nur nebenberuflich Student war, würde sie sich sicher nicht die Butter vom Brot nehmen lassen. Und schon gar nicht würde sie sich für ihre Blicke rechtfertigen. Was glaubte er denn, wer er war, sie mitten auf der Straße anzufassen?

"Wann ist es denn in Mode gekommen, in Jogginghosen auf die Straße zu gehen? Man, nur weil deine sportlichen Leistungen gerade ausreichend sind, um ins Uni-Fußballteam aufgenommen zu werden, bist du nicht plötzlich ein weltberühmter Sportler. Was soll das denn immer?"

"Komm Mal runter von deinem hohen Ross, du Zicke. Du bist selbst nicht gerade die Barbie unter den Puppen, mit dem zotteligen Nest auf deinem Kopf."

"Gut, dass ich nicht versucht habe, ausgerechnet deinen erlesenen Geschmack zu treffen."

"Den hättest du jedenfalls verfehlt. War die Zeit zu knapp um eine Bürste zu finden?"

"Manche von uns haben ein Leben. Da muss man pünktlich seine Arbeit schaffen statt den ganzen Tag nur Bälle auf ein Tor zu ballern."

Er lachte. "Immer das gleiche mit den Weibern. Außen hui, innen pfui."

"Dann ist der Knoten wohl doch nicht so zottelig?", fragte sie herausfordernd.

Er zuckte mit den Schultern und grinste verschmitzt. "Geht so."

Verwundert betrachtete sie sein Gesicht. Wenn er lächelte, wirkte es tatsächlich noch attraktiver. Die Glocken im Kirchturm auf der anderen Straßenseite schlugen zur vollen Stunden. Sie sollte gehen.
"War nett, dich nicht kennengelernt zu haben. Ich wünsche dir eine gute Trefferquote."

Sie wandte sich ab, sah das grüne Ampelmännchen und wollte gerade über die Straße eilen als er erneut seine Hand auf ihren Arm legte. "Warte. Ich bin Fab."

"Und Fab steht für? Fabulous?"

Sein lautes Lachen hallte über den Platz. "Natürlich nicht. Komm, ich begleite dich ein Stück. Wo arbeitest du?"

"Da verlässt du noch vor Sonnenaufgang deine Designerwohnung um pünktlich zu sein und verpasst dann dennoch das Training?", stichelte sie weiter, ohne darüber nachzudenken. Offensichtlich brachte er ihre schlechtesten Eigenschaften zum Vorschein.

Seine Gesichtszüge verhärteten sich. Von dem Lächeln war nichts mehr übrig geblieben. "Was hast du nur mit meinem Training? Du machst es einem wirklich nicht leicht."

Er wirkte ernsthaft verstimmt und sie bereute es sofort, ihn erneut darauf angesprochen zu haben. "Wenn du deine ganzen Vorurteile mal beiseite räumst, eröffnet sich dir möglicherweise eine ganz neue Welt. Dass ich morgens um sechs hier unterwegs bin, heißt nicht automatisch, dass ich es mir leisten kann, hier zu wohnen. Ich arbeite morgens ehrenamtlich in der Küche des Pflegeheims, in dem meine Oma residiert. Danach übernehme ich die Frühschicht in der kleinen Backhütte oben auf dem Bahnsteig, bis meine Vorlesungen anfangen. Und nein, in die Uni gehe ich nicht mit Jogginghose, auch wenn heute Abend noch ein Training ansteht. Basketball übrigens. Und ich bin nicht der Held, der die Körbe wirft sondern nur der Trottel, der verhindert, dass die Gegner es tun."

"Ich...", unterbrach sie ihn.

"Jetzt bist du mal kurz still, Prinzessin. Du bist wunderschön und im Prinzip mag ich deine freche Art, aber ich habe keinen Bock mich durch einen ganzen Berg Vorurteile zu kämpfen nur um ein Gespräch mit dir führen zu können. Ich wünsche dir einen tollen Tag und hoffe du schaffst deine Arbeit fristgerecht."

Mit diesen Worten ließ er sie stehen und ging davon. Ihr wurde heiß und kalt. Sie sah ihm nach bis er den Bahnhof erreicht hatte. Doch wider all ihrer Hoffnungen drehte er sich nicht zu ihr um. Hatte sie gerade den Beginn von etwas Zauberhaftem zerstört?

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