Jeder Punkt zählt
Steven rannte schnaufend an der linken Seitenlinie entlang, den Blick stets rechts hinter sich zu Marco gewandt. 'Nun spiel doch schon den Ball!', dachte er bei sich. Wenn er sich als linker Außenverteidiger so weit vorwagte, sollte sein Mitspieler, in dem Fall der "Sechser" Marco Stiemke, ihm auch endlich mal den Ball zu passen.
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Marco Stiemke drängte mit Ball am Fuß halb links vor. Er war jetzt fast an der Mittellinie und würde das Leder gleich verlieren, wenn er nicht aufpasste. Der gegnerische "Sechser" kam bereits von vorn auf ihn zu und einer der Stürmer von der Gastmannschaft versuchte ihn von der Seite den Ball streitig zu machen.
Marco schaute sich kurz um und dann sah er es. Links außen hatte sich Steven Brenner, der Außenverteidiger vorgewagt. Er täuschte eine Bewegung an und schoss den Ball hoch nach links am Körper des anderen "Sechsers" vorbei, Richtung Brenner.
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Weiter vorn versuchte gerade der Stürmer Jens Engelmann sich von den gegnerischen Verteidigern loszureißen, immer schön mit Blickrichtung zum Ball, um nichts zu verpassen. Während er die nächste Finte schlug und plötzlich rückwärts nach rechts, statt nach links lief, sah er, wie sein Kumpel Marco den Ball nach außen zu Brenner passte, der sich ziemlich weit vorwagte.
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'Na endlich!', dachte Steven Brenner, der diesen Pass die ganze Zeit ersehnt hatte. Sowie er den Ball kurz abgefangen hatte, dribbelte er links an der Linie entlang nach vorn. Das Aufrücken eines Außenverteidigers setzte eine Abwehr zusätzlich unter Druck, weil sie einen Angreifer mehr bewachen bzw. abfangen mussten. Das hatte ihnen der Trainer immer wieder eingebleut und Steven, Kilian oder auch Holger hatten das schon öfter üben müssen.
Doch von rechts vorn rannte quer der gegnerische Außenverteidiger in seine Richtung und versuchte ihm den Weg abzuschneiden.
Brenner wagte viel. Er lief erst langsamer, machte zwei, drei Übersteiger, wobei er aber fast den Ball verstolperte, und preschte dann ganz plötzlich noch weiter links an dem Verteidiger vorbei, der eben noch dachte, dass er den Ball schon hatte, als Steven ins Stolpern kam. Doch der war an dem Gegner mit Ball auf der Linie vorbeigekommen.
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Als der Trainer Walter Eckelt von der Bank aus sah, wie Brenner den Ball bekam, war er sofort aufgesprungen und verfolgte das Geschehen gebannt. Hatte sich einer seiner Außenverteidiger endlich mal vorgewagt, wie er es ihnen schon öfter gepredigt hatte! Und dann auch noch Brenner, dieser Teufelskerl! Der war genau der richtige, für so eine Offensiv-Aktion, weil er für einen Kreisklasse-Spieler ziemlich schnell sprinten konnte.
Doch dem Trainer stockte fast der Atem, als er sah, wie Brenner beinahe den Ball verlor. "Macht der doch schon wieder diesen Übersteiger-Mist!", schimpfte er laut vor sich hin, wohl an die Adresse seines Co-Trainers gedacht, der nicht weit neben ihm stand. Dabei blieb sein Blick aber unablässlich auf den Rasen gerichtet. Er seufzte erleichtert, als er sah, wie Brenner doch noch vorbeikam. Der Ball rollte ziemlich genau auf der Linie entlang. Eckelt warf einen kurzen Blick zum Schiedsrichter-Assistenten, doch dessen Fahne blieb ohne Anzeige. Jetzt war Brenner durch und gleich an einer guten Stelle zum Reinflanken. "Hoffentlich vermasselt er es nicht", flüsterte Eckelt leise.
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Sowie Jens Engelmann sah, dass der Außenverteidiger Brenner mit dem Ball am Gegner vorbeikam und jetzt in das letzte Fünftel des gegnerischen Spielfeldes preschte, nahm er ebenfalls Fahrt auf. Er lief jetzt nach vorn gewandt neben seinen Verfolgern her und guckte sich eine gute Stelle im Strafraum aus, auf die er sich fixieren konnte. Er sah, wie Brenner den Ball stoppte und vor dem Innenverteidiger abschirmte, der ihn mittlerweile bedrängte.
Jens hoffte, dass Brenner die Flanke hinbekam. Er verstand sich nicht besonders gut mit ihm. Sie waren vor fünf Jahren gemeinsam von der Schule abgegangen. Brenner war in seiner Parallelklasse. Der Typ war zwar schnell, aber nicht besonders gut im Flanken. Doch jetzt hoffte Jens Engelmann einfach, dass das viele Üben beim Training auch bei Brenner was gebracht hatte. Er musste die Flanke einfach abwarten, bereit, sofort die Position dem vielleicht falschen Pass anzupassen. Er bewegte sich mehrmals ein paar Schritte hin und her, versuchte, es seinen Bewachern schwer zu machen, vorauszusehen, was er vorhatte. Er hoffte darauf, dass Brenner einen guten Ball spielte.
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Steven Brenner war bis auf Höhe des Strafraums herangekommen, da schnitt ihm einer der Innenverteidiger den Weg ab. Er stoppte den Ball, stellte sich schnell vor ihm und ließ den Verteidiger nicht herankommen. Dann bewegte er sich etwas hin und her, um entweder links oder rechts an dem Typen vorbeizukommen. Als der gegnerische Verteidiger ihm für einen Moment nicht mehr das Schussfeld verdecken konnte, dreschte Steven - den Stürmer Engelmann nur halb wahrnehmend - den Ball hinein.
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Jens Engelmann bewegte sich im Strafraum immer noch läuferisch hin und her, als er sah, wie Brenner es schaffte, den Ball hinein zu flanken. Er änderte sofort seine Position, wodurch er einen der Verteidiger abschütteln konnte. Dabei fixierte er das fliegende Leder und sprang an einem bestimmten Moment zum Köpfen hoch.
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Trainer Eckelt sah gebannt, wie Brenner den Ball hinein flankte. "Guter Ball!", lobte er sogleich laut. Jetzt kam es drauf an, dass Jens den Ball gut traf. Er sah, wie sein Nr.-1-Stürmer hoch sprang und den Ball tatsächlich mit dem Kopf erwischte. Ein Gefühl der Euphorie erfüllte ihn, was aber sogleich verschwand. Der Kopfball von Jens war gefährlich, ging aber knapp über der rechten Torecke vorbei ins Aus.
"Verdammt!", zischte Walter Eckelt. Er hätte es den Jungs gegönnt. Schließlich lagen sie 0:1 hinten und mittlerweile war ja schon die 82. Minute angebrochen. War das etwa die letzte Chance für sein Team gewesen? Er hoffte, dass es nicht so war.
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Als Steven sah, dass Jens Engelmann den Ball knapp übers Tor und vorbei köpfte, nahm er sofort die Beine in die Hand und preschte nach hinten. Das war gut so, denn die Gäste gingen sofort zum Gegenangriff über: Der Torwart dreschte den neuen Ball, den er von einem Balljungen bekommen hatte, scheinbar irgendwo hin quer übers Feld, doch das Leder landete perfekt beim rechten Flügelspieler der Gastmannschaft. Der schlaksige Typ fischte sich das Leder beim Laufen irgendwie mit dem Fuß aus der Luft und stürmte auf ihr Tor vor.
Steven Brenner ärgerte sich. Der Gegner hatte eiskalt ausgenutzt, dass die Seite, wo er verteidigte, ungedeckt war. Hoffentlich ging das gut.
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Jens Engelmann schnaufte durch. 'So ein Mist!', dachte er, als er den Ball daneben köpfte. Das wäre ein prima Ausgleichstor gewesen. Doch es half nichts: der gegnerische Torwart bekam einen neuen Ball und spielte sogleich einen weiten Pass zu einem der gegnerischen Flügelspieler.
'Denk nicht mehr dran!', ermahnte sich Engelmann. Die Chance war vorbei und jetzt musste man sich auf den Gegenangriff konzentrieren. Er als Vize-Kapitän sollte da mit besonders gutem Beispiel vorangehen.
Engelmann machte sich auf in Richtung eigene Hälfte - erst trabend, dann sprintend. Während der gegnerische Flügelspieler auf Höhe ihres Strafraumes kam, langte er an der Mittellinie an und positionierte sich, bereit für den nächsten Gegenschlag aus den eigenen Reihen.
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Marco Stiemke sah mit Schrecken, wie die Gäste einen blitzschnellen Angriff starteten. Da Steven Brenner nicht mehr würde eingreifen können, gab er seine Position auf und versuchte, dem Flügelspieler den Weg abzuschneiden. Doch der war verdammt schnell. Stiemke gab es auf und hoffte auf die Innenverteidiger. Er sah, wie der eine Verteidiger mit diesem seltsamen, nahezu unaussprechlichen Nachnamen rausrückte, um den Flügelspieler der Gäste links außen zu stoppen. Stiemke lief wieder in die Mitte zurück und bis in den eigenen Strafraum hinein und hoffte, dass der Verteidiger den Angreifer würde stoppen können.
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Der Verteidiger, den Stiemke sah, hieß Andre Twardokus. Er hatte eher ein ruhiges Gemüt, war auf dem Platz aber sehr konzentriert und gewann viele Zweikämpfe. Obwohl er erst vor sechs Monaten in die Mannschaft gekommen war, schätzten ihn mittlerweile alle wegen seiner besonnenen und beruhigenden Art. Twardokus hatte bisher erst eine gelbe Karte erzielt in dieser Saison - in der Kreisklasse überaus selten für einen Verteidiger.
Als er sah, dass sowohl Brenner, als auch Stiemke den Angreifer nicht mehr stoppen konnten, verließ er das mittlere Spielfeld, rannte zum Angreifer nach außen und versuchte ihn zu stören. Eine Zeit lang lief er neben ihm her. Als er den Augenblick gekommen sah, grätschte Twardokus in den Lauf des Gegners. Er traf den Ball aber auch den Gegner, der zu Boden ging.
Der Schiri pfiff sofort und zeigte ein Foul an. Eine Karte gab es nicht, denn Andre hatte wie so oft den Ball getroffen und den Gegner nur beiläufig "abgeräumt". Doch den Freistoß würde es geben.
Twardokus war dennoch zufrieden. Während sich der Gegner den Ball zurecht legte, waren weitere Spieler nach hinten zur Verteidigung eingetroffen. Er hatte sein Ziel als Verteidiger erreicht: der Angriff war verzögert worden.
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Walter Eckelt stand immer noch aufgeregt in seiner Couching-Zone und verfolgte das Geschehen. Als Twardokus den Flügelspieler foulte, stöhnte er nervös auf. Klar, der Angriff war zunächst gestoppt, aber dafür bekamen die Gäste jetzt einen schönen Freistoß. Eckelt brauchte sich nicht auszumalen, was es bedeuten würde, wenn sie sich dabei das zweite Gegentor holen. Das Spiel wäre verloren. Er stöhnte gebeutelt auf und tauschte einen Blick der Verzweiflung mit seinem Co-Trainer. Der versuchte beruhigend zu wirken. "Wart doch erst mal ab, die machen das schon", meinte er trocken.
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Sven Westphal stand auf der Linie seines Tores und wartete darauf, dass der Gegner seinen Freistoß ausführte. Es war bisher nicht sein Tag gewesen. Eigentlich stand er heute nur auf dem Platz, weil die eigentliche Nummer 1, René Drawelt, eine Anschwellung am Knie hatte. Natürlich freute er sich über den Einsatz, doch hatte er auch ein wenig Sorge, nicht perfekt für sein Team da zu sein. Immerhin standen sie ja ziemlich weit unten auf der Tabelle, da musste einfach alles klappen.
Und dann das! In der 32. Minute hatte der Gegner einen perfekten Angriff gespielt. Der Stürmer, der in letzter Sekunde den Ball bekam, konnte ihn mit einem Flachschuss überwinden. Seitdem laufen sie nur noch hinterher.
Deswegen musste er sich jetzt noch einmal ordentlich sammeln für diesen Freistoß. Auf keinen Fall, wirklich auf keinen Fall wollte er, dass die Gegner jetzt noch ein zweites Tor erzielten. Schließlich waren nur noch sechs Minuten oder so zu spielen.
Plötzlich pfeifte der Schiri. Der Freistoß durfte ausgeführt werden.
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Mark Lewerenz, der andere Innenverteidiger, starrte auf den Ball, als der Schiri den Freistoß freigab. Im nächsten Moment kam ein hoher Ball in ihre Richtung. Lewerenz bemerkte sofort, dass er für den Stürmer gedacht war, der bei ihm stand. Er sprang sofort mit hoch, versuchte mit seinem präsenten Körper den Gegner beim Köpfen zu behindern. Doch dieser war einfach etwas größer und sprang besser. Noch in der Luft stöhnte Lewerenz auf, als er mitbekam, dass der gegnerische Stürmer neben ihm den Ball Richtung Tor köpfte. Er hoffte, dass Westphal den Ball entschärfen konnte.
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Westphal starrte auf den Ball, als der Kapitän der Gegner den Ball in seinen Strafraum hinein flankte. Er machte sich sprungbereit, als er erahnte, wer da gleich köpfen würde und wohin. Als der Gegner köpfte, sprang Westphal ab.
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Trainer Walter Eckelt mochte am Liebsten gar nicht hinsehen, bei diesem Freistoß. Er sah den Ball kommen und ahnte fast, dass Lewerenz seinem Gegner nicht gewachsen war. Er sah schon den Ball im Netz zappeln, doch dann das! Westphal hatte den Ball! Der Teufelskerl war nach links gesprungen und hielt das Leder in seiner Hand!
"Super!", rief Eckelt sofort seinem Team zu. Er sah regelrecht, wie Westphal stolz seinen Körper streckte über diese Tat.
"Los - vorwärts!", forderte Eckelt. Das wirkte. Westphal warf den Ball nach rechts raus, zum rechten Außenverteidiger Holger Giersen. Die gegnerischen Angreifer drängten bereits rückwärts in ihre Hälfte zurück, in Erwartung des sofortigen Angriffes.
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Sobald Holger Giersen den Ball vom Torwart annahm, stürmte er nahe der rechten Außenlinie nach vorn. Er hatte schon länger nicht mehr den Ball gehabt und wollte ihn scheinbar genau deswegen jetzt nicht mehr hergeben. Er wusste selber nicht, woher er die Energie für diesen Sprint her nahm, den er gerade vollführte, aber irgendwie ging es. Wage bekam er die anfeuernden Rufe der knapp 500 anwesenden Fans mit, die jetzt richtig mitfieberten.
Mit etwas Abstand vor ihm preschten die Gegner laufend vor Giersen davon und zögerten damit, ihn anzugreifen. Vermutlich dachten sie, dass sie schon so gut wie gewonnen hatten, da die Zeit ja fast um war. Doch da kannten sie Giersen anscheinend schlecht. Er lief noch eine Weile weiter und beobachtete dabei die Räume links neben und hinter sich. Gerade als der linke Außenverteidiger stoppte, weiter zu laufen, und stattdessen den Zweikampf mit ihm suchte, schwenkte Giersen plötzlich nach links aus, dorthin, wo gerade keiner stand oder nebenher lief.
Er war jetzt nahe des Strafraums und hatte sich durch seinen plötzlichen Schwenk mehrere Anspielstationen erarbeitet.
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Marco Stiemke war sofort nach vorn mit gelaufen, als er sah, mit welchem Elan Holger rechts außen nach vorn preschte. Kein Zweifel - der Junge wollte noch was bewegen! Stiemke rannte bis nahe vor den Strafraum und bewegte sich dort erst einmal etwas hin und her. Als er den plötzlichen Schwenk von Giersen nach links innen sah, gab er seine Position auf und rannte in den Strafraum hinein. Er wusste, was er zu tun hatte.
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Gebannt verfolgte Walter Eckelt den Angriff seiner Jungs. Angespornt von Holgers Sprint, feuerte er die Truppe noch mal ordentlich an. Fasziniert registrierte er, wie Holger Giersen plötzlich seinen Lauf nach vorn abrupt beendete und nach links einschwenkte. Dabei sah er, wie sein Kapitän Marco in den Strafraum hinein lief. Würde Giersen das sehen? Doch da - ja - Marco winkte ihm leicht zu und Giersen bemerkte das anscheinend auch!
Im nächsten Moment passte Giersen auf Marco Stiemke. Eckelt hielt die Luft an. Stiemke war jetzt im Strafraum mit Ball und zögerte keine Sekunde. Er schoss und... scheiterte am Keeper! "Verdammt!", brüllte Eckelt. Immerhin gab es noch einen Eckball. Eckelt sah zur Uhr. Nur noch 30 Sekunden bis zur Nachspielzeit.
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Marco ärgerte sich. Der Angriff war gut, doch er hatte es nicht geschafft. Genervt nahm er den Pfiff des Schiris wahr, der auf die Ecke deutete. Sollte er im Strafraum bleiben? Er schaute auf seine Uhr. Viel schaden würde das wohl auch nichts mehr.
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Enrico Ernst war der rechte Flügelspieler der Mannschaft und meist für die Ecken zuständig. Wie selbstverständlich nahm er den Ball und legte ihn sich auf der Ecke zurecht.
Doch dann hörte er den Trainer rufen. Was war los? Eckelt deutete auf Holger. Der sollte den Eckball schießen. 'Warum bloß?', dachte Ernst.
Doch Eckelt war unerbittlich. Ernst konnte gut flanken, keine Frage, doch im direkten Vergleich war Holger Giersen dabei noch etwas besser.
Ernst zuckte mit den Achseln und winkte Giersen heran. Der sah kurz zum Trainer, der ihn ermunterte, die Ecke auszuführen. 'Okay, warum nicht?', dachte Giersen und rannte zum Eckpunkt.
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Walter Eckelt war sehr gespannt auf die Ecke. Er hatte lautstark Giersen dorthin beordert, anstelle von Ernst. Der Jung stand gerade unter positiver Spannung nach seinem guten Sprint und außerdem war er ja sowieso etwas besser als Enrico Ernst. Natürlich würde das der Trainer ihm nie so direkt sagen. Manche Sachen behielt man im Fußball lieber für sich.
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Der Stürmer Jens Engelmann freute sich für seinen Kumpel Marco, dass er hier so eine gute Chance hatte. Und jetzt gab es auch noch einen Eckball, was natürlich genau das richtige für ihn war.
Jens positionierte sich inmitten der gegnerischen Verteidiger, bereit sich von ihnen im richtigen Moment zu lösen. Er wunderte sich, warum Enrico vom Eckpunkt plötzlich wegging und stattdessen Holger dahin trabte. Doch dann sah er das Gebaren des Trainers und verstand.
Holger konnte ja auch wirklich gute Bälle hauen. Jens straffte sich, wartete auf den freigebenden Pfiff des Schiris.
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Gebannt warteten alle Zuschauer und auch der Trainer auf die Ausführung des Eckballs. Dann pfiff der Schiri. Giersen holte aus und spielte einen perfekten Ball in hohem Bogen.
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Jens sah, wie der Ball vom Eckpunkt abhebte, und versuchte sofort, seine mögliche Flugbahn zu ermitteln. Er merkte, dass er seine Position nur leicht verändern musste. Giersen hatte einen eigens auf ihn zugeschnittenen Ball los getreten. Er straffte sich und sprang dann etwas losgelöst von den gegnerischen Verteidigern ab.
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Eckelt sah, wie der Ball durch die Luft flog und achtete auf Jens Engelmann. Der stand gut, schaffte zu springen und... Tor! Der Ball war im Netz!
Jetzt brach bei den knapp 500 Fans Jubel auf. Jens Engelmann hatte es tatsächlich geschafft! Der Ausgleich! Und das zum Ende der zweiten Hälfte!
Auch Trainer Eckelt reckte die Fäuste hoch. "Ja!", rief er laut seinem Co zu. Der schmunzelte ihm anerkennend zu. Er wusste, dass der Trainer zu 30 Prozent am Tor beteiligt war, nämlich durch seine Order, dass der Außenverteidiger den Eckball treten sollte und nicht der Flügelspieler. Eckelt erkannte, woran sein Co dachte, und zwinkerte ihm schuldbewusst zu.
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Danach hieß es noch mal bangen für die Gastgeber. Zwei Minuten Nachspielzeit wurden angezeigt. Die Gäste spielten noch einmal einen hohen Ball nach vorn, bis in die Hälfte der Gegner. Der Ball landete beim rechten Flügelspieler, der ganz gut nach vorn durchstarten konnte, bis er auf Steven Brenner traf, der ihn am Weiterkommen hinderte. Daraufhin trat der Gegner, der schon wegen der fortgeschrittenen Zeit unter Druck stand, eine überhastete Flanke Richtung Tor der Gastgeber, obwohl er noch ein Stück vom Strafraum entfernt war.
Doch die Innenverteidiger Twardokus und Lewerenz standen gut in Position. Beide sprangen hoch. Andre Twardokus verfehlte den Ball, doch Mark Lewerenz stand genau richtig. Er köpfte den Ball mit seiner Stirn wieder fast in die gleiche Richtung zurück.
Dies sah Steve Brenner, der sofort schaltete. Er rannte etwas in Richtung Ball, fing ihn ab und dreschte ihn möglichst weit nach vorn. Die Nachspielzeit musste doch eigentlich um sein.
So war es auch. Als der Schiri sah, dass Brenner den Ball weg vom Strafraum schoss, entschied er, dass das Spiel entschieden war und pfiff ab.
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Jetzt tobte der Jubel bei den anwesenden Fans erst richtig. Ausgleichstor am Ende des Spiels und dann hatten sie den Punkt auch noch wacker verteidigt. Auf den Rängen standen die meisten, klatschten, jubelten oder hüpften auf der Stelle.
Die Spieler aber waren völlig kaputt. Sogleich nach dem Pfiff reckten sie nur einmal kurz die Hände hoch vor Freude und trabten dann langsam zur Bank. Einige gingen nebeneinander und besprachen das gerade Erlebte.
"Guter Schuss von dir!", lobte Jens seinen Kumpel Marco, der neben ihm ging. "Na ja, nicht so gut wie dein Köpper würd ich sagen.", meinte Marco und grinste dann verschmitzt.
"Ich hätt es dir aber gegönnt!", meinte Jens. Marco erwiderte nichts und sie gingen wortlos weiter. Jens schaute zur Seite und erblickte Steven Brenner, der ein paar Meter entfernt neben ihm vom Platz ging. Er nickte ihm anerkennend zu, was Brenner erwiderte. Sie würden sich niemals richtig gut verstehen, aber Brenner hatte heute ganz gut gespielt und das erkannte Jens an.
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Mittlerweile waren auch Walter Eckelt und sein Co-Trainer auf den Platz gegangen, eilten von Spieler zu Spieler, ermunterten jeden und holten sie quasi alle zugleich vom Feld ab. Kurze Zeit später stand die Mannschaft geschlossen an der Couching-Zone mit den Trainern in der Mitte.
"So Jungs", begann Eckelt, "war natürlich nicht alles gut heute, aber insgesamt können wir ganz zufrieden sein." Er versuchte, seinen ersten Eindruck möglichst positiv zu vermitteln.
"Tut uns leid, Trainer!", meinte einer. "Was meinst du denn, Jimmy?!"
"Na ja, das wir nicht gewonnen haben. Das war doch eigentlich der Plan, oder?" Hilfesuchend sah Jimmy zu den anderen, aber die enthielten sich eines Kommentars.
Eckelt grinste. Er schaute sie alle leicht schräg an, wie es so seine Art war und meinte dann in seiner unkomplizierten, aufbauenden Art: "Na ja, ehrlich gesagt, hatte ich heute natürlich mit einem Sieg gerechnet, das stimmt. Aber der Gegner war gut, hatte eine neue Taktik und deswegen haben se uns ja auch ziemlich überrannt in der ersten Hälfte. Aber so, wie ihr dann gefightet habt und och noch den Ausgleich hingekriegt habt, sollten wir heute alle zufrieden sein. Denn wir hätten dat Ding ja och verlieren können, aber dat haben wir nicht."
Eckelt zeigte zu den gegnerischen Spielern. "Da, schaut sie euch doch mal an? Sehen die etwa zufrieden aus? Nee, denn ihr habt sie am Sieg jehindert! Also, Jungs, Köpfe hoch, dat is alles nochmal glimpflich ausgegangen. Beinahe hätten wir keinen Punkt gehabt und jetzt haben wir aber wenigstens einen geholt. Und das verschafft uns etwas Luft auf der Tabelle. Das ist erst einmal das Wichtigste!"
Die Männer schauten nicht mehr ganz so missmutig drein und nickten. Der Trainer hatte Recht: in der Kreisklasse war jeder Punkt wichtig, den man holt. Und da die Saison nicht mehr so lange andauern würde, könnte sich das heute erkämpfte Unentschieden noch als wichtig erweisen...
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