amnesia III | larry

Sofort war ich an seiner Seite, neben ihm auf dem Boden, schlang von hinten meine Arme um ihn und presste ihn einfach nur an mich.

Harry drückte sich immer enger an meinen Körper, vergrub sein Gesicht so sehr in meiner Brust, dass ich mich fragte, wie er noch atmete und ich hielt ihn einfach nur, presste meine Lippen auf seine Haare und versuchte ihm so viel Wärme und Nähe und Halt zu geben, wie ich konnte.

Das hier musste der schlimmste Moment in seinem Leben sein. Und ich war heillos überfordert. Ich wusste nicht was ich tun sollte.

Ich meine, was sagte man zu einem Mann, der gerade in gewisser Weise auf einen Schlag seine ganze Familie verloren hatte?

„Lou", wimmerte Harry und ich drückte ihn nur noch stärker an mich, sodass meine Arme anfingen wehzutun und schloss die Augen. Ich weinte selber, aber das könnte jetzt nicht weniger relevant sein.

Ich hielt den weinenden Harry Ewigkeiten einfach nur in meinen Armen, ignorierte den Schmerz in meinen Muskeln, weil unsere Position unbequem war und ich ihn so heftig an mich presste und versuchte ihm irgendwie Halt zu geben. Nach einiger Zeit war er so erschöpft, dass ich merkte, wie er langsam in meinen Armen wegdriftete und ich seufzte leise und schaffte es dann irgendwie ihn in seinem halbbewussten Zustand zu seinem Bett zu bringen.

Zwei Minuten später lag er schlafend zwischen Kissen und der Decke und ich warf einen letzten Blick auf ihn und verließ dann so leise wie möglich das Zimmer. Mit zitternden Fingern zog ich mein Handy raus und suchte nach Liams Nummer.

Ich tippte auf den blauen Hörer und ließ mich erschöpft aufs Sofa sinken. Es tutete Ewigkeiten bis er ranging.

„Louis? Ist es wichtig, ich bin gerade ein bisschen-"

„Harry erinnert sich", stieß ich hervor und Liam hörte sofort auf zu reden.

„Ach du heilige Scheiße", hörte ich ihn flüstern und nickte zustimmend. Völlig fertig fuhr ich mir durchs Gesicht und merkte zwei Tränen, die noch an meinen Wangen klebten.

„Liam, ich bin so überfordert, ich weiß nicht was ich machen soll."

Es folgte eine lange Pause. „Wo bist du gerade?"

„Noch bei ihm, aber er schläft. Er ist völlig fertig."

„Verständlich", hauchte Liam und ich nickte nochmal. Im Hintergrund ertönte eine Stimme und dann ein gedämpftes „es ist Louis" von Liam.

„War das Maya?", fragte ich und Liam machte ein zustimmendes Geräusch. „Ja. Ich kann ihr sagen was passiert ist, oder?"

„Mach auf laut", antwortete ich und kurz darauf ertönte Mayas Stimme.

„Hey Lou, wie geht's dir?", fragte sie und klang so als ob sie schon vermutete was los war.

„Harry hat seine Erinnerungen zurück", sagte ich und hörte nur eine Art Summen von Maya, das tatsächlich so klang, als ob sie sich das schon gedacht hätte.

„Und wie geht es dir damit?", fragte sie. „Ich meine, das muss ja nicht nur für ihn ein totaler Schock sein. Bist du noch bei ihm?"

„Ja, ich sitze auf seiner Couch, er schläft. Und um ehrlich zu sein bin ich einfach nur überfordert, sodass keine anderen Gefühle irgendwie Platz haben. Also ich weiß gar nicht was ich denken soll."

„Willst du vorbeikommen und kuscheln?", fragte Liam und ich musste lächeln.

„Ich kann Harry jetzt nicht alleine lassen", sagte ich aber und von Maya kam nur ein zustimmendes Geräusch, während Liam seufzte.

„Da hast du Recht", pflichtete er uns jedoch ebenfalls bei und ich konnte ihn praktisch beim Denken hören. „Willst du, dass wir vorbeikommen?"

Ich holte tief Luft. Eine tröstliche Umarmung von Liam und Maya hörte sich tatsächlich sehr verlockend an, aber ich wusste nicht, was Harry davon halten würde. Ich glaubte kaum, dass er sich imstande fühlte andere Menschen zu sehen.

„Wann anders. Ich glaube ich muss mich einfach ablenken, versuchen zu schlafen und gucken wie es Harry morgen geht."

„Ja, das klingt gut", meinte Liam. Eine Weile war Stille.

„Fuck, Louis", sagte Maya dann. „Das ist alles echt heavy."

„Schon, ja", sagte ich.

„Aber?" Liam runzelte die Stirn, ich war mir sicher.

Ich seufzte. „Aber ich hatte schon irgendwie Angst, dass...also dass ich Harry niemals wiederkriege. Zumindest den Harry, der die gleichen Erinnerungen hat wie ich. Und jetzt...ich bin auf irgendeine perverse Weise auch wirklich erleichtert."

„Wieso denn pervers?"

„Na ja, ich sollte mich doch nicht freuen, wenn es ihm scheiße geht."

„Lou, seine Erinnerungen wiederzukriegen ist doch auch für Harry was Gutes."

„Für ihn ist gerade seine ganze Familie gestorben, Maya."

„Oh." Sie seufzte. „Das hab ich nicht bedacht."

Wieder war eine Weile Stille.

„Es ist trotzdem was Gutes, Louis", meinte Liam dann.

„Ja, vielleicht", murmelte ich leise und Liam seufzte.

„Ist es, Louis. Wirklich."

„Okay."

Kurz war Stille.

„Wie ist es denn überhaupt passiert?", fragte Maya dann. „Was hat es ausgelöst, dass er sich erinnert?"

Ich lachte leise auf. „Wenn ich es euch sage, werdet ihr es mir nicht glauben."

„Was? Warum das denn?"

Ich seufzte. „Weil es das dümmste Klischee jemals ist. So sehr, dass es sogar in Telenovelas wie Jane the Virgin nicht funktioniert und das ist schon krass."

„Wie bitte?", fragte Liam verwirrt und ich ließ meinen Kopf in die Polster sinken und starrte an die Decke.

„Ach vergiss das, Lottie hat mich mit dieser dämlichen Serie angesteckt, ist egal."

„Wie ist es denn jetzt passiert?"

Ich legte eine Hand über meine Stirn und schloss die Augen. „Wir haben uns geküsst."

„Wie bitte?" Mayas Stimme überschlug sich fast. „Ihr habt euch geküsst? Wie ist es denn dazu gekommen? Das ist jetzt nicht dein Ernst, oder? Wieso sagst du das denn nicht gleich, ich brauche jedes Detail, ich-"

„Love", unterbrach Liam seine Verlobte. „Halt mal die Luft an. Louis", wandte er sich dann an mich. „Ihr habt euch geküsst und davon hat Harry seine Erinnerungen wiederbekommen?"

Ich seufzte, nickte und sagte dann auch leise „Ja", damit Liam mich hören konnte.

Kurz war Stille am anderen Ende der Leitung.

„Woah", machten dann beide gleichzeitig und ich hätte fast gelacht, weil sie wirklich so perfekt füreinander waren.

„Ja."

„Okay, vielleicht...", begann Maya dann. „Vielleicht solltest du dich jetzt auch wirklich hinlegen wie du meintest und wenigstens versuchen, dich ein bisschen zu entspannen", sagte sie. „Das ist ziemlich viel auf einmal und glaub mir Louis, dein Körper sieht das genauso."

Als sie das sagte, spürte ich auf einmal wirklich, wie mich die Müdigkeit überfiel. Ich war völlig fertig.

„Das klingt gut", sagte ich also. „Ich meld mich morgen sofort bei euch."

„Ja, mach das."

„Sonst kommen wir eh persönlich bei dir vorbei."

Ich lachte leise und hatte ein Lächeln auf den Lippen. Die beiden waren wirklich die besten Freunde, die man sich wünschen konnte.

„Ja. Ist gut, bis morgen."

„Bis morgen."

Ich legte auf, seufzte und warf mein Handy auf die Couch. Dann legte ich meine Hände vors Gesicht und holte tief Luft.

Meine Fresse. War das alles durcheinander.

_____

Als ich aufwachte brauchte ich eine Weile alles von gestern Abend Revue passieren zu lassen. Mein Gott, Harry hatte seine Erinnerungen wieder. Er kannte mich wieder. So wie er mich früher gekannt hatte.

Alles war anders.

Oder irgendwie war vorher alles anders gewesen und jetzt war es das nicht mehr.

Ich stand von Sofa auf, versuchte meinen Nacken zu strecken, der ziemlich verspannt war und seufzte. Es hatte sich falsch angefühlt, auf der Couch zu schlafen, aber ich wusste nicht wie Harry zu uns stand. Ich wollte nichts machen, was ihn irgendwie unwohl fühlen ließ.

Ich lief zu seiner Zimmertür, klopfte und trat dann vorsichtig ein. Harry rieb sich gerade die Augen und ich lächelte vorsichtig. Er sah niedlich aus.

Harry rieb sich auch über die Stirn, stöhnte leise und starrte dann einige Sekunden einfach gegen die Wand.

Dann schlug er plötzlich extrem schnell die Decke weg, stolperte zu mir und übergab sich in den Mülleimer, der neben mir stand.

Sofort kniete ich mich neben ihn. Seine Haare waren nicht so lang, dass man sie nach hinten halten musste, aber ich strich sie ihm aus dem Gesicht hinter seine Ohren und fuhr dann beruhigend mit der Hand über seinen Rücken.

„Ich nehme an, du erinnerst dich an gestern?", fragte ich leise und strich dann sanft durch seinen Nacken. Ich konnte nichts dagegen tun. Mein Körper war von Harry angezogen, seit gestern noch viel mehr, ich war absolut machtlos.

„Gestern?" Er schnaubte. „Ja. Und ich erinner mich auch daran was die ersten 18 Jahre meines Lebens passiert ist. Das ist neu."

Er lachte bitter, lehnte sich aber in meine Berührung, was mein Herz flattern ließ.

Eine Weile saß er einfach nur da, starrte an die Wand und ließ sich von mir beruhigen.

„Es ist so komisch", sagte er dann. „So unglaublich merkwürdig. Ich hab sechs Jahre meines Lebens verloren und es fühlt sich einfach an, als wäre ich zwei verschiedene Personen. Oder eher eine Person mit zwei Leben, ich weiß auch nicht. Und meine ganze Familie ist gerade gestorben. Eigentlich vor sechs Jahren, aber für mich ist sie gerade gestorben. Und dann...du, also..."

Seine Stimme brach als er seine Familie erwähnte und versagte dann völlig, als er von mir sprach. Er vergrub sein Gesicht in den Händen und weinte leise und ich schlang nur meine Arme um seine Taille und drückte meine Nase in seine Schulter.

Wir verbrachten eigentlich den ganzen Tag einfach nur in Harrys Appartement, ohne zu reden. Eigentlich hielt ich ihn nur, während er irgendwie versuchte seine Gedanken zu ordnen, zu weinen und sich nicht nochmal zu übergeben.

Ich konnte mir gar nicht vorstellen wie komisch die Situation sich anfühlen musste. Und das einzige was ich tun konnte war für ihn da zu sein.

_____

Zwei Tage später klingelte es um zwei Uhr nachts an meiner und Liams Tür. Liam war bei Maya, deshalb war ich derjenige, der dem Idioten sagen musste, dass man verdammt nochmal nicht um zwei Uhr nachts an Türen klingelte, aber sobald ich die Tür geöffnet hatte war der Gedanke verflogen.

„Es tut mir so Leid, Louis", brach es aus Harry mir gegenüber heraus. Er war komplett verheult, sein Gesicht bleich, seine Augen geschwollen und die Tränen rannen nur über seine Wangen. Und trotzdem fand ich, er hatte noch nie schöner ausgesehen.

„Es tut mir so Leid, dass ich dich vergessen habe." Er schluchzte herzzerreißend. „Ich weiß einfach nicht, wie...wie ich dich vergessen konnte."

„Nein, Harry, hör auf", meinte ich sofort und zog ihn in die Wohnung. Ich kickte die Tür zu und führte ihn zu meinem Bett, wo ich seine Hände in meine nahm, aber er redete einfach weiter.

„Ich meine du warst...also...Louis, du bist mein ganzes Leben und ich verstehe einfach nicht, wie ich dich vergessen konnte. Das tut mir so weh."

Es war die unpassendste Situation für mein Herz jetzt schneller zu schlagen, weil er mich als sein ganzes Leben bezeichnet hatte. Aber ich konnte mir nicht helfen.

„Harry, bitte hör auf", flüsterte ich und drückte ihm einen sanften Kuss auf die Stirn. Ich konnte nicht anders als die Körperlichkeit unserer Beziehung einfach wieder zuzulassen. Jetzt wo ich wusste, dass er sich erinnerte, wo wir uns wieder viel intimer kannten, war es irgendwie sofort anders. Und ihm schien es zum Glück ähnlich zu gehen. „Bitte. Du kannst doch nichts dafür. Verschwende deine Energie nicht darauf, dich selbst für irgendetwas verantwortlich zu machen, wo du wirklich absolut nichts für kannst."

„Aber Louis-"

„Nein", unterbrach ich ihn sanft, legte meine Hand in seinen Nacken und meine Wange an seine. Ich hatte das Gefühl je näher ich ihm war, desto mehr beruhigte er sich. „Nein, Harry, bitte. Sag sowas nicht."

Tiefes Einatmen. Langes Ausatmen.

„Okay."

_____

Ich versuchte die nächste Zeit ihn zu unterstützen so gut es ging. Manchmal wollte er mich nicht sehen, aber meistens schon. Er weinte viel, klammerte sich an die zwei Fotos, die ich von Gemma hatte und ließ sich oft einfach von mir halten. Er sprach nicht so viel, aber nach einigen Tagen schon merkte ich erleichtert, wie es ihm besser ging.

Und nach noch ein paar Tagen fand ich ihn irgendwann nachdenklich am Fenster stehen, als ich in seiner Wohnung auftauchte und er sprach schon bevor er sich zu mir umdrehte.

„Was ist falsch mit mir?", fragte er und ich runzelte die Stirn und legte eine Jacke aufs Sofa.

„Was?"

Er drehte sich zu mir um und seufzte. „Wieso geht es mir so gut?"

Ich runzelte die Stirn. „Was meinst du damit?"

Harry seufzte und ließ sich zu meiner Jacke aufs Sofa fallen. Ich setzte mich neben ihn und er sah auf seine Hände.

„Ich meine, natürlich bin ich am Boden zerstört wegen Mum, Gemma und Robin." Er biss sich auf die Lippe. „Ich hab tagelang geweint und konnte mich kaum bewegen, um mir etwas zu essen holen, aber jetzt wo das Erste raus ist...fühl ich mich einfach..." Er schluckte. „Ich fühl mich seltsam leer." Er warf mir einen kurzen Blick zu. „Ich meine...ich habe...ich habe sechs Jahre ohne sie gelebt. Ich kenne ein Leben ohne sie. Und ich..."

Er verbarg sein Gesicht in seinen Händen. „Ich komme klar, weißt du? Und das sollte ich nicht? Ich sollte doch...ich sollte doch jahrelang trauern und irgendwie...ich meine, natürlich vermisse ich sie und würde alles dafür geben, sie wiederzuhaben, aber...also..." Er seufzte. „Verdammt, ich kann es nicht beschreiben."

„Hey..." Ich fuhr mit meiner Hand von seiner Schulter zu seinem Nacken und strich sanft über die Haut dort. „Harry..."

„Ich..." Er seufzte. „Ich fühle mich einfach schuldig."

Ich biss mir auf die Unterlippe und spielte mit einer Locke an seinem Hinterkopf.

„Weißt du Harry, manchmal muss man einfach egoistisch sein", begann ich dann. „Oder nein, vielleicht ist egoistisch das falsche Wort. Es ist definitiv das falsche Wort." Ich schüttelte den Kopf. „Ich meine, du solltest das tun, was für dich selber am besten ist. Dich selbst voran stellen. Und ich glaube wenn es dir so geht...dann solltest du nicht zu viel darüber nachdenken, warum du dich so fühlst und ob das jetzt moralisch okay ist...sondern es einfach akzeptieren. Weil es jetzt gerade doch eigentlich besser ist, oder?" Ich seufzte leise. „Ich meine versteh mich nicht falsch, ich denke du solltest definitiv eine Therapie oder sowas machen, einfach, um ein paar Sachen für dich zu klären und deine Gedanken zu ordnen und...einfach für deine Gesundheit...aber wenn es gerade geht...dann geht es. Weißt du? Ein Schritt nach dem anderen. Nicht zu viel alles hinterfragen." Ich rückte noch ein bisschen näher, denn Harry schien meine Nähe zu genießen und das tat auch mir so unendlich gut.

„Und falls es dann in zwei Wochen, oder sei es in einem Jahr, oder in zwei Tagen doch über dich hereinbricht...dann kannst du dich immer noch befassen. Aber wenn es eine Sache gibt, die du nicht tun solltest, dann ist es, dich schuldig zu fühlen. Okay?"

Harry sah mich an, blinzelte und nickte dann langsam. „Ja vielleicht...vielleicht hast du Recht."

Ich nickte. „Ja. Ich glaub auch."

Er lachte leise. Und dann umarmte er mich einfach. Und ich holte tief Luft und drückte ihn an mich. Dieser Mann hier in meinen Armen war die Liebe meines Lebens. Jetzt wieder. Schon immer gewesen.

Und ich würde alles für ihn tun.

_____

Es ging ihm nicht gut. Auch wenn er das dachte.

Wir saßen zusammen im Auto, weil wir diese eine Eisdiele auf der anderen Seite der Stadt ausprobiert hatten und er saß neben mir und starrte Löcher in die Luft. Er hatte seit Ewigkeiten nichts mehr gesagt, wirkte vollkommen in sich versunken und ich wollte ihm helfen, nicht nur jetzt, sondern generell, nur hatte ich keine Ahnung wie.

Aber als ich die Sonnenblende runterklappte und das Foto sah, das ich dort angepinnt hatte, wusste ich es plötzlich.

„Ich weiß, was wir machen." Statt links zu fahren, setzte ich den Blinker nach rechts, Richtung Autobahn.

Harry sah zu mir auf. „Was?"

„Ich bring dich jetzt nach Hause", antwortete ich.

Er runzelte die Stirn und schüttelte den Kopf. „Aber wir fahren in die völlig falsche Richtung, du-"

„Nein, Harry." Ich warf ihm einen warmen Blick zu bevor ich wieder auf die Straße sah. „Wir fahren nach Hause." Ich lächelte. „Nach Doncaster."

_____

Harry war kurz darauf eingeschlafen und ich hatte wenig später eine kurze Pause gemacht, um meine Mum anzurufen und sie vorzuwarnen.

Sie wusste schließlich noch gar nichts.

Es tutete nur zwei Mal, bevor meine Mutter abhob. „Louis, mein Schatz, wie schön, dass du anrufst! Wie geht es dir?", fragte sie und ich könnte ihr warmes Lächeln förmlich hören. Ich musste auch lächeln. Dann seufzte ich. Wie sollte ich ihr die Situation nur erklären?

„Ganz okay, soweit", antwortete ich, aber meiner Mutter fiel jeder noch so kleine Unterton auf.

„Das klingt eher negativ."

„Ich bin auf dem Weg zu euch", sagte ich dann.

„Wirklich?" Ich hörte, dass sie sich freute, sich aber genauso Sorgen machte.

„Ja, ich steh gerade auf einer Raststätte. Bitte sag den Mädchen noch nichts, die sollen ihren Schlaf bekommen, ich bin ja erst etwa in drei Stunden da und es ist spät."

„Okay." Meine Mutter klang als wüsste sie ganz genau, dass ich das Wichtigste noch nicht gesagt hatte.

„Ich...", begann ich und atmete langsam aus. „Ich komm aber nicht alleine", sagte ich dann.

„Oh." Kurz war Stille und ich konnte nicht einordnen welche Art von Stille. „Bist du...also..." Meine Mutter hatte offensichtlich nicht damit gerechnet. „Hast du einen neuen Freund?"

„Nicht so ganz", antwortete ich wahrheitsgemäß und wusste genau wie Mum jetzt ihre Stirn runzelte.

„Was soll das heißen?"

„Er ist kein neuer Freund...also...ich äh." Ich schluckte. „Ich bring Harry mit."

Stille.

Verständlich. Ich hatte den Namen seit sechs Jahren nicht mehr in den Mund genommen. Zumindest nicht zu Hause.

„Harry?", fragte meine Mutter dann, nachdem sie ihren ersten Schock überwunden hatte und ich schloss die Augen und legte eine Hand auf meine Stirn. „Harry Styles?"

Ich holte tief Luft und mein Blick schweifte zum Auto, in dem Harry immer noch schlief, seine Locken an die Scheibe gepresst, an der sein Kopf lehnte.

„Ja. Harry Styles."

„Also das musst du mir jetzt erklären."

Ich nickte mir selbst zu und lief ein paar Meter weiter zu einer Bank, um mich darauf niederzulassen. Ich musste es mir ja selber jeden Tag erklären.

_____

Nach etwa der Hälfte der Strecke wachte Harry wieder auf, aber er sagte nicht viel. Er hörte der Musik zu, sah manchmal aus dem Fenster, aber die meiste Zeit nur mich von der Seite aus an. Es war irgendwie friedlich.

Ich warf ihm ab und zu einen Blick zu, den er einfach mit einem müden Lächeln erwiderte.

Und dann waren wir irgendwann in Doncaster. Harry starrte gebannt aus dem Fenster, sah nach links und rechts, zappelte neben mir und ich merkte wie aufgeregt er war.

Ich konnte es verstehen. Hier hatte er sein ganzes Leben bis 18 verbracht, alle seine verschollenen und jetzt wiedergefundenen Erinnerungen hatten hier stattgefunden. Mollys Eisdiele, der Park, Rons fish 'n' chips, unsere alten Schulen, das musste alles wirklich aufwühlend sein.

Es war zwar dunkel und kaum belebt, aber er nahm das ganze Städtchen tief in sich auf. Er gab keinen Ton von sich, aber war laut mit seiner Körpersprache.

Ich musste mich fast zwingen weiterhin auf die Straße zu gucken und nicht nur den aufgeregten Harry zu beobachten.

Und dann wurde er plötzlich komplett still.

Ich fuhr auf unsere Auffahrt.

„Das-" Er brach ab und biss sich auf die Unterlippe. Ich parkte hinter dem Wagen meiner Mum und schnallte mich ab.

„Hey, ganz ruhig." Ich warf Harry ein aufmunterndes Lächeln zu und er schnallte sich ebenfalls ab und öffnete die Tür, ich stieg auch aus und schloss dann das Auto ab.

Nebeneinander liefen wir über den Kies auf die Haustür zu und ich hatte das Gefühl mit jedem Schritt wurde Harry langsamer. Als wir davor standen, tastete er nach meiner Hand. Ich drehte mich nur kurz zu ihm und warf ihm ein kleines Lächeln zu. Er klammerte sich an mir fest.

„Hey. Du brauchst keine Angst zu haben", flüsterte ich, trat noch einen Schritt näher und strich sanft über seine Wange. Ich konnte einfach nicht anders, als ihn so viel zu berühren. Aber ihm schien es ähnlich zu gehen.

Er nickte nur und schluckte, aber er wirkte besorgt und in dem Moment sah er irgendwie wieder aus wie 16.

Ich drückte seine Hand, hob meine andere und sah ihn fragend an. Als er nickte, klopfte ich sanft. Ich wollte nicht klingeln, damit meine Geschwister weiterschliefen, vor allem die kleinen Zwillinge. Mum und Dan würden es aber hören, wenn sie im Erdgeschoss waren.

Und tatsächlich kurz darauf ertönten Schritte und dann öffnete meine Mutter die Tür.

Sie sah müde, aber friedlich aus und als ihr Blick auf uns fiel, wurde ihr Gesichtsausdruck ganz sanft.

„Oh, mein armes Baby", flüsterte sie und eine Sekunde später lösten sich Harrys Finger aus meiner Hand, denn sie hatte ihn in eine feste Umarmung gezogen. Ich musste lächeln. Ich hatte gewusst, dass sie das tun würde.

Harry wehrte sich keinen Augenblick, drückte sich an sie und hatte angefangen zu weinen. Sie strich sanft über seinen Rücken, beruhigte ihn und dann folgte ich ihnen ins Haus und zog die Tür leise hinter mir zu. Meine Mutter nahm Harry mit ins Wohnzimmer, immer noch in ihrem Arm und wies mich leise an, den Tee und drei Tassen aus der Küche zu holen.

Ich nickte und drückte die Tür gegenüber auf.

Am Küchentisch saß Dan vor einem Müsli, der aufsah, als ich eintrat und mich anlächelte.

„Hey Lou", meinte er. „Schön dich zu sehen."

Ich hingegen erstarrte.

Nicht weil ich meinen Stiefvater nicht mochte, wir kamen wirklich super miteinander klar, ich hatte meine Mum länger schon nicht mehr so glücklich gesehen, sondern wegen etwas anderem.

Ich hatte es irgendwie komplett ausgeblendet.

Als der Amnesie-Harry und ich uns besser kennengelernt hatten, hatte ich meine jüngsten Geschwister und Dan in keinem Wort erwähnt. Unbewusst.

Ich wusste gar nicht warum, vielleicht, weil Harry sie nicht gekannt und ich nicht gewollt hatte, dass der Amnesie-Harry mehr von mir wusste als mein Harry. Auf jeden Fall hatte ich ihm nichts davon erzählt.

Verdammt.

Dan runzelte die Stirn und stand auf. „Alles okay?"

Ich nickte mechanisch und schüttelte mich kurz, um dieses Gefühl loszuwerden. Ich umarmte ihn zur Begrüßung und lächelte dann. „Ja, keine Sorge, ich bin nur ein bisschen durch den Wind."

„Das kann ich mir vorstellen." Dan nickte mitfühlend. „Ich hätte nicht gedacht, dass ich Harry jemals zu Gesicht bekomme."

„Ja." Ich lachte leise. „Das hätte ich auch nicht gedacht."

„Aber irgendwie..." Er legte eine Hand auf meine Schulter und musterte mich. „Siehst du anders aus."

Ich runzelte überrascht die Stirn. „Was?"

„Na ja, da war...seit ich dich kenne hattest du irgendwie immer so einen Funken Trauer in deinen Augen und jetzt...jetzt ist das anders. Ich meine, ich weiß, dass die Situation weit von perfekt ist, aber ich sehe jetzt wirklich wie sehr...also wie sehr du doch...gebrochen warst von der Sache."

Ich schluckte. Ja. Ich war wirklich gebrochen gewesen. Und er hatte Recht, es war natürlich nicht perfekt, aber es ging mir so viel besser.

Irgendwie gehörte Harry wieder zu mir. Er hatte immer zu mir gehört, aber jetzt war es irgendwie wieder anders. Echt.

Ich nickte und zuckte mit einer Schulter. „Die Hälfte meines Herzens hat einfach gefehlt", meinte ich, egal wie kitschig das klang, es war einfach die Wahrheit. „Und jetzt hab ich sie irgendwie wieder."

Dan nickte und lächelte. „Ja. So wirkt es auch."

In dem Moment kam meine Mutter in die Küche. „Wo bleibst du denn so lange?" Dann fiel ihr Blick auf Dan und sie runzelte verwundert die Stirn. „Oh Schatz, ich dachte du wärst schon schlafen gegangen?"

Er grinste. „Ich wollte noch kurz was snacken und dann kam Louis rein."

„Ach so." Sie sah zwischen uns hin und her, dann fiel ihr mein besorgter Blick auf, weil mir wieder eingefallen war, dass ich Harry noch von Dan und den Zwillingen erzählen musste. Meine Mutter hatte aber anscheinend die Fähigkeit Gedanken zu lesen.

Sie lächelte. „Ich bring's ihm schonend bei."

Ich atmete auf. Sie konnte das vermutlich tatsächlich besser als ich. Ehrlich gesagt hatte ich eh fast das Gefühl, dass Harry jetzt gerade ihre ganze Aufmerksamkeit gebrauchen konnte.

„Vielleicht sollte ich auch einfach..."

„Ja." Sie lächelte. „Ihr zwei Jungs bringt euch mal auf den neusten Stand und Harry und ich bleiben unter uns. Es ist auch noch ein bisschen Kuchen da." Sie zwinkerte.

Dann griff sie nach der Teekanne auf der Anrichte neben mir, nahm zwei Tassen aus dem Schrank, klemmte sich eine Packung Kekse unter den Arm und wollte gerade die Küche verlassen, da drehte sie sich nochmal zu mir um.

„Ihn hier her zu bringen war die richtige Entscheidung, Lou", sagte sie und ich nickte nur.

„Ich weiß."

Damit drückte ich ihr einen Kuss auf die Wange und sie verschwand wieder im Wohnzimmer.

_____

Dan und ich machten uns Spiegelei und unterhielten uns. Es kam uns gar nicht so lange vor, da kam meine Mutter wieder in die Küche, aber als ich auf die Uhr sah waren über zwei Stunden vergangen.

„Ich hab ihn schon mal in deinem Zimmer geparkt", sagte sie und sah Dan dann entschuldigend an. „Ich glaube es ist besser wenn er dich erst morgen kennenlernt."

Dan nickte verstehend und seine Lachfältchen kräuselten sich. „Das ist, glaub ich, ganz gut."

„Auf jeden Fall ist dein Bett frisch bezogen und ich denke nicht, dass ihr eine extra Matratze braucht, oder?"

Ich schüttelte den Kopf. „Danke Mum."

„Kein Problem, Lou."

Ich stand auf und lächelte die beiden nochmal an. „Ich geh dann mal schlafen. Es ist inzwischen auch echt spät. Soll ich morgen Brötchen holen gehen?"

Dan schüttelte den Kopf. „Nein, du und Harry schlaft schön aus, wir sagen den Kindern auch erstmal gar nicht, dass ihr überhaupt da seid, dann stört euch niemand."

„Danke."

„Wie gesagt, kein Problem."

Meine Mutter und mein Stiefvater lächelten mich nur lieb an und erwiderten dann meinen Gute Nacht Gruß.

Ich verließ die Küche und lief so leise wie möglich die Treppe hoch, um niemanden aufzuwecken.

Als ich die Tür zu meinem Zimmer öffnete war ich kurz überwältigt Harry wieder darin zu sehen. Es war so vertraut, aber so merkwürdig gleichzeitig, dass ich einen Moment brauchte.

Mein Zimmer war noch genau so wie früher, es hatte keins meiner Geschwister bekommen, es war kein Abstellraum geworden, es war genauso wie damals. Das gleiche quietschende Bett, die gleiche Dachschräge, an der sich Harry sich immer gestoßen hatte, die gleichen Lichterketten, die gleiche Fotowand.

Vor der Harry stand und mit Tränen in den Augen die Fotos musterte.

Ich schloss die Tür leise, ging zu ihm und schlang langsam und testend meine Arme um ihn. Harry schmolz in die Berührung, schloss die Augen, zog mich an sich, hielt mich als würde er mich nie wieder loslassen wollen.

„Du hast hier noch Fotos von mir", flüsterte er nach ein paar Minuten und ich spürte wie er beim Einatmen zitterte.

Ich nickte und sah zu ihm hoch. „Konnte sie nie abnehmen."

Er sah mich einfach nur an. Seine Augen glänzten verräterisch und ich merkte, wie müde er war.

„Hey", flüsterte ich. „Du musst dich für nichts entschuldigen, okay? Das Ganze hier ist niemandes Schuld. Und vor allem nicht deine. Du bist jetzt wieder hier, das ist das Wichtige."

Harry hörte mir zu und nickte langsam, als ob er sich selbst zwingen wollte zu verstehen, dass ich Recht hatte. „Okay", flüsterte er dann zurück.

Ich legte meine Hände an seine Wangen. „Lass uns schlafen gehen."

Er nickte. „Okay", sagte er dann nochmal.

Und dann zogen wir uns zum Schlafen um und krabbelten zusammen in mein Bett und als ich das Licht ausmachte und Harry mich in seine Arme zog schlossen sich meine Augen ganz von alleine.

Das hier, das war so unglaublich, absolut richtig, es nahm mir fast den Atem.

„Weißt du", flüsterte Harry dann in meine Haare. „Weißt du warum der Kuss die Erinnerungen zurückgebracht hat?"

Ich runzelte die Stirn, aber bevor ich was sagen kann sprach Harry schon weiter.

„Es war nicht, weil es ein magischer Kuss war, wie bei Dornröschen oder so." Eine Hand fuhr kurz sanft durch meine Haare. „Es war einfach weil dich zu küssen das Vertrauteste ist, was ich hätte tun können. Fotos, Videos, Songs oder was auch immer kann alles sehr vertraut sein...aber nichts wird sich jemals so natürlich und richtig und so vertraut, so nach zuhause anfühlen, wie dich zu küssen, Louis. Ich hab mit dreizehn damit angefangen und ich kann nicht fassen, dass ich jemals aufgehört habe."

Ich war irgendwie sprachlos, wusste nicht was ich antworten sollte und atmete erstmal nur aus. Aber Harry schien gar keine Antwort zu erwarten. Nach ein paar Minuten war sein Atem komplett ruhig und regelmäßig, seine Arme fest um mich geschlossen und er schlief.

Und ich vergaß eine einzige Träne.

Denn erst in diesem Moment, hier in meinem Kindheitsbett in Harrys Armen, wurde mir zum ersten Mal ernsthaft klar, dass ich ihn wieder hatte.

So richtig wieder hatte. Harry war wieder meins. Ich meinte das überhaupt nicht besitzergreifend, sondern einfach nur liebevoll. Ich hatte ihn endlich zurück.

Nach sechs Jahren hatte ich ihn endlich zurück.

_____

Ich wachte von sanftem Kraulen meiner Kopfhaut auf. Genießerisch seufzend öffnete ich die Augen und lächelte.

Harry lächelte zurück, sein Blick fiel in meine Seele und küsste sie. Mir wurde warm vor Liebe.

Etwa zehn Minuten blieben wir einfach hier in meinem Bett liegen und genossen unsere Nähe, dann war meine Familie unten so laut, dass ich wusste wir sollten mal aufstehen.

Einerseits gab es vermutlich Frühstück, andererseits hatte ich sie vermisst. Wir standen also auf, zogen uns was Richtiges an und dann öffnete ich vorsichtig meine Zimmertür. Die Geräusche wurden lauter und ich drehte mich um, um Harrys Gefühlslage zu checken. Er war sichtlich nervös, aber gleichzeitig meinte ich auch ein bisschen Vorfreude, Zuversicht bei ihm zu sehen.

„Okay?", fragte ich.

Er griff kurz nach meiner Hand, drückte sie und nickte.

Und als man dann laut von Daisy die Frage hörte wann Louis und Harry jetzt denn endlich runterkämen, lächelte ich und wir machten uns auf den Weg nach unten.

Es wäre normalerweise zwar Harrys Sache gewesen die ganze Geschichte zu erzählen, aber so wie ich Mum einschätzte, wussten alle inzwischen zumindest das Grobe, aus dem einfachen Grund, dass niemand Harry erwürgte, sobald er durch die Tür trat. Das hätten meine Geschwister mit ihrem sonstigen Wissensstand nämlich definitiv gemacht. Abgesehen von Doris und Ernest vielleicht.

Ich löste meine Hand aus Harrys, um die Tür aufzumachen und dann verstummten alle Gespräche am Tisch.

Alle Blicke lagen auf uns und ich lächelte schief.

„Hi?", versuchte ich es, da war Fizzy schon aufgesprungen und mir um den Hals gefallen. Ich liebte alle meine Geschwister, aber irgendwie hatten wir schon immer den engsten Draht zueinander gehabt.

„Du warst viel zu lange nicht mehr da", beschwerte sie sich.

„Du wolltest doch zu mir kommen", sagte ich. „Ich bezahl auch dein Ticket."

Sie lächelte als sie mich wieder losließ und dann wanderte ihr Blick zu Harry.

Der sah vollkommen überfordert aus und ich musste fast lachen. Als er Fiz zum letzten Mal gesehen hatte, war sie zehn gewesen. Jetzt war sie sechzehn und sah so unglaublich erwachsen aus, ich konnte es selbst kaum glauben.

„Fi-fizzy?"

Meine kleine Schwester grinste, rollte mit den Augen und fiel Harry dann genauso um den Hals wie mir. Ich musste lächeln und mir wurde warm ums Herz.

„Hey Harry", hörte ich sie murmeln und er drückte sie fest an sich und hatte die Augen geschlossen. Ich hatte das Gefühl, auch als er uns nicht kannte, hatte er uns alle vermisst.

Auch Phoebe und Daisy waren aufgestanden, um mich in die Arme zu schließen und dann Harry zu begrüßen.

Harry sah ähnlich geschockt aus, dass die Zwillinge jetzt dreizehn und nicht mehr sieben waren, aber als auch die beiden ihn nicht mal ansatzweise feindselig ansahen, sondern umarmten als wäre er ein lange verlorener Bruder (was er ja irgendwie auch war) atmete er sichtbar auf.

Als Ernest und Doris dann ebenfalls in meine Arme rannten und Phoebe Harry freigab, drehte ich mich mit den Zwillingen auf den Armen zu ihm um.

„Ihr beiden", sagte ich. „Das ist Harry."

„Der Harry von den Fotos?", fragte Doris und eine ihrer Hände krallte sich schmerzhaft in meine Haare. Ich nickte.

„Ja. Genau der."

„Der wegen dem du so traurig warst?", fragte Ernest und ich sah, dass es Harry fast physisch wehtat das zu hören. Ich schluckte.

„Ja", hörte ich mich sagen. „Aber das war alles nur ein Missverständnis."

„Dann ist er nett?"

Ich musste lachen. „Ja. Er ist sehr nett."

„Hallo", sagte Ernest zu Harry und Doris löste ihre Hand aus meinen Haaren, um sie Harry entgegen zu strecken. „Hallo", sagte sie auch.

Harry lächelte, schüttelte Doris' Hand und stellte sich selbst nochmal vor.

Als dann irgendwie alle wieder am Tisch saßen, Dan und Harry sich auch kennengelernt hatten und auch Harry und ich uns setzten, sah ich seine gerunzelte Stirn.

„Was?", fragte ich und er räusperte sich leise.

„Nichts, nur...also was ist mit Lottie?"

„Oh." Ich musste leise lachen. „Lottie ist im dritten Semester. In Frankreich."

„Was?" Harry sah unglaublich verwirrt aus. „Warte, sie ist jetzt..."

„19. Und sie macht gerade ein Auslandssemester in der Nähe von Toulouse."

„Oh wow."

„Ja."

„Rührei, Harry?", fragte da Phoebe auf seiner linken und sofort drehte Harry sich zu ihr und nickte begeistert.

Ich musste lächeln. Er war ein Teil der Familie. Schon immer gewesen und immer noch.

_____

Als abends bis auf Fizzy alle schlafen gegangen waren verabschiedeten auch Harry und ich uns von ihr und gingen hoch in mein Zimmer. Es war wirklich ein schöner Tag gewesen. Ruhig, aber schön. Die kleinen Zwillinge hatten Harry irgendwie vom ersten Moment ins Herz geschlossen, Dan mochte ihn auch und Phoebe und Daisy hatten ihm ungefähr alle Geschichten erzählt, an die sie sich mit ihm noch erinnerten. Fizzy hatte mir nur die ganze Zeit diesen Blick zugeworfen und irgendwann gesagt, dass sie ihn gar nicht hassen könnte, egal was passiert war. Vor allem, weil er mich so glücklich machte. Und Mum hatte zwischendurch sogar eine Träne verloren, weil sie Harry und mich zusammen so vermisst hatte.

Und Harry hatte den ganzen Tag sehr glücklich gewirkt.

Als er hinter uns die Tür meines Zimmers zumachte hielt er mich aber an meiner Hand fest. „Warte mal, Louis", meinte er und ich drehte mich fragend zu ihm um.

„Ja?"

Harry holte tief Luft. „Als ähm...als du heute Morgen das mit dem Missverständnis meintest..."

„Ja?"

„Also es ist so...der Unfall ist irgendwie das einzige was immer noch ein einziger Blur ist. Ich weiß nur, dass wir auf dem Weg nach London waren, in die Wohnung, die meine Eltern gekauft hatten, wir wollten nämlich eigentlich da hinziehen. Und ich wollte dich überraschen. Und ich weiß nicht mehr was auf der Fahrt passiert ist, ich weiß gar nicht ob ich es überhaupt wissen will, aber wenn ich eins weiß, dann..." Er schluckte. „Ich hätte mich niemals, wirklich niemals von dir getrennt."

Sein Gesicht war ernst, seine Augen traurig und ich seufzte. Dann hob ich meine Hand und strich ihm sanft eine Locke aus der Stirn.

„Ich weiß", flüsterte ich und legte die Hand an seine Wange. „Jetzt weiß ich das. Und es tut mir Leid, dass es nur einen missverstandenen Anruf gebraucht hat, dass ich nicht noch mehr gekämpft habe und versucht habe dich zu finden."

„Das ist wohl damals echt alles scheiße gelaufen", flüsterte er und ich nickte und strich mit meinem Daumen über seine weiche Haut.

„Ja. Irgendwie war wohl alles gegen uns." Ich lächelte. „Aber jetzt sind wir hier."

Er nickte. „Ja. Jetzt sind wir hier."

Dann stockte er, nahm meine Hand und schob den Pullover ein Stückchen nach oben.

„Du...du trägst das Armband." Harrys Stimme zitterte, aber ich konnte sehen, dass er keine Lust mehr hatte zu weinen, weil er das seiner Meinung nach in letzter Zeit zu viel gemacht hatte und sich mit aller Kraft dagegen wehrte.

Ich lächelte. „Schon seit einer Woche."

Harry sah mich an, sein Blick flog über mein Gesicht, über meinen Körper, fast schon als ob er nach irgendetwas suchte, aber dann schlang er einfach nur in einer fließenden Bewegung seine Arme um meine Taille und presste sein Gesicht verletzlich gegen meinen Hals.

Ich schmolz in seine Umarmung, schloss die Augen und fuhr sanft durch seine Locken. Er ließ sich einfach von mir halten.

Nach einer Weile löste er seinen Kopf von meiner Schulter und sah mich an. Seine Augen waren immer noch wässrig und ich lächelte sanft.

„Ich liebe dich, Louis."

Sprachlos starrte ich ihn an. Hatte ich mir das eingebildet? Hatte er wirklich-

„Ich liebe dich so verdammt sehr, ich kann mir nicht vorstellen, wie schrecklich die letzten 6 Jahre für dich gewesen sein mussten."

„Harry, das-", setzte ich an, denn verdammt noch mal, er sollte aufhören sich für meine Umstände zu entschuldigen, wenn seine viel schlimmer waren.

„Nein, Louis, ich meine es ernst. Ich könnte nicht...ich hab immer gedacht, wenn das mit uns irgendwie endet, dann...dann würdest du mein Herz brechen...und nicht umgekehrt. Und ich weiß, dass du das nicht einsehen willst, weil du meinst, dass ich es viel schlimmer hatte, aber Louis...wenn ich in deiner Situation gewesen wäre, wäre ich glaub ich gestorben. Du bedeutest mir alles. Alleine das ich mich wieder in dich verliebt habe, ohne die ganzen Erinnerungen, ohne unser Leben zusammen, das...das zeigt doch, wie sehr wir zusammengehören."

Ein vorsichtiges Lächeln bildete sich auf meinen Lippen. Vielleicht sollten wir wirklich aufhören unsere Situationen miteinander zu vergleichen und uns darüber zu streiten wem es schlechter gegangen war und einfach...

Einfach genießen, dass wir uns wiedergefunden hatten. Denn das hatten wir.

„Ich liebe dich auch, Harry", flüsterte ich zurück. „Hab nie aufgehört."

„Ich glaub ich auch nicht", meinte er.

Dann senkte er seinen Kopf ein kleines Stück und ich schloss die Augen. Das letzte Mal hatte ich Angst gehabt. Jetzt war ich einfach nur erfüllt von Ruhe.

Unsere Lippen trafen sanft aufeinander und es fühlte sich einfach nur perfekt an. So wie immer schon, mir wurde warm, mein Herz flatterte und ich wurde vom Kopf bis in die Fußspitzen erfüllt von der Liebe, die ich für diesen Mann spürte.

Natürlich war die Situation nicht von jetzt auf gleich perfekt, wir würden noch einiges verarbeiten müssen und Harry sollte sich bald einen Therapeuten suchen, aber wir konnten das alles zusammen durchstehen. Wir hatten uns.

Und als ich mit der rechten Hand in seine Locken fuhr und wir den Kuss vertieften, fühlten ich und auch Harry, das wusste ich ganz genau, nur eine Sache.

Zuhause.

_____

soooo, die reihe hat sich ja lange gezogen hahaha

aber das war jetzt das ende...wie hat euch der dritte teil gefallen?

ich schreibe auch an a rose by another name weiter, keine sorge, aber ich hab irgendwie absolut keine lust mich zu stressen, vor allem weil dann auch das was ich schreibe schlechter ist. deshalb müsst ihr euch einfach ein bisschen gedulden, aber ich bin dabei!! :)

ich hoffe euch geht es gut, an alle die wieder unterricht haben einen gute schulstart und ein gutes durchhaltevermögen!

💕

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