Christmas Time #5
Kurzgeschichte mit Hexen
„Mami!", quengelte meine kleine Schwester und sah unsere Mutter mit riesigen, tränennassen Augen an. „Ich will doch nichts außer den neuen Rennbesen haben zu Weihnachten! Bitte, warum kann ich ihn nicht haben, bitte, bitte, bitte! Ich bin auch ganz lieb und werde Oma ein Bild malen, wie du es willst! Bitte, ich brauche unbedingt diesen Besen, alle haben den jetzt, und ich bin total langsam mit dem blöden Zitrusflieger, der im Übrigen bald auseinander fällt, weil Tatjana und Robin den schon hatten! Immer bekomme ich nur die alten Dinge von ihnen!" Schmollend verschränkte sie die Arme vor ihrer Brust und die Tränen flossen weiter aus ihren Augen. Natürlich übertrieb Feline, so hieß meine Schwester, maßlos, denn auch sie bekam neue Dinge, aber sie wusste genau, wie sie Mama zu überzeugen hatte, und jeder war machtlos, wenn sie die Magie ihrer Augen einsetzte, die jeden noch so harten Brocken weichkochten. Ihrem süßen Hundeblick konnte sogar ich oft nicht widerstehen.
Mama schien ein ernsthaftes Problem zu haben – wir hatten momentan nicht genug Geld, um einen nagelneuen Rennbesen für die Jüngste zu kaufen, aber Feline würde das natürlich nicht verstehen.
„Schau, Feli, musst du denn wirklich genau diesen Besen haben? Ich sehe ein, dass der Zitrusflieger veraltet ist, aber du kannst nicht einfach so das neuste Modell bekommen!"
„Ist nicht einfach so, ist zu Weihnachten!", schluchzte sie. „Weihnachten ist was ganz Besonderes, und ich werde dann total traurig sein!"
Ich konnte praktisch zusehen, wie der Widerstand unserer Mutter bröckelte, und stand vom Esstisch auf.
„Ich gehe zu Angelique", verkündete ich, im Bewusstsein, dass mich sowieso niemand beachtete, denn mein Vater war in einen Weihnachtskatalog vertieft, mein großer Bruder Robin geistig nicht anwesend, bestimmt zerbrach er sich den Kopf über ein gutes Geschenk für seine Freundin, und meine Mutter und Feline steckten in ihrer Diskussion.
Angelique wohnte bei ihrer Großmutter, die es seit Jahrzehnten ablehnte, Weihnachten zu feiern, wie normale Menschen es taten, weshalb ich meine Freundin in der Weihnachtszeit besonders oft besuchte, um dem ganzen Stress in unserer Familie zu entfliehen. Mein Vater und mein Bruder waren beide Nichtmagier, und besonders mein Vater bestand darauf „wenigstens ein normales Fest im Jahr" zu haben. Ansonsten feierten wir regelmäßig die Traditionsfeste der Hexen und die männlichen Familienmitglieder mussten sich der weiblichen Mehrheit im Haushalt fügen.
Mit meinem Besen, einem Tiger 2.0, den ich vor einem halben Jahr zum Geburtstag bekommen hatte, gelangte ich zu dem Haus, in dem Angelique wohnte. Genau wie dieses Haus stellten sich Menschen wahrscheinlich ein Hexenhaus vor. Es war windschief, der Putz bröckelte bereits von den Wänden, und es fehlten Dachziegel. Der kleine Vorgarten war zugewuchert, denn Gwendolyn, das war der Name der alten Dame, die das Haus mit ihrer Enkelin bewohnte, kümmerte sich nicht weiter um den äußeren Eindruck, und Angelique hatte besseres zu tun, als im Vorgarten eines schäbigen Hauses für Ordnung zu sorgen.
Ich landete im hinteren Garten, der von hohen Hecken umgeben war, und stellte meinen Besen in den Unterstand, der vor einigen Jahren auf den Wunsch meiner Freundin an das Haus angebaut wurde. Verwundert stellte ich fest, dass neben dem Unterstand Gewächs aus der braunen Erde spross, das ich nicht identifizieren konnte. Wahrscheinlich baute Gwendolyn mal wieder eine neue Kräuterart an, was ich daran komisch fand, war, dass sie es nicht, wie ihre anderen Kräuter, auf dem Dachboden angepflanzt hatte. Die ganze oberste Etage war, solange ich denken konnte, immer ein Beet gewesen.
Durch einen Wink mit meinem liebsten Spitzhut, den ich praktisch zu jeder Tages- und Nachtzeit trug, machte ich auf meine Anwesenheit aufmerksam, und schlüpfte dann durch ein Efeugestrüpp an der Hauswand, hinter dem ein Eingang verborgen war, in das Haus.
„Hey Jana!" Angelique fiel mir in die Arme, obwohl sie sonst eher zurückhaltend war, und wir machten uns auf den Weg zu ihrem Zimmer im vierten Stock.
„Stell dir vor, Oma will in diesem Jahr tatsächlich mal versuchen, „dieses neumodische Fest der Menschen" zu feiern!", erklärte sie ihre Euphorie.
„Oh", kam aus meinem Mund, und ich musste mich wegen diesem Schock erst einmal setzen. Gwendolyn wollte Weihnachten feiern, das kam einem Wunder gleich. „Wie kommt sie denn darauf?"
„Auf der letzten Hexenkonferenz hat die Vorsitzende für Feierlichkeiten wohl erwähnt, dass Weihnachten im nächsten Jahr in den Terminkalender aufgenommen werden soll - du kennst meine Großmutter, bei Dingen, die im offiziellen Terminkalender stehen, sagt sie nicht nein. Ich finde das total super, und freue mich sehr, aber andererseits habe ich jetzt den ganzen Stress an der Backe, denn sie möchte das volle Programm. Weihnachtsbaum, Weihnachtsessen, Geschenke, und was sonst noch alles dazugehört. Ich kenne Weihnachten doch auch nur von Erzählungen." Angelique legte sich auf ihr Bett und schien trotz der Vorfreude leicht erschöpft.
„Wir kriegen das schon geschaukelt. Was hältst du davon, wenn wir ein Duplikat von unserem Weihnachtsbaum machen, und es nur ein wenig verändern?", schlug ich vor, um das erste Problem, die Beschaffung eines Weihnachtsbaumes, aus dem Weg zu räumen.
„Vergiss es, sie will eine richtige Tanne, nach dem Motto wennschon, dennschon", zerstörte meine Freundin die Idee. „Die baut sie sich jetzt selbst an, vielleicht hast du sie bereits neben dem Unterstand gesehen." Ich nickte, das war wohl der Grund, dass sie nicht ihr Beet im Haus genutzt hatte.
„Will deine Oma denn auch einen Adventskranz?"
„Einen Advenz-was?"
„Na einen Adventskranz. Das ist ein Kranz aus Tannenzweigen, an dem vier Kerzen befestigt sind, die man nacheinander an den vier Sonntagen vor Weihnachten anzündet."
„Bisher hat sie den noch nicht erwähnt. Aber sie wollte unbedingt Weihnachtsplätzchen. Kannst du mir da helfen? Ich kann doch gar nicht backen!"
„Natürlich, mach dir keine Sorgen, wir haben auch bestimmt noch ein Rezept zuhause herumliegen."
„Danke, du bist die Beste!" Angelique grinste.
„Jetzt kann ich aber dem Weihnachtsstress nicht mehr entfliehen", begann ich dann zu jammern. „Das war immer so angenehm bei dir."
„Das ist Pech für dich, aber ich freue mich schon total auf Weihnachten! Es muss magisch sein, das Fest der Liebe in jedem Jahr feiern zu können."
„Da bekommen sogar normale Menschen einen Hauch von der Magie zu spüren", stimmte ich ihr zu. „Gut, dass die Hexenkonferenz beschlossen hat, es in den Terminkalender einzufügen."
An diesem Tag bekam meine Familie mich kaum zu sehen, denn ich verbrachte meine Zeit bei Angelique. Nachdem wir einkaufen waren und nach Weihnachtsgeschenken und Christbaumschmuck gesucht hatten, backten wir Plätzchen zusammen, stellten sicher, dass die Weihnachtstanne an Weihnachten auch wirklich ausgewachsen sein würde, indem wir einen Wachstumszauber verwendeten, und informierten uns bei meinem Vater am Telefon über spezielles Weihnachtsessen. Da Angelique genauso wenig kochen wie backen konnte, musste es etwas einfaches sein, was sich nicht leicht fand.
Abends ließ Gwendolyn sich in der Küche des Hauses blicken, und beobachtete stillschweigend, wie wir die fertigen Plätzchen aus dem Backofen holten, und zu verzieren begannen.
Ein Räuspern ihrerseits unterbrach die Stille, in der wir arbeiteten.
„Sind das die Plätzchen?"
„Ja, klassische Weihnachtsplätzchen der Menschen", antwortete ich der alten Hexe. Ich kannte niemanden, der so viele Falten und solch eine krumme Nase hatte wie diese Frau, das fiel mir im fahlen Licht der Küche auf, als sie auf ihren Krückstock gestützt näher kam.
„Darf ich?" Sie wartete nicht auf unsere Antwort, als sie ihre krummen Finger nach einem, von ihrer Enkelin frisch verzierten, Keks ausstreckte.
„Vorsichtig, die sind..." Leider konnte ich das entscheidende Wort nicht mehr sagen, bevor sie ihren Finger zurückzog und einen pikierten Gesichtsausdruck aufsetzte. „..heiß", beendete ich leise.
„Vielleicht sollte ich später noch einmal wiederkommen", beschloss sie, und verließ die Küche, während Angelique und ich uns zwingen mussten, nicht laut loszulachen. Manchmal war Gwendolyn einfach sehr forsch.
Kurze Zeit später klingelte mein Handy, welches ich nur benutzte, um mit meiner Familie zu kommunizieren, und ich begrüßte meine Mutter.
„Hey Mum, was gibt's?"
„Es gibt Abendbrot, wenn du nicht in 10 Minuten hier erscheinst...!"
„Mach keinen Stress, sonst legst du doch auch keinen Wert auf gemeinsames Essen?" Das stimmte, meine Mutter hasste gemeinsame Essen. Am liebsten aß sie allein, und sowieso war sie eher die Frau, die alles mit sich selbst regelte.
„Deine Tante ist gerade angekommen", knirschte die Hexe. Oh. Das erklärte, warum meine Mutter wollte, dass ich so schnell wie möglich nach Hause kam. Wenn sie so über meine „Tante" sprach, meinte sie ihre Schwägerin - Nichtmagierin, ahnungslos und furchtbar nervig, weil sie es sehr wichtig fand, dass Familien viel Zeit miteinander verbrachten. Dabei war es ihr total egal, dass nicht nur ihre eigene Familie darunter zu leiden hatte, sondern auch die gesamte Verwandtschaft. In der Weihnachtszeit besuchte sie uns leider sehr häufig.
„Okay Mum, ich bin gleich da." Ohne ein weiteres Wort legte ich auf und verabschiedete mich von Angelique, bevor ich mich auf meinen Besen schwang, um nach Hause zu fliegen, wo meine Tante bereits wartete.
„Wurde auch Zeit", grummelte sie statt einer Begrüßung in meine Richtung. Die Frau schien schlechtgelaunt wie immer. Da soll nochmal jemand sagen, Weihnachten sei das Fest der Liebe und auch normale Menschen bekämen etwas von der Magie zu spüren.
Und doch gab es etwas, was mich an diesem Tag fröhlich stimmte: Meine Freundin Angelique und ihre Großmutter, sowie viele andere Hexen, feierten zum ersten Mal in ihrem Leben das Weihnachtsfest. Für mich war das pure Magie.
Ich hoffe, dass ihr heute ein schönes Weihnachtsfest verbringen werdet, wie auch die Hexen in dieser Geschichte das tun. Dies ist mein Weihnachtsgeschenk an euch und es stammt ebenfalls aus einem früheren Adventskalender, jedoch aus einem mit dem Thema Fantasy. Frohe Weihnachten!
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top