Christmas Time #3
Kurzgeschichte mit Musikern
„Lina, ich finde meine Noten nicht!" Sabrina rannte konfus durch den chaotischen, riesigen Probenraum, und brachte bei der Suche noch mehr Unordnung in die Sachen ihrer Kollegen.
„Hat jemand meine Sticks gesehen?" Sebastian kam hereingestürmt, und drehte sofort wieder um, als er von irgendwoher gerufen wurde.
„Anne! Was macht dein angesabbertes Blättchen auf meiner Mappe?" Gerufene drehte sich zu der empörten Katrina um.
„Woher willst du bitte wissen, dass das meins ist?"
„Es steht dein Name drauf", antwortete Katrina pikiert. „Du bist die Einzige, die ihren Namen auf ihr Blättchen gekritzelt hat. Mach bloß, dass das weg kommt!"
„Ja ja." Anne schnappte sich uninteressiert das Blättchen, und schraubte es ins Mundstück ihres Baritonsaxophons, während vom Flur her laute Rufe erklangen.
„Gib mir meine Trompete wieder!", kreischte ein Mädchen mit schriller Stimme, und man hörte einen Jungen lachen. „Verdammt, die ist neu, du könntest dir nicht einmal das Mundstück leisten! Wenn du sie fallen lässt, hast du ein Problem", rief sie, während er nur weiter lachte, und offensichtlich nicht plante, ihr das Instrument in absehbarer Zeit zurück zu geben.
Der Geräuschpegel stieg, als Felina begann, auf dem Flügel noch einmal alles durchzuklimpern, und Simon sinnlos auf dem Schlagzeug herum trommelte, obwohl er eigentlich gerade musikalisch genug war, um die Perkussionsinstrumente, also Trommel, Triangel oder Rassel, zu handhaben. Entsprechend hörte es sich auch an. Nils hatte bis jetzt seine E-Gitarre gestimmt, aber war nun dazu übergegangen, mit angeschlossenem Verstärker auf voller Lautstärke das Riff von „Smoke on the water" zu spielen.
Die Nerven aller Musiker waren zum zerreißen gespannt, und es fehlte nur noch ein kleiner Schubs, um alles hochgehen zu lassen, der auch nicht lange auf sich warten ließ.
Der Dirigent betrat den Raum, und bekam fast einen Herzinfakt, als er erst das Chaos erblickte, und dann mit einem Blick auf die Uhr rot anlief.
„Oha, jetzt gibt's Ärger...", murmelte Katrina, sodass jeder es hören konnte.
„Wie konnte es dazu kommen...?!", begann die Strafpredigt.
Ja, wie konnte es eigentlich dazu kommen, dass eine vollkommen verplante, mit Jugendlichen besetzte, Bigband zwanzig Minuten vor dem großen Weihnachtskonzert eigentlich noch lange nicht bereit war zu spielen, und alles drunter und drüber lief?
Es fing damit an, dass der Dirigent, der von allen nur „Gandalf" genannt wurde (er hieß Gondolf mit Nachnamen und war ein totaler Herr der Ringe Freak), zu spät zur ersten Probe nach den Sommerferien kam. Eigentlich nichts Ungewöhnliches, denn er kam so gut wie nie pünktlich, und alle Mitglieder der Bigband waren inzwischen so selbstständig, die Probenordnung selbst aufzustellen.
Jedoch brachte er dieses Mal, mit zwanzigminütiger Verspätung, einen Probenplan für das gesamte nächste Jahr mit, und stellte einen neuen, dauerhaften Probenraum in Aussicht. Eigentlich wäre das wirklich gut, um feste Probenzeiten zu bekommen, und nicht immer jedes Mal die gesamte Probenordnung auf- und abbauen zu müssen. Jedoch kannten die Jugendlichen ihren Dirigenten bereits zur Genüge, und wussten, dass so etwas nie funktionieren konnte. Dementsprechend misstrauisch betrachteten sie die ausgeteilten Probenpläne - und entdeckten sogleich die ersten Unstimmigkeiten. Sebastian, der Schlagzeuger, und Simon, der Perkussionist, hatten vollkommen verschiedene Probezeiten, und nicht eine einzige Probe bis zu den Weihnachtsferien am selben Termin.
Während Gandalf stolz berichtete, die Probenpläne auf jeden einzelnen Schüler persönlich angepasst zu haben, fiel auch den anderen Satzgruppen, also denjenigen, die gleiche oder ähnliche Instrumente spielten, auf, dass sie kaum zusammen proben würden.
„...Ihr habt keine Ausreden mehr, nicht zu den Proben zu erscheinen", beendete er seinen Vortrag.
„Herr Gondolf?" Katrina, die E-Bass spielte, meldete sich als Erste zu Wort. „Es ist ja schön, dass Sie das alles bedacht haben, aber wir haben dadurch keine Tutti-Proben als Band mehr, und auch keine Satzproben."
„Oh", war das Einzige, das ihm dazu einfiel. Offensichtlich hatte er bei seinem genialen Plan gar nicht daran gedacht, dass es vor allem wichtig war, mit der gesamten Bigband als Einheit zu proben. Theoretisch müsste er das als der Dirigent allerdings am Besten wissen, schließlich hatte er es studiert. „Das muss ich dann wohl nochmal ändern", sah er ein. Ein bisschen aus dem Konzept gebracht warf er einen Blick auf den Zettel in seiner Hand. „Das nächste Konzert, auf das wir hinarbeiten müssen, wäre dann das Weihnachtskonzert am achten Dezember."
Laute Rufe der Verwunderung waren zu hören, die alle zu einem gemeinsamen „Hä?" wurden, was sehr für die Intelligenz der Instrumentalisten sprach.
Gandalf konnte sich erst wieder Gehör verschaffen, als er sich die Trompete einer Schülerin schnappte, und einen komischen hohen und schrägen Ton produzierte, den er sicherlich nicht während seines Musikstudiums im Fach Trompete gelernt hatte. Wahrscheinlich konnte man dieses Gequietsche gar nicht als Ton bezeichnen.
„Steht das denn nicht auf euren Zetteln?", wunderte der Lehrer sich laut vernehmlich. „Das ist das wichtigste Konzert, das wir in diesen Semestern haben werden!"
„Nö", sagte Lina, und ihre Mitspieler schlossen sich der Posaunistin an.
„Oh, verdammt." Gandalf konnte sich gerade noch beherrschen, sich nicht mit Cassandras Trompete gegen die Stirn zu schlagen, sondern diese an das junge Mädchen zurück zu geben, welches das Instrument wie einen Schatz entgegennahm und genauestens auf irgendwelche Beschädigungen untersuchte. „Gebt mir die Zettel am Besten nochmal zurück..." Die Jugendlichen waren gerade dabei, die Zettel nach vorne zu werfen, wo sie natürlich nicht direkt ankamen, denn ungefaltetes Papier flog bekanntlicherweise nicht in einer geraden Flugbahn. „...wobei das ja auch Papierverschwendung wäre..."
„Entscheiden Sie sich mal, Herr Gondolf!", forderte Feline, die ihren Zettel aus Versehen unter das Klavier geworfen hatte, und nun zu überlegen schien, ob sie ihn holen oder da liegen lassen sollte.
„...nehmt mal alle eure Zettel wieder an euch", ein Stöhnen sämtlicher Schüler, die nun aufstehen mussten, um ihre Zettel zu holen, ging durch den Raum, „und ich diktiere euch die allgemeinen Probezeiten."
So kam es dann, dass in der ersten Probe gar nicht gespielt wurde, denn es musste ja auch alles abgebaut werden.
Bei der zweiten angesetzten Probe, bei der nur die Hälfte der Musiker anwesend war, Gandalf aber ausnahmsweise pünktlich, ließ der Dirigent sie gar nicht erst die Instrumente und Probenordnung aufbauen, sondern forderte die Schüler dazu auf, ihre Instrumente im Raum einzuschließen, und mit ihm mitzukommen, sie würden „sich jetzt einen dauerhaften Proberaum anschauen".
Was der Lehrer, der mit derselben Intelligenz wie seine Schüler ausgestattet war, nicht bedacht hatte, war, dass der dauerhafte Proberaum in gutem Zustand war, und sie sofort hätten anfangen können zu proben - wären die Instrumente der Schüler nicht im alten Probenraum eingeschlossen. Da sich zwischen den beiden Probenräumen eine Distanz von ungefähr einem Kilometer befand, war die zweite Probe ebenfalls vorbei, bevor sie überhaupt angefangen hatte.
Die dritte Probe sollte nun aber wirklich mal eine Probe werden, laut einer E-Mail, die Gandalf extra zwei Tage vorher an alle Bandmitglieder geschickt hatte. Nun hatten aber nicht alle diese Mail erhalten, und die eine Hälfte, die bei der zweiten Probe nicht anwesend gewesen war, fand sich am alten Probenraum ein.
Der Dirigent drehte fast durch: Es waren somit bereits drei ungenutzte Probetage verstrichen!
Einige Tage vor dem Weihnachtskonzert fiel Gandalf auf, dass seine Bigband so gut wie gar nicht vorbereitet war. Er arbeitete also einen Plan sogenannter „Power-Rehearsals" aus, um noch möglichst viel in wenig Zeit zu proben. Zu diesen Proben erschienen aber nur vereinzelte Musiker, da diese Anfang Dezember wirklich Besseres zu tun hatten.
Am Abend vor dem großen Konzert rief der verzweifelte Dirigent bei all seinen Schülern persönlich an, die alle sehr überrascht schienen, am nächsten Tag ein Konzert geben zu müssen.
„Wie, Herr Gondolf, das steht aber nicht auf meinem Jahresplan!", beschwerte Sabrina sich.
„Nicht auf deinem Jahresplan?! Wir haben das bei der ersten Probe doch besprochen!"
„Dann habe ich das wohl nicht aufgeschrieben", zuckte die Blonde mit den Schultern. „Die anderen haben sich aber auch schon gewundert, weshalb Sie plötzlich „Power-Rehearsals" machen wollten. Wir dachten, das wäre nicht so wichtig."
Darüber konnte Gandalf nur den Kopf schütteln. Seine Schüler waren manchmal noch schlimmer als er selbst. Er bestellte alle seine Musiker am frühen Morgen des nächsten Tages zum neuen Probenraum und forderte sie dazu auf, dort in Eigenregie zu proben, bis er kommen würde.
Nun, und als er, knapp wie immer, kurz vor dem Konzert dort auftauchte, herrschte das totale Chaos...
Ein offenes Ende zum dritten Advent! Weihnachten rückt immer näher, gestern habe ich ein bisschen auf dem Weihnachtsmarkt gearbeitet und bin auch schon richtig in Weihnachtsstimmung. Natürlich hoffe ich, dass ihr hier ein bisschen über Gandalf und seine Schüler lachen konntet. Diese Geschichte stammt wie die vorherige aus dem gemeinsam organisierten Adventskalender auf einer anderen Plattform.
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