Christmas Time #2
Kurzgeschichte mit einer Künstlerin
Die Weihnachtszeit ist wohl die stressigste, aber auch besinnlichste Zeit im ganzen Jahr, was schon eine Leistung ist, schließlich sind diese beiden Adjektive komplette Gegenteile.
Menschen hetzen in den Städten, versuchen, noch möglichst billige Weihnachtsgeschenke zu ergattern, überall werden Weihnachtsfeiern in der Adventszeit abgehalten, der Terminkalender quillt quasi über.
Im Gegensatz dazu gehen die Leute in die Kirche, auch wenn sie diese eigentlich den Rest des Jahres meiden, an den Sonntagen werden Kerzen auf dem Adventskranz angezündet, und die Familien und Freunde verbringen schöne Zeiten am Nachmittag bei Kaffee und Kuchen, sowie den selbstgebackenen Plätzchen. Es wird viel geredet, und viel Zeit in der Küche beim Kochen und Backen verbracht.
Für mich ist die Weihnachtszeit in jedem Jahr der Horror. Das Ganze ist auf meinen Job zu schieben.
Ich bin Künstlerin, und das Jahr verbringe ich damit, herumzureisen, und Motive zu entwerfen, die meine Agentur dann veröffentlicht - auf Bechern, Tellern, Brettchen, und vielem anderen Geschirr.
In der Adventszeit jedoch arbeite ich im Verkauf auf einem Weihnachtsmarkt in Berlin, weil dies nun einmal zum Vertrag der Agentur dazu gehört. Bis zu zehn Stunden am Tag darf ich in der Kälte stehen, und Menschen zuhören, die sich nicht entscheiden können, was sie kaufen sollen. Da kann man sich wirklich bessere Jobs vorstellen!
Am Abend des ersten Advents war besonders viel los. Während sich das Gedränge der Menschen in den letzten Tagen noch in Maßen gehalten hatte, weil wahrscheinlich noch nicht alle mitbekommen hatten, dass der Weihnachtsmarkt geöffnet war, kam am heutigen Tag keiner mehr vom Fleck. Alle drängelten, und die Lautstärke war ohrenbetäubend. Während eine ältere Frau neugierig auf die Auslage vor mir starrte, versuchte ich, die Geräusche voneinander zu trennen, um nicht darauf achten zu müssen, dass meine Füße trotz mehreren Paar Socken und dicken Winterstiefeln gerade abfroren. Rechts von mir hörte ich ein kleines Kind schreien, von links beschwerte jemand mit tiefer Stimme sich lautstark darüber, dass ihm auf den Fuß getreten worden war. Über so etwas konnte ich nur den Kopf schütteln. Wenn man sich zu den Stoßzeiten in einer Großstadt auf den Weihnachtsmarkt begab, war es doch vorprogrammiert, dass die Leute sich überrannten und niemand unverletzt davon kam. Die Frau, die bis eben noch die Auslagen betrachtet hatte, wurde von der Menge weitergeschoben, und warf mir nur einen verzweifelten Blick zu. Wäre es nicht so voll gewesen, hätte sie bestimmt etwas gekauft.
Ich unterdrückte den inneren Zwang, auf meine Uhr zu schauen, weil ich wusste, dass ich sowieso da bleiben musste, bis niemand mehr hier war. Und momentan sah es nicht so aus, als würde irgendjemand auch nur daran denken, zu gehen. Ich hatte in den letzten Jahren die Erfahrung gemacht, dass die Zeit schneller verging, wenn ich nicht ständig auf die Uhr sah.
Als ich gerade meine heiße Thermosflasche mit Tee aus meiner Tasche holen wollte, um meine eingefrorenen Hände daran zu wärmen, wurde ich auf ein junges Mädchen aufmerksam, das aufgeregt auf meinen Stand zeigte. Kurzerhand verwarf ich die Pläne, meine Hände zu wärmen, denn die Kundschaft ging immer vor. Wenn niemand meine Kunst kaufte, würde meine Agentur mir irgendwann kündigen, und das wollte ich nun wirklich nicht. Es war als Künstlerin sowieso schwer, von einer Agentur angestellt zu werden, und da ich dies geschafft hatte, würde ich das sicherlich nicht so schnell wieder wegwerfen.
Ein etwas älterer Kerl folgte ihr, als sie sich zu meinem Stand durchschlug, und ich sah auch noch ein noch jüngeres Mädchen und einen kleinen Jungen, der sich an ihre Jacke klammerte, bei denen ich mir aber nicht sicher war, ob sie auch zu den beiden Älteren gehörten. In diesem Gedrängel der Menschen konnte man nicht wirklich erkennen, wer mit wem zusammen hier war. Wenn ich mal einen freien Tag hatte, und nicht den Stand betreuen musste, ging ich, wenn überhaupt, nur nachmittags auf den Weihnachtsmarkt, denn abends war es mir viel zu voll.
„Guck mal, Jannis, wäre das nicht etwas für sie?", fragte das Mädchen, das meinen Stand zuerst entdeckt hatte, und das ich auf höchstens zwölf Jahre schätzte. Sie zeigte auf einen Becher mit einem Muster, das Tannenbaumzweige mit Rosenranken verband, und schaute fragend zum älteren Jungen auf, der aber auch nicht älter als vierzehn sein konnte.
„Das ist total ihr Stil", stimmte der Junge, den sie Jannis genannt hatte, zu. „Bestimmt würde sie sich sehr darüber freuen."
„Wie viel würde der Becher denn kosten?", fragte das Mädchen mich, und ich antwortete wie aus der Pistole geschossen: „Fünfunddreißig Euro", denn ich hatte ihn selbst entworfen, und von Dingen, die aus meiner Feder kamen, kannte ich den Preis auswendig.
„Oh schade, ich habe nur noch fünfzehn Euro zwanzig übrig", bedauerte Jannis, nachdem er das Geld in seinem Portemonnaie nachgezählt hatte.
„Ich habe noch acht Euro siebzig", verkündete das Mädchen.
„Worum geht es denn?" Das jüngere Mädchen, von dem ich mir nicht sicher gewesen war, ob es zu den anderen beiden dazugehörte, mischte sich ein.
„Ein Weihnachtsgeschenk für Mama", sagte Jannis und deutete auf den Becher. „Was hältst du davon?"
„Sie wird ihn lieben!" Ein Strahlen breitete sich auf dem Gesicht des jungen Mädchens aus. „Aber wie viel kostet er denn?"
„Fünfunddreißig Euro", sagte die Ältere, bevor ich das tun konnte, und ein Schatten fuhr über ihr Gesicht. „Wir können uns das nicht leisten, Jannis und ich haben zusammen nur noch dreiundzwanzig Euro neunzig."
„Mama würde sich aber so freuen", mischte der Kleinste sich ein, der immer noch an der Jacke des jüngeren Mädchens hing. Ich schlussfolgerte, dass die vier Geschwister waren, und nach einem Weihnachtsgeschenk für ihre Mutter suchten, und überlegte, ob ich noch billigere Sachen verkaufen könnte, denn sie schienen ihrer Mutter wirklich gern eine Freude machen zu wollen. Jedoch stellte ich fest, dass alle Produkte, aufgrund der Tatsache, dass es Unikate waren, mindestens dreißig Euro kosteten, und unterließ es deshalb.
Die Jüngere holte ihren zerfledderten Geldbeutel heraus, und begann, das Kleingeld darin zu zählen.
„Ich habe noch genau einen Euro und dreißig Cent, dann fehlen uns immer noch fast zehn Euro! Hätte ich nur vorhin keine gebrannten Mandeln gekauft..." Ihr traten Tränen in die Augen. „Vielleicht hätten wir ihr diese Freude machen können, ein letztes Mal."
„Alina, reiß dich zusammen!" Ihre ältere Schwester schaute böse zu der Jüngeren herunter. „Es ist zwar wirklich zum Heulen, dass Mama Krebs hat, und zuhause kannst du so viel heulen wie du willst, aber die breite Öffentlichkeit sollte das doch bitte nicht mitbekommen!"
Ich musste mich zusammenreißen, nicht die Hände vor den Mund zu schlagen. Die Mutter dieser Kinder war todkrank, und diese überlegten gerade, ihr letztes Geld zusammen zu tun, um ihr eine Freude zu Weihnachten zu machen. Das war so süß, dass ich ein paar Mal blinzeln musste, um nicht mit Alina mit zu heulen, der nun die Tränen stumm über die Wangen flossen.
„Ihr könnt den Becher mitnehmen", sagte ich aus einem Impuls heraus, und nur der Älteste schien überhaupt auf mich zu achten.
„Was?", fragte er ungläubig.
„Ich schenke euch den Becher, für eure Mutter", verdeutlichte ich. „Wollt ihr ihn eingepackt haben?"
„Du willst ihn uns echt schenken? Einfach so?", fragte der Kleinste.
„Einfach so", bestätigte ich. Alina schluchzte auf, und so wurde nun auch das älteste Mädchen auf mein Angebot aufmerksam.
„Das können wir doch nicht annehmen!", protestierte sie. „Fünfunddreißig Euro sind eine Menge Geld. Wir könnten Ihnen wenigstens die fünfundzwanzig Euro zwanzig geben, die wir noch haben."
„Behaltet das Geld, ihr habt es sicher nötiger als ich", lächelte ich. „Möchtet ihr gern eine Tüte mit Weihnachtsmotiven? Oder sollen es Blumen sein?"
„Ich mag Weihnachtsmotive!", sagte der kleine Junge und zeigte mir seine Zahnlücke, als er mich breit angrinste.
„In Ordnung." Ich nahm den Becher, wickelte ihn in Papier ein, damit er beim Transport nicht beschädigt werden konnte, und tat in ihn die Papiertüte, die ich schließlich dem Ältesten überreichte. Alina schluchzte immer noch, und schien nicht so recht zu wissen, ob sie sich nun freute, oder todtraurig war.
Jannis bedankte sich höflich bei mir, ebenso tat es seine nächstjüngere Schwester. Ich erwiderte darauf nur ein: „Gern geschehen, das ist keine große Sache", aber im Inneren wusste ich, dass es sehr wohl eine große Sache war. Für die Kinder, weil sie ihrer Mutter eine große Freude machen konnten, und für mich, weil ich Kinder, die ihre Mutter in so jungem Alter verlieren würden, glücklich machen konnte, mit einer kleinen Geste, einem kleinen Geschenk.
Mit dieser etwas traurigen Geschichte wünsche ich euch einen schönen zweiten Advent! Auch sie stammt aus einem Adventskalender, den ich damals mit einer Gruppe von acht wundervollen Menschen auf meiner alten Plattform organisiert habe.
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