The Kiss
„Und weißt du, was er dann gemacht hat? Er hat nach meiner Hand gegriffen und mir ein Kuss auf die Wange gehaucht!..."
Serena neben mir seufzte verträumt und legte ihre kleinen Hände auf ihre zart geröteten Wangen.
Ich lächelte nachsichtig. Sie war bereits seit einiger Zeit in den Jungen aus der Nachbarklasse verknallt und hatte sich ewig nicht getraut ihn anzusprechen. Vor drei Wochen kam es dann dazu, dass sie sich verabredet haben. Seit dem hängt sie mir in den Ohren, was für ein aufmerksamer, süßer und charmanter junger Mann er doch sei.
Ich schüttelte sanft den Kopf. Verliebte Mädchen waren eine Sache für sich. Sie hingen in ihrer eigenen rosaroten Welt und tanzten auf einer Blumenwiese. Es war nicht so, dass ich es ihr nicht gönnen würde, Ich freute mich sehr für sie, doch hoffte ich, dass wir bald wieder über andere Sachen sprechen würden.
Die Schulklingel ertönte und erlöste uns aus dem langweiligen Unterricht. Gemütlich packten wir unsere Sachen zusammen und schlenderten aus der Klasse zu unseren Spinden.
Es war ziemlich laut im Gang, sodass ich Serena kaum noch verstehen konnte, als sie fröhlich von ihrem gemeinsamen Wochenende erzählte.
Ich hörte ihr nur mit einem Ohr zu. Die vielen Jugendlichen und der Lärm lenkte mich zu sehr ab und verunsicherte mich. Ich mochte keine großen Menschenmengen. Ich fühlte mich eingeengt und es fühlte sich an, als würde ich zerquetscht werden und keine Luft bekommen.
Das hatte wahrscheinlich etwas mit meiner Klaustrophobie zu tun, die ich seit Kindertagen hatte.
Anfangs war für mich die Schule der Horror. Zu viele Kinder, zu viele Augen, die mich anstarrten und zu wenig Platz. Mit der Zeit wurde es besser und ich konnte einigermaßen gut den Schultag überstehen. Doch damit war harte Arbeit, Training und sehr viel Willenskraft verbunden. Es gab jedoch immer noch Tage, an denen ich es kaum aushalten konnte, an denen die Panik mir knapp unter der Haut saß und nur auf einen Grund lauerte, um ausbrechen zu können.
Ich war eher ein zurückgezogener und stiller Schüler. So wenig wie ich große Menschenmassen mochte, genau so wenig mochte ich es im Mittelpunkt zu stehen.
Das wirkte sich auch nicht so positiv auf meine Noten aus. Ich war kein schlechter Schüler, eher im Gegenteil, ich war sogar einer der Klassenbesten, doch an der mündlichen Mitarbeit scheiterte es.
„Da hinten ist Aiden und es sieht so aus, als würde er auf dich zukommen." schmunzelte Serena, die neben mir an einem Spind lehnte.
Ich nickte nur geistesabwesend, zu sehr war ich in meinen eigenen Gedanken gefangen und stellte meine Bücher und Hefte weg. Dementsprechend war ich ziemlich verwundert, als sie mit einem leisen Gruß, in meine Richtung, in der Menschenmenge verschwand.
Ich hatte kaum die Möglichkeit ihr hinterher zu rufen, da wurden mir auch schon warme Hände auf die Augen gelegt.
„Na, wer bin ich?" ich kicherte leise, legte meine Hände auf seine, schob diese beiseite und drehte mich zu ihm um.
„Na du." sagte ich und schaute hoch zu ihm. Er grinste mich an, wobei seine Grübchen hervorstachen. Seine Haselnussbraunen Augen schauten in meine, während er sich am Spind anlehnte und mich damit zwischen sich und meiner geöffneten Spindtür einkesselte.
Mein Herz fing an zu stolpern, aber nicht, weil ich mich beengt fühlte, sondern weil er mir so nahe war.
Wir kannten uns schon seit Kindestagen. Unsere Eltern waren sehr gut befreundet, weshalb wir viel unternahmen. Das lag zu einem daran, dass unsere Eltern sich auch aus der Schulzeit kannten und unsere Mütter zusammen arbeiteten. Da war es nur logisch, dass wir uns in unserer privaten Zeit viel sahen.
Früher haben wir sogar noch den Urlaub gemeinsam verbracht , haben Ausflüge geplant und die wildesten Erinnerungen geschaffen.
Das hatte sich im laufe der Jahre jedoch geändert, sodass wir uns darauf beschränkten einmal im Monat einen Spielabend bei der jeweils anderen Familie zu veranstalten, oder ein gemeinsames Essen einzunehmen.
Ich verstand das. Unsere Eltern waren auch nicht mehr die jüngsten und hatten viel zu tun. Mir kam es ganz gelegen.
Aiden und ich waren früher unzertrennlich und klebten wie Kaugummi aneinander. Er kannte Geheimnisse von mir, die keiner kannte. Er war derjenige, mit dem ich alles erlebt und alles ausprobiert habe. Er war mein Fels in der Brandung und mein sicherer Harfen.
Als wir älter wurden merkte ich, dass ich er sich veränderte. Er fand neue Freude, probierte sich in seiner Freizeit aus , wurde zu einer der beliebtesten Schüler der Schule und fing an sich für Mädchen zu interessieren.
Aber auch ich veränderte mich.
Ich hatte gemerkt, dass ich mehr als nur einen Bruder in ihm sah. Ich entwickelte Gefühle für ihn, die mir nicht geheuer waren und mich verunsicherten. Doch mich ganz von ihm zu lösen schaffte ich nicht. Wie hätte ich ohne ihn leben können? Ich versteckte also meine Gefühle vor ihm und versuchte so gut wie möglich alles wie beim alten zu belassen. Es war jedoch viel schwerer als gedacht. Eine einseitige Liebe ging auf Dauer nicht gut und zerstörte einen.
Er lehnte sich zu mir hinunter, und schaute mir in die Augen, dann schippte er mir an die Nase.
„Wo bist du nur wieder mit deinen Gedanken? Gibt es irgendetwas interessanteres, als sich mit mir zu unterhalten?" schmunzelte er. Ich errötete.
„N-nein, natürlich nicht!... i-ich hab nur an das Mittagessen gedacht... wir haben nicht mehr viel Zeit bis zur nächsten Stunde u-und ich-" verhaspelte ich mich und versuchte meine heißen Wangen zu verstecken. Er lachte heiser. Und unterbrach mich. Er meinte, dass er wissen würde, dass ich meine Zeit beim Essen brauchen würde. Schließlich aß ich nicht in der Mensa, sondern suchte mir einen ungestörten und ruhigen Platz um in Ruhe essen zu können.
„Nun gut... kommst du morgen zu mir? Du warst schon lange nicht mehr zu Besuch." seine Stimme hörte sich leicht vorwurfsvoll an, doch was sollte ich machen? In seiner Nähe konnte ich kaum einen richtigen Gedanken fassen.
Und wenn ich dann auch noch bei ihm zuhause war... oh Gott, ich würde sterben.
„I-ich weiß nicht... ich muss noch lernen und Hausaufgaben machen- a-außerdem..." sein Blick wurde bittender und formten sich zu kleinen Hundewelpen Augen. Oh nein, nicht der Blick. Er wusste dass mich das schwach werden lies. Besonders bei ihm.
„Komm schon. Lernen kannst du später immer noch, außerdem habe ich mal wieder sturmfrei, also haben wir die Bude für uns und können so wie früher mal so richtig die Sau rauslassen... hm?"
Ich schluckte. Wir waren also auch noch alleine? Nein, dass würde ich nicht überstehen. Ich würde irgendetwas anstellen und mich lächerlich machen und- er unterbrach meine Gedanken, in dem er einen ganzen Schritt näher auf mich zu kam und seinen Kopf gegen meinen lehnte.
„Komm schon, sag ja..." raunte er und strich mir über die Wange. Diese Nähe zu ihm gab mir den Rest. Mein Bauch kribbelte und meine Knie drohten wegzublicken. Dieser Junge wusste gar nicht, was er mit mir anstellte!
„O-okay" gab ich mich geschlagen. Ich atmete seinen sanften männlichen Geruch ein und lies die Luft nur langsam entweichen. Er roch so gut.
„Sehr schön! Dann bis morgen, komm so gegen Mittag vorbei!" er entfernte sich wieder von mir und ging mit einem leichten schmunzeln davon.
Ich hatte glatt vergessen, dass wir noch in der Schule standen.
——
Es war viertel nach Zwölf, als ich vor seiner Haustür stand. Seit knapp fünf Minuten stand ich hier und traute mich nicht zu klingeln.
Es kam nicht selten vor, dass wir nur zu zweit etwas unternahmen, aber seit dem sich meine Gefühle für ihn verändert hatten, versuchte ich dies zu umgehen. Er hat das relativ schnell mitbekommen und mich gefragt, woran das lag und ob er etwas falsch gemacht habe. Doch ich schob es immer auf die Schule und den zuwachsenden Lernstoff. Ich war mir nicht sicher, ob er mir das abkaufte, aber er sagte dazu nichts, sondern nahm es immer hin. Bis auf heute.
Ich schluckte und schüttelte über mich selbst den Kopf. Komm schon Jasper, sei nicht so! Du hängst nur mit deinem alten Kumpel Aiden ab... so schwer ist das nicht und das hast du schon oft gemacht. Reiß dich zusammen! Versuchte ich mir selber Mut zu machen.
Ich atmete noch einmal tief durch, bis ich mir einen Ruck gab und endlich klingelte. Er lies mich auch nicht lange warten, bis er mir die Tür öffnete.
„Da bist du ja, komm, ich hab uns ne Pizza in den offen geschoben, ich bin schon am verhungern!" empfing er mich freudig. Doch ich kam gar nicht dazu zu antworten, viel zu gebannt starrte ich auf seinen nackten Oberkörper. Sein Körper sah einfach nur fantastisch aus. Mit seiner beinahe makellosen Haut, seiner trainierten Burst und Oberarmen, so wie seinem festen Bauch. Er war alles andere als unattraktiv. Es hatte schon seinen Grund, weshalb er einer der beliebtesten Jungen der Schule war.
Er war nett, freundlich, unglaublich attraktiv, groß, sportlich und so intelligent.
Ich versuchte nicht zu sabbern und zwang mich zu einem kleinen Lächeln, ehe ich eintrat.
„Ja, Pizza klingt nicht schlecht" murmelte ich und schloss die Tür.
Das konnte ja was werden.
Anfangs war die Stimmung etwas merkwürdig, doch Aiden versuchte es auf charmante Art zu überspielen. Er sprach über einige Sachen und versuchte mich aus meinen Schneckenhaus hervorzulocken, was ihm auch sehr gut gelang. Er wusste einfach, welche Knöpfe er bei mir drücken musste.
Es waren einige Stunden vergangen und wir saßen auf seinem Bett. Wir spielten gerade die fünfte Runde eines Rennspieles auf seiner Playstation und wie so oft verlor ich haushoch.
„Boah!" stöhnte ich und lies mich nachhingen fallen. „das macht kein Spaß, wenn ich die ganze Zeit verliere! Du bist zu gut" jammerte ich und lies den Controller achtlos auf das Bett fallen.
Er lachte nur und pausierte das Spiel.
„Also mir macht es Spaß!" schmunzelte er und drehte sich zu mir. „ja, reite nur weiter darauf herum und zeig mir wie schlecht ich bin..." jammerte ich und schloss betrübt die Augen.
„ach nein, ich kann es dir ja beibringen!..." die Decke neben mir raschelte leise, als er sich darauf bewegte und sich anscheinend neben mir hinlegte. Ich brummte nur und ließ meine Augen geschlossen.
Ich genoss die Ruhe und sein weiches Bett gerade zu sehr. Es war schön mal wieder bei ihm zu sein und Zeit mit ihm zu verbringen. Das lud meine ‚Aiden- Batterie' wieder auf, auch wenn es mein ‚Aiden - Herz' zersprengte.
„Jasper..." flüsterte er rau und strich mir eine Haarsträhne aus der Stirn. Eine Bewegung die er sehr häufig und gerne tat.
„Kann ich etwas ausprobieren?" fragte er zaghaft, ohne die Stille zu zerstören.
„Was denn?" fragst ich genau so leise. Ich wollte meine Augen öffnen, doch er bat mich diese geschlossen zu halten. Also kam ich seiner Bitte nach.
Ich wartete geduldig, was er machen würde, als er mir vorsichtig näher kam. Mein Herz fing an schneller zu schlagen und klopfte kurz darauf wie wild in meiner Brust. Was wollte er machen? Warum kam er mir plötzlich so nahe?
„Aiden?" flüsterte ich, doch bekam nur die Aufforderung meine Augen weiterhin geschlossen zu halten. Ich tat es.
Plötzlich spürte ich sein warmen Atem an meiner Wange und kurz darauf seine zarten, leicht rauen Lippen auf meinen.
Ich stockte. Träumte ich das nur? Geschah das gerade wirklich ? Küsste Aiden mich gerade?? Ich war zu geschockt um zu reagieren. Und Aiden tat nichts anderes, als seine Lippen auf meinen liegen zu lassen.
Einige Sekunden vergingen, ohne dass etwas geschah, ohne dass ich den Kuss erwiderte.
Langsam zog Aiden sich wieder zurück, blieb aber noch nahe genug, dass ich seine Wärme spüren konnte. Ich öffnete meine Augen und schaute in seine.
„Das wollte ich schon lange ausprobieren..." sagte er sanft und strich über meine Wange. Ich war immer noch zu perplex, um zu antworten, oder zu reagieren.
„Jasper?" fragte er unsicher, als immer noch keine Reaktion vor mir kam. „Geht es dir gut?" ich blinzelte ein paar mal und nickte.
„Du hast mich geküsst?..." murmelte ich. Erst als ich es selber aussprach wurde es mir bewusst. Meine Ohren, mein Nacken und meine Wangen wurden schlagartig heiß. Sie mussten wahrscheinlich super rot sein. Ich versteckte mein heißes Gesicht hinter meinen Händen.
„Hey ... Versteck dich nicht vor mir... sprich lieber mit mir... war das ... okay?" fragte er leise und schob meine Hände aus mein Gesicht.
Mit großen Augen starrte ich ihn an und kaute auf meiner Lippe herum. Ob das okay war? Verdammte scheisse ja! Das war mehr als nur in Ordnung!
Obwohl ein Orkan in mir tobte und mich total aufwühlte, konnte ich nicht mehr, als einfach zu nicken.
„Kann ... darf ich dich nochmal küssen?" fragte er leise. Verunsichert von meiner Reaktion. Ich nickte erneut nur leicht.
Kurz darauf kam er mir wieder nahe. Dieses Mal konnte ich ihm dabei zusehen, wie er sich vorbeugte, sich nervös über die Lippen leckte und sich rechts und links von meinen Kopf abstützte.
Langsam schloss er seine Augen. Auch ich tat es und kurz darauf spürte ich seine Lippen erneut auf meinen. Und mein Körper explodierte vor Empfindungen. Ich wusste nicht, wie ich fühlen sollte.
Ich war aufgeregt, nervös, glücklich aber auch verängstigt. War das nur ein Traum? Was geschah hier eigentlich?
Meine Gedanken verpufften, als er vorsichtig anfing seine Lippen zu bewegen und den Kuss sanft und süß zu erweitern.
Ich versuchte seine Bewegungen nachzuahmen und mich in den Kuss fallen zu lassen. Dann legte ich meine Arme um ihn und drückte ihn vorsichtig Nähe an mich heran.
Aiden wusste, dass dies mein erster Kuss war und ging dabei so zärtlich mit mir um, dass mir beinahe die Tränen kamen.
Auf einmal spürte ich etwas heißes und feuchtes über meine Lippen streifen, dass mich keuche lies. Von dem ungewohnten Gefühl drückte ich ihn von mir und schaute ihm leicht außer Atem ins Gesicht.
Seine Augen waren leicht verklärt und seine Brust hebte sich unrhythmisch.
Wir schauten uns beide in die Augen. Mein Blick wanderte langsam von seinen Augen zu seinen Lippen und zurück.
Es vergingen weitere Sekunden der Stille, in denen wir uns nur anschauten, bis ich ihn wieder zu mir zog und sanft meine Lippen auf seine legte.
So lagen wir eine Ewigkeit da und küssten uns. Er halb über mir und ich unter ihm begraben. So wie ich es mir schon so oft vorgestellt hatte. Wenn das mal kein Traum war, der wahr wurde.
Ich wusste nicht, was das alles zu bedeuten hatte und wo uns das hinführen würde, aber ich war bereit das herauszufinden.
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