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Louis

Meistens schliefen wir während der Schultage nicht im selben Bett. Was auch ein paar Gründe hatte – die uns am nächsten Morgen auch wieder bewusst wurden.

Der Wecker klingelte wie üblich in aller Herrgottsfrühe. Nerviges Teil.
Ganz aus Gewohnheit und noch nicht mal halbwach schlug ich in Richtung des Klingelns, um es zu beenden.

Ich bereute diese Entscheidung in der Sekunde, in der meine Hand stattdessen ein Gesicht traf und ich jetzt wieder realisierte, dass ich mit Harry in meinen Armen geschlafen hatte.

»Louis!« Harry saß sehr schnell aufrecht und sah mich – offenbar wirklich effektiv geweckt – vorwurfsvoll an. Ich erwiderte den Blick entschuldigend und im selben Moment begannen wir zu lachen. Ich zog Harry wieder runter zu mir und lachend vergrub er sein Gesicht im Kissen.

Da wurde es mir wieder bewusst. Wie hatte ich es vorher nur nicht sehen können? Liebe. Wenn Harry es schaffte, mich noch vor 7 Uhr morgens zum Lachen zu bringen.

»Wir sollten aufstehen.«, sagte ich dann aber, weil ich wusste, dass zumindest ich sonst nie wieder dieses Bett verlassen würde. Nicht wenn Harry hier lag und selbst vergessen zu schien, dass wir zum Unterricht mussten.

»Ein paar Sekunden«, er schlang seine Arme fest um meinen Oberkörper und drückte ein paar Küsse darauf. Plötzlich begann aber mein Wecker jetzt auch Alarm zu schlagen und mit einem genervten, synchronen Stöhnen wussten wir beide, dass wir jetzt wohl oder übel aufstehen mussten.

Harry schlüpfte als Erster unter der Decke hervor, er verzog das Gesicht, sobald er auf beiden Beinen stand.
»Weißt du was, Louis?« Ich zog fragend die Augenbrauen in die Höhe. »Ich hätte mir gestern die Hose ausziehen sollen.«

Ich zuckte grinsend mit den Schultern. »Ich werde nicht sagen, dass ich es dir ja gesagt habe, aber...«, auch ich schwang meine Beine über die Bettkante, »Ich hab's dir ja gesagt.«

Harry verdrehte die Augen und drehte sich um. »Und ich dachte schon, du würdest Mitleid mit mir haben.«

Ich lächelte und hielt den Mund.

»Ich habe nicht mal zwei volle Stunden geschlafen.«, berichtete Niall mit matter Stimme. »Ich hab kein Auge zubekommen. Keine Ahnung.«

»Vielleicht war Vollmond oder so.«, sagte Liam und zuckte mit den Schultern. »Viele Menschen haben Schlafstörungen, wenn Vollmond ist.«

»Viele Frauen«, nickte Harry und biss in den Apfel in seiner Hand. »Ich habe mal gelesen, dass vor allem Frauen sich über ihren Schlaf in Vollmondnächten beklagen.«

»Oder du bist wirklich ein irischer Kobold, Niall.«, vermutete ich und warf ihm einen vielsagenden Blick zu.

»Und was hat das mit der Mondsache zu tun, Snoblinson?«

»Naja, vielleicht sind Leprechauns so ähnlich wie Werwölfe und der Vollmond hat irgendeine Wirkung auf euch.« Ich schob mir ein paar weitere Cornflakes in den Mund. Ich aß sie trocken mit den Fingern aus einer Schüssel, weil sie so eh am besten schmeckten und ich das Knuspern liebte.

»Jedenfalls magst du vielleicht schlecht geschlafen haben, Niall«, fuhr Harry fort, »dafür wurdest du heute Morgen aber nicht geschlagen, um aufzuwachen.«

»Heyyyy!« Ich sah ihn mit vorgeschobener Unterlippe trotzig an und griff nach seiner Hand. »Du weißt, dass ich das nicht wollte!«

»Du hast ihn geschlagen, Louis?«, fragte Liam belustigt und sah zwischen Harry und mir hin und her, als wären wir irgendeine Art interessante Unterhaltungsshow.

»Nein!« Verteidigend hob ich meine Hände und ließ Harrys dabei los.

»Eigentlich doch.«, sagte Harry, bevor ich weiterreden konnte.

»Nein, ich wollte nur den Wecker ausmachen. Ich habe noch halb geschlafen. Und Harry war nun mal in derselben Richtung wie der Wecker.«, verteidigte ich mich weiter. Ich lehnte mich zu Harry rüber und küsste seinen Kiefer leicht. »Du weißt, dass ich das nicht wollte.«

»Und deshalb, meine Lieben«, verkündete Niall, »haben unsere Zimmer keine Doppelbetten. Denn es ist nicht so gedacht, dass wir Betten teilen.«

»Du tust ja, als wäre es verboten.«, sagte ich zu Niall, ohne ihn anzusehen. Stattdessen haftete mein Blick an Harrys rosiger Haut. Sanft umfasste ich sein Kinn und drehte sein Gesicht so zu mir. »Wir lassen uns nichts von dem Kobold sagen, oder Harry?« Ich küsste seine Lippen, bevor er antworten konnte. Er schenkte mir den sauren Geschmack des Apfels. Ich spürte, wie Harry zum Ende des Kusses hin gegen meine Lippen lächelte und ein perfekter Schwall von Schmetterlingen bahnte sich seinen Weg durch meinen Körper. Harry machte mich einfach komplett verrückt.

»Bah, hört auf, euch zu küssen! Ist ja nicht auszuhalten mit euch beiden!« Niall hielt sich empört die Hände vor die Augen.

Liam grinste. »Das dürfen wir nicht sagen, Niall. Wo wir doch so fleißig daran gearbeitet haben, sie zusammenzubekommen. Nialls geheimer Code für die Operation Harry-und-Louis war übrigens ein vermeintliches Seesterne-Zähmen. Haben wir euch das schon mal erzählt?«

Harry und ich schüttelten beide den Kopf, aber ich glaubte, dass mir das mit den Seesternen vage bekannt vorkam. Kein Wunder, dass das von Niall kam.
Natürlich wussten Harry und ich, dass Liam und Niall über längere Zeit hinweg versucht hatten, uns beide zu verkuppeln, aber so richtig darüber geredet hatten wir nie.

»Was war dein Codewort?«, fragte Harry interessiert an Liam gerichtet.

»Romeo und Julia.«, berichtete Liam sachlich. »Eigentlich war das auch eine gute Idee, weil ein Buch, das wir in der Schule lesen, nicht ganz so suspekt erscheint wie Nialls dämliche Seesterne. Aber der Nachteil war, dass ich manchmal wirklich mit Niall über das Buch reden wollte und er jedes Mal von irgendwelchen Hochzeitsfantasien von euch beiden angefangen hat.« Er sah Niall vorwurfsvoll an.

Romeo und Julia. Deswegen hatte Liam also auch Wochen, nachdem wir das Buch im Englischunterricht beendet hatten, noch darüber geredet. Es ging nie um Shakespeare.

»Alberne Codewörter hin oder her – ihr wart ziemlich schlechte Verkuppler.«, sagte ich mit unbeeindruckter Miene.

»Wieso?«, fragte Niall empört. »Ihr seid doch zusammen, oder nicht?«

»Ja, aber das ist ganz sicher nicht euch zuzuschreiben. Harry und ich haben das ziemlich gut alleine hinbekommen, auch wenn es nicht ganz einfach war.«

Harry nickte bestätigend. »Louis musste ein Auto klauen.«

»Eigentlich«, fiel mir wieder ein und triumphierend verfrachtete ich die restlichen Cornflakes mit der Hand in meinen Mund, »habt ihr die Sache sogar eher sabotiert. Liam, du hast durch den Kuss als Fußballpreis einen temporären Keil zwischen Harry und mich geschoben, und Niall, du hast unseren ersten Kuss verhindert. Sonst hätten wir vielleicht schon einige Monate vorher etwas miteinander angefangen.«

»Ja, ja, ja, schon verstanden.«, erklärte Liam mit verteidigend erhobenen Armen. »Niall und ich sind die Bösen. Ich gehe jetzt hoch Zähne putzen, bevor ich noch verklagt werde. Vielleicht hätten wir doch lieber daran arbeiten sollen, Harry und Louis noch weiter zu verfeinden, Niall. Manchmal ist Blut besser als...ähm, mir fällt nichts Gutes ein, ich dachte, das hört sich cool an.«

»Besser als Sperma?«, schlug Niall vor und ich trat ihm gegen sein Schienbein. »Au! Tritt mich nicht, du Kleinkrimineller. Ist doch eine gute Redensart. Verstehst du nicht; Blut steht für die Feindschaft und Sperma für die Beziehung. Ist doch offensichtlich und ganz schön genial, wenn du mich fragst. Wir sollten ein Philosophen-Duo werden, Liam. Oder Schriftsteller.« Niall stand auf und schloss sich Liam an. Die beiden wandten uns die Rücken zu und machten sich auf den Weg zur Tür. »Manchmal ist Blut besser als Sperma.«

Ich stützte verzweifelt mein Gesicht in meine Hände und seufzte. »Wieso sind wir noch mal mit denen befreundet?«

Harry lachte und streichelte meinen Rücken. »Sie sind schließlich nicht immer so.« Er küsste meine Schulter und ich sah auf. »Wollen wir auch hoch?«

Ich nickte matt, stand auf und griff nach meiner leeren Schüssel. Ich hielt sie Harry hin, das übrige Kerngehäuse seines Apfels landete darin. »Ich bringe das nur noch schnell weg.«

»Hey Lou?« Harry hielt mein Handgelenk fest, bevor ich gehen konnte. »Ich glaube, ich bin froh, dass wir uns nicht nach den Ferien auf deinem Bett geküsst haben. Oder beim Laubharken. Der Abend vom Ball war perfekt.«

Ich zog Harry an der Taille näher zu mir, verzog aber bei der Erinnerung an die Stunden davor das Gesicht. »Abgesehen davon, dass ich den Großteil des Abends nicht da war.« Ich würde mir niemals verzeihen, Harry sitzengelassen zu haben.

Ich erwartete, dass Harry irgendetwas darauf erwiderte, aber alles, was er tat, war, mich zu küssen. Gut, das reichte mir auch als Antwort.
Wie hätte ich mich nicht in diesen Jungen verlieben können?

In den ersten Wochen hier hatte ich den Sitzplan in Bio gehasst. Ich saß an der Zweierbank neben Liam, das hatte ich gemocht, aber der Tisch vor uns war der von Niall und Harry. Niall saß vor Liam, Harry vor mir. Ich hatte es gehasst, in jeder Biostunde Harry ansehen und alle der idiotischen Gespräche der beiden mitanhören zu müssen.

Aber ich hatte diese Sitzordnung schon lange zu schätzen gelernt. Manche Biostunden quasselten wir vier quasi von Anfang bis Ende durch. Außerdem hatte ich Harry immer gut im Blick und man hatte jemanden, der einem half, wenn man das brauchte.

Meine Meinung zum Biositzplan war nur eine von so vielen Sachen, die sich seit Ende September verändert hatten. Harry hatte mein Leben auf den Kopf gestellt, auf die beste Weise. Vermutlich war es das, was die Liebe so tat.

Liebe.

Ich studierte die Struktur von Harrys Locken.

Liebe. Liebe. Liebe.

Es war gut, dass ich das endlich verstanden hatte. Jetzt wusste ich es. Die erste Hürde war damit überwunden. Damit kam die nächste auf mich zu.

Ich musste es ihm sagen. Ich wollte es so sehr. Wenn es sich schon so gut anfühlte, sich der Liebe allein bewusst zu sein, wie überwältigend würde es sein, es mit Harry zu teilen?

Es war ziemlich wahrscheinlich das beste Gefühl, das ich jemals empfunden hatte. Liebe war groß, sie war riesig. Es fühlte sich an, als wäre sie viel zu viel für meinen Körper, als wäre der Käfig aus Knochen ein Gefängnis, das ihr nicht gerecht wurde.

Aber ich wusste nicht genau, wie ich es ihm sagen sollte. Wann? Wie konnte ich wissen, dass es der richtige Moment war? Gab es einen richtigen Moment oder war einfach jeder Moment dafür richtig?

Mir wurde ein Ellenbogen in die Seite gestoßen und ich blinzelte ein paar Mal, um mir wieder der eigentlichen Situation bewusst zu werden.
Wir sollten uns eigentlich irgendetwas zum Verdauungstrakt des Menschen erarbeiten, aber die Hälfte der Schüler schwatzte. Manche schrieben. Mrs. Baker schien irgendwelche Arbeiten vorne zu kontrollieren und störte sich nicht an der milden Unruhe.

Liam nickte in Richtung Harry. »Du starrst. Und wenn du nicht gerade über den pH-Wert von Harrys Magen nachdenkst, dann bist du garantiert ab vom Thema.«

Ich zog meine Augenbrauen grüblerisch zusammen. Liam hatte Recht. Ich sollte versuchen, mich zu konzentrieren. Ich wandte den Blick von Harry ab, der sich mit Niall über dessen Hefter gebeugt hatte und leise irgendetwas erklärte. Stattdessen nahm ich mir meine eigenen Aufzeichnungen vor – die zugegebenermaßen bisher sehr spärlich ausgefallen waren.

»Verrätst du mir, was dich so ablenkt?«, fragte Liam dann nach einer Weile. »Woran denkst du die ganze Zeit? Also, ich meine, an Harry, das ist klar. Aber woran genau?«

Wieder überlegte ich, aber eigentlich war die Antwort klar. Ich konnte es Liam nicht sagen, das war vielleicht nicht unbedingt die beste Sache, um sie Liam vor Harry zu erzählen. Außerdem, was wäre, wenn Liam es aus seiner geheimen Mission heraus an Niall weitererzählen würde und es so irgendwie an Harrys Ohren geriet, aber nicht durch mich? Das durfte auf keinen Fall passieren, also würde ich einfach die Klappe halten.

»Ist es schlimm, wenn ich es dir nicht sage?« Er schüttelte den Kopf. »Gut. Danke.« Ich griff nach einem Bleistift. »Dann lass uns mal über unseren Dünndarm reden.«
Liam grinste und endlich widmete auch ich mich dem Schulstoff.

Wir arbeiteten eine Weile, bis jeder in der Klasse leise wurde, als es klopfte. Mrs. Baker stand auf und sah in den Raum. »Das müsste er dann wohl sein.«

»Wer?«, fragte ich Liam flüsternd, aber der zuckte nur mit den Schultern.

Die Tür wurde geöffnet und Evelyn trat herein. Ich fragte mich schon, was sie hier machte, als ihr jemand folgte.

»Guten Morgen, lasst euch nicht groß stören.«, lächelte die junge Schulleiterin. »Ich wollte euch nur schnell jemanden vorstellen. Ihr habt nämlich ab heute einen neuen Mitschüler.«

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Habt einen schönen Sonntag.
Streamt Two of us.

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