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Louis

»Wo ist Harry? Ach, verdammt, dem Jungen müssten die Beine amputiert werden! Ich muss nur blinzeln und schon ist er verschwunden! Weißt du, wo er ist, Liam?«

Mit amüsiertem Blick hatte Liam meinen kurzen Ausbruch beobachtet. Jetzt schüttelte er den Kopf. »Nein. Ob du es glaubst oder nicht, Louis, ich habe Harry auch keine Glocke um den Hals gehängt. Geh ihn suchen, sicher ist er bei Niall.«

Verzweifelt warf ich die Arme in die Luft. »Wetten nicht? Bestimmt ist er irgendwo draußen und baut ein Iglu oder verkauft im Gemeinschaftsraum Bananenbrot, um das Geld an Streifenhörnchen mit Haarausfall zu spenden.« Liam betrachtete mich mit hochgezogener Augenbraue. »Was?«, fragte ich verteidigend. »Er macht solche Dinge, das weißt du! Aber er könnte mir wenigstens vorher Bescheid sagen.«

Lächelnd stupste Liam mich an. »Du kannst dich beschweren, so viel du willst. Du hast nämlich eine ziemliche Schwäche für Iglu bauende Nacktstreifenhörnchen-Aktivisten entwickelt, Louis Tomlinson. Na los, geh ihn suchen, bevor er noch die ganze Welt rettet.«

Ich wollte mich noch rechtfertigen, aber dann fiel mir doch nichts ein. Schließlich hatte er Recht. Ich würde keine von Harrys Eigenheiten eintauschen, wenn ich es könnte.
Außer vielleicht seine uneingeschränkte Liebe für den Chaos-Iren. Wenn es um Niall ging, könnte Harry schon manchmal ein wenig mehr Urteilsvermögen miteinbeziehen.

»Wir sehen uns.« Ohne eine Antwort abzuwarten, lief ich davon. Vermutlich sollte ich nach Niall Ausschau halten, denn der war, wie Liam gesagt hatte, wahrscheinlich meine beste Chance.

Systematisch suchte ich das Internat ab ohne Harry zu finden. Niall begegnete ich auf einem der Flure, aber er hatte so wenig Ahnung von Harrys Standort wie Liam und ich.

Gerade stand ich am Rande einer der Sitzecken in der Bibliothek und scannte jeden Schüler mit den Augen ab, als eine Stimme hinter mir mich zusammenzucken ließ.
»Suchst du deinen kleinen Sonnenschein?«

Natürlich erkannte ich sie an ihrer Stimme, auch wenn wir eigentlich nie wirklich miteinander geredet hatten. Ich drehte mich nicht zu ihr um, weil ich nicht das Verlangen hatte, sie anzusehen. »Eleanor.«, stellte ich nüchtern fest, während ich weitere Hinterköpfe nach den Schokoladenlocken absuchte.

»Louis.« Sie trat neben mich, aber ich würdigte sie keines Blickes. »Du hörst dich nicht sehr erfreut an.«

»Tja, das könnte daran liegen, dass ich nicht sehr erfreut bin.«

»Aber Louis!«, sagte sie vorwurfsvoll und schnalzte mit der Zunge. »Das ist ziemlich unhöflich von dir, so mit mir zu reden, findest du nicht? Ich bin mir sicher, deine Eltern haben dich anders erzogen.«

»Ich verstoße mit Freuden gegen die Vorschriften meiner Eltern. Wenn du dich unhöflich behandelt fühlst, steht es dir frei zu gehen.« Natürlich bewegte sie sich nicht einen Zentimeter weg. Ich unterdrückte ein Seufzen. »Was willst du, Eleanor?«

Aus dem Augenwinkel sah ich, wie sie eine Strähne ihres braunen Haares um ihre Finger zwirbelte. »Ich dachte nur, wir beide könnten uns ein wenig nett unterhalten. Wäre doch schön, oder? Zwei alte Freunde unter sich...«

Jetzt warf auch ich ihr einen kurzen Blick zu. Natürlich fing sie ihn sofort mit ihren eigenen Augen auf, aber ich sah wieder weg. »Wir waren nie Freunde.«

»Ach nein? Du hast meine Gesellschaft immer genossen, das weißt du so gut wie ich. Aber irgendwann hast du das Ganze einfach in den Wind geschlagen – schade, wenn du mich fragst.«

»Nicht, wenn du mich fragst.« Ich hätte wissen sollen, dass ich diese...Aktivitäten mit Eleanor noch bereuen würde. Wie könnte es auch eine gute Idee sein, sich körperlich mit jemandem einzulassen, dem man für den Rest des Schuljahres nicht aus dem Weg gehen konnte? Mal wieder toll gemacht, Louis. »Eleanor. Was willst du?« Ich sprach langsam und betonte jedes Wort der Frage einzeln. »Wenn du nicht weißt, wo Harry ist, kannst du mir nicht helfen.«

»Ja, stimmt. Harry. Sehr amüsant diese Sache, finde ich. Louis Tomkins, der König der Homophoben-Bewegung, der sich in seiner ersten Woche hier ein apathisches Mädchen zum Ficken klargemacht hat, geht mit Harry Styles, dem schwulsten Jungen auf diesem Planeten. Süß.« Sie sprach als wären ihre Wörter Honig, lächelte falsch.

»Ich heiße Tomlinson.«

»Schön für dich. Und ich weiß übrigens nicht, wo Harry ist.«

Ich drehte mich sofort um. »Dann ist dieses Gespräch jetzt beendet.«
Es war keine Überraschung, dass sie sich nicht so einfach abschütteln ließ und mir folgte.

»Das sehe ich anders.«, erzählte sie munter weiter, als wären wir beide freiwillige Teilnehmer dieser Unterhaltung. »Weißt du, mich hat es schon ein bisschen überrascht, als ich von dir und Harry erfahren habe. Mich wundert es, dass du dich auf Harry einlässt, obwohl du ziemlich genau von seinen Luftschlössern in Sachen Romantik weißt. Aber noch viel mehr wundert es mich, dass Harry sich auf dich eingelassen hat. Man muss dich nicht besonders gut kennen, um zu wissen, dass Beziehungen nicht gerade weit oben auf deiner Prioritätenliste stehen. Er weiß, dass du schon mehr Mädchen im Bett hattest als Leute ihm Komplimente für seine Grübchen gemacht haben. Was erhofft er sich nur von dir? Ich bin schon überrascht, dass ihr beide bis hierhin gehalten habt! Aber mal ehrlich, Harry hat wirklich Pech mit seiner Naivität. Ich meine, er hat dich doch sogar mit mir gesehen, was erwartet er denn?«

Ich kniff die Augen zusammen und versuchte, meinen Schritt zu beschleunigen. »Wir hatten nie Sex.« Ich hatte immer mehr das Gefühl, mich vor ihr zu rechtfertigen.

»Wir beide? Nein, leider nicht. Aber es hätte reichen müssen, um Harry von seinen surrealen Phantasien über dich abwenden zu lassen.«

Ich konnte dieses Mädchen wirklich immer weniger leiden. »Ich habe dir nichts zu sagen, Eleanor. Und ich glaube kaum, dass du etwas sagen könntest, was ich hören möchte. Also wenn du mich entschuldigen würdest..?« Ich erhöhte mein Tempo weiterhin, aber noch immer ließ sie sich nicht abschütteln.

Überrascht stellte ich fest, dass sie lachte. »Du hast es aber eilig, Louis! Du willst nicht, dass Harry uns zusammen sieht, hm? Du hast Angst, er könnte sich dann seinen Teil dazu denken. Vielleicht ist diese Angst sogar berechtigt.«

Sie griff nach meinem Oberarm, aber ich schüttelte ihre Hand ab. Ihre Worte hatten mich ein wenig aus der Bahn geworfen, wenn ich ehrlich war. Aber sie hatte Unrecht, oder? Ich hatte Harry schon so oft versichert, dass Eleanor mir wirklich komplett egal war. Und ich war mir sicher, dass er mir vertraute. Aber andererseits...Harry hatte seine Unsicherheiten. Es gab viele Momente, in denen er nicht daran glaubte, dass jemand es wirklich mit ihm versuchen wollen würde. Auch wenn er wissen sollte, dass ich auf mehr als nur einen Versuch aus war, was uns betraf. Vielleicht sollte ich es ihm öfter sagen, um ihm klarzumachen, dass ich nicht bloß mit ihm spiele und ein wenig süße Zeit genieße.

»Hat's dir die Sprache verschlagen, Louis? Ich habe Recht. Du willst nicht, dass er dich mit mir sieht.«

Ganz egal, wie sehr ich mich nicht von ihr provozieren lassen wollte, es reichte mir langsam. »Halt den Mund, Eleanor. Harry und ich gehen dich nichts an.« Plötzlich überkam mich die mögliche Vorstellung davon, dass sie vielleicht schon versuchte, auch Harry zu manipulieren. Wütend ballte ich meine Hände zu Fäusten. »Lass ihn in Ruhe.«, fügte ich also noch hinzu.

»Vielleicht hätten wir das mit uns beiden nicht fallen lassen sollen.«, erzählte sie fröhlich weiter. »Was ich von dir hatte, war nicht schlecht. Ich bin sicher, es wäre noch viel besser geworden, wären wir weitergegangen. Es ist zum Bedauern.« Als würde sie in Erinnerungen schwelgen, schwieg sie kurz. »Aber du weißt, dass das nichts werden kann, oder? Du und Harry?«, führte sie fort. »Ihr seid wie Öl und Wasser. Man kann versuchen, euch kurz zu vermischen, aber eure Natur wird euch schneller wieder trennen, als man blinzeln kann. Wann wirst du das begreifen, Louis? Beende es, bevor er es tut. Ich könnte dich ein wenig ablenken, wenn du willst. Du musst wieder klar werden im Kopf. Ihr seid nicht füreinander geschaffen – ganz egal, wie sehr Harry versucht, sich das einzureden. Du stehst nicht auf Jungs, mein hübscher Louis. Du fickst sie nicht. Und du küsst sie auch nicht. Du empfindest nichts für Harry, auch wenn die riesigen grünen Augen dich dazu erweichen wollen. Mach dir nichts vor. Es ist besser für alle Beteiligten, das Pflaster kurz und schmerzlos abzureißen.«

Meine Finger kribbelten verräterisch und ich grub meine Fingernägel noch tiefer in meine Handflächen. Ich konnte Eleanor ja nicht einfach schlagen. Das Problem war, dass sie ganz genau wusste, wie wütend sie mich machte.

»Halt dich aus meinem Leben heraus.«, zischte ich mit verkrampftem Kiefer.

Endlich blieb sie stehen. »Das wird schwierig, wir gehen auf die gleiche Schule.«, sagte sie unbekümmert, aber ich wusste, dass es fürs Erste vorbei war. »Ach, Louis?«, rief sie noch, als ich schon einige Meter zwischen uns gebracht hatte. »Sag mir einfach Bescheid, wenn ihr Ratschlag für Sex braucht, ohne dass der komplette Jungentrakt auf seinen Schlaf verzichten muss!«

Ohne mich auch nur einmal umzudrehen, stieß ich die Bibliothekstüren auf und stapfte zur Treppe. Ich würde die Suche nach Harry aufgeben, mich auf mein Bett schmeißen und Eleanor verfluchen. Das konnte doch nicht wahr sein; diese verfluchte, nervtötende-

»Hey. Lou!« Harrys Stimme war vermutlich das Einzige, das mich in diesem Moment überhaupt zum Anhalten hätte bringen können. Ich hatte gerade in den Flur zu den Jungenzimmern einbiegen wollen, doch jetzt blieb ich stehen und sah mit perplexem Blick zu Harry, der gerade mit seinem typischen, herzerweichenden Lächeln die Tür des Zimmers schloss, aus dem er gekommen war. Ich drehte mich kurz ungläubig zu dem Flur um, in den ich eigentlich hineingewollt hatte, um sicherzugehen, dass es wirklich der Jungstrakt war. Dass ich mich nicht vielleicht in der Etage irrte. Doch ich irrte mich nicht. Und das bedeutete, dass der gegenüberliegende Flur, der, in dem Harry gerade sorglos eines der Zimmer verlassen hatte, der Lehrertrakt war.
Lehrer. Der Teil der Schule, den wir nicht betreten durften.

Mit offenem Mund starrte ich Harry an, während er mit unverändert zwanglosem Ausdruck jetzt durch den magischen, verbotenen Türrahmen auf den breiten Treppenflur trat.

»Hey.«, sagte er wieder und seine Lippen streiften federleicht meinen Mundwinkel. Dieses eine Mal wollte ich das Kribbeln auf meiner Haut nicht spüren, denn eigentlich hatte ich das Gefühl, dass Harry mir eine Erklärung schuldig war. Kein Schüler spazierte einfach so in ein Lehrerzimmer.

»Louis? Ist alles okay?« Seine Finger strichen über eine meiner Hände, die noch immer zu Fäusten geballt waren. Langsam öffnete ich die Faust und streckte meiner Finger. Harry strich sanft über meine Fingerknöchel. »Geht es dir gut?«

Ich kniff kurz die Augen zusammen, um den Überreiz von verwirrenden Gefühlen in mir zu unterdrücken. Manchmal waren einige Dinge einfach zu viel. Ich öffnete die Augen wieder und nickte, bemühte mich um ein beruhigendes Lächeln.

Harry hatte seinen Blick auf meine Augen geheftet und schien darin für einen Beweis der Unwahrheit meiner Worte zu suchen, seufzte dann aber. »Wenn du das sagst. Hey, ich wollte dich noch etwas fragen. Ich habe heute Morgen ein paar Sachen in unserem Zimmer gefunden, von denen ich nicht weiß, wo sie hergekommen sind. Vielleicht kannst du mir helfen.« Sein Augen fragten nach Einverständnis, als ich mit einem weiteren schwachen Lächeln nickte, nahm er meine Hand in seine und zog mich sanft in unser Zimmer.

Er redete über irgendetwas, aber es war, als wäre es eine mir unbekannte Sprache. Die Wörter wirbelten sinnlos in meinem Kopf herum, aber ich sah, dass er lächelte. Ohne dass ich ihn verstand, wusste ich, dass er über eine dieser Sachen redete, über die nur er jemals reden würde. Dass Mäuse nicht mehr niedlich wären, wenn sie so groß wären wie Hunde und er eine Heidenangst vor ihnen hätte. Oder dass einige Sterne wohl manchmal traurig waren, weil sie viel weniger geschätzt wurden als die Sonne, obwohl sie doch auch nur ein weiterer Stern war.
Das war der Junge mit einem Herzen so groß wie der pazifische Ozean. Und irgendwie hatte er es geschafft, darin Platz für mich zu schaffen, egal wie sehr wir uns voneinander unterschieden.

Öl und Wasser, hallte Eleanors Stimme in meinem Kopf nach, aber ich verbannte die Worte aus meinen Gedanken.
Wie auch immer sich das hier entwickeln würde, es hing allein von Harry und mir ab. Ich hätte mittlerweile begreifen sollen, dass die Meinung anderer Leute nichts mit meinem tatsächlichen Leben zu tun hatte.

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Happy Birthday, Liam!

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