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Louis
Freitag war der zweite Tag in Folge, an dem ich beinahe an einem Herzinfarkt gestorben wäre – als Niall um kurz vor Acht in unser Zimmer platzte. Es stellte sich heraus, dass das eine weitere Sache war, die alle außer mir wussten. Eigentlich kamen alle Schüler am Samstag wieder (weshalb ich auch nicht mit dem menschlichen Wecker gerechnet hatte), bis auf den blonden Iren, da der mit seinen Flügen nicht so flexibel war und sicherheitshalber immer einen Tag früher zurück im Internat war.
Keine Ahnung, ob man in Irland keinen gesunden Menschenverstand kannte und die Leute schlafen lässt, aber Niall kannte ihn auf jeden Fall nicht.
»Guten Morgen, ihr Zwei!«, sagte er strahlend und sah sich in unserem Zimmer um. Aus irgendeinem Grund sah er plötzlich verwirrt zwischen mir und Harry hin und her, funkelte dann beinahe wütend unsere Betten an, als hätte er erwartet, dass wir in der einen Woche unser Zimmer umgeräumt hätten oder so. Idiot.
»Raus hier, Niall Horan.«, sagte ich knapp und mit rauer Stimme. Ich drehte mich von der Tür weg, sodass ich ihn nicht mehr sehen konnte. Doch im nächsten Moment wurden die Vorhänge aufgerissen und Licht flutete das Zimmer. Entnervt drehte ich mich wieder zurück und sah Harry halbnackt und lächelnd Niall umarmen.
»Wie war es, Ni? Hat es auch so viel geregnet? Hattest du einen guten Flug? Wusstest du, dass Louis hierbleibt? Du glaubst gar nicht, wie sehr ich mich erschrocken habe, als er auch hier war! Das waren wahrscheinlich die besten Ferien meines Lebens! Oh, die Ballkleidung ist da und ich glaube, dass es sehr bald schneien wird! Hattet ihr schon Schnee?«
Ich warf mein Kissen nach den beiden und glücklicherweise zeigte das auch seine Wirkung, sie verließen das Zimmer und schlossen die Tür hinter sich.
Natürlich schaffte ich es nicht mehr, wieder einzuschlafen. Als mein Wecker 9 Uhr anzeigte, gab ich es auf. Niall verfluchend schnappte ich mir wahllos ein paar Sachen aus dem Schrank – und entdeckte dabei zum ersten Mal den wohl zum Anzug gehörenden Schuhkarton. Ich beschloss, mir die Schuhe später anzusehen und ging in die Waschräume. Als ich an Nialls Zimmer vorbeiging, hörte ich die beiden in ihrem angeregten Gespräch, Harry lachend.
Ich wusch mich schnell, ging auf Toilette und zog mich um. Dann war ich schon auf halbem Weg nach unten zum Frühstück, als mir Niall und Harry wieder einfielen und ich wieder umdrehte.
Ich verzichtete aufs Klopfen und spazierte einfach in Nialls Zimmer. Die beiden Jungen saßen auf dem unbezogenen Bett, das da herrührte, dass der Ire keinen Mitbewohner hatte. Harry hatte sich Nialls Bettdecke um die Schultern gelegt, um die Kälte von seinem beinahe nackten Körper fernzuhalten, obwohl es nicht mal kalt war. Vielleicht mochten die Temperaturen draußen nicht allzu weit vom Gefrierpunkt entfernt sein, aber dafür wurde hier drinnen ordentlich geheizt.
»Kommt ihr mit runter?«, fragte ich nicht darauf achtend, ob ich einen von ihnen unterbrach. Ich versuchte, mich nicht von der scheinbar magnetischen Anziehung von Harrys nackter Haut auf meinen Körper beeinflussen zu lassen. Der Lockenkopf nickte, sah dann Niall an.
»Du kannst ja duschen gehen in der Zeit, Ni. Oder willst du noch ein bisschen Schlaf nachholen?« Als Harry meinen fragenden Blick sah, fügte er noch an mich gerichtet hinzu, dass Niall schon am Flughafen gefrühstückt hatte.
Niall sprang motiviert vom Bett auf und ich machte mich schon bereit, aus dem Weg zu springen, falls er mich sonst auf dem Weg zu den Duschen übertrampeln würde. Er sah tatsächlich aus, als könnte er beides gebrauchen; eine Dusche und Schlaf. Er hatte leichte Ringe unter den Augen, seine Haare lagen wirr und planlos auf seinem Kopf und er trug ein graues Shirt mit schwarzer Jogginghose. So wie er aussah, hätte es mich auch nicht gewundert, wenn er eine Reise von Australien hierher hinter sich gehabt hätte.
Aber Niall machte keine Anstalten, mich umzurennen. Stattdessen blieb er neben mir in der Tür stehen und grinste. »Doppelt hält besser! Ich habe nichts gegen ein zweites Frühstück!«
Ich musste mich zwingen, nicht enttäuscht zu sein. Die Woche mit Harry war besser gewesen, als ich zugeben würde und ich hätte auch nichts gegen ein paar weitere Tage mit ihm alleine. Kein Niall oder der komplette Rest der Schülerschaft, die morgen ebenfalls alle wiederkommen würden. Sogar ohne Liam, wie ich mir nach kurzer Überlegung eingestehen musste. Keine Ahnung was es war, aber wahrscheinlich zog Harrys Charme mich langsam in seinen Bann, wie er jeden einzelnen Menschen an diesem Internat um seinen Finger gewickelt hatte. Das Schlimmste war, dass er das nicht mal beabsichtigte. Er war einfach so. Ein kleiner, warmherziger Ball aus Sonne, der keine Ahnung hatte, was er mit den Menschen anstellen könnte, wenn er sein Charisma gezielt einsetzen würde.
»Kann ich mir einen Pullover leihen, Ni?«, riss Harrys Stimme mich aus meinen Gedanken und erst halb wieder zurück in der Realität beobachtete ich, wie der braunhaarige Junge einen Pulli aus Nialls Schrank nahm und ihn sich über den Kopf zog. Niall verließ schon das Zimmer und Harry wollte auch gerade an mir vorbei aus der Tür, als ich ihn leicht am Arm streifte.
»Willst du keine...«, ich zwang mich, meinen Blick oberhalb seiner Hüfte zu halten, »Hose anziehen..?« Er schüttelte einfach den Kopf und schlenderte an mir vorbei, nur in seiner engen Boxershorts und einem Pullover bekleidet. Schnell schloss er zu Niall auf und dann konnte auch ich mich aufraffen, den beiden endlich zu folgen.
Auf dem Weg die Treppe runter, las ich mir ungefähr fünfzigmal die Aufschrift von Nialls Pullover durch, die jetzt auf Harrys Rücken gedruckt war. ›Rock 'n' Bowl Bowling Alley, Mullingar. Unser BOWLING CHAMPION: Niall H.‹
Ich hätte Niall gerne damit aufgezogen, aber wahrscheinlich war dieser Spinner sogar stolz darauf. Wahrscheinlich hatte er den mal auf irgendeinem Kindergeburtstag oder was auch immer gewonnen. Bowlingchampion.
Harry und ich aßen Porridge, Niall bediente sich am Buffett, als hätte er drei Wochen nichts gegessen. Harry schnalzte verächtlich mit der Zunge, als ich meine Porridgeschüssel mit einem provokanten Grinsen auf den Tisch knallte. Ich hatte mir extra viel Sirup raufgemacht (mein Porridge schwamm praktisch im Sirup). Aber Harry sagte nichts. Diesen äußerst kindischen Streit hatten wir nämlich schon doppelt hinter uns. Ich hatte meinen Porridge schon immer mit Zimt, Sirup und Nüssen gegessen und dann kam Harry einfach so daher und aß seinen mit Kokos, Joghurt und Beeren. Wir hatten lange Diskussionen geführt – die eigentlich nur daraus bestanden hatten, dass ich Harry und seinen dämlichen Porridge beschimpft hatte und der Lockenkopf irgendwie versucht hatte, sich zu verteidigen. Natürlich ohne Erfolg, denn niemand konnte einen Streit über Porridge gegen Louis Tomlinson gewinnen. Zimt, Sirup und Nüsse waren die einzige akzeptable Art, Porridge zu essen; das war ein ungeschriebenes Gesetz. Und für dessen Einhaltung würde ich töten. (Außer Harry anscheinend, denn der war offensichtlich noch am Leben.)
Gegenseitig funkelten wir feindselig unsere Schüsseln an, bis Niall mit seinem üppigen Frühstück zu uns kam.
»Hey, welcher Krieg ist hier denn ausgebrochen?« Er ließ sich neben Harry auf einen Stuhl fallen und schlürfte etwas von seinem vollen Saftglas ab.
»Das kannst du Harry und seine dämonischen Früchte fragen.«, erklärte ich knapp und begann dann genussvoll, meinen Porridge zu essen. Sollte Harry doch machen, was er wollte. Solange ich zu nichts gezwungen wurde, konnte es mir egal sein.
Das Gleiche schien Harry sich auch zu denken, denn jetzt aßen wir einfach beide schweigsam und mehr oder weniger friedlich.
»So ihr zwei Hübschen, dann erzählt mir mal, was ihr die ganze Woche so getrieben habt!« Ich hätte Harry beinahe einen Mund voll Haferbrei ins Gesicht gespuckt und starrte Niall entgeistert an. Denn die Weise, wie er das betont hatte, ließ absolut keine Art von Interpretation übrig.
Zumindest dachte ich das, bis Harry zuckersüß unschuldig lächelte und zu erzählen begann, wie wir am ersten Tag die Regenwanderung in den gelben Elefantenhäuten gemacht hatten.
Und Niall hörte ihm mit scheinheiligem Lächeln zu, kommentierte ab und zu irrelevant, als wäre sein letzter Satz nie ausgesprochen worden.
Meine Spannung löste sich wieder langsam, während ich Harry zuhörte, wie er über jeden Tag außer gestern ausführlich berichtete. Bis er dann irgendwann aufstand, um sich noch Tee zu holen. Ich sah seinen nackten Beinen und den engen, schwarzen Boxershorts nach.
Doch dann beugte Niall sich zu mir herüber und nickte mit dem Kopf in Richtung Harry.
»Louis, ich muss mit dir reden. Es ist mir ziemlich wichtig und ich möchte es jetzt machen, weil-«
»Du weißt schon, dass Harry jedes deiner Worte hören kann, oder?«, unterbrach ich ihn und schwieg dann demonstrativ. Hier war niemand außer uns und das Frühstücksbuffet war nicht weiter als einen Kilometer weg, also konnte Harry zweifellos verstehen, was wir sagten. Auch wenn er mit dem Rücken zu uns stand und leise summte, während er sich neuen Tee eingoss. Wahrscheinlich hörte er wirklich nicht, worüber wir redeten, denn er schien ganz in seiner kleinen, verträumten Harry-Welt zu sein.
»Gut, dann reden wir aber später, okay, Tomlinson?«, raunte Niall mir zu und ich kam mir unglaublich lächerlich vor, dass ich mit diesem hirnrissigen Idioten sprach.
»Wie wäre es mit ›Nein‹?«
»Wie wäre es mit ›Sonst sage ich Harry, dass du ihm auf den Hintern gestarrt hast‹?«
»Fick dich, Niall Horan.«
»Ist das ein Ja oder ein Nein?«, fragte Niall mit wackelnden Augenbrauen und wir wussten beide, was es war.
»Ja, dann reden wir später. Aber du bist tot, wenn-«
»Ja, schon klar, alles kein Problem!«, säuselte er und ich lehnte mich wieder in meinem Stuhl zurück. Ich konnte zweifellos sagen, dass die Zeit ohne Niall deutlich besser gewesen war.
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