• 23 •
Louis
»Und Englisch habe ich auch noch nicht ganz fertig, wenigstens bin ich in Bio durch. Aber das Schlimmste wird Ethik, weil ich damit noch nicht mal angefangen habe. Und es sind schließlich fünf Seiten und ich bin wirklich eine Niete in- oh.«
Liam runzelte die Stirn, als ich mich selbst unterbrach. Ich war gerade im Zimmer herumgelaufen und hatte ihm mein aktuelles Hausaufgaben-Update gegeben, da hatte ich einen Zettel auf dem Schreibtisch entdeckt, auf dem in den großen, geschwungenen Buchstaben von Harrys Handschrift mein Name stand.
»Was?«, fragte Liam, als ich das Blatt schon in meine Finger nahm und es langsam auffaltete. Als Antwort hielt ich es kurz in seine Richtung und widmete mich dann dem kurzen Text auf der Rückseite des Blattes.
»Hey Louis«, las ich laut vor, was Harry geschrieben hatte, »Ich hätte es dir eigentlich selbst gesagt, aber du warst nach dem Essen nicht hier. Ich hoffe, du siehst diesen Zettel. Eve möchte dich sehen. Ich schätze es ist das Beste, wenn du sie in ihrem Büro suchst. Bis später, H.« Ich zog nachdenklich die Augenbrauen zusammen. »Eve?«, fragte ich dann.
Liam nickte. »Jap, Evelyn. Ich habe dir doch erzählt, dass Harry etwas seltsam ist. Aber an deiner Stelle würde ich dann mal zu ihr gehen.«
Ich überlegte kurz, weil ich eigentlich keine Lust hatte, aber wahrscheinlich hatte Liam recht. Also ließ ich ihn dann alleine und ging eine Etage tiefer und klopfte an das alte Holz der Bürotür.
»Ja?«, kam die junge Stimme der Schulleiterin durch die Tür und ich trat in den antiken Raum.
»Louis, sehr schön. Da hat Harry aber eine Weile gebraucht, um dich zu finden.« Ich nickte einfach, weil ich keine Lust hatte, es ihr zu erklären. »Setz dich doch!« Lächelnd zeigte sie auf den Sessel gegenüber ihres Schreibtisches. Ich nickte wieder und setzte mich.
Wartend sah ich die junge Frau vor mir an. Und zum wiederholten Male staunte ich darüber, dass sie die Schulleiterin war. Aber sie machte ihren Job wahrscheinlich einfach gut.
»Also Louis, ich wollte mit dir reden.« Ich verkniff mir einen ironischen ›Das ist ja eine Überraschung‹-Kommentar und nickte stattdessen abermals. »Nächste Woche beginnen die Herbstferien. Das ist für dich wahrscheinlich alles noch ein wenig ungewöhnlich, weil wir hier ja unsere eigenen Ferienzeiten haben. Ich wollte dich nur in all das einweisen. Hat Harry dir schon etwas erzählt? Oder Liam, ich habe gesehen, dass ihr Zwei euch angefreundet habt.« Sie zwinkerte mir leicht zu und beugte sich dann ein wenig vor, als wäre das nächste eine vertrauliche Information. »Darüber bin ich ehrlich gesagt ziemlich froh. Seine Noten werden besser.«
Beinahe hätte ich gelacht, weil Liams bessere Zensuren ganz sicher nicht an mir lagen. Viel eher daran, dass er sich in letzter Zeit ziemlich gut mit Harry verstand.
»Also, hat einer von ihnen dir das mit den Ferien bei uns schon erklärt?«, wiederholte sie ihre Frage. Ich schüttelte den Kopf und sie nickte. »Das dachte ich mir schon. Ihr habt euch sicher andere Dinge zu erzählen. Gut. Es ist ganz simpel. Wie du ja weißt, sind wir ein Internat. Noch dazu eine – zugegebenermaßen nicht ganz billige – Privatschule, weswegen wir auch unsere eigenen Ferien und so weiter haben. Aber der wesentliche Unterschied in den Ferien liegt darin, dass du auch hier bleiben könntest. Ich weiß, dass du das nicht tun wirst, aber ich bin ganz einfach dazu verpflichtet, es dir zu sagen.« Sie lächelte wieder und faltete die Hände auf dem Tisch.
»Das wäre es dann! Wenn dir nichts mehr auf dem Herzen liegt, entlasse ich dich gerne.«
Ich blieb sitzen, blieb bewegungslos. Überrascht hob sie die Augenbrauen.
»Ich bleibe.«, sagte ich knapp. Sie runzelte die Stirn.
»Was?«
»Ich bleibe in den Ferien hier.«, wiederholte ich bestimmt. Das hatte ich mir schon von Anfang an überlegt. Natürlich war ich nicht dumm und wusste selbst, dass ich in den Ferien die Möglichkeit hatte, hier zu bleiben. Und mit meinen Eltern war es ganz simpel. Ich wusste, dass sie mich über die Ferien unbedingt bei sich haben wollten. Aber ich hatte auch unbedingt auf meiner Schule in London bleiben wollen. Und, hatten sie meinen Wunsch berücksichtigt? Nein. Also hatte ich auch nicht vor, den ihren zu berücksichtigen. Sollten sie ihre Ferien doch schön zu zweit verbringen. Ohne ihren Sohn, den sie abgeschoben hatten.
All das erklärte ich Evelyn knapp. Sie schwieg eine Weile, dann seufzte sie.
»Ich habe es fast befürchtet.«, sagte sie und betrachtete mich, als machte ich ihr Sorgen. »Dann kann ich es dir ja sagen. Deine Eltern haben selbst Angst gehabt, dass du stur genug sein würdest, in den Ferien hier zu bleiben. Sie haben mir geschrieben und gesagt, dass ich dich überzeugen soll, zu ihnen nach Hause zu kommen.«
Ich rümpfte verächtlich die Nase. Das war ja typisch. Konnten es mir nicht mal selbst sagen, diese Heuchler.
»Ich bin in der Tat stur genug.«, sagte ich schlicht, um sie zu überzeugen, dass sie keine Chance auf Umstimmung hatte.
Sie sah mich bittend an. »Louis, denk doch an deine Eltern. Sie vermissen dich sehr, für sie war die Zeit ohne dich sicher genauso schwer wie für dich ohne sie. Außerdem wirst du der Einzige sein, der hier bleibt. Alle unserer Schüler werden diese Ferien in ihre hübschen Villen zurückkehren. Und ich weiß, dass auch dein Haus in London dir deutlich mehr bietet als unser bescheidenes Internat. Versteh mich nicht falsch, wir werden dich gerne hierbehalten, aber noch schöner wäre es für dich sicher Zuhause.«
Weil ich mich auf diese Diskussion nicht einlassen wollte, stand ich kurzerhand auf.
»Nein, tut mir leid. Ich bleibe.«
Damit verließ ich das Büro endlich.
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»Du bleibst hier? Wow, das nenne ich mal rebellisch.« Liam musterte mich überrascht.
»Ja, meine Eltern verdienen es nicht anders. Wenn sie mich auf die Straße setzen, müssen sie damit leben, dass ich mich weiter vom Haus entferne. Glaub mir, Liam, das ist alles nicht so wild wie du denkst. Ich hatte nie den besten Draht zu meinen Eltern.«
Er zuckte ein wenig desinteressiert mit den Schultern. »Was willst du denn die Woche lang machen? Niemand wird hier sein, vielleicht zwei Lehrer, zwei Köche, der Gärtner. Naja, und natürlich- hey! Das ist großartig! Du musst unbedingt bleiben, Louis!«
Skeptisch kniff ich die Augen zusammen bei dem plötzlichen Meinungswechsel.
»Woher der Umschwung? Und wer-«
»Das muss ich unbedingt Niall erzählen!«, unterbrach Liam mich einfach und sprang auf. Ich hielt ihn schnell am Ärmel fest.
»Was ist das überhaupt mit dir und der irischen Blondine?«, fragte ich misstrauisch nach.
Liam zuckte grinsend mit den Schultern. »Niall? Den habe ich von meinen Interessen überzeugt und er ist mehr als mitschwingungsfähig. Bis später, Louis!«
Er riss sich los und lief einfach davon – offenbar auf dem Weg zu Niall.
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