• Eighteen •
"Mamá, ist Teo im Krankenhaus?", frage ich, sobald ich durch die Haustür gelaufen bin. Óscar ist schon vorher abgebogen und nach Hause gefahren, also bin ich den restlichen Weg ganz alleine nach Hause gelaufen. Wenn meine Mamá das wüsste, würde sie mich verprügeln.
Mamá steckt ihren Kopf aus der Küchentür hinaus und hebt eine Augenbraue, als sie mich so im Flur stehen sieht.
"Ist es nicht noch früh?", fragt sie.
Ich lege meinen Rucksack, meine Jacke und meinen Schlafsack auf dem Boden ab und wische mir die Haare aus dem Gesicht. "Wir hatten keine Lust mehr", lüge ich. Eigentlich hatte nur ich keine Lust mehr. Was eigentlich auch nicht der Wahrheit entspricht. Ich hab nur das Gefühl, dass ich ganz schnell etwas richtig stellen muss, bevor es zu spät ist.
"War es doch nicht so schön?", fragt Mamá und als ich in die Küche komme, sehe ich, wie sie gerade Brot schneidet. María sitzt desinteressiert am Tisch und zeichnet irgendwas. Manchmal vermisse ich das laute und chaotische Beisammensein, als meine Brüder noch hier wohnten. Nun sind es nur noch María und ich und mit ihr ist es oft langweilig.
"Doch, doch. Ist Teo jetzt bei seinem Papá oder nicht?", hake ich ungeduldig nach. Seitdem Teo mir erzählt hatte, dass sein Papá ins Krankenhaus gebracht wurde, hat sich sein Zustand verschlimmert. Ich habe ihn mit Mamá und María zweimal besucht und beide Male hat Teos Papá nur im Bett gelegen und geschlafen, die Haut schwitzig und fahl wie Asche.
"Ich denke schon", antwortet Mamá mir gerade, als ich den Kühlschrank öffne. Eigentlich will ich nur etwas trinken, aber als ich den kleinen Tres Leches dort stehen sehe, drehe ich mich wieder zu Mamà um. "Ist der Kuchen für Teo?"
Mamá beäugt mich kurz, dann schaut sie María an und zuckt mit den Schultern. "Frag María. Horneó el pastel."
Ich starre meine Schwester an, die meinen Blick mit Absicht meidet und angestrengt auf ihre Zeichnung schaut. Aber ihre rot anlaufenden Ohren verraten sie.
Ich weiß nicht warum, aber ich werde wütend. Wie kommt sie darauf, Teo einen Geburtstagskuchen zu backen? Sonst hat Mamá das jedes Mal gemacht. Sie will Teo bloß damit beeindrucken, das weiß ich. Und ich hasse sie dafür, weil ich weiß, dass es funktionieren wird. Teo liebt Tres Leches.
Dummes Mädchen. Ich hasse Mädchen. Ich hasse meine Schwester.
Ich schlage die Kühlschranktür wieder zu und ernte dafür einen giftigen Blick von meiner Mamà. Ich fühle mich sofort schuldig und entschuldige mich leise unter meinem Atem.
Das ist so unfair. Alles.
Im Krankenhaus weicht mir María nicht von der Seite. Ich wünschte, sie wäre einfach zuhause geblieben. Mamá hat darauf bestanden, dass ich sie mitnehme. Als ob sie mit ihren dreizehn Jahren nicht alt genug ist, um alleine ins Krankenhaus zu gehen.
Im Fahrstuhl werfe ich ihr einen Seitenblick zu. Sie sieht nervös aus, ihre Hände klammern sich um die Kuchenform, als hinge ihr Leben daran. Sie ist blass und kaut auf ihrer Unterlippe herum.
Ich schaue wieder nach vorne. Nach einer halben Ewigkeit hält der Fahrstuhl endlich im dritten Stockwerk.
Ich versuche zu ignorieren, wie María ganz genau zu wissen scheint, wo wir hinmüssen. Wie oft ist sie schon mit Teo alleine hier gewesen? Ich will es gar nicht wissen.
Dios míos, warum bin ich so ein Idiot? Warum ist Teo so ein Idiot?
Bevor María an der richtigen Tür anklopfen kann, tue ich es. Es reicht schon, dass sie den Kuchen gebacken hat. Da will ich wenigstens der Erste sein, den Teo sieht, wenn wir reinkommen.
Ich warte nicht auf eine Antwort und öffne die Tür. Der Anblick, der sich mir dann bietet, lässt sich meinen Magen zusammenziehen.
Das Fenster ist auf, die dünnen, weißen Gardinen wehten im Wind. Teos Mamá steht vor dem Fenster und schaut hinaus, ihr Rücken ist uns zugewandt. Im Raum riecht es nach Blumen und als ich einen Blick auf den Nachttisch neben dem Krankenbett erhaschen kann, sehe ich auch, warum: er war über und über mit den verschiedensten Blumensträußen überhäuft. Einige davon fingen schon an, zu verwelken. Bei dem Anblick werde ich plötzlich unendlich traurig. Die verwelkten Blumen erinnern mich so sehr an den schlafenden, schwachen Mann auf dem Bett, dass ich dort nicht lange hinschauen kann. Ich fühle mich schlecht deswegen, aber ich kann nicht anders. Zu sehen, wie das Leben langsam aus einer Person sickert, die man schon sein ganzes Leben lang kennt, ist unendlich schmerzhaft. Ich schließe eine Sekunde lang die Augen und bete. Für Arturo, für seine Frau, für seine Kinder und für sein jüngstes ganz besonders. Für Teo.
"Oh!", höre ich plötzlich und ich öffne meine Augen wieder. Teos Mamá, Teresa, hat sich von dem Fenster weggedreht und schaut nun etwas überrascht von mir zu María. Als ihr Blick auf der Kuchenform in Marías Händen landet, werden ihre Augen sanfter. Sie setzt ein leichtes Lächeln auf, das selbst ein Blinder als gefälscht erkennen könnte. Ich wünsche mir, ich könnte ihr die Last von den Schultern nehmen. Das hat ihre Familie nicht verdient. Das hat keine Familie verdient.
"Ihr seid bestimmt wegen Mateo hier, richtig? Der sollte jeden Moment wieder-" In dem Moment geht hinter uns die Tür auf und ich kann gerade noch einen Schritt zur Seite gehen, bevor ich sie abbekommen hätte. María gibt ein leises erschrockenes Quietschen von sich, als Teo plötzlich hinter ihr steht. Aber weder ich noch er beachten sie. Seine Augen liegen auf mir, und es fühlt sich an, als ob seine Augen genau dafür bestimmt sind. Mich anzuschauen. Nur mich. Und meine sind nur für ihn. Sind es schon immer gewesen. Fühlt er das auch? Ich kann seine Gedanken nicht lesen. Normalerweise brauche ich ihn nur anzuschauen und weiß sofort, was in ihm vorgeht, aber seitdem wir uns so plötzlich so auseinandergelebt haben, habe ich das Gefühl, dass das Band zwischen uns beschädigt ist. Nicht ganz gerissen, nur... etwas eingerissen.
Das ist es, was ich hoffe.
"Milo..." Die Art, wie er es sagt, zeigt mir, dass er nicht erwartet hat, mich hier, an diesem Ort, zu dieser Uhrzeit, an ausgerechnet diesem Tag, zu sehen. Vor nicht einmal zwölf Stunden habe ich das auch nicht erwartet. Wie viel eine Nacht unter einem klaren Sternenhimmel ändern kann.
"Feliz cumpleaños", sage ich leise. Er schaut etwas überrascht drein, aber als er sieht, wie sich meine Mundwinkel leicht heben, tut er dasselbe und schenkt mir ein wunderschönes, typisches Teo-Lächeln.
Das hier. Genau dafür bin ich hier. Um diesen Anblick zu sehen. Das Lächeln, das ich schon so lange nicht mehr gesehen habe.
Leider erholt sich María viel zu schnell von ihrem Schock und wirft mit einem aufgesetztem Lächeln ihre langen schwarzen Haare zurück, was Teo von mir ablenkt.
"Hier", sagt meine Schwester, die ich unter ihrer aufgesetzten Art fast nicht mehr wiedererkenne. "Ich hab dir einen Kuchen gebacken, Tres Leches."
Ich höre Teos Mamá lachen. "¡Es muy bonito de tu parte!"
María wird bei dem Lob leicht rot. "Gracías."
Teo nimmt den Kuchen verlegen entgegen und es sieht so aus, als wüsste er nicht so recht, was er damit anfangen soll. Er schaut mich an. Ich erwidere seinen Blick.
"Danke", sagt er, meint María, schaut aber immer noch mich an.
Vielleicht meint er aber doch mich. Weil ich mit hergekommen bin? Ich will gerade etwas erwidern, als seine Mamá mir zuvorkommt.
"Was haltet ihr davon, wenn ihr nach draußen oder in die Cafeteria geht? Es gibt bestimmt schönere Orte, einen Geburtstag zu feiern." Ich weiß nicht, wie sie es schafft, das Lächeln auf ihren Lippen zu behalten. Ich weiß es nicht. Aber wir tun, was sie sagt und verschwinden aus dem Zimmer, bevor Teresa ein anderes Wort sagen kann.
Auf dem Weg in die Cafeteria berührten sich unsere Hände aus Versehen. Ich weiß nicht, was mich dazu bringt, aber anstatt meine Hand wegzunehmen, greife ich nach seiner Hand und halte sie fest. Ich schlucke nervös. Teo zögert kurz, verschränkt dann aber unsere Finger und drückt leicht zu. Mein Herz pocht laut in meiner Brust. Ich lächel.
Es gibt noch Hoffnung für uns. Was auch immer zwischen uns kaputt gegangen ist, wir können das wieder reparieren.
Ich weiß das.
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