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„Was ist los, Agnes? Du siehst aus als würdest du einen Geist sehen."
Ich konnte keinen klaren Gedanken mehr fassen. Ich hatte den Mensch zurück, den ich für immer verloren geglaubt hatte - blöd nur, dass ich ihn umbringen hätte wollen. Wenn das jetzt hier ein Albtraum wäre, würde ich jetzt gerne aufwachen, doch das hier war real. Auch, wenn es mir selber kaum gelang zu realisieren, was hier wirklich vor sich ging.
„Das kann nicht sein..."
Dass eine Person, die man schon lang tot geglaubt hat jetzt auf einmal wieder so lebendig vor einem steht, muss man schließlich erst einmal verdauen. Doch Thomas sah die ganze Sache bei weitem gelassener - er lachte sogar über mich, sichtlich amüsiert. Die Grübchen an seinen Wangen hatten es mir noch immer angetan, es ist komisch, wie wenig die Zeit von meiner Faszination an ihm verblassen hat lassen. Ich fand ihn noch immer genauso attraktiv wie am 1. Tag, und natürlich auch an dem Tag, wo ich ihn „hatte sterben lassen" Ein Teil von mir wünschte er würde mich in den Arm nehmen, aber ein anderer Teil von mir hatte Angst, dass er dabei ein Messer aus seinem hoodie ziehen und mich erstechen könnte. In seinen Augen lag ein seltsamer Ausdruck - irgendwie wehmütig, aber auch überlegen.
„Ich wusste es wird ein Schock für dich. Deshalb dachte ich ich bringe es dir schonend bei. Stück für Stück."
Die ganzen Ereignisse der letzten Wochen ergaben auf einmal Sinn, einen kranken, grässlichen Sinn. Zumindest in dem Teil meines Hirns, der schon kaputt genug war, um solche absurden Sachen zu glauben, der Rest in mir sträubte sich noch immer gegen diese 1 fatale Erkenntnis.
„Aber das ist unmöglich."
Thomas Lächeln war nicht echt - das fiel mir jetzt erst auf, ihm war klar, wie unterlegen ich ihm wieder einmal war.
„Ich wollte nicht riskieren, dass du einen Herzinfarkt bekommst. Schließlich haben wir uns mal sehr geliebt. Das haben wir doch?"
Mittlerweile habe ich die waffe soweit sinken lassen, dass sie bestenfalls nur mehr auf Thomas Beine gerichtet war. Schiessen würde ohnehin nicht, außer er kam mir zu nahe. Selbst, wenn jetzt die 1. fragen geklärt waren, brauchte ich auch Gewissheit über alles andere, um meine Lage abzuchecken.
„Du warst das? Das Foto, der Anruf... aber wie? Ich habe doch gesehen, wie..."
Mittlerweile laufen mir die Tränen in Sturzbächen übers Gesicht - irgendwie war ich froh, dass Thomas noch lebte, aber andererseits dürfte dies nun wohl das größte Problem meines Lebens werden.
„Wie ich untergegangen bin? Von dir betäubt mit einem tauchgürtel voller Gewichte."
Thomas Gespielte Freundlichkeit war falsch, triumphierend und bösartig. Ich musste ihm klar machen, dass ich den Ausgang unserer damaligen Geschichte nicht so gewollt hatte, bevor er eventuell ernst machte.
„Ich habe das so bereut."
Vielleicht, wenn ich ihn anflehte und er mir glaubte, dass ich das alles gar nicht wollte, würde er mich gehen lassen. Dann würde er mir kein Haar krümmen - dann würde er mich leben lassen. Was sonst sollte denn seine Absicht sein?!
„Du ärmste."
Sein Zynismus tat fast körperlich weh, er wollte mich verletzen mit allen waffen, die ihm zur Verfügung standen, sogar mit Worten. Er war noch immer so groß und athletisch gebaut, er war mir körperlich so sehr überlegen. Fast hoffte ich er wäre tatsächlich nur ein imaginärer Geist, denn der könnte mir wohl nichts tun. Jener Geist, der mich schon monatelang in meinen Träumen verfolgte - lästig, aber harmlos. Doch dieser Thomas hier war echt, bereit mich zu töten, wenn ich einen Fehler machte. Ich musste ihn dazu bringen mir zu verzeihen.
„Ich habe so gelitten."
Jetzt war mir jedes Mittel recht, nur damit er mich nicht umbrachte, ich würde ihm meine tiefste gefühlswelt offenbaren nur um am Leben zu bleiben.
„Das muss die Hölle für dich gewesen sein. Aber jetzt bin ich ja wieder da."
Ein spöttisches Grinsen erschien auf seinem Gesicht. Noch bevor er ausgesprochen hatte, kam er auch schon einen Schritt auf mich zu - schnell, zu schnell. Er fixierte mich wie ein Jäger seine Beute. Er kam mir immer näher und ich hob erneut die waffe, machte mich schiessbereit. Er blieb stehen, wenig überzeugt, aber doch. Mein panischer Aufschrei dürfte ihm wohl doch nicht ganz egal gewesen sein.
„Bleib, wo du bist..."
Der Abstand zwischen uns war doch schon gefährlich kleiner geworden, doch ich wagte es nicht weiter zurück zu weichen aus Angst ihn zu reizen. Bald hätte ich die Hütte im Rücken - damit war mir mein Fluchtweg quasi versperrt.
„Agnes, glaubst du wirklich ich mache den gleichen Fehler 2 mal? Der rote Punkt ist ein laserziel. Der Scharfschütze hat es direkt auf dein Herz gerichtet. Also dort, wo andere eins haben. Eine falsche Bewegung und er drückt ab."
Ich sollte die Pistole senken, ich sollte mich ergeben, alles andere wäre dumm. Ich hatte solche Angst, ich hatte Thomas unterschätzt.
„Du legst jetzt die waffe weg, ganz langsam und kickst sie zu mir hinüber."
Ganz vorsichtig senkte ich den Blick und sah tatsächlich einen kleinen roten Punkt auf meiner Brust tänzeln - verdammt, das hätte mir viel früher auffallen sollen.
„Na los, mach schon..."
Ungern, aber doch ließ ich die waffe auf den Boden fallen und schob sie vorsichtig mit dem Fuß zu Thomas hinüber.
„Geht doch."
Ich blinzelte die Tränen weg um klarer sehen zu können. Er bückte sich, hob die Pistole auf und steckte sie in seinen Hosenbund. Nun war ich komplett entwaffnet, würde es zu einem Kampf kommen, wäre ich sofort unterlegen. Trotzdem oder grade wegen meiner ausweglosen Situation musste ich versuchen ein paar weitere offene Fragen zu klären.
„Woher wusstest du, dass ich zum See komme?"
An seinem verschmitzten Grinsen sah ich, dass er die Angst in meinen Augen erblickt hatte und, dass sie ihm gefiel.
„Ich kenne dich eben gut genug. Außerdem kommen Täter oft zum Tatort zurück."
Nein, in meinem Fall nicht - zumindest nicht freiwillig. Aber der kleine rote Punkt an meinem Brustkorb erinnerte mich dran, dass es wohl doch nicht so gut wäre jetzt zu widersprechen. Ich konnte den Soldaten im Gestrüpp kaum ausmachen, er war so gut getarnt. Egal, ich durfte an ihn keine Zeit verschwenden und so kam ich zur alles entscheidenden Frage.
„Was hast du jetzt vor?"
Wahrscheinlich mich töten, doch diese Worte aus seinem Mund würden mein Herz endgültig brechen.
„Hast du Angst?"
Ja, so sehr - um mein Leben und meine Zukunft, aber diese Blöße durfte ich mir vor ihm nicht geben. Schon verrückt, der Mensch von dem ich eigentlich dachte ich hätte ihn umgebracht, steht jetzt quicklebendig hier vor mir und bedroht mich mit seinen psychospielchen.
„1 Handbewegung von mir und für dich wäre es vorbei."
Da war so eine Kälte in seinen Augen, eisig, wie zugefrorenes Wasser im Winter. Er wollte mich provozieren, aber ich musste jetzt einen ruhigen Kopf bewahren.
„Würdest du mich umbringen wollen, dann hättest du es doch längst getan."
Jetzt lag es an ihm diese Aussage zu widerlegen - ich bewegte mich damit auf dünnes Eis, das war mir klar. Wie er mich ansah, so mitleidig, er schaffte es auf jeden Fall, dass ich mich von Minute zu Minute schlechter fühlte. Ich schien unter seinen Blicken grade zu schrumpfen. Ich merkte erst jetzt wie „verschnupft" meine Nase durch das permanente vor mich hin schluchzen war, ich bekam schlecht Luft und atmete viel zu laut und schnaufend. Beschwichtigend hob ich die Hände. Ich war ihn zumindest momentan keine Gefahr mehr und das musste er wohl genauso sehen. Doch seine Fassade bröckelte nicht - er war perfekt, wie immer, undurchschaubar.
„Vielleicht wollte ich ein letztes Mal dir gegenüber stehen."
Ich hätte nicht her kommen sollen, das alles hier war ein großer Fehler gewesen. Ich blickte flehend zu Thomas auf, er durfte mich nicht töten. Jede Träne floss für ihn, so war es doch immer schon gewesen. Er stand so unberührbar da, während mein ganzer Körper in Aufruhr war. Ich zitterte leicht, ich war so schwach und ich hasste mich selbst dafür. Eine letzte bitte in die ich alles legte, was mir geblieben war.
„Thomas, ich flehe dich an."
Ein Lachen - böse und kalt, tief aus seinem Rachen. Er fixierte mich, ich erstarrte.
„So wie ich damals? Genau hier. Aber du warst eiskalt."
Ich verschwendete eindeutig zu viel Energie mit weinen, aber die Tränen kamen ganz von allein. Es war zu spät, ich würde sterben. Hier, am See. Durch die Hand des Manns, den ich eigentlich über alles liebte. Ein letzter Versuch, ein allerletzter.
„Seit dem ist so viel passiert. Ich bin nicht mehr wie früher."
Eine Lüge - ein ablenkungsmechanismus, aber ich kam nicht weit, Thomas hob seinen Finger, ein Zeichen. Mein Schrei Durchschnitt die Stille.
„Thomas, bitte... oh gott."
Ich senkte den Kopf, suchte den roten Laser. Ich wartete auf den Schuss, versuchte verzweifelt meine Brust mit meinen Händen zu verdecken, ein lächerlicher Versuch mich zu retten.

Glaubt ihr Thomas wird Agnes jetzt töten lassen?

Die Szene in diesem Kapitel wird in mehreren Teilen beschrieben, damit ich sie genauer erzählen kann. Daher gibt es auch den Buchstaben neben der kapitelziffer

Über votes und Kommentare würde ich mich wie immer sehr freuen

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