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Düster lag der Wald vor uns - wir stolperten durchs Dickicht, irgendwie waren wir beide genug durch den Wind, um vom Weg abgekommen zu sein. Die ganze Ungewissheit erdrückte mich, aber dennoch gab es auch noch eine andere Frage, die mich quälte.
„Ich verstehe das nicht. Wie hast du es geschafft...?"
Wie wir so durch den Wald stromerten, könnten wir ein ganz normales Paar sein, nicht eine vermeintliche mörderin und ihr Opfer, was durch riesiges Glück überlebt hatte. Doch es war tatsächlich besser, wenn uns niemand so sah - vor allem Kevin brauchte dies weder zu sehen noch zu hören bekommen.
„Kurz nachdem du mich in den See gestoßen hast, hat das Betäubungsmittel nachgelassen durch die Kälte des Wassers... und ich bin zu mir gekommen. Normalerweise kann das böse enden, wenn Wasser in die Lunge kommt."
Unbehagen breitete sich in mir aus, es war als könnte ich Thomas Todesangst und -Kampf fast körperlich spüren. Er stand zwar jetzt hier neben mir, sehr tief in seinem Kopf war er aber wieder in jener verhängnisvollen Situation. Jene Frage brannte mir trotzdem auf der Zunge - ich musste einfach verstehen, was passiert war.
„Und, warum war das dann...?"
Ich konnte Thomas nicht ansehen, nicht in dem Moment, wo ich ihn fragte, warum in gottes Namen er noch am Leben war, obwohl mein mordanschlag auf ihn doch so deppensicher war. Ich sah an ihm vorbei, zu Boden. Uns trennte kein halber Meter, aber irgendwie fühlte es sich anders an als vorher am See, weniger akut bedrohlich.
„Aber manchmal löst es einen tauchreflex aus, was auch Babys vor dem ertrinken retten kann. Jedenfalls habe ich es geschafft den Gürtel mit den Gewichten los zu werden. Als ich hoch kam, warst du schon weg."
Es fiel mir sehr schwer mir seine Version der Geschichte anzuhören und vor allem sie mir vorzustellen - am liebsten wäre ich jetzt weg gelaufen, aber vor dem Monster, was ich war, würde ich ohnehin nicht fliehen können. Das böse in mir würde mich überall hin verfolgen. Bis ans Ende der welt, es war vielleicht der einzige Feind, dem ich nicht entkommen konnte. Es war die einzige Lüge aus der ich mich nicht mehr raus reden konnte. Vielleicht konnte ich Thomas wieder los werden, aber die Geister, die er mit seinem Auftauchen weckte, würden so schnell wohl nicht verschwinden. Jetzt, wo ich aber antworten bekam, musste ich schnell noch eine weitere Frage los werden, die mir nun auf der Zunge brannte.
„Wieso hast du dich nicht früher gemeldet?"
Mein unsicherer Blick ging zu Thomas - es war wohl eine Frage der Zeit, wie lang seine Geduld reichen würde bevor er den Spieß wieder umdrehte und das Ruder an sich Riss, hier in diesem perfiden Spiel. Er wusste, was mir als Nächstes blühen würde, er kannte die Regeln, während ich im dunklen tappte. Ich war wie eine blinde, die sich in ihrer neuen Welt zurecht finden musste.
„Wieso sollte ich?! Du hast mich umgebracht."
Ich musste mich stark zusammen reißen, um jetzt nicht genervt die Augen zu verdrehen. Thomas war noch immer gefährlich - er hatte den scharfschützen auf seiner Seite und ich, wie immer eigentlich niemanden. Wenn Thomas mir meinen Missmut ansehen könnte, würde er wohl noch schroffer und aggressiver gegen mich agieren. Nein, ich musste meine Fassade wahren, ich musste es zumindest versuchen. Ich war nicht so perfekt wie er, schon lang nicht mehr, aber das war meine einzige Chance hier halbwegs heil raus zu kommen. Aber um eine Taktik auszuarbeiten, brauchte ich noch mehr hintergrund-Infos.
„Und, warum dann jetzt?"
Nach etlichen Minuten sah ich Thomas nun direkt an - ein langer, intensiver Blick in dem so viele Gefühle lagen, gute wie schlechte.
„Ich wollte ein für alle mal mit dieser Sache abschließen. Und das kann ich nicht solang ich nachts Albträume habe und ich denke ich ertrinke. Und, dann dein Blick..."
Wieder schossen mir Tränen in die Augen, ich verstand ihn auf einmal so gut, viel besser wie früher. Am liebsten hätte ich ihn jetzt in den Arm genommen, dann hätten wir uns gegenseitig trösten können. Aber ja, das war wohl nur in meiner Vorstellung eine gute Idee. Egal, was ich jetzt sagen würde - es würde falsch sein also versuchte ich es mit einer Art Rechtfertigung.
„Ich war völlig durchgedreht. Ich kann dir jetzt immer nur wieder sagen, wie sehr ich das bereue."
Sein Kopf schnellte in meine Richtung, eine ruckartige Bewegungen, die mich innerlich zusammen Zucken ließ. Doch nichts weiter geschah, er erhob nicht die Hand gegen mich. Sein belustigter Blick ruhte nun auf mir und ich wusste, dass sein nächster Schachzug mir ganz und gar nicht gefallen würde.
„Dann komm nachher zu einer der romantikhütten, die Eure Hotelgäste mieten können."
Seine Worte warfen mich mehr aus der Bahn als jeder Schlag es hätte tun können. Ich hörte seine Worte klar und deutlich - aber verstand sie nicht, nein, wollte sie einfach nicht verstehen.
„Was?! Warum?! Was soll ich da?!"
Das konnte einfach nicht sein Ernst sein, auch wenn ich insgeheim schon geahnt hatte, dass es so enden würde.
„Ich habe eine der Hütten für heute Nacht gemietet. Nur für uns beide."
Meine böse Vorahnung, dass ich ihn schon ganz richtig verstanden hatte, bestätigte sich hiermit. Ich blickte ihn entgeistert an, aber seine Gesichtszüge blieben hart. Ich konnte einfach nicht zu diesem Rendezvous oder was auch immer das werden sollte, hin gehen - ich konnte Kevin einfach nicht betrügen. Kevin würde dahinter kommen und mich verlassen, ein Albtraum. Kevin war klug und hatte überall seine Informanten, im Gegensatz zu mir war er hier beliebt. Ich musste Thomas klar machen, dass sein Vorschlag die Angelegenheit zu regeln von meiner Seite aus einfach nicht klar ging.
„Das kann jetzt nicht dein Ernst sein... ich werde nicht mit dir schlafen."
Wenn er weiterhin auf seine kranke Idee bestand, musste ich eine Ausrede finden, warum ich nicht zu unserem Treffen kommen konnte - mit wahrscheinlich fatalen Konsequenzen. Ich wollte mir gar nicht ausmalen, wie meine „Strafe" für ein nicht erscheinen ausschauen würde. Doch würde ich es überhaupt übers Herz bringen mit Thomas zu schlafen? Eigentlich sollte ich Kevin ja treu sein, so sehr, wie ich ihn liebte.
„Wir haben uns mal so geliebt."
Das war die Wahrheit, aber jetzt hatte all das nichts mehr zu bedeuten. Würde er mich wohl vergewaltigen, wenn ich ihm nicht aus freien Stücken gehorchte? Nein, so weit durfte ich es einfach nicht kommen lassen.
„Es muss doch auch irgendeine andere Möglichkeit geben, dass wir uns einigen."
Meine Versuche meinen Kopf aus der Schlinge zu ziehen, wurden immer verzweifelter. Ich war ein in die Enge getriebenes Raubtier - die guten Zeiten des großen Jägers waren vorbei, nun war sein eigenes Ende nahe.
„1 Nacht... sonst erfährt dein Kevin alles: die Intrigen gegen den anderen Gesellschafter der Pension, was du mit mir gemacht hast, jedes Detail... halb acht... du lässt mich besser nicht warten."
Scheisse, ich konnte gar nicht glauben, wie schnell die Sache schon wieder aus dem Ruder gelaufen war. Ich dachte ich hätte das schlimmste schon überstanden und Thomas wäre ganz gesprächsbereit - aber ich hatte mich noch nie in meinem Leben so getäuscht. Die arme eng um meinen Körper geschlungen, starrte ich ihm nach als er sich seinen Weg über einen schmalen Pfad zwischen die Büsche hindurch bahnte und kurz drauf schon aus meinem Sichtfeld verschwunden war.

Glaubt ihr Agnes wird mit Thomas schlafen damit er schweigt?

Über votes und Kommentare würde ich mich wie immer sehr freuen

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