Cool down - Heat up


„Was war das denn gerade?!"

Lindsey schlug Jamie gegen den Oberarm. Sie riss ihren Blick von dem davon schlendernden Billy los und sah ihre Freundin irritiert an. Geräusche, die sie allem Anschein nach ausgeblendet hatte, stürzten auf sie mit ohrenbetäubender Lautstärke ein. Sie zuckte zusammen.

„Also erst einmal, Au!", sie rieb sich den Arm. „Und zweites, hä?"

Lindsey vergrub den Kopf in ihren Händen und schüttelte ihre roten Locken. Hilfesuchend sah sich Jamie zu Jake um, der jedoch genauso ratlos aussah wie sie sich fühlte. Als schließlich Lindseys Kopf zwischen ihren Händen wieder auftauchte, sah man ihre geröteten Wangen.

„Gott, das war so peinlich!", nuschelte sie und sah finster zu Jamie hinüber. „Wieso hast du ihn in den Pool geschubst?"

Jamie verstand die Welt nicht mehr. Das war ihr unangenehm? Nicht die Tatsache, dass sie von Billy zu einem Dreier gebeten wurden? Oder die Tatsache, dass er bedrohlich und einschüchternd über ihnen stand? Dass es ihm Spaß gemacht hatte, sie gegeneinander auszuspielen und einzuschüchtern? Sondern dass sie ihn in den Pool gestoßen hatte?!

Jake neben ihr lachte. Zum einen, weil er gerade erfahren hatte, dass Jamie den Bademeister mit seiner knappen roten Badehose in den Pool geschmissen hatte, zum anderen wohl wegen Jamies Gesichtsausdruck. Er hob die Hand zu einem High Five.

„Stark, Mann!"

Als Jamie ihre Hand perplex anschaute, nahm er ihr Handgelenk zwischen seine warmen Finger und schlug sich selbst mit Jamies Hand ab. Lindsey verdrehte die Augen.

„Gott, wir können uns hier nicht mehr blicken lassen." Theatralisch ließ sie sich auf ihre Lehne zurückfallen und legte ihren Arm über ihre Augen.

Jamie schnaubte und sah zu dem Ursprung ihres kleinen Streits hinüber, der es sich unter einem übergroßen Handtuch auf seinem Bademeisterstühlchen bequem gemacht hatte, während es sich Jake zur Aufgabe machte, Lindsey weiter und weiter zu reizen und aufzuziehen, bis ihre Gesichtsfarbe sich der ihrer Haare angeglichen hatte.

Jamie hörte nur mit halbem Ohr zu. Sie war abgelenkt von der Tatsache, dass Mr "Ich-weiß-gar-nicht-wieso-ein-Shirt-überhaupt-mehr-als-zwei-Knöpfe-benötigt" sich halbwegs versteckte. Ob er wohl fror? Für Jamie unvorstellbar. Sie trug gerade einmal einen rot-weiß gestreiften Bikini und hatte das Gefühl, noch immer viel zu viele Schichten Kleidung zu tragen, so warm war ihr. Ihr ging es zwar besser als am Tag zuvor, aber fit war sie bei weitem noch nicht. Dabei war es ja auch verdammt heiß...

Sie sah sich im Schwimmbad genauer um. Tatsächlich trugen viele Badegäste ihre Kleidung: Shirts, Hemden, Kleider... Die Sonne schien zwar noch immer hoch über ihnen, doch auch vereinzelte dunkle Wolken zogen über den Himmel. Eine Spannung lag in der Luft und kündigte ein aufkommendes Gewitter an. Etwas braute sich zusammen. Es war also doch nicht mehr so heiß, und er fröstelte wie alle anderen...

Was es genau genommen nur umso merkwürdiger machte! Seit wann war Billy einer von vielen? Viel schlimmer war jedoch, seit wann war ihr aufgefallen, dass Billy aus der Masse hervorstach und sie sich aktiv Gedanken darüber machte?

Vor sich hin brütend kaute sie auf ihrer Unterlippe, die Augenbrauen zusammengezogen und die Arme vor der Brust verschränkt. Billy drehte seinen Kopf zu ihr und hob wissend einen Mundwinkel, als sich ihre Blicke kreuzten. Sein Ausdruck schrie geradezu: Ha! Erwischt!

Ihr Herz machte bei dieser Erkenntnis einen kleinen, aufgeregten Hüpfer und trommelte ungewöhnlich stark und schnell weiter. Das ging den ganzen Tag schon so.

Hilfe!

Die zurückgehaltene Anspannung brauchte ein Ventil. Kurzerhand sprang Jamie auf, gefolgt von irritierten Blicken ihrer Freunde, und tauchte mit einem eleganten Kopfsprung ins Wasser. Kühles Nass umschloss sie, und sie hatte das Gefühl, endlich wieder atmen zu können. Ironisch, wenn man bedachte, dass sie genau das eben nicht konnte: unter Wasser atmen.

Sie hielt sich lange unter Wasser auf, länger als notwendig, und genoss, wie die angestaute Hitze, ihre Gedanken und ihre Wut sich langsam auflösten und sie zur Ruhe kamen. Sie genoss den Frieden, die Stille, die Flucht vor...

He!

Ein Arm hatte sich kalt um ihre nackte Taille geschlungen, und sie wurde nach oben über die Wasseroberfläche gezogen. Prustend kam sie an und schlug um sich. Sobald sich ihr Blick wieder aufgeklärt hatte, sah sie, wer sie aus den beruhigenden Tiefen gezogen hatte. Schon war er wieder dahin, ihr inneren Frieden. Ihre Finger zuckten, als wollten sie schon einmal üben, wie es sich wohl anfühlen würde, ihrem Gegenüber die Luft abzuschnüren.

"Billy", begrüßte sie ihn kalt und suchte mit ihren Zehen den Boden unter ihren Füßen. Auf Zehenspitzen konnte sie stehen. "Was verschafft mir die Ehre? Wolltest du mal die Grenzen der Stalking-Gesetze testen?"

Fairerweise musste man zugeben, dass sie immer wieder an seinem Arbeitsplatz auftauchte...genau genommen. Verärgert über diese Erkenntnis (und sich selbst) schüttelte sie leicht merklich den Kopf, als versuche sie, den Gedanken zu vertreiben. Dann setzte sie ihren aufgebrachtesten Blick auf, den sie im Repertoire hatte, und ignorierte ihr rasendes Herz. Konnte er den triefenden Sarkasmus und den Ärger hören? Sie hoffte doch. Er sah tatsächlich minimal verwirrt aus.

"Ich mache hier nur meine Arbeit. Es sah nicht aus, als könntest du schwimmen", kommentierte er wütend. Jamie schnaubte und verdrehte die Augen. Wer's glaubt. Sie konnte noch immer seine Finger an ihrer Taille spüren, wie sie aufregende Muster an die Seite ihres Bauches zeichneten. Ähm, unaufgefordert und unverschämte Muster natürlich. Genau. Nicht aufregend...

Sie sah demonstrativ hinunter ins Wasser, schloss ihre Finger um sein Handgelenk und zog es von ihrem Körper weg, hob es aus dem Wasser in die Luft. Billy folgte mit seinen Augen ihrem Blick nach unten, und ein dunkler, verheißungsvoller Schleier legte sich über seine Züge, während er dank seiner Größe über ihr aufragte und sie von oben herab durchbohrte. Jamie bekam eine Gänsehaut, schluckte und nahm einen Schritt Abstand (so gut und elegant es auf Zehenspitzen ging), wobei sie sein Handgelenk fallen ließ.

Geräuschlos glitt sein Arm zurück ins Wasser.

Jetzt bloß nicht klein beigeben. Jamie spannte die Schultern, während sie unter Billys senkendem Blick innerlich zu winden begann. Warum war er nur immer so angespannt und wütend? So intensiv. Wie konnte er auf der einen Seite komplett oberflächlich sein und gleichzeitig mit einem einzigen Blick scheinbar in die tiefen ihrer Seele blicken? Er machte sie verdammt nervös. Weshalb sie aufgrund der Nervosität erneut in Angriffshaltung ging, ein Schutzmechanismus, den sie sich über die Jahre angewöhnt hatte.

"Nun, ich schaffe es noch immer zu stehen, vielen Dank auch!", antwortete sie schnippisch und stellte sich auf ihre kompletten Füße. Ihr Mund war zwar nun bedeckt von Wasser, doch ihre Nase und ihre Augen, sowieso ihre Ohren waren noch immer oberhalb des Wassers. Sie warf ihm einen zornigen, funkelnden Blick zu. So zornig und funkend, wie es nun einmal ging, wenn man halb vom Wasser verschluckt wurde und man nur knapp mit Nase und Augen noch aus dem Wasser ragte...

Vollkommen unerwartet brach ihr Gegenüber in donnerndes Lachen aus. Das war nicht die Reaktion, die sie erwartet oder sich erhofft hatte. Erschrocken zuckte Jamie zusammen; das Lachen beunruhigte sie noch mehr als das Aufplustern und Drohen. Ehe sie wusste, wie ihr geschah, hatte Billy sie wieder an den Hüften gepackt und schlurfte sie durchs Wasser. Bevor sie protestieren konnte oder ihr ein paar Kraftausdrücke einfielen, hatte er sie wieder auf ihre beiden Beine gestellt. Überrascht stellte sie fest, dass sie nun tatsächlich Boden unter den Füßen hatte.

"So", erklärte er zufrieden, die Belustigung von zuvor noch immer in seinen Augen zu sehen. "Jetzt kann ich sicher gehen, dass mich der Staat nicht wegen unterlassener Hilfeleistung verklagt, wenn du und dein 'Schwimmstil'", er malte Anführungszeichen in die Luft und verdrehte die Augen über Jamies aufgebrachtes 'Hey!' bevor er fortfuhr, "doch am Boden des Pools landen."

Jamie stemmte die Arme in die Hüften und schnappte nach Luft, als Billy ihr ungefragt und komplett unerwartet einen schnellen Kuss auf die Lippen gab. Kalt und feucht spürte sie nur für einen Bruchteil einer Sekunde, wie seine weichen Lippen überraschend sanft die ihren streiften, ehe er sich wieder zurückzog. Er sah sie herausfordernd und neugierig an.

Sie brauchte einen Moment, um das Geschehene zu verarbeiten, blinzelte mehrfach, bis sie ihn aufgebracht gegen die nackte Brust stieß und ihn zum Zurücktreten drängte. Ein dunkles Blitzen tauchte in seinen Augen auf, und er hob süffisant Mundwinkel und Augenbrauen.

"Interessant..."

"Interessant?", ihre Stimme überschlug sich. "Was soll das denn bitte heißen?"

Sein Grinsen wurde breiter und er legte den Kopf schief. "Deine Reaktion."

"Meine Reaktion?" Wunderbar, sie verwandelte sich gerade in seinen Papageien.

Schulterzucken. "Ja. Erst starren, dann ignorieren"

"Ich hab gar nicht gesta-"

Er ließ sich nicht unterbrechen, zählte stattdessen weiter an seinen Fingern auf. "Dann fluchen und schubsen. Flirten, küssen und dann wieder zurück zur körperlichen Gewalt." Billy zeigte auf ihre Hand, die noch immer auf seiner nackten Brust lag. Ertappt wollte sie diese zurück ziehen, doch er hielt sie fest. "Trotzdem scheinst du den Körperkontakt zu suchen."

Damit hatte er sie effektiv zum Verstummen gebracht. Er lachte zufrieden.

"Wie war das? Keine Widerworte?"

"Gott, du gehst mir auf den Keks. Paddel zurück zu deinem Bademeistertürmchen und rette Kinder, die tatsächlich fast am ertrinken sind Billy." Er musste verschwinden, und zwar schnell, damit sie sich in aller Ruhe am Boden des Pool für diese Aktion ertränken konnte.

Billy steckte die Zunge in seine Wange, fuhr mit ihr in seinem Mund umher, überlegte augenscheinlich, noch immer seinen intensiven Blick auf sie gerichtet. "Fein McNeill. Aber nur, weil hier im flachen Gewässer das Schlimmste, was passieren kann, ein grausamer Kuss ist. Wie es aussieht muss ich mir keine Sorgen machen, dass du wie ein Stein untergehst und stirbst..."

Sein Blick wurde verschwommen und ernst, als wäre er tief in Erinnerungen versunken. Seine Züge verhärteten sich. Hatte sie zuvor gedacht, er wäre bedrohlich oder angsteinflößend gewesen, gefror ihr nun das Blut in den Adern bei seinem Anblick. Es dauerte nur eine Sekunde, vielleicht weniger, aber Billy vor ihr war wie ausgewechselt. Weg war der jungenhafte Charme. Weg waren der Schalk und das Glitzern in seinen Augen. Stattdessen sah sie tiefschwarze Abgründe und den Ausdruck eines Mannes, der zur Hölle gefahren und zurück gekehrt war. Doch der Ausdruck war verschwunden, bevor sie erneut hinsehen konnte. Kaum merklich den Kopf schüttelnd, murmelte er "Die Liste ist schon lang genug", dann drehte er sich um und verließ den Pool in wenigen Sekunden.

Wieder einmal hatte er sie vollkommen verwirrt, wütend, beleidigt und ohne Erklärungen zurückgelassen. Gerne hätte sie behauptet, dass ihre Gedanken sich um die kryptische Aussage über die Liste oder seinen gequälten, grausamen Anblick drehten - doch in Wahrheit kreiste in ihrem Kopf eine andere Frage.

Automatisch legten sich ihre Finger an ihre kribbelnden Lippen, auf denen sie noch immer das Echo seiner Berührung spürte. Warum fand er den Kuss grausam? Er war großartig gewesen!

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top