Meine Lieben. Da ist es, Türchen 17. Ich widme es blueoceanbluesea.
Carlos packte die zwei Reisetaschen in den Kofferraum des kleinen Wagens und warf den Kofferraumdeckel zu, ehe er einen erwartungsvollen Blick zum Hauseingang hinüberwarf. Eigentlich hatten sie schon vor einiger Zeit losfahren wollen, doch Willow hatte derart akribisch die Geschenke eingepackt, dass Carlos geglaubt hatte, sie würde jede Sekunde ein Lineal zu Hilfe nehmen. Gerade, als er sich kopfschüttelnd auf den Weg zurück machen wollte, um sie zu holen, kam sie aus dem Haus. Unter dem offenen, knielangen Wintermantel schaute ein gelber Strickpullover hervor, der einen schönen Teint zu ihrer kaffeebraunen Haut bildete. In der einen Hand hielt sie eine Mütze, um ihren Hals hing ein lockerer Schal und über ihrem Arm baumelte ein großer Stoffbeutel.
„Ich bin schon da", rief sie und setzte jenes bezaubernde Lächeln auf, mit dem sie versuchte, ihn um den Finger zu wickeln, kurz, bevor sein Geduldsfaden reißen konnte.
„Na endlich", seufzte er, während sie vorsichtig über den kleinen Gehweg auf ihn zulief.
„Ich habe auch deine Geschenke eingepackt, falls du es vergessen hast", stichelte sie, als sie ihn erreichte. Carlos zog eine Augenbraue hoch.
„Komisch, wie du ‚Ich habe bis in die Puppen geschlafen' ausdrückst", kommentierte er, nahm ihr den Beutel ab und legte ihn auf die Rückbank. Willow blieb unschlüssig neben ihm stehen. Ihr zweifelnder Blick entging ihm nicht.
„Du musst nicht fahren, wenn du nicht willst", sagte er leise und sah ihr dabei eindringlich in die Augen. Willow nagte an ihrer Unterlippe. Ihr schwerer Autounfall lag bereits einige Jahre zurück, doch sie hatte bis heute mit unguten Gefühlen zu kämpfen.
„Ich kann das", versicherte sie mehr sich selbst als Carlos. Der legte eine Hand an ihr Gesicht und zog die Augenbrauen hoch.
„Es ist keine Schande, wenn du dir das nicht zutraust, okay? Es ist eine weite Strecke und du bist seit deinem Unfall nicht mehr so sicher wie früher."
„Eben – es ist eine weite Strecke. Das solltest du nicht allein machen. Und außerdem: irgendwann muss ich ja mal wieder anfangen, längere Strecken zu fahren als zur Uni und zum Einkaufen", erwiderte sie und griff nach seiner Hand, in der er den Schlüssel hielt. Ein sanftes Lächeln umspielte seine Lippen. Es beeindruckte ihn, dass sie sich stärker gab, als sie innerlich war. Wortlos zog er sie zu sich heran und drückte ihr einen Kuss auf die Lippen. Dann löste sie sich von ihm und ging ums Auto herum. Als sie die Fahrerseite erreichte, hielt sie nochmal einen Moment inne. Sie hatte keine wirkliche Angst vor der langen Reise, vielmehr war es Respekt. Außerdem hatten sie für die Zielregion starken Schneefall vorausgesagt. „Okay, gib schon her."
Carlos, dem ihre Zweifel nicht verborgen geblieben waren, war hinter sie getreten und griff nach dem Schlüssel. Sie fuhr frustriert zu ihm herum. „Vielleicht können wir uns ja abwechseln..."
„Mach dir keinen Kopf. Ich mache das nicht zum ersten Mal", grinste er, drückte ihr noch einen weiteren Kuss auf und stieg ein. Willow nahm auf der Beifahrerseite Platz, zog den Wintermantel aus und warf ihn auf den Rücksitz. Carlos tat es ihr gleich und legte seine Jacke dazu.
„Danke", nuschelte sie, als sie sich anschnallte. Carlos verdrehte die Augen.
„Halt die Klappe...", konterte er grinsend, dann startete er den Motor. Als er losfuhr, zupfte Willow unschlüssig an ihrem Pullover herum. Ihr Freund griff nach ihrer Hand, während er mit der anderen das Auto durch den Verkehr lenkte. „Wenn ich gewusst hätte, dass dir das so zusetzt, wären wir einfach geflogen", sagte er und warf ihr einen prüfenden Seitenblick zu.
„Das ist es nicht...", seufzte sie. Er runzelte die Stirn und sah abermals zu ihr herüber.
„Was ist es dann?"
„Ich weiß nicht. Ich habe einfach ein schlechtes Bauchgefühl."
„Das ist normal nach dem, was du erlebt hast. Aber deswegen machen wir das ja zusammen; damit du das endlich hinter dir lässt und merkst, dass dir nichts mehr passiert", erwiderte er und entlockte ihr ein Lächeln.
„Hmm", machte sie tapfer. Er lächelte.
„Alles wird gut. Vertrau mir."
Sie atmete tief durch, dann lehnte sie sich zurück und versuchte, sich zu entspannen. Je länger Carlos den Wagen durch den dichten Hamburger Verkehr lenkte, desto besser gelang es ihr. Er war ein sicherer Fahrer und gab ihr ein gutes Gefühl.
Während der Fahrt unterhielten sie sich eine ganze Weile über Weihnachten in ihrer Kindheit und erzählten sich witzige Anekdoten darüber. Die Zeit verging wie im Flug, sodass Willow zunächst gar nicht bemerkte, wie aus dem tristen, flachen Land mit Weitblick irgendwann Berge mit schneebedeckten Tannen wurden. Erst, als Carlos von der Autobahn abfuhr, fiel ihr auf, wie heftig es in der Region geschneit hatte. Auch jetzt fielen unzählige, dicke Flocken vom Himmel und wirbelten wild herum. Links und rechts von den weitestgehend geräumten Hauptverkehrsstraßen, die die kleinen Städtchen miteinander verbanden, tauchte eine weiße Schneedecke die Region in ein romantisches Wintermärchen. Je weiter sie fuhren, desto ländlicher und uriger wurde das Gelände. Die vielen Häuser der Dörfer wurden nach und nach immer weniger, bis sie irgendwann nur noch hier und dort einen Bauern- oder Gasthof und weite, weiße Felder passierten und die Straße einschneite, sodass Carlos vom Gas ging und langsamer fuhr. Willow hatte das Gefühl, mitten im Nirgendwo zu sein. Fasziniert drehte sie den Kopf hin und her und betrachtete die Bergspitzen vor der untergehenden Sonne.
„Und wir sind uns sicher, dass John wirklich hier am Arsch der Welt Weihnachten verbringen will?", hakte sie skeptisch nach. „Die haben hier sicher nicht mal W-Lan."
Carlos schmunzelte.
„Das glaubst du ja wohl selbst nicht. Der hat an alles gedacht, glaub mir."
Willow schnappte sich ihr Smartphone, das sie während der Fahrt in der Mittelkonsole abgelegt hatte. Carlos linste unterdessen auf das Navigationssystem. Gute siebzehn Kilometer trennten sie noch von ihrem Ziel.
„Hier gibt es nicht mal Handyempfang", kommentierte Willow trocken. „Das übersteht John niemals."
„Ehrlich nicht?", hakte Carlos überrascht nach, unterließ es jedoch, einen flüchtigen Blick auf sein eigenes Handy zu werfen, um Willow kein schlechtes Gefühl zu geben. Es war ihr endlich gelungen, sich zu entspannen, und sie schein derart losgelöst, dass er kein Risiko eingehen wollte.
„Nein. Komplett tot", sagte Willow.
„Wahrscheinlich wechseln einfach nur die Signaltürme und in ein, zwei Kilometern ist wieder alles in Ordnung."
Die Autos, die ihnen entgegenkamen, wurden immer weniger, und die Sonne drohte, bald hinter den Bergen zu verschwinden. Die Bäume am Straßenrand waren nicht mehr als knochige Gerippe und so langsam wich Willows Faszination einem mulmigen Gefühl im Bauch. Als sie schließlich eine kurvige, verschneite Bergstraße hinauffuhren und Carlos noch mehr vom Gas ging, sah sie nervös auf die Anzeige des Navigationssystems. Zum Glück waren sie nur noch sieben Kilometer vom Zielort entfernt.
„Was ist?"
Carlos entging nicht, wie angespannt seine Freundin sich in den Sitz drückte.
„Ganz schön gruselig hier", antwortete sie. Er lächelte.
„Ist doch noch nicht mal richtig dunkel", probierte er, ihr Mut zu machen. Außerdem sind wir ja bald da."
„Hmm", machte sie, während Carlos wieder auf die Straße schaute. Sie sah unterdessen abermals auf ihr Smartphone. Noch immer hatte sie kein Signal.
„Kein Grund, dir Sorgen zu machen", versprach er und nahm ihre Hand. Sie fand es süß, wie er sie zu beruhigen versuchte. Es gelang ihm sogar ein kleines bisschen. Mittlerweile fiel so viel Schnee, dass er sich auf der Straße aufhäufte und liegenblieb.
„Von Schneeschiebern haben die hier wohl noch nie was gehört", meckerte Willow grimmig und entlockte Carlos ein kehliges Lachen.
„Entspann dich, mi Amor. Sind doch nur noch ein paar Kilometer."
Sie atmete tief durch, versuchte, sich zu beruhigen. Er hatte Recht. Carlos wandte seinen Blick wieder auf die Straße. Willow tat es ihm gleich. Noch immer waren sie keinem weiteren Auto begegnet. Der Schneefall war so heftig, dass die Flocken das Licht der Scheinwerfer zurückwarfen und sie beinah blendeten. Carlos hielt die Augen auf die Straße gerichtet, beide Hände am Lenkrad, während Willow abermals auf ihr Handy sah. Noch immer nichts.
Plötzlich erregte eine Bewegung im Dickicht rechts von ihnen Willows Aufmerksamkeit. Auch Carlos sah den dunklen Schatten, dann ging auf einmal alles ganz schnell.
Ein Reh sprang im Dämmerlicht auf die Straße. Willow hielt den Atem an, als es vor ihnen stehenblieb und sie anschaute, während Carlos voll in die Bremsen ging. Als der Wagen auf dem Schnee zu rutschen begann, krallte Willow sich am Türgriff fest. Das Herz schlug ihr bis zum Hals, während ihre Gedanken sich überschlugen. Die Welt um sie herum begann sich so schnell zu drehen, dass ihr schwindelig wurde. Das letzte, was sie sah, war das Gesicht des Rehs, bevor es auf der anderen Seite der Straße im Wald verschwand, bevor ein unsanfter Aufprall den Wagen erschütterte.
Jaaa, ich weiß, ich habs mit den miesen Cuts. Es tut mir leid. Und dann noch so ein Cut. Ich hoffe, ihr verzeiht mir :/ Ausgerechnet bei Willows Anreise passiert so etwas... Wie hat euch das Kapitel denn gefallen, also abseits des Endes?
Und kann mir vielleicht jemand von euch sagen, wie man das Gesicht des Rehs nennt. Also sagt man Gesicht? Schnauze? Ich habe keine Ahnung. Was sagt man denn bei Tieren? Fühle mich etwas dumm.
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