4. Kapitel: Tag 1
Niall drückt mich fest an sich und umschließt mit seinen Armen meinen Oberkörper. Ich presse mein Gesicht an seine Schulter und kann nicht länger verhindern, dass mir ein paar Tränen über die Wange laufen. Wir stehen einige Zeit so da, ohne, dass jemand auch nur ein Wort sagt. Es ist komplett still im Raum. Nur mein leises Schluchzen, das ab und zu meine Lippen verlässt. Wieder gibt mir Niall die Zeit, die ich brauche, ohne mich zu hetzen. (Er gibt die besten Umarmungen. Man fühlt sich immer sofort geborgen und verstanden.)
Dass er jetzt so für mich da ist, lässt mich nicht vollkommen durchdrehen. Nach kurzer Zeit habe ich mich zumindest ein wenig beruhigt und löse mich langsam von ihm. Er sieht mir in die leicht geröteten Augen und legt ein sanftes Lächeln auf seine Lippen. Dennoch erkenne ich auch etwas Mitleid in ihnen, etwas, was ich jetzt nicht sehen will und deshalb wegschaue. Seine Hände ruhen an meinen Schultern und geben mir unterbewusst etwas Halt.
"Also...er ist hier", sagt er nüchtern. "Sieht ganz so aus", nuschle ich und sehe dabei auf meine Hände. Niall atmet einmal tief Luft ein und pustet sie dann lautstark wieder heraus. "Das ist scheiße." Ich lache zynisch auf. "Das kannst du laut sagen!" Dann drehe ich mich um und lasse mich auf das braune Sofa an der Wand fallen. Ich muss mich setzen, ich habe Angst, dass meine Beine andernfalls nachgeben könnten.
Meine Ellenbogen stemme ich auf meine Knie, bevor ich mich nach vorne beuge und auf den Boden starre. Wieder schweigen, bis sich Niall neben mich setzt und mir beruhigend eine Hand auf den Rücken legt. Erneut könnte ich anfangen zu weinen. Mein bester Freund hat auch damals schon alles mitbekommen. Er kennt unsere Geschichte, jedes Detail. Doch nichts davon macht das alles gerade einfacher...es ist einfach wirklich viel gerade!
Meine Gedanken und Gefühle fahren Achterbahn. Einfach alles fühlt sich gerade nicht gut an. Mein ganzer Körper kribbelt und irgendwie würde ich mich jetzt wirklich gerne übergeben, um den ganzen Mist aus mir raus zu haben. Alles Negative einfach herausbefördern. Aber das würde trotzdem nichts an dem Problem im Raum nebenan ändern.
Ich schließe meine Augen und erneut beginnt mein Kinn zu zittern. Vor meinem inneren Auge sehe ich sein Gesicht. Der Moment, in dem er sich umgedreht hat und mein Verdacht bestätigt wurde. Stumm laufen mir vereinzelt Tränen über meine Wangen. Ich sehe zu Niall. Sein Gesicht verzieht sich und ich kann erkennen, dass er den ganzen Schmerz, welchen ich empfinde, erkennen kann. "Warum ist er hier", hauche ich verzweifelt, so als ob er eine Antwort darauf wüsste. "Ich weiß es nicht."
Frustriert und ungläubig schüttle ich den Kopf und presse meine Lippen stark aufeinander. "Das ist nicht fair. Warum tut das noch so weh? Ich weiß, ich reagiere total übertrieben und-" - "Das ist überhaupt nicht übertrieben", unterbricht mich Niall. "Aber...das lief doch nicht mal besonders lange", stammle ich und weiß eigentlich gar nicht, wieso ich das sage. "Harry! Hör auf so einen Mist zu reden! Die Dauer einer Beziehung sagt doch nichts darüber aus, wie intensiv sie war. Wie intensiv die Beteiligten geliebt haben und über den Schmerz, wenn es endet...und dann auch noch so abrupt." Den letzten Teil fügt er leise hinzu. "Aber das ist es ja. Es war nicht einmal eine Beziehung Niall. Es war nur Sex!" Mein bester Freund zieht eine Augenbraue hoch.
"War es das?" Sarkasmus. In seiner Stimme höre ich diesen Unterton, der mir sagt, dass er denkt, ich rede Bullshit. Mir ist das bewusst und trotzdem kommen diese Worte aus meinem Mund. Mehr als Schutzmechanismus, als als ernst gemeinte Worte. Ich weiß, dass es mehr wahr...für mich. "Also, so wie ich das sehe, war das nicht nur Sex. Harry...du hast Louis geliebt. Vielleicht ist er sogar der einzige, den du so geliebt und bei dem du es je zugelassen hast, dass er dich zurück liebt." Nialls Stimme ist sanft, aber trotzdem fest.
Die Worte treffen mich direkt und vollkommen unvorbereitet. Ich weiß, dass er recht hat...und der Schmerz in meinem Inneren macht mir erneut klar, wie recht. Ich muss hart schlucken. Allgemein fühle ich mich, als würde ich jede Sekunde von einer neuen Welle, an zusammengewürfelten Emotionen, überrollt werden. Ich bekomme kaum die Chonce Luft zu holen, da kommt auch schon die nächste und ich drohe zu ertrinken.
"Mag sein", sage ich trocken, "aber geliebt hat er mich nicht, sonst wäre er nicht gegangen." Bei den Erinnerungen, die in mir hochkommen, dreht sich mein Magen um. Ich fühle mich urplötzlich in die Situation von damals zurückversetzt. Nichts hat sich zu damals geändert. Nichts! Ein starkes Ziehen schießt durch meine Brust. Starr sehe ich vor mir auf den Boden. Dass ich es hinter mir gelassen habe, ist eine Lüge. Eine Lüge, die ich allen und mir selbst erzählt habe, doch gerade kommt die ganze Wahrheit ans Licht...und sie ist verdammt hässlich.
Die Bilder in meinem Kopf, von meinem jüngeren Ich und einem jüngeren Louis erdrücken mich förmlich. Plötzlich ist da kein Schmerz mehr, nur noch Leere und ich merke, wie sich der extreme und beklemmende Druck in meinem Inneren verstärkt. Niall scheint es ebenfalls zu bemerken und packt mich deshalb grob am Arm, um mich zu sich zu drehen. "Oh nein! Ganz sicher nicht! Du machst das jetzt nicht. Das kannst du vergessen", knurrt er. Der Ire packt mein Gesicht mit beiden Händen. "Sieh mich an! Sieh mich an verdammt!" Er wird lauter und zwingt mich dazu, ihm in die Augen zu sehen.
Wie benebelt richte ich meinen Blick auf ihn, woraufhin er langsam beginnt zu nicken. "So ist gut, sieh mich einfach an." Er blickt mir weiterhin in die Augen. Von der Berührung seiner Hände geht eine Wärme aus, welche langsam auf mich übergeht. Plötzlich lichtet sich der Nebel und alles bricht irgendwie zusammen. Der ganze Schmerz kommt mit einem Mal zurück. Ihn nicht verdrängen zu können, heißt ihn nun spüren zu müssen.
Sofort steigen mir die Tränen in die Augen und ich klammere mich an Niall. Dieser schließt erneut seine Arme um mich und lässt mich weinen. Ich hatte so gehofft, diese Tür nie wieder öffnen zu müssen...tja falsch gedacht!
Noch eine ganze Weile schluchze ich vor mich hin, bevor ich mit gebrochener Stimme einen Satz bilden kann. "Tut-tut mir leid." -"Hey, schon okay. Du brauchst dich nicht entschuldigen, es ist alles gut...aber ich kann dich nicht wieder diesen Weg gehen lassen Harry. Niemals wieder", sagt er mit ernster und dennoch sanfter Stimme. "Ich weiß Niall", entgegne ich ihm leise.
Danach herrscht erst einmal wieder Stille. Wir sitzen beide nebeneinander auf dem Sofa und hängen unseren jeweiligen Gedanken nach. Um ehrlich zu sein, passiert bei mir da oben gerade gar nicht so wirklich viel. Mein Geist ist erschöpft und dennoch überfordert, aber zumindest herrscht kein Chaos mehr. Meine Gedanken sind ruhig oder zumindest ruhiger. "Dir geht es nicht gut, richtig", durchbricht Niall irgendwann unser Schweigen. Ohne ihn anzusehen, nicke ich.
"Dann hast du gelogen... jedes einzelne Mal, wenn ich gefragt habe." Es ist nicht wirklich eine Frage, aber trotzdem nicke ich. Niall stößt laut Luft aus und ich kann alleine daran hören, dass er enttäuscht ist. Ich drehe mich halb zu ihm um. "Es tut mir leid", flüstere ich. Dieses Mal nickt er. "Tja, das ist scheiße gelaufen", sagt er trocken. Dies kommt unerwartet und ist doch so wahr, dass ich ein wenig lachen muss. Niall zieht einen seiner Mundwinkel in die Höhe und schaut mich an. "Tut mir leid", meint er schließlich. Ich ziehe meine Augenbrauen fragend zusammen. "Dass ich es nicht gemerkt habe."
Mein sonst so fröhlicher Freund wirkt nun traurig und ich höre den Vorwurf an sich selbst heraus. Schnell lege ich meine Hand an seine Schulter. "Nein! Nein, das-. Du hast dir rein gar nichts vorzuwerfen!" - "Aber ich hätte es merken müssen." Sofort schüttle ich den Kopf. "Nein, das hättest du nicht." Ich sehe, dass er diesem widersprechen möchte, doch diese Chance lasse ich ihm nicht. "Du solltest es nicht bemerken...das sollte keiner", versuche ich ihn aufzubauen. "Niall, du bist so ein guter Freund. Ich liebe dich, du bist wie mein Bruder. Du kennst alles von mir. Du hast mir schon so oft, aus allen möglichen Dingen geholfen...mehr als ich je zurückgeben kann. Aber ich kann dich auch nicht immer mit meinen Problemen belasten, das-das ist nicht fair", gestehe ich ruhig.
"Harry-" - "Ich meine es ernst. Nach allem, was du und Liam wegen mir damals durchmachen musstet...ich habe einfach versucht mein Leben normal weiterzuleben und wenn das bedeutet mein Leben nach dem Motto 'Fake it til you make it' zu leben, dann ist das so. Außerdem kann ich euch nicht immer mit meinem Scheiß belästigen", versuche ich mein Verhalten zu erklären. Mir ist bewusst, dass es keine gute Erklärung ist, aber die Beste, die ich geben kann. Ich sehe zurück auf meine Finger und beginne an einem meiner Ringe zu spielen. Der Ire legt beruhigend eine Hand auf meine.
"In Freundschaften rechnet man 'für einander da zu sein' nicht auf! Wann bekommst du das endlich in deinen Dickschädel rein?" Ein leichtes Lächeln umspielt seine Lippen und auch ich kann nicht gänzlich verhindern, dass meine Mundwinkel ein wenig zucken. "Ich weiß, aber ich habe das Gefühl, dass ein zu großes Ungleichgewicht in unserer Freundschaft herrscht...und ich will das nicht! Ich will nicht diese Art von Mensch sein." Ein leises Seufzen entkommt mir. Niall nimmt meine Hand und drückt diese leicht. "Wir sind in gleichem Maße für dich da, wie du für uns...nur du siehst das nicht", ist alles, was er dazu sagt.
"Und jetzt", fragt er nach einiger Zeit der Stille, woraufhin ich nur mit den Schultern zucke. Ich habe keine Ahnung. "Ich schätze du willst jetzt nach Hause?" Ich schlucke und zucke erneut mit den Schultern. "Ist schon okay, du kannst ruhig gehen", entgegnet er sanft. Ich weiß er würde es mir keines Falls übel nehmen, aber dennoch hat dieser Gedanke einen faden Beigeschmack. Ich hatte mich eigentlich sehr darauf gefreut einen seiner eigenen Songs zu hören. Ich weiß,wie lange er daran gearbeitet hat. Oft genug wollte ihn schon dazu zwingen ihn mir vorzuspielen, aber er meinte immer, dass ich ihn erst im Pub zu hören bekommen würde...so wie jeder andere auch!
Jetzt zu gehen würde sich nicht richtig anfühlen, auch wenn es für mich das einfachste wäre. Alles in mir schreit diese Chance zu ergreifen und dem Mann, welcher im Raum neben an mit meinem anderen besten Freund steht, zu entfliehen. Der Konfrontation, für welche ich nicht bereit bin...nie bereit sein werde, aus dem Weg zu gehen. Schmerzhafte Erinnerungen zu vermeiden. Aber ich kann einfach nicht. Niall war immer für mich da, genau wie Liam...und auch, wenn ich es anders sehe, als Niall, musste ich es wenigstens versuchen. Ich musste versuchen, für sie in gleichem Maße da zu sein, wie sie es immer für mich waren.
"Weißt du was? Nein! Ich bleibe! Du hast dir so viel Mühe bei deinem Song gegeben und ich habe dich so lange damit genervt, ihn endlich hören zu können", ich atme einmal tief ein und sehe Niall dann fest in die Augen. "Ich werde mir das nicht nehmen lassen! Außerdem ist das hier unser Pub und den lasse ich mir von ihm doch nicht kaputt machen", den letzten Teil sage ich mit einem Schmunzeln in der Stimme. Ich versuche wirklich alles daran zu setzen mir nicht anmerken zu lassen, wie viel Kraft es mich kostet. Im Inneren möchte ich schreien, denn da drüben ist der Mann, der mein Herz in tausend einzelne Teile hat zerspringen lassen und ich würde so viel dafür geben, ihn nicht sehen zu müssen.
Doch Niall sieht mich mit großen Augen an und ich kann deutlich erkennen, dass er nicht mit dieser Antwort gerechnet hat. Ein großes, freudestrahlendes Lächeln bildet sich auf seinem Gesicht und alleine dafür hat es sich gelohnt zu bleiben. Er nimmt mich fest in den Arm und flüstert ein leises, "Danke Harry".
1988 Wörter
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Hallo meine Lieben :)
Weitere kleine Einblicke in Harry's Gedanken und am Ende ist es ja doch noch ein recht süßer Moment zwischen den beiden Freunden geworden.
Ich wünsche euch einen schönen dritten Advent und hoffe natürlich ihr hattet wie immer Spaß! Lasst gerne eure Gedanken da und bis nächste Woche.
Love SunflowerThistle ❤
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