»WIR SIND VAMPIRE UND KEINE KÄMPFER FÜR LIEBE UND GERECHTIGKEIT«

~ 07. Februar 2018 ~

LIEBES TAGEBUCH,

Menschen verletzen auf Note – das soll meine nächste Lektion im Vampirsein werden. Darauf hätte ich gerne verzichtet. Aber nach dem gestrigen Vorfall habe ich keine andere Wahl und hoffe, dass ich mit Damon den richtigen Lehrer an meiner Seite habe. Ich hätte irgendwie Stefan vorgezogen, aber er darf gar nicht erst in Versuchung kommen, was Frischblut betrifft und Damon gilt als stabil und kontrollierbar. Morgen Abend geht es los. Weiberfastnacht und ich mittendrin.

Aber abgesehen von diesem unschönen Moment, bei dem ich fast jemanden getötet hätte, gibt es auch Dinge in meinem neuen Leben, die ich durchaus interessant finde. Die alten Hexenbücher von Lindas Oma zum Beispiel. Gerade habe ich eine SMS von Linda erhalten, dass ihre Oma damit einverstanden ist, dass wir uns diese Bücher mal gemeinsam ansehen. Neben eigenem Interesse habe ich dabei allerdings auch einen geheimen Hintergedanken, wie du weißt. Ich will in den Büchern etwas über die Harzer Werwölfe herausfinden, die hierzulande einst unterwegs gewesen sein sollen. Mit diesen Informationen hoffe ich, den Urvampir Klaus schnellstmöglich aus der Stadt vertreiben zu können. Aber was will er eigentlich von den Wölfen?

Aus heiterem Himmel kommt mir der Gedanke, dass er diese vielleicht für irgendwelche fiesen Pläne ausnutzen will. Was ist, wenn ich ihm mit meiner Unterstützung auch noch in die Hände spiele? Wieder einmal überkommt mich ein schlechtes Gewissen und Zweifel, ob mein törichter Alleingang auch wirklich die richtige Entscheidung war. Aber wie sagt man immer: Wissen ist Macht und ich denke, dass ich ja gewisse Informationen auch gegen ihn verwenden könnte.

Wild entschlossen, meinen Plan durchzuziehen, habe ich gerade mein Handy in der Hand und will sogleich eine SMS an Klaus schreiben, dass ich nächste Woche Einblicke in die Bücher bekomme. Aber wie schreibt man einem Feind, der denkt, wir seien Freunde? Ganz neutral am besten. Wie beim letzten Mal.

"Hallo, Klaus. Gehe am Dienstag zu Lindas Großmutter, die Hexenbücher angucken."

Das sollte genügen. Oder? Ach, was solls.

Senden.

Oh, Gott! Da kommt schon die Antwort. Ich trau mich gar nicht, zu lesen.

Hehe, das glaubst du mir niemals, liebes Tagebuch!

Entgegen meiner Erwartung besteht die Antwort des tausend Jahre alten, monströs gefährlichen, massenmörderischen Urhybriden lediglich aus einem simplen grinsenden Smiley :-). Vielleicht hat er die Sache mit dem Freundschaftsangebot tatsächlich ernst gemeint? Wohl kaum.

Mein Verstand sagt mir, dass ich für ihn genauso ein Mittel zum Zweck bin, wie er für mich. Wenn überhaupt, dann ist es eine Zweckfreundschaft. Eine streng geheime noch dazu. Dennoch ließ ich mich zu einer weiteren Torheit hinreißen und schon war auch von meinerseits ein Emoji auf dem Weg zu Meister Isegrim.

Was folgte, war ein knappes "Gute Nacht".

"Ebenso", war wiederum meine erneut peinliche Antwort.

Ich sollte das Handy lieber sofort ausschalten, um weitere Vollhorstigkeiten zu vermeiden. Mich muss der Wahnsinn geritten haben! Wie kann man einen Pakt mit dem Teufel mit Smileys und Emojis ausschmücken? Aber irgendwie finde ich die ganze Aktion schon wieder lustig und genieße erneut den Nervenkitzel bei diesen krummen Dingern, die ich kleiner, böser Vampir hier hinter dem Rücken der Salvatores abziehe. Aber die werden mir schon noch dankbar sein, sobald mein Plan aufgegangen ist.

~ 08. Februar 2018 ~

LIEBES TAGEBUCH,

der heutige Tag ist ein ganz besonderer. Es steht Weiberfastnacht auf dem Plan. Normalerweise habe ich mir nie etwas aus diesem ganzen Karnevals- und Faschingsgedöns gemacht und das wird vermutlich auch bis in alle Ewigkeit so bleiben, dennoch wird mir die diesjährige Faschingssaison zweifelsohne im Gedächtnis bleiben.

Da heute mit Sicherheit die ein oder andere beschwipste Dame auf der Straße anzutreffen ist, hatte Damon die tollkühne Idee diese Chance zu nutzen und mir ein paar Lektionen im Vampirsein zu geben. Heute Abend sollte ich Jagen-Trinken-Löschen lernen. Also den sicheren Umgang mit frischen Nahrungsmitteln, sprich: Wie sauge ich einen Menschen aus, ohne ihn zu töten, und wie lasse ich ihn den Vorfall anschließend wieder vergessen.

Da sich kürzlich herausgestellt hat, dass auch ein Vampir mit den allerbesten Vorsätzen schnell zu einer Gefahr werden kann, bleibt mir nichts anderes übrig, als zu lernen, wie es besser geht. Sicher ist sicher. Ich werde dir sofort alles darüber erzählen, wenn ich wieder zu Hause bin. Drück mir die Seiten, liebes Tagebuch!!! Aber jetzt muss ich erst mal auf Arbeit gehen. Bis dann!

****

Da bin ich wieder, es ist jetzt kurz vor Mitternacht und es gibt einiges zu berichten!

In der Mittagspause war ich im Kostümverleih gewesen und habe mir eine süße Verkleidung besorgt, um unter meinen künftigen Opfern nicht so sehr aufzufallen. Wie vereinbart traf ich dann am Abend um Punkt 20 Uhr am Haus der Salvatores ein. Dort hätte ich mir ein wenig mehr Begeisterung gewünscht ...

»Eine Fledermaus? Wirklich?« Mit gerümpfter Nase musterte Damon das Kostüm, welches ich stolz aus dem bunten Plastikbeutel zog.

»Was denn? Das ist doch stilecht, oder nicht? Zieht ihr etwa ohne Verkleidung los?«, antwortete ich, hüpfte motiviert vor den beiden skeptisch dreinschauenden Vampiren herum und präsentierte stolz das Fledermausköstum.

»Es ist Weiberfastnacht. Da verkleiden sich nur die Ladys«, wendete Damon meinen Vorschlag ab.

»Na ja, dann verkleidet euch doch ganz einfach als Weiber«, erwiderte ich schmunzelnd. So putzig diese Vorstellung auch war, diesen Gefallen taten sie Salvatores mir leider nicht. Sehr schade.

Ich jedenfalls verzog mich rasch in mein kleines Gästezimmer und kam anschließend breit grinsend wieder heraus. »Bin ich nicht eine niedliche, kleine Fledermaus? Mir traut man doch bestimmt nichts Böses zu. Oder, Jungs?«

Die beiden schmunzelten nur.

»Na, dann los. Lass uns beide mal die Straßen unsicher machen«, sagte Damon schließlich und ging motiviert voran.

»Du willst wirklich nicht mitkommen?«, fragte ich Stefan, der in seinem Sessel sitzen blieb, ein Buch aufklappte und ein Gläschen Bourbon trank. »Ich hatte gehofft, dass du wenigstens in der Nähe bleibst.«

»Ich denke, für diese Mission ist Damon der bessere Ansprechpartner. Er soll aber nicht gleich auf zwei instabile Vampire aufpassen müssen.«

»Da kann ich meinem Brüderchen nur recht geben«, bestätigte Damon seinen Bruder und spielt damit Wohl auf Stefans Vergangenheit als Ripper an. So zogen Damon und ich allein los, in die Dunkelheit der Nacht.

Unser erster Weg führte uns den Baumweg herunter. Dieser schien zunächst völlig menschenleer zu sein. Dann kam uns auf der gegenüberliegenden Straßenseite aber doch eine einsame Frau entgegen. Diese hatte gar kein Kostüm an und war vermutlich nur auf dem Heimweg und nicht in Feierlaune. Damon war das egal. Er meinte aber, dass sie für ihn sei, um mir zunächst zu demonstrieren, wie es funktioniere. In Vampirgeschwindigkeit sauste er los und stand in Nullkommanichts vor der ahnungslosen Frau. Er schaute ihr sofort tief in die Augen und begann mit der Bewusstseinskontrolle.

»Du hast keine Angst, schreist nicht und läufst nicht weg.« Die Frau stand augenblicklich da, wie eine Statue. »Nun kannst du alles mit ihr machen, was du willst, Maria«, wandte sich Damon mir zu, als ich vorsichtig näher kam. »Verpass ihr eine neue Frisur, besseres Make-Up, oder wenn du schon immer eine Frau küssen wolltest, bedien dich.«

»Nein, danke. Können wir bitte einfach mit unserer Vampirlektion fortfahren?« Ich hatte befürchtet, dass Damon vielleicht nicht der effektivste Lehrer sein würde, mit seinem Drang ständig alles ins Lächerliche zu ziehen. Dann aber nickte er stumm und begann damit, den Schal der Frau zur Seite zu schieben. Sie konnte zwar nichts sagen und sich nicht bewegen, aber ich war mir dennoch sicher, Angst in den Augen erkennen zu können. Sie tat mir unendlich leid. So etwas hatte sie bestimmt nicht verdient. Wobei – man kann dem Menschen ja immer nur vor ... ach, lassen wir das.

Damon dachte weniger lang nach und biss ihr auch schon in den Hals. Ich roch ihr Blut, sah es an der Seite herunterlaufen und hatte nur noch einen Gedanken: Ich will auch!

Aber Damon hörte früher wieder auf, das Blut der Frau zu trinken, als ich erwartet hatte. »Du musst beim Trinken immer ganz genau auf die Körperreaktionen deines Opfers achten«, erklärte er mir. »Atmung, Herzschlag, Körpertemperatur. All das ist wichtig, um den richtigen Moment zum Aufhören abzupassen. Wenn du zu viel Blut trinkst, dann wird dein Opfer ohnmächtig. Und das ist ein sehr gefährlicher Augenblick für Vampire. Dann kann es zu einer Art Nun-ist-es-auch-egal-Reaktion kommen und man trinkt ohne Hemmungen weiter, verfällt in einen Blutrausch, der meistens mit dem Tod des Opfers endet. Und genau das wollen wir bei dir auf jeden Fall verhindern.«

Ja, das wollten wir. Obwohl mein Gehirn in diesem Moment nur noch an Blut denken konnten, versuchte ich, Damon aufmerksam zuzuhören.

»Deine Sinne sind als Vampir verschärft. Lerne, sie richtig einzusetzen, dann kann nichts schiefgehen«, ermutigte er mich, als er meine Zweifel erkannte. Anschließend wandte er sich wieder dem Opfer zu und manipulierte die Frau abermals, um sie alles Geschehene vergessen zu lassen.

»Moment!«, rief ich dazwischen, ehe er sein Opfer gehen ließ. »Willst du ihre Wunde nicht noch mit deinem Blut heilen?«

»Ach, die heilt rasch von alleine. Vampirspuke ist nicht zu vergleichen mit Hundesabber. Soll sie sich doch irgendeine Geschichte ausdenken«, antwortete Damon mit einer abwertenden Handbewegung.

Ich war entsetzt. »Das geht doch nicht! Wie willst du denn deine Taten verheimlichen, wenn du überall Bissspuren hinterlässt?«

Damon verdrehte die Augen und biss sich letztlich doch in sein eigenes Handgelenk und gab der Frau sein Blut, woraufhin ihre Wunde schnell zu heilen begann. »Wollen wir hoffen, dass ihr Morgen kein Baum auf den Kopf fällt, sonst habe ich bald noch mehr Vampirschülerinnen«, scherzte Damon, als die Frau etwas weiter weg war.

»Du kannst ja eine Schule eröffnen. Die Salvatore Boarding School für übernatürlich Begabte, oder so ähnlich«, antwortete ich mit einem Augenzwinkern.

»Jetzt hast du gesehen, wie es funktioniert. Die Nächste gehört dir. Ich werde mich dezent im Hintergrund halten und alles beobachten«, sagte Damon und wir setzten unseren Weg fort.

Lange mussten wir nicht auf meine große Stunde warten. Als wir auf der Bachstraße herauskamen, hörten wir schon von Weitem eine Gruppe junger Mädchen näherkommen. Sie waren ausgesprochen gut drauf und, wie wir schnell erkannten, verkleidet. Eine von ihnen sollte das nächste Opfer werden. Mein Opfer. Ich wusste auch schon, welche.

»Die kleine mollige, die etwas abseits der Gruppe geht, ist deine«, sagte Damon und gab mir einen kleinen Schubs zur anderen Straßenseite hin.

Er selbst blieb an der Ecke neben einem kleinen Dönerladen stehen und beobachtete das Schauspiel.

Ich huschte mit Vampirespeed in eine große Einfahrt zwischen zwei Häusern und wartete dort, bis meine Beute vorbeikam. Ich war also ein Lauerjäger. Wie eine Schlange. Meine Gedanken schweiften ab und die Gruppe Mädchen kam schneller näher als gedacht. Als ich die ersten Damen an mir vorbeigehen sah, wurde ich nervös und hätte fast alles hingeschmissen. Aber als die kleine Dicke letztlich vorbeikam und ihr Abstand zu den anderen noch etwas größer wurde, fasste ich wieder Mut und schnappte sie mir in Windeseile. Ich hielt sie ganz fest in meinen Armen und hielt ihren Mund zu. Dann begann ich sofort mit der Manipulation.

»Du bewegst dich nicht, schreist nicht und hast keine Angst vor mir.« Ich hatte gut Reden. In diesem Augenblick hätte ich selbst Angst vor mir gehabt. Die Aussicht auf frisches Blut ließ mein Herz schneller schlagen und ich spürte, wie sich mein Gesicht in das eines Monsters verwandelte.

Auf der anderen Straßenseite sah ich Damon, der mich mit wilden Gestiken anfeuerte. Ich jedoch bekam ein schlechtes Gewissen, als ich das Mädchen ansah. »Es tut mir wirklich leid. Aber wenn ich das hier nicht beherrsche, dann bin ich eine Gefahr für dich und alle anderen in der Stadt«, sagte ich zu ihr, um anschließend meine Reißzähne in ihren Hals zu rammen und ihren Lebenssaft abzuzapfen.

Frisches, körperwarmes Blut. Es war ein Hochgenuss. Ein Rausch. Die Endorphine schlugen vermutlich Blasen in meinen Adern. Aber so schwer es mir zunächst fiel zuzubeißen, umso schwerer fiel es mir, mit dem Trinken aufzuhören. Ich bemerkte, wie ihre Atmung und ihr Herzschlag schwächer wurden. Auch die Haut des Mädchens fühlte sich bereits etwas kühler an. Entgegen aller in mir schreienden Begierden ließ ich von ihr ab. Dann gab ich ihr etwas von meinem eigenen Blut und manipulierte sie, alles zu vergessen, was geschehen ist. Als sie völlig unbehelligt ihren Freundinnen hinterherlief, erzählte sie ihnen, dass sie dachte, etwas gesehen zu haben und deswegen zurückgefallen sei.

In mir machten sich Gefühle wie Erleichterung, Scham, Stolz, Verzweiflung und Euphorie breit und das alles gleichzeitig. Die Tränen flossen mir wie wilde Gewässer aus den Augen, während Damon stolz wie Oscar zu mir herüber kam. »Das hat doch wunderbar geklappt! Schon deine zweite frische Mahlzeit, bei der das Opfer noch lebt. Herzlichen Glückwunsch, Maria Super-Vamp. Das kann beim besten Willen nicht jeder Vampir von sich behaupten.«

»Danke«, sagte ich knapp, denn ich war mir nicht sicher, ob Damons gut gemeinten Worte mich wirklich aufmuntern konnten. In mir drin fuhr weiterhin alles Achterbahn.

»Auch wenn ich jetzt lerne, wie das Aussaugen von Menschen funktioniert, will ich dennoch in Zukunft weiterhin auf diese Art der Ernährung verzichten.« Damon guckte verwirrt, während mein Tonfall ernster wurde. »Ich möchte einfach keine Menschen schwer verletzen oder töten. Das bin nicht ich. Und dasselbe verlange ich auch von Stefan und dir. Sollte ich nur den leisesten Verdacht haben, dass einer von euch in meiner friedlichen kleinen Heimatstadt seinen Jagdgelüsten nachgeht und Leute verletzt, während zu Hause volle Blutbeutel auf euch warten, dann ist es vorbei mit unserer Freundschaft. Und mir liegt etwas daran, also tut mir den Gefallen und macht es nicht kaputt.«

Damon blieb wortlos stehen, während ich ein Stück vorausging. »Jeder Vampir ist eine Bestie. Aber es ist auch jeder Vampir in der Lage zu entscheiden, diese Seite an sich zu kontrollieren. Ich wollte das nur noch einmal klar stellen. Ich mache keine Unterschiede zwischen euch«, sagte ich und Damons Miene verfinsterte sich augenblicklich.

»Zwischen euch?«, fragte er skeptisch. »Ich hoffe, du sprichst nicht von Klaus.«

»Jeder von euch hat seine dunklen Seiten. Keine davon möchte ich in dieser Stadt haben. Wer sich nicht daran hält, ist mein Feind. Nimm das einfach so hin.« Das hatte offenbar gesessen. Damon folgte mir stumm, mit einigen Metern Abstand. Und Damon hielt eigentlich nie seine Klappe. Aber meine Tage als hilf- und ahnungsloses Vampirbaby waren vorbei und das sollte nicht nur Klaus wissen. Es ist meine Heimatstadt und sie alle waren hier erst kürzlich hergekommen und in der Lage, Eichenstedt in kürzester Zeit in ein Schlachtfeld zu verwandeln. Einmal stand die Spusi bereits vor dem Haus meiner Angehörigen. Wer auch immer dafür verantwortlich war – ich sah es als meine Aufgabe an, zu verhindern, dass sich dies wiederholt und dabei konnte ich es mir nicht leisten, einen von ihnen zu unterschätzen, nur weil er nett zu mir ist.

Als wir schließlich auf den Marktplatz einbogen, hörten wir laute Musik aus Richtung Malschule. In der kleinen Gasse zwischen der Malschule und dem Eichenstedter-Kaufhaus stieg offensichtlich eine private Weiberfastnacht-Party. Damon machte einen kräftigen Satz, sprang nach oben auf das Dach des Kaufhauses und überließ mir abermals das Feld. Ich nickte kurz zu ihm rauf und folgte dem Klang schrecklicher Mucke und dem Geruch von Zigaretten, Alkohol und zu viel Deo-Spray. Das nervtötende Lachen und Kichern der zahlreich anwesenden jungen Damen machte diesen Ort für mich zu einem, den ich früher meterweit umkreist hätte. Und heute steuerte ich genau darauf zu und mischte mich direkt ins Getümmel.

Damon beobachtete alles vom Dach aus, während die schlecht verkleideten Mädels um mich herum keine Notiz von mir nahmen. Mit meinem schicken Fledermauskostüm quetschte ich mich an Federboas, bunten Hüten, paillettenbestickten Jacken und albernen Pappnasen vorbei, bis meine Lauscher auf mein potenzielles nächstes Opfer aufmerksam wurden.

Ich schnappte das Telefonat eines der Mädchen auf. Sie war ganz nervös und sprach zu demjenigen am anderen Ende der Leitung etwas von wegen: »Nein, ich kann es ihr nicht sagen. Sie ist meine beste Freundin. Wenn sie erfährt, dass ich hinter ihrem Rücken etwas mit ihrem Freund angefangen habe, macht sie mir die Hölle heiß.«

Das war mein Stichwort! Nach einem widerlichen Frauenschläger konnte ich nun eine heimtückische Betrügerin zum Aderlass bringen. Batmaria, die dunkle Rächerin von Eichenstedt konnte erneut eine Sünde bestrafen.

Ich verfuhr mit diesem Mädchen ähnlich, wie mit dem ersten des heutigen Abends. Nur dieses Mal ohne schlechtes Gewissen. Bösen Menschen tat man deutlich leichter weh. Auch das war natürlich nicht die feine Art, dennoch ging dieses Mal alles viel einfacher. Nachdem sie das Telefonat beendet hatte, verwickelte ich sie in ein Gespräch und fing dabei bereits an, sie zu manipulieren.

Anschließend ging ich mit dem Mädel durch die Berggasse und kam an der Schmalstraße heraus, wo zu dieser Zeit gerade kein anderer Mensch zu sehen war. Was folgte, waren die üblichen Schritte: Manipulieren, still zu halten, saugen, ihre Wunde heilen und ihr einreden, alles zu vergessen. Ihre Wunde heilte ich dieses Mal nur, weil es meine Prinzipien so verlangten. Am liebsten hätte ich sie bluten lassen.

Ich merkte immer mehr, dass auch in mir eine dunkle Seite innewohnte, die danach rief, befreit zu werden. Aber ich war froh, dass ich es unter Kontrolle hatte. Bevor ich sie gehen ließ, manipulierte ich diese kleine Schlampe allerdings noch, ihrer besten Freundin die ganze Wahrheit über ihre Affäre mit deren Freund zu erzählen. Das konnte ich mir einfach nicht verkneifen.

Damon schüttelte nur mit dem Kopf, als ich ihm von meiner Tat berichtete. »Wir sind Vampire und keine Richter oder Kämpfer für Liebe und Gerechtigkeit«, fauchte er entsetzt.

»Warum sollten wir unsere Fähigkeiten denn nur für schlimme Taten nutzen? Wir könnten alle Superhelden sein, wenn wir es wollten. Wir könnten Menschen heilen und sie manipulieren, die Wahrheit zu sagen und ...«

Damon unterbrach mich unsanft. »Wir sind aber nun mal keine Superhelden. Begreif das endlich! Trink von mir aus für immer Blutbeutel, aber hör auf, einen auf Sailor Moon zu machen.«

In seinen hellen Augen konnte ich den Schatten der Verzweiflung erkennen. Mal wieder musste ich mir in Erinnerung rufen, dass die Salvatores bereits seit über hundert Jahren versuchten, ihre inneren Bestien zu zähmen. Wie konnte ich ihnen so besserwisserisch entgegenkommen? Ich schätze, dass es besonders anstrengend war, wenn gute Menschen zu Vampiren wurden. Wer schon immer ein Fiesling war, hatte es sicher einfacher, nach der Verwandlung seinen Platz zu finden. Bei mir schienen sich momentan all meine guten Seiten zu verstärken, um meine dunkle Seite bestmöglich zu unterdrücken. Sicher hatte Damon recht, ich war kein Superheld. Aber ich wollte auch kein Schlächter oder Ripper werden. Was auch immer Damon von meiner Aktion hielt, mich machte sie happy. Ich fühlte mich auf einmal äußerst gut gelaunt. Ich konnte fortan trinken, ohne jemanden zu töten, und ich hatte eine kleine Betrügerin enttarnt. Mein kleines, gerechtigkeitsliebendes Herz sah den heutigen Abend als großen Erfolg in meinem Vampirleben an.

Damon und ich streiften anschließend noch ein wenig weiter durch die Stadt und landeten bei der alten Tischlerei, in der sich seit Kurzem eine Veranstaltungshalle befand. Auch diese war prall gefüllt mit heiteren Weibsbildern. »Wie sieht's aus? Wollen wir noch ein bisschen den Abend genießen, Maria?«, schlug Damon zu meiner Überraschung vor und deutete mit einem Kopfnicken an, dass wir in die alte Tischlerei gehen sollten – zum Feiern, nicht zum Lernen.

»Ich weiß nicht. Bist du sicher, dass ich das jetzt schon kann?«, fragte ich unsicher nach. »Da sind so viele Menschen auf engem Raum und alle riechen für mich im Moment einfach nur nach Blut. Ich denke nicht, dass ich unbeschwert feiern kann, ohne einen davon zu beißen.«

»Und wenn schon, du kannst es jetzt kontrollieren und das ist dein erster Alltagstest. Geh rein, lass dich fallen und vergiss nicht, was du heute gelernt hast.« Damon nickte aufmunternd und las dann auf einer Informationstafel, ob denn Herren überhaupt mitfeiern durften, bei dieser Weiberfastnacht-Party. »Tut mir leid, Maria. Du musst allein rein gehen. Ich bleibe aber in der Nähe. Wenn was ist, renn raus, ruf um Hilfe, schrei meinen Namen.« Er legte seine Hand auf meine Schulter und schob mich dann beständig in Richtung Eingang.

»Auf deine Verantwortung, Herr Lehrer«, sagte ich schmunzelnd und stürzte mich ins Partygetümmel.

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