»SEI UNBESORGT, HARZER WERWOLFKÖNIGIN«

~ 23. Februar 2018 ~

LIEBES TAGEBUCH,

als ich heute Feierabend machte und nichts ahnend auf den kleinen Parkplatz vorm Funkhaus trat, wurde ich völlig unerwartet von zwei aufblinkenden Scheinwerfern geblendet. Ein großes schwarzes Auto sprang an und fuhr aus seiner Parklücke.

Klaus!

Wer sonst?

»Ist das dein neues Hobby, mir nach Feierabend aufzulauern?«, fragte ich ironisch.

»Steig ein! Ich möchte dich ein paar Leuten vorstellen«, sagte Klaus und grinste wie ein Honigkuchenpferd.

Oder Honigkuchenwolf, in seinem Fall.

Das konnte nur bedeuten, dass seine Tochter Hope in der Stadt war. Also schrieb ich meiner Schwester eine SMS, dass ich später nach Hause kommen würde. Sie hatte es zum Glück mittlerweile aufgegeben, jedes Mal danach zu fragen, was ich denn in letzter Zeit immer treiben würde, das sie nicht wissen dürfe. Ihrem hämischen Grinsen entnahm ich, dass sie etwas vermutete, was mit der düsteren Realität so rein gar nichts zu tun hatte. Aber ich wollte ihr diese romantischen Tagträume nicht verderben und versuchte erst gar nicht, etwas Gegenteiliges zu behaupten. Die unromantische Wahrheit würde ihr dieses Grinsen noch früh genug gehörig vermiesen.

In der Villa Mikaelson angekommen, kam uns zuerst eine brünette Frau entgegen, die ich noch nie zuvor gesehen hatte. Ihre Aura schüchtere mich etwas ein, wenn ich das so sagen kann. Ihr Blick hatte etwas Majestätisches, Argwöhnisches und doch gleichsam Fürsorgliches. Sie musterte mich misstrauisch, während sie auf mich zukam. Sie war auf jeden Fall kein neues blutspendendes Dienstmädchen, so viel war sicher.

»Hallo, ich bin Hayley. Du musst diese Maria sein, die verkappte Hybridin«, begrüßte mich die Fremde etwas unterkühlt, was meinen ersten Eindruck von ihr bekräftigte.

»Ähm, ja. Schön dich kennenzulernen, Hayley.« Offenbar war sie bereits gut über mich informiert worden, jedoch müssen die Mikaelsons dabei entweder zu viel oder zu wenig Gutes über mich erzählt haben, so finster wie sie mich ansah.

Kurz darauf kam Freya mit einer weiteren unbekannten Frau, einer Blondine, die Treppe herunter.

»Hallo, Maria! Darf ich dir meine kleine Schwester Rebekah vorstellen?«, sagte Freya strahlend und ein schiefes Lächeln erschien auf dem Gesicht der Blonden, das mich auf unheimliche Art und Weise an jenes von Klaus erinnerte.

»Ich habe schon viel von dir gehört, Maria. Du hältst meine Brüder hier anscheinend ganz schön auf Trab.« Auch Rebekah hatte man offensichtlich bereits über meine Wenigkeit in Kenntnis gesetzt.

Auch bei ihr war ich mir nicht sicher, ob sie mir sympathisch war. Irgendwie hatte sie etwas Bitchiges an sich, aber sie schien andererseits auch ganz locker drauf zu sein. Ich wollte ihr auf jeden Fall eine Chance geben, auch, wenn es seit jeher eigentlich mein Bestreben war, die Mikaelsons aus der Stadt zu jagen und nicht mehr von ihnen hereinzulocken. Dieser Zug schien endgültig abgefahren zu sein.

»Ich denke, das brauchen die beiden auch«, antwortete Freya auf den Kommentar ihrer Schwester, während mir Rebekah völlig überraschend um den Hals fiel.

Es fühlte sich zwar etwas aufgesetzt an, aber sie hatte sich wenigstens bemüht. Davon könnten sich ihre soziopathischen Brüder mal eine Scheibe abschneiden. Vielleicht ist diese Rebekah ja den urvampirigen Umständen entsprechend ganz in Ordnung oder sie gibt sich nur mehr Mühe, es so aussehen zu lassen.

Zu guter Letzt schloss sich Elijah dieser illustren Runde an. An der Hand führte er ein kleines rothaariges Mädchen, welches schüchtern in die Runde blickte. Ich begrüßte sie sogleich freundlich und hockte mich zu ihr herunter.

»Hallo, du. Du bist ja süß. Ich bin Maria. Ich habe gehört, du malst auch so gerne wie dein Papa.« Ich konnte ihr ein zaghaftes Ja entlocken. »Weißt du was? Ich male auch gern. Wollen wir zusammen etwas malen?« Hope taute langsam auf.

Schon immer wollten alle kleinen Kinder in meiner Familie mit mir malen, wenn sie oder ich zu Besuch waren. Diese Bürde werde ich wohl niemals los. Allerdings musste ich diesen kleinen künstlerischen Spaß vorerst verschieben. Freya kam mit ernster Miene auf mich zu und wollte dringend mit mir sprechen.

Zusammen gingen wir in Freyas kleine Hexenküche. Hayley ging indes mit Hope in ihr gemeinsames Zimmer, um weiter ihre Koffer auszupacken.

»Ich habe es geschafft, diesen Anti-Werwolf-Fluch vollständig zu studieren, und wäre in der Lage, ihn zu brechen«, fing Freya an zu reden. Dabei schaute sie mich etwas mitleidig an. So, als ob es ihr unangenehm mir gegenüber wäre. Na ja, immerhin ist das quasi mein Todesurteil, was sie da gerade gesprochen hatte.

»Was meinst du mit wäre, Freya?«, fragte Elijah, während Klaus still blieb.

»Ich kann ihn nicht brechen, ohne eine sehr wichtige Zutat, die bei seiner Entstehung verwendet wurde.«

»Spann uns nicht auf die Folter«, drängelte ich die Mikaelson-Hexe.

»Für diesen Fluch haben die Hexen damals den sagenhaften Werwolfsgürtel benutzt. Maria wird davon gehört haben«, erklärte Freya endlich und warf mir einen fragenden Blick zu.

Das hatte ich in der Tat. »Alaric hat so etwas Mal erwähnt. Der Sage nach gab es einst im Westharz einen solchen magischen Gürtel, der Menschen in Wölfe verwandeln konnte.«

Freya nickte und gab uns eine von Alarics Kopien.

Der Werwolfsgürtel

Früher hat es Leute gegeben, die konnten sich durch Umlegung eines gewißen Gürtels in Wölfe verwandeln. So hatte auch einmal ein Mann in der Gegend von Steina einen solchen, und vergaß einst, als er fortging, ihn zu verschließen, wie er es sonst zu thun pflegte. Da kam nun sein kleiner Sohn darüber und schnallte sich das Ding um, und im Augenblicke wurde er zu einem solchen Thier; das war anzusehen wie ein Haufen Erbsstroh und kullerte sich schwerfällig fort wie ein Bär; als das die Leute sahen, die im Zimmer waren, liefen sie eilig fort und holten den Vater, der grade noch zu rechter Zeit kam, um dem Jungen, ehe er Schaden angerichtet, den Riemen abzuschnallen. Der Kleine hat aber nachher immer gesagt, er hätte, als er den Gürtel umgeschnallt, so fürchterlichen Hunger bekommen, daß er alles, was ihm in den Weg gekommen, hätte zerreißen mögen.

»Das ist aber noch nicht alles. Ich bin bei meiner Recherche noch auf eine zweite Sage gestoßen, die sich auf so etwas bezieht«, fuhr Freya fort und gab uns einen weiteren Ausdruck in die Hände. »Da diese Geschichten hierzulande sehr verbreitet waren, können wir davon ausgehen, dass ein Funke Wahrheit dahinter steckt.«

Neugierig lasen wir auch den zweiten Text und konnten Freya nur recht geben. Irgendetwas musste diese Menschen zu solchen Schriften inspiriert haben.

Die Frau mit dem Wolfsriemen

Da war einmal eine alte Frau in Hüsby bei Schleswig, die war sehr geizig und gab den Dienstboten schlecht zu essen. Daher wunderten sich diese, daß sie alle Sonntage frisches Fleisch auf den Tisch kriegten, weil auch niemals etwas gekauft wurde. Da versteckte sich einmal ein Dienstjunge auf dem Heuboden, als die andern alle in die Kirche gegangen waren, und
da sah er, wie die Frau einen Wolfsriemen hervorlangte und umlegte. Da wurde sie ein Wolf und lief aufs Feld und kam bald mit einem Schaf zurück. Wenn sie so leicht zu Fleisch kommt, dachte der Junge, kann sie es uns auch wohl reichlicher geben. Als daher die Frau das Fleisch in den Topf steckte und dabei nach ihrer Gewohnheit seufzte:
»Ach, du leeve Gott, weer ik bi di!« da stellte sich der Junge, als wäre er der Herrgott, und antwortete:
»Nu un in Ewigkeit kümmst du nich to mi!«
»Warüm denn nich, du leeve Gott?«
»Du giffst din Volk nich nog in'n Pott«
»Ei, so will ik betern mi«
»Ja, gewiß, dat rad ik di!«
Und die Frau steckte von nun an ein viel größeres Stück in den Topf. Der Junge konnte aber nicht schweigen und verriet die Sache im Dorf. Als die Frau daher an einem Sonntagmorgen wieder ein Schaf holte, lauerten ihr die Leute auf. Aber keine Kugel schadete ihr, bis man zuletzt eine Flinte mit Erbsilber lud. Seit der Zeit hatte die Frau ihr Leben lang eine offene Wunde, die kein Doktor heilen konnte.

»Und das brauchen wir? Diesen Gürtel?«, fragte Rebekah. »Ich bezweifle, dass er besonders modisch ist.«

Freya nickte. »Diese Legenden lehren uns aber noch etwas. Wie es scheint, wurde dieser sagenhafte Werwolfsgürtel oder Werwolfsriemen, wie er auch genannt wird, nicht nur für den Anti-Werwolfs-Fluch benutzt, den wir brechen wollen. Er wurde bereits lange zuvor für die Erschaffung der allerersten Werwölfe in Europa gebraucht. Zusammen mit der Himmelsscheibe von Nebra und dem Ringheiligtum von Pömmelte«, klärte Freya uns weiter über ihre Forschungsergebnisse auf.

Verblüfftes Schweigen erfüllte den Raum.

»Brauchen wir die Himmelsscheibe auch? Müssen wir im Landesmuseum in Halle einbrechen?«, fragte ich schließlich und bekam ein ganz mieses Gefühl bei diesem Gedanken. Immerhin hatte ich große Ehrfurcht vor solchen alten Sachen.

»Nein. Zum Brechen dieses Fluchs ist die Scheibe nicht vonnöten. Der Fluch ist einzig an den Gürtel gebunden. Ohne ihn kann ich ihn nicht brechen«, antwortete Freya.

»Und in welchem Museum ist dieses antike Accessoire zu finden?«, fragte Rebekah, die offenbar auch in den haarsträubendsten Momenten immer noch einen flapsigen Spruch auf Lager hatte.

Die würde sich perfekt mit Damon ergänzen, dachte ich innerlich schmunzelnd.

»Das ist das Problem«, fing Freya an zu erklären. »Der Werwolfsgürtel gilt heute nur noch als sagenhaftes Relikt – eine Legende oder Märchen. Kein Museum dieser Welt stellt ihn aus und wir werden auch kaum jemanden finden, der diesen Gegenstand für real hält. Wir müssen ihn auf anderen Wegen finden. Jedoch vermute ich, dass die Hexen, die den Fluch damals sprachen, ihn bis heute aufbewahren. So ein wertvoller Besitz wird ihnen nicht abhandengekommen sein, wenn diese Hexen bis heute im Verborgenen praktizieren.«

Und das taten sie, wie wir bereits wussten. Zumindest die Taubenflüsterin Edith.

Apropos Edith: etwas an der ersten Sage kam mir bekannt vor. Ich kramte mein Smartphone hervor und „flog" mithilfe einer Landkarten-App über den Harz.

»Lindas Großtante Edith wohnt ganz in der Nähe von diesem Ort Steina, der in der ersten Sage erwähnt wird«, rief ich in die Runde, als sich mein Verdacht bestätigte.

»Die mit den Tauben?«, fragte Elijah.

»Genau.«

»Dann ist es denkbar, dass diese Möchtegernhexe uns einen wichtigen Schritt voraus ist?«, fragte Klaus endlich auch mal etwas.

»Das wäre möglich. Aber die zweite Sage verweist uns nach Norddeutschland. Und es waren insgesamt sechs Hexenzirkel, die an diesem Zauber beteiligt waren. Einer wurde, kurz, nachdem der Fluch gesprochen war, aufgelöst. Laut den Aufzeichnungen bereuten jene Hexen, die für den Fluch nötige schwarze Magie angewendet zu haben«, bejahte Freya Klaus' Frage.

Es schien schwieriger zu sein, als gedacht, diesen Fluch zu brechen. Ich ertappte mich bei dem kurzen Gedanken, mich darüber zu freuen. Wiederum bedeutet dies auch, dass ich noch länger eine schwächelnde Vampirin sein würde und keine ultrastarke Hybridin.

Oder eben tot. Wer wusste das schon?

»Wir müssen diesen Gürtel um jeden Preis finden. Er ist das Einzige, was ich noch benötige, um den Fluch zu brechen. Und dies muss in einer Vollmondnacht passieren«, sagte Freya weiter.

»Der nächste Vollmond ist bereits am Freitag«, merkte Rebekah an.

Aber Freya schüttelte den Kopf.

»Am 31. März ist erneut ein sogenannter blauer Supervollmond. Ein extrem seltenes Naturereignis und noch dazu der Zweite seiner Art in diesem Jahr. Dadurch hätte ich eine starke kosmische Kraft, die ich kanalisieren könnte. Bis dahin müssen wir den Gürtel gefunden haben.«

»Oh, super. Dann ist ja auch schon Ostern. Das Fest der Wiederauferstehung. Vielleicht gibt es als Folge dessen auch noch eine Chance für mich.« Ich konnte mir nicht verkneifen, auch mein Dilemma in die Unterhaltung einzubringen, und erntete betrübte Blicke. »Ach, kommt schon, Leute. Unkraut vergeht nicht! Jetzt wo wir uns alle gerade erst kennengelernt haben, kann doch nicht schon wieder Abschiedsstimmung in der Luft liegen.«

Meine Aufmunterungsversuche schlugen fehl.

»Jetzt da ich den Fluch entschlüsselt habe, habe ich Zeit, mich um ein Mittel zu kümmern, das deine Verwandlung abschließt, Maria.« Freya schien noch daran zu glauben, dass meine Hybridenverwandlung vollendet werden konnte.

Ich hoffe, sie hat recht.

»Zunächst müssen wir diese Werwölfe aus den Fängen der Hexe befreien und für unsere Sache gewinnen.« Hayley kam herein und strahlte das Charisma einer Alphawölfin aus.

»Wir befreien sie und dann geben wir ihnen die Chance sich zu entscheiden, ob sie sich eurem Unternehmen anschließen oder hier bleiben wollen«, stellte ich an dieser Stelle noch einmal deutlich klar.

»Hayley kennt unseren Deal und ich werde dafür Sorge tragen, dass er auch eingehalten wird. Sei unbesorgt, Harzer Werwolfkönigin«, sagte Klaus beim Vorbeigehen und verschwand zusammen mit seiner Tochter in sein Malstübchen.

Werwolfkönigin? Mit so einem Titel von El Maestro persönlich, hatte ich nun wirklich nicht gerechnet. Oder macht er sich nur über mich lustig?

»Wie ich sehe, zeigt sich Nik hierzulande von seiner besonders höflichen Seite«, kicherte Rebekah.

»Er hat eben gelernt, dass man mit roher Gewalt nicht immer ans Ziel kommt«, meinte Hayley.

»Nach derzeitig offiziellem Stand der Dinge bezeichnen sich Niklaus und Maria in der Tat als Freunde«, ergänzte Elijah die Diskussion über mich und Klaus mit einem wohlwollenden Lächeln.

»Freunde? Was es nicht alles gibt! Vielleicht ist unser Bruder doch nicht so verdammt, wie wir immer dachten. Ein Grund mehr weshalb wir die Kleine nicht verlieren dürfen. Einen weiteren Verlust wird Nik nur sehr schwer verwinden können. Hoffen wir nur, dass sie auch damit klar kommt, wenn er mal wieder sein wahres Gesicht zeigt«, sagte Rebekah und musterte mich, ohne mich direkt anzusehen.

»Ihr könnt ruhig mit mir sprechen. Ich stehe genau neben euch!«, sagte ich winkend.

Alle fingen an zu lachen.

Bei aller Heiterkeit war mir nach wie vor nicht zum Lachen zumute. Nicht nur wegen meiner eignen Unversehrtheit, die mehr und mehr in Gefahr geriet. Nein, vor allem wegen der Hexen. Bislang kannten wir nur Edith. Was ist, wenn eine andere Hexe den Gürtel hat? Oder dieser eventuell doch längst vernichtet wurde. Vielleicht kann der Fluch ohne den sechsten daran beteiligten Hexenzirkel gar nicht gebrochen werden? Freya war keine Hexe aus dem Harz. Was, wenn sie den Fluch nicht brechen kann, auch, wenn sie ihn entschlüsselt hat? Und wenn sich heimlich längst alle Hexen zusammengetan hatten und sich gegen die Mikaelsons rüsten? Können wir wirklich dagegen ankommen? Was wissen wir über die Kräfte dieser Hexen? Während alle anderen bereits im Smalltalkmodus waren, fingen meine Gedanken erst richtig an, sich im Kreis zu drehen.

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